Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsfrist
Leitsatz (amtlich)
- Gegen ein noch nicht zugestelltes Urteil des Arbeitsgerichts muß spätestens binnen einer Frist von insgesamt 17 Monaten nach der Verkündung Berufung eingelegt werden, denn im arbeitsgerichtlichen Verfahren schließt sich an die Fünf-Monats-Frist des § 516 ZPO die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG an (im Anschluß an BAG Urteil vom 14. September 1984 – 7 AZR 528/83 – AP Nr. 3 zu § 9 ArbGG 1979).
- Wird nach Ablauf der 17-Monats-Frist ein Urteil mit der Rechtsmittelbelehrung zugestellt, es könne binnen eines Monats nach Zustellung Berufung eingelegt werden, so führt diese Rechtsmittelbelehrung nicht dazu, daß die bereits abgelaufene Rechtsmittelfrist erneut beginnt.
Normenkette
ZPO § 516; ArbGG § 9 Abs. 5 S. 4, § 77
Verfahrensgang
Tenor
Die Revisionsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 15. April 1997 – 13 (10) Sa 659/96 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch fristlose Eigenkündigung der Klägerin zum 6. Dezember 1993 beendet worden ist sowie über hiervon abhängige Vergütungsansprüche.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. Oktober 1993 gegen ein Monatsbruttogehalt von 3.500,00 DM angestellt. Am 6. Dezember 1993 gab sie den ihr zur Verfügung gestellten Leihwagen nebst Autoschlüsseln und Papieren ab, warf eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in den Briefkasten der Beklagten und verließ den Betrieb. Mit einem ihr am gleichen Tage zugegangenen Telegramm bestätigte die Beklagte ihre “fristlose Kündigung zum 6. Dezember 1993”. Nach Ablauf der attestierten Arbeitsunfähigkeit bot die Klägerin erfolglos im Büro der Beklagten ihre Arbeitskraft an. Mit anwaltlichem Schreiben vom 15. Dezember 1993 kündigte die Beklagte vorsorglich fristgerecht zum 31. Januar 1994.
Die Klägerin hat beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht vor dem 31. Januar 1994 beendet wurde,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie als Gehalt für den 1. November 1993 und die Monate Dezember 1993 und Januar 1994 insgesamt 7.159,00 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages geltend gemacht, das Arbeitsverhältnis sei durch fristlose Eigenkündigung der Klägerin am 6. Dezember 1993 beendet worden. Mit einem am 10. Januar 1995 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme der Klage stattgegeben. Das der Beklagten am 12. Juni 1996 in vollständig abgefaßter Form zugestellte Urteil enthält eine Rechtsmittelbelehrung, in der es heißt, die Berufungsschrift müsse innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils beim Landesarbeitsgericht eingehen. Die am 28. Juni 1996 von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landesarbeitsgericht im wesentlichen mit der Begründung als unzulässig verworfen, am 10. Juni 1996 sei das arbeitsgerichtliche Urteil rechtskräftig geworden, die Rechtsmittelbelehrung habe die bereits abgelaufene Frist nicht erneut in Gang setzen können. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die nach § 77 ArbGG zulässige Revisionsbeschwerde ist unbegründet.
Mit zutreffender Begründung hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten nach §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO als unzulässig verworfen, weil die Beklagte ihr Rechtsmittel nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt hat. Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beträgt die Berufungsfrist einen Monat. Gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 516 ZPO beginnt die Berufungsfrist mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils, spätestens aber nach Ablauf von fünf Monaten seit der Verkündung. Im Fall einer fehlenden Urteilszustellung schließt sich an die Fünf-Monats-Frist des § 516 ZPO im arbeitsgerichtlichen Verfahren wegen Fehlens der vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrung die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG an (st. Rspr. BAG Urteil vom 14. September 1984 – 7 AZR 528/83 – AP Nr. 3 zu § 9 ArbGG 1979; Urteil vom 16. August 1991 – 2 AZR 241/90 – AP Nr. 2 zu § 15 SchwbG 1986; Urteil vom 23. November 1994 – 4 AZR 743/93 – AP Nr. 12 zu § 9 ArbGG 1979, m.w.N.; ebenso der überwiegende Teil der einschlägigen Literatur: Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 9 Rz 32; Hauck, ArbGG, § 9 Rz 23; Stahlhacke/Bader, ArbGG, 3. Aufl., § 9 Rz 14).
Soweit in der Literatur teilweise vertreten wird (Schmidt, RdA 1981, 222, 224; Schlee, AnwBl 1984, 604, 606), nach Ablauf der sich aus §§ 516 ZPO, 9 Abs. 5 ArbGG ergebenden 17-Monats-Frist beginne erst der Lauf der einmonatigen Berufungsfrist, sodaß bei nicht zugestelltem Urteil eine Berufungsfrist von insgesamt 18 Monaten gelte, ist dem nicht zu folgen. Zutreffend stellt das Landesarbeitsgericht darauf ab, daß die Vorschrift des § 516 ZPO, die den Beginn der Berufungsfrist spätestens an den Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils anknüpft, für das arbeitsgerichtliche Verfahren durch § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG nicht verdrängt wird. Es tritt nur wegen der fehlenden Rechtsmittelbelehrung an die Stelle der einmonatigen Berufungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 ArbGG, weil die unterlegene Partei beim Fehlen der Zustellung eines vollständig abgefaßten Urteils nicht schlechter behandelt werden darf, als wenn innerhalb der Fünf-Monats-Frist die Zustellung eines Urteils ohne Rechtsmittelbelehrung erfolgt. § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG regelt wie § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ausdrücklich die Frist für die Zulässigkeit der Einlegung des betreffenden Rechtsmittels. Im Fall der fehlenden Zustellung innerhalb der Frist des § 516 ZPO ist es deshalb nicht gerechtfertigt, beide Fristen zu kumulieren und so zu einer Berufungsfrist von 18 Monaten zu kommen.
Die Rechtskraft des Urteils vom 10. Januar 1995 ist danach mit Ablauf des 10. Juni 1996 eingetreten. Die erst am 28. Juni 1996 eingelegte Berufung war verfristet.
Das Berufungsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß die am 10. Juni 1996 abgelaufene Berufungsfrist nicht dadurch erneut in Gang gesetzt worden ist, daß am 12. Juni 1996 der Beklagten ein Urteil mit einer Rechtsmittelbelehrung des Inhalts zugestellt worden ist, es könne binnen eines Monats nach Zustellung Berufung eingelegt werden. Eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung kann nicht dazu führen, daß ein nicht vorgesehener Rechtsweg eröffnet wird oder eine bereits abgelaufene Rechtsmittelfrist erneut beginnt (BAG Urteil vom 24. Februar 1982 – 5 AZR 347/80 – BAGE 38, 52 = AP Nr. 3 zu § 64 ArbGG 1979; Urteil vom 23. November 1994 – 4 AZR 743/93 – AP Nr. 12 zu § 9 ArbGG 1979). Wenn das Bundesarbeitsgericht bei einer Urteilszustellung kurz vor Ablauf der 17-Monats-Frist mit der üblichen Rechtsmittelbelehrung erkannt hat, die Rechtsmittelfrist laufe nicht vor dem in der Rechtsmittelbelehrung angegebenen Zeitpunkt ab, so betrifft dies einen anderen Fall und beruht auf dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (BAG Urteil vom 23. November 1994 – 4 AZR 743/93 –, aaO). Wird der unterlegenen Partei noch vor Eintritt der Rechtskraft ein Urteil mit einer Rechtsmittelbelehrung zugestellt, die eine längere als die gesetzlich vorgeschriebene Frist angibt, so ist ihr Vertrauen schutzwürdig, die in der Rechtsmittelbelehrung angegebene Frist einzuhalten. Sonst bestünde die Gefahr, daß die unterlegene Partei durch die fehlerhafte Belehrung prozessuale Rechte verliert. Ist hingegen die Rechtskraft bei Erteilung der falschen Rechtsmittelbelehrung bereits eingetreten, so besteht diese Gefahr nicht; der Rechtsverlust beruht vielmehr darauf, daß die unterlegene Partei die gesetzliche Frist zur Rechtsmitteleinlegung nicht ausgenutzt hat und das Urteil hat rechtskräftig werden lassen.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 233, 236 Abs. 2 ZPO hat das Landesarbeitsgericht mit zutreffender Begründung, mit der sich die Beklagte in der Revisionsbeschwerdeinstanz auch nicht auseinandersetzt, abgelehnt.
Unterschriften
Bitter, Bröhl, Fischermeier
Fundstellen
Haufe-Index 893887 |
BB 1998, 276 |
NJW 1998, 774 |
NZA 1998, 54 |
SAE 1998, 236 |
AP, 0 |