Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz. selbst formulierter Rechtssatz
Orientierungssatz
- Eine nachträgliche Zulassung der Revision auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin kommt unter dem Gesichtspunkt der Divergenz auch dann in Betracht, wenn das Landesarbeitsgericht im anzufechtenden Urteil zwar nicht ausdrücklich einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der in einem entscheidungserheblichen Widerspruch zu einem Rechtssatz aus einer divergenzfähigen Entscheidung steht, sich aus scheinbar nur fallbezogenen Ausführungen jedoch zwingend ergibt, dass es von einem solchen Rechtssatz ausgegangen ist.
- Zur ordnungsgemäßen Begründung einer solchen Beschwerde (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ArbGG) ist in aller Regel erforderlich, dass konkret und im Einzelnen begründet wird, warum das Landesarbeitsgericht von dem betreffenden Rechtssatz ausgegangen sein muss. Der Beschwerdeführer muss die Gesichtspunkte und Schlussregeln für die Ableitung des behaupteten abstrakten Rechtssatzes (“Deduktion”) aus den fallbezogenen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts darlegen.
Normenkette
ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 72a Abs. 1, 3 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Tatbestand
I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung und einen Anspruch des Klägers auf einstweilige Weiterbeschäftigung.
Der am 25. Juni 1950 geborene, seiner Ehefrau und drei Kindern unterhaltspflichtige Kläger trat am 1. Juli 2003 als Kaufmann in die Dienste der Beklagten. Als außertariflicher Mitarbeiter erhielt er eine Jahresvergütung von 91.500,00 Euro brutto. Die für die außertariflichen Mitarbeiter geltende Betriebsvereinbarung räumt diesen nach Maßgabe näher geregelter Voraussetzungen die Befugnis ein, über ihren “notwendigen Einsatz und dessen zeitliche Lage … eigenverantwortlich zu entscheiden”. Im August 2004 stellte die Beklagte bei einer Überprüfung des Dienstcomputers des Klägers fest, dass dieser seinen Computer im Juli/August 2004 rd. fünf Wochen privat genutzt hatte, nach Auffassung der Beklagten in erheblichem Umfang. Sie kündigte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 23. November 2004 zum 28. Februar 2005. Insbesondere wirft sie dem Kläger Arbeitszeitbetrug vor. Mit seiner Klage erstrebt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und die Verurteilung der Beklagten zu seiner einstweiligen Weiterbeschäftigung.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer auf Divergenz und Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.
1. Hat das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung auf mehr als eine tragende Begründung gestützt, so ist die Revision vom Bundesarbeitsgericht nur zuzulassen, wenn mit der Nichtzulassungsbeschwerde alle Begründungen des Landesarbeitsgerichts angegriffen werden und die Rügen gegen jede dieser Begründungen für sich betrachtet begründet sind (Senat 10. März 1999 – 4 AZN 857/98 – BAGE 91, 93 und in weiterer ständiger Rechtsprechung zB 19. Februar 2003 – 4 AZN 843/02 –; 20. April 2005 – 4 AZN 684/04 –; 23. August 2006 – 4 AZN 448/06 –).
2. Dies ist nicht der Fall.
a) Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung, dass die Kündigung der Beklagten unwirksam ist, zumindest auf zwei sein Ergebnis allein tragende Begründungen gestützt. Es hat zum einen angenommen, das Verhalten des von der Beklagten nicht abgemahnten Klägers sei kein ausreichender Kündigungsgrund (Erstbegründung). Zum anderen hat es ausgeführt, selbst wenn man mit der Beklagten – kurz gesagt – vom Gegenteil ausgehe, ergebe die gebotene umfassende Interessenabwägung, dass das Weiterbeschäftigungsinteresse des Klägers das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiege (Zweitbegründung).
aa) Die von der Beklagten gegenüber der Zweitbegründung allein erhobene Divergenzrüge ist von ihr nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG) begründet worden.
(1) Nach § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 72a Abs. 1 ArbGG ist die Revision vom Bundesarbeitsgericht zuzulassen, wenn das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder eines der anderen in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Dazu hat der Beschwerdeführer im Einzelnen darzulegen, welche divergierenden abstrakten, also fallübergreifenden Rechtssätze die anzufechtende wie die herangezogene Entscheidung aufgestellt haben und dass jedenfalls die anzufechtende Entscheidung auf dem abweichenden Rechtssatz beruht (st. Rspr. des BAG, zB Senat 8. August 1997 – 4 AZN 369/97 – AP ArbGG 1979 § 72a Divergenz Nr. 35 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 80 mwN). Wird die Beschwerde darauf gestützt, dass den scheinbar nur fallbezogenen Ausführungen ein abstrakter fallübergreifender Rechtssatz zwingend zu entnehmen ist, obliegt es dem Beschwerdeführer – sofern das nicht offensichtlich ist –, dies konkret zu begründen. Die schlichte Gegenüberstellung der fallbezogenen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts und des vom Beschwerdeführer daraus abgelesenen abstrakten Rechtssatzes ist daher regelmäßig nicht ausreichend.
(2) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Beklagten nicht gerecht. Sie entnimmt den von ihr behaupteten angeblich divergierenden Rechtssatz des Landesarbeitsgerichts dessen fallbezogenen Ausführungen, ihr sei durch das Fehlverhalten des Klägers kein Schaden entstanden. Sie sei durch die Internetnutzung weder mit zusätzlichen Kosten belastet worden noch habe sie durch die Nichteinhaltung von Zielvorgaben bei der Erstellung der Produktionskonzepte einen finanziellen Nachteil erlitten. Damit, so führt die Beklagte aus, habe das Landesarbeitsgericht den – von einem in der Beschwerde angeführten angeblich in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Juli 2005 (– 2 AZR 581/04 – AP BGB § 626 Nr. 192 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 10, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) enthaltenen – abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt, “dass ein Arbeitnehmer, der keinerlei Arbeitsleistung erbringt, weil er die eigentlich dafür vorgesehene Zeit damit verbringt, privat im Internet zu surfen, dem Arbeitgeber keinerlei Schaden verursacht, obwohl dieser einerseits die ihm von dem Arbeitnehmer geschuldete Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben nicht erhält und andererseits trotzdem auch für diese Zeit das Gehalt weiterzuzahlen verpflichtet ist”. Die Beschwerde lässt es bei dieser Behauptung bewenden. Sie unternimmt nicht den Versuch, ihre Schlussfolgerung zu begründen, also die Gesichtspunkte und Schlussregeln für ihre Ableitung (“Deduktion”) des behaupteten abstrakten Rechtssatzes aus den fallbezogenen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts darzulegen. Dies ist vorliegend insbesondere deshalb unzureichend, weil das Landesarbeitsgericht seinen fallbezogenen Ausführungen die Rechtssätze der von der Beschwerde herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Juli 2005 (– 2 AZR 581/04 – aaO) vorangestellt hat, ua. den Rechtssatz, dass sich die Sozialrechtfertigung einer verhaltensbedingten arbeitgeberseitigen Kündigung auch aus folgendem “Gesichtspunkt bzw. Umstand” ergeben kann: “– … private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internets während der Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer während des Surfens im Internet zu privaten Zwecken seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringt und dadurch seine Arbeitspflicht verletzt.” Entspricht das vom Landesarbeitsgericht gefundene Ergebnis nicht diesem Rechtssatz, so handelt es sich – jedenfalls mangels gegenteiliger Anhaltspunkte in den Entscheidungsgründen – lediglich um eine fehlerhafte Subsumtion des von ihm entschiedenen Sachverhaltes unter diesen Rechtssatz und damit um eine fehlerhafte Rechtsanwendung, die allein die Revisionsinstanz nicht zu eröffnen vermag (vgl. Senat 10. Dezember 1997 – 4 AZN 737/97 – AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 40 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 83 mwN). Auf einen divergierenden abstrakten Rechtssatz des Landesarbeitsgerichts kann bei einer solchen Gestaltung seiner Entscheidungsgründe nicht geschlossen werden.
bb) Zudem liegt auch wegen der Unterschiedlichkeit der Sachverhalte der anzufechtenden und der herangezogenen Entscheidung hinsichtlich der Verpflichtung zur Einhaltung der Arbeitszeit die von der Beklagten bezüglich der Zweitbegründung des Landesarbeitsgerichts behauptete Divergenz nicht vor. Insoweit wird von einer Begründung gem. § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.
b) Damit kommt es auf die von der Beklagten behaupteten Divergenzen hinsichtlich der Erstbegründung des Landesarbeitsgerichts und ihre diesbezügliche Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht an. Denn im Falle der Zulassung der Revision könnte sich die zurückweisende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts darauf beschränken, die tragende Zweitbegründung zu bestätigen, ohne zu der Erstbegründung des Landesarbeitsgerichts Stellung zu nehmen (Senat 10. März 1999 – 4 AZN 857/98 – BAGE 91, 93).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG, §§ 3, 5 ZPO, § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG. Der festgesetzte Wert des Beschwerdegegenstandes entspricht der Summe aus der Addition der Beträge des dreifachen Monatsverdienstes für den Kündigungsrechtsstreit und eines Monatsverdienstes für den Weiterbeschäftigungsanspruch.
Unterschriften
Bepler, Creutzfeldt, Bott, Valentien, Pfeil
Fundstellen
NJW 2007, 1164 |
FA 2007, 116 |
NZA 2007, 349 |
AP 2007 |
EzA-SD 2007, 16 |
EzA |