Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiordnung eines Notanwalts. Rücknahme einer Nichtzulassungsbeschwerde. Wiedereinsetzung
Leitsatz (amtlich)
Die Beiordnung eines Notanwalts setzt voraus, dass die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann.
Orientierungssatz
1. Die Beiordnung eines Notanwalts kann nicht deshalb verlangt werden, weil der bisher zur Vertretung bereite Anwalt nicht willens war, eine Nichtzulassungsbeschwerdebegründung nach den Vorstellungen oder den Vorgaben der Partei zu fertigen, oder weil er das Rechtsmittel für aussichtslos hält.
2. Auch eine irrtümliche oder weisungswidrige Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Prozessbevollmächtigten ist kein Grund, für die erneute Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung zu gewähren. Die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde als Prozesshandlung ist auch in einem solchen Fall wirksam.
Normenkette
ZPO § 78b Abs. 1, §§ 81, 87 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag des Klägers vom 11. Dezember 2016 auf Beiordnung eines Rechtsanwalts wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Bonus 2012/2013 sowie eine Gehaltserhöhung für den Zeitraum Oktober 2013 bis Januar 2014. Das Arbeitsgericht hat die diesbezügliche Klage des Klägers abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision hat das Landesarbeitsgericht nicht zugelassen.
Das Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts wurde dem Kläger am 5. Oktober 2016 zugestellt. Mit einem am 17. Oktober 2016 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der anwaltlich vertretene Kläger eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Mit einem am 5. Dezember 2016 kurz vor Mitternacht beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Fax hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die bis zu diesem Zeitpunkt nicht begründete Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 2016 hat der Kläger die Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung seiner Rechte beantragt. Sein Prozessbevollmächtigter habe am 5. Dezember 2016 um 19:49 Uhr für die Beschwerdebegründung zusätzlich zu den vereinbarten gesetzlichen Gebühren ein weiteres Honorar von 600,00 Euro pro Stunde zuzüglich Mehrwertsteuer gefordert. Nachdem der Kläger eine weitere Zahlung abgelehnt habe, sei die Forderung durch den Prozessbevollmächtigten um 22:29 Uhr erneuert worden. Dies stelle eine faktische Mandatsniederlegung dar. Die anschließende Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde sei pflichtwidrig und gegen den Willen des Klägers erfolgt, entweder aus Irrtum oder um dem Kläger den größtmöglichen Schaden zuzufügen. Die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde sei nicht rechtswirksam. Um einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen, benötige der Kläger einen Anwalt. Da auf seine Anfragen im Zeitraum 6. bis 8. Dezember 2016 achtzehn namentlich benannte Rechtsanwälte die Übernahme des Mandats abgelehnt hätten, müsse ihm ein Anwalt vom Gericht beigeordnet werden. Die Rechtsverfolgung erscheine auch weder mutwillig noch aussichtslos. Das Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts weiche von mehreren Urteilen des Bundesarbeitsgerichts ab. Ferner liege eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör vor.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag des Klägers auf Beiordnung eines Rechtsanwalts war zurückzuweisen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
1. Auf ihren Antrag kann einer Partei für ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht oder für einen entsprechenden Wiedereinsetzungsantrag ein zur Vertretung vor dem Bundesarbeitsgericht notwendiger Rechtsanwalt (§ 11 Abs. 4 Satz 1 ArbGG) beizuordnen sein, wenn sie keinen zu ihrer Vertretung bereiten Prozessvertreter findet (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. §§ 555, 78b ZPO). Die Partei muss darlegen und glaubhaft machen, dass sie eine gewisse Anzahl von Rechtsanwälten vergeblich um die Übernahme eines Mandats ersucht hat (vgl. BFH 11. Mai 2007 – III S 37/06 (PKH) – Rn. 6; 14. Oktober 2002 – VI B 105/02 –; BGH 27. April 1995 – III ZB 4/95 –; BAG 28. Dezember 2007 – 9 AS 5/07 – BAGE 125, 230; 25. August 2014 – 8 AZN 226/14 (A) – BAGE 149, 57). Die Beiordnung eines Notanwalts setzt ferner voraus, dass die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint (§ 78b Abs. 1 ZPO). Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (vgl. BSG 29. März 2012 – B 14 AS 251/11 B – Rn. 5; BGH 6. Juli 1988 – IVb ZB 147/87 – zu II 2 a der Gründe).
2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
a) Die Beiordnung eines Rechtsanwalts kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger anwaltlich vertreten wird. Der Kläger trägt nicht vor, dass er das Mandat seines Prozessbevollmächtigten gekündigt hat. Dieser hat mit seinen E-Mails vom 5. Dezember 2016 auch nicht das Mandat „faktisch niedergelegt”, wie der Kläger meint. Ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers von ihm ernsthaft eine höhere als bislang vereinbarte Vergütung verlangt hat, kann dahinstehen. Die vom Kläger vorgelegten E-Mails, in denen sein Prozessbevollmächtigter zur Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde wegen Aussichtslosigkeit rät, um ihn so vor einer sicher zu erwartenden Blamage als „verbohrter Rechthaber” zu schützen, verbunden mit der Ankündigung, dass er anderenfalls 600,00 Euro Schmerzensgeld pro Stunde verlangen müsse, die er sich mit dem Fall weiter beschäftige, könnten auch als sarkastisch-ironische Bemerkung gedeutet werden. Selbst wenn man die E-Mails des Prozessbevollmächtigten des Klägers als Forderung nach einer höheren Vergütung ansehen würde, käme dies einer Mandatsniederlegung nicht gleich. Vielmehr würde damit zum Ausdruck gebracht, dass der Prozessbevollmächtigte am Mandatsverhältnis festhalten will, aber eine höhere Gegenleistung verlangt. Das Festhalten des Prozessbevollmächtigten am Mandatsverhältnis wird im Übrigen auch dadurch dokumentiert, dass er in der Folgezeit die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen, also eine Prozesshandlung vorgenommen hat. Ob die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde – wie der Kläger meint – weisungswidrig geschah, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, da es an der bestehenden anwaltlichen Vertretung des Klägers nichts ändern würde.
b) Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Bestellung eines Notanwalts nicht deshalb verlangt werden kann, weil der bisher zur Vertretung bereite Anwalt nicht willens war, eine Nichtzulassungsbeschwerdebegründung nach den Vorstellungen oder den Vorgaben der Partei zu fertigen, oder weil er das Rechtsmittel für aussichtslos hält. Dies stünde insbesondere im Widerspruch zur Eigenverantwortung des Rechtsanwalts und den mit einem Anwaltsprozess verfolgten Zwecken (vgl. BGH 18. Dezember 2012 – VIII ZR 239/12 – Rn. 4; 18. Dezember 2013 – III ZR 122/13 – Rn. 12; 12. März 2014 – V ZR 253/13 – Rn. 2).
c) Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen kommt die Beiordnung eines Rechtsanwalts auch deshalb nicht in Betracht, weil die Rechtsverfolgung als aussichtslos erscheint.
aa) Der Kläger begehrt die Beiordnung eines Rechtsanwalts, wobei er für das weitere Verfahren auf die Notwendigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags hinweist. Dabei gibt er nicht klar zu erkennen, für welche versäumte Frist er einen Wiedereinsetzungsantrag beabsichtigt. Soweit seine Ausführungen iVm. der vorgelegten E-Mail-Korrespondenz mit zahlreichen Rechtsanwälten so verstanden werden sollte, dass er einen Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigt, wäre ein solcher Antrag aussichtslos. Der Kläger war ganz offenkundig nicht unverschuldet verhindert, die Notfrist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten. Denn mit dem am 17. Oktober 2016 eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat er rechtzeitig Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Daran ändert die spätere Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde nichts, unbeschadet des Umstands, dass der Kläger diese Rücknahme für unwirksam hält. Auch eine gegebenenfalls irrtümliche oder weisungswidrige Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde wären kein Grund, für die erneute Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung zu gewähren. Insoweit würde ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten vorliegen, welches sich der Kläger zurechnen lassen müsste (vgl. BGH 2. April 1998 – V ZB 6/98 – zu II 3 der Gründe).
bb) Auch ein etwaig beabsichtigter Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist wäre aussichtslos. Ein solcher Antrag könnte selbst bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nur dann mit Erfolg gestellt werden, wenn noch eine rechtzeitig eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde anhängig wäre. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist aber wirksam mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 5. Dezember 2016 zurückgenommen worden.
(1) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers konnte die Nichtzulassungsbeschwerde unbeschadet einer angeblichen Mandatsniederlegung wirksam zurücknehmen. Die Prozessvollmacht ermächtigt zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen (§ 81 ZPO). Dazu gehört auch die Rücknahme eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs (vgl. BGH 2. Dezember 1987 – IVb ZB 125/87 – zu II 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte – wie der Kläger meint – zuvor sein Mandat „faktisch niedergelegt” hat. Im vorliegenden Anwaltsprozess endet die erteilte Prozessvollmacht gemäß § 87 Abs. 1 ZPO erst durch die Anzeige der Bestellung eines neuen Anwalts (vgl. BGH 25. April 2007 – XII ZR 58/06 – Rn. 11; 18. Juli 2007 – XII ZB 162/06 – Rn. 7).
(2) Die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Prozessbevollmächtigten ist wirksam. Auch wenn die Rücknahme weisungswidrig erfolgt sein sollte, steht dies ihrer Wirksamkeit als Prozesshandlung nicht entgegen (vgl. BGH 2. April 1998 – V ZB 6/98 – zu II 2 der Gründe; 2. Dezember 1987 – IVb ZB 125/87 – zu II 1 der Gründe). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Prozesshandlungen auch grundsätzlich weder angefochten noch widerrufen werden können. Eine analoge Anwendung der für privatrechtliche Willenserklärungen geltenden Anfechtungsregeln verbietet sich, weil das Prozessrecht die Verfahrenslage weitgehend vor Unsicherheit schützen will und deshalb einen Widerruf von Prozesshandlungen – namentlich solcher, die sich maßgeblich auf die Beendigung des Verfahrens auswirken – nur in Ausnahmefällen zulässt (vgl. BGH 27. Mai 1981 – IVb ZR 589/80 – zu I und II der Gründe, BGHZ 80, 389).
(3) Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung lediglich in einem Einzelfall zugelassen, in dem die Rücknahmeerklärung zu dem wirklichen Willen des Rechtsmittelführers in Widerspruch stand und der Irrtum des Prozessbevollmächtigten, auf dem die Erklärung beruhte, für den Rechtsmittelgegner und das Gericht ganz offensichtlich war (vgl. BGH 21. März 1977 – II ZB 5/77 –). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Jedenfalls für das Gericht war ein etwaig entgegenstehender Wille des Klägers zur Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde nicht erkennbar.
(4) Soweit der Kläger eine Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung aus dem Umstand ableiten will, dass sein Prozessbevollmächtigter erkennbar in der Absicht gehandelt habe, ihm größtmöglichen Schaden zuzufügen, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die angebliche Schädigung durch einen Prozessbevollmächtigten und daraus folgende Ansprüche wären in einem diesbezüglichen Schadensersatzprozess zu klären. Die Wirksamkeit der Prozesshandlung als solche würde ferner auch schon deshalb nicht infrage gestellt werden können, weil die behauptete Schädigungsabsicht des Prozessbevollmächtigten jedenfalls dem Gericht nicht erkennbar war.
Unterschriften
Linck, Brune, Schlünder
Fundstellen
Haufe-Index 10332121 |
BAGE 2017, 1 |
NJW 2017, 10 |
NJW 2017, 1498 |
FA 2017, 117 |
FA 2017, 127 |
JR 2018, 416 |
NZA 2017, 471 |
AP 2017 |
EzA-SD 2017, 16 |
EzA 2017 |
ArbRB 2017, 110 |
NJW-Spezial 2017, 179 |