Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhandlung in den neuen Bundesländern
Leitsatz (amtlich)
- Gegen Terminsverfügungen des Vorsitzenden ist die Gegenvorstellung statthaft.
- Für Terminsbestimmungen und Terminsverlegungen ist der Senat weder mit noch ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zuständig. Eine Zuständigkeit des Senats besteht nur für Vertagungen.
Normenkette
ZPO §§ 216, 219, 227; ArbGG § 40 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Gegenvorstellung der Beklagten vom 20. Februar 1993 gegen den Beschluß des Vorsitzenden des Vierten Senats vom 4. Februar 1993 – 4 AZR 541/92 – wird als unzulässig zurückgewiesen.
Gründe
I. Beim Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts sind sieben Sachen anhängig, in denen über die Anrechnung von Leistungen aus betrieblichen Sozialplänen auf tarifliche Leistungen zu entscheiden ist, die nach in den neuen Bundesländern geltenden Tarifverträgen über Kündigungsschutz und Qualifizierung bei Umstrukturierungsmaßnahmen für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie zu zahlen sind. Die Revisionen richten sich gegen Urteile der Landesarbeitsgerichte in Brandenburg, Berlin und Erfurt. Der Vorsitzende des Vierten Senats hat Termin auf Mittwoch, den 21. April 1993, 9.00 Uhr, in Erfurt angesetzt. Mit Schriftsatz vom 29. Januar 1993 hat die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten, eines Unternehmens in Brandenburg, die Ordnungsmäßigkeit der Ladung gerügt und beantragt, Termin am Gerichtssitz in Kassel anzuberaumen. Diesen Antrag hat der Vorsitzende mit Beschluß vom 4. Februar 1993 (– 4 AZR 541/92 – ArbuR 1993, 79 = BB 1993, 444 = DB 1993, 388 = NZA 1993, 237 = ZIP 1993, 230) zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß hat die Prozeßbevollmächtigte Gegenvorstellung mit der Bitte um Senatsentscheidung erhoben und beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses vom 4. Februar 1993 – zugestellt am 10. Februar 1993 – den Termin vom 21. April 1993, 9.00 Uhr, in Erfurt aufzuheben und neuen Termin in Kassel anzuberaumen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Gegenvorstellung sei zulässig. Die Verfügung des Vorsitzenden laufe auf einen Grundrechtsverstoß hinaus, und es sei Aufgabe richterlicher Selbstkontrolle, einen gerügten Verfahrensfehler zu beseitigen. Nur dem Senat stehe die Entscheidungskompetenz zu, auswärtige Termine anzuberaumen. Insoweit sei der Vorsitzende nicht zuständig. In der Sache sei der Beschluß unrichtig, weil die richterlichen Handlungen auch am Gerichtsort vorgenommen werden könnten. Außerdem habe sie am 21. April 1993 eine halbe Stunde später einen Termin vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts in Kassel, den sie nicht wahrnehmen könne, wenn die Sitzung in Erfurt stattfinde. Sie habe aber Anspruch, auch diesen Termin wahrnehmen zu können.
II. Die Gegenvorstellung ist an sich statthaft, im übrigen aber unzulässig, soweit sie an einen Senat vor der Durchführung des Termins in Erfurt gerichtet ist.
1. Prozeßleitende Verfügungen und Beschlüsse des Vorsitzenden des Gerichts können mit der Gegenvorstellung angegriffen werden, da sie die Durchführung des Verfahrens regeln sollen, nicht aber zwischen den Parteien rechtskräftige Entscheidungen herbeiführen. Im Schrifttum wird daher im allgemeinen die Zulässigkeit der Abänderung der Verfügungen und Beschlüsse des Vorsitzenden bejaht; hieraus ergibt sich aber auch zugleich, daß Gegenvorstellungen an den Vorsitzenden zulässig sein müssen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., 1993, § 227 Rz 31; Thomas/Putzo, ZPO, 17. Aufl., 1991, § 227 Anm. 3; Zöller/Stephan, ZPO, 17. Aufl., 1991, § 227 Rz 9).
2. Der Senat ist für die Terminbestimmung unzuständig.
a) Nach § 72 Abs. 5 ArbGG gelten für das Revisionsverfahren die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend. Nach § 555 ZPO richtet sich die Terminbestimmung nach §§ 216 ff. ZPO. Nach § 216 ZPO werden die Termine vom Vorsitzenden bestimmt. Nach § 219 ZPO können die Termine unter den dort genannten Voraussetzungen außerhalb des Gerichtssitzes in einer in beschränktem Umfang zu schaffenden Gerichtsstelle bestimmt werden. Aus dem Gesetz folgen keine Anhaltspunkte dafür, daß wegen der Bestimmung einer auswärtigen Gerichtsstelle eine teleologische Reduktion des Gesetzes vorgenommen werden muß, wie die Antragstellerin meint.
b) Aus dem Gesetz läßt sich jedoch im Wege des Umkehrschlusses entnehmen, daß der Senat für Bestimmungen des Termins unzuständig ist.
Nach § 227 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben, verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Nach § 227 Abs. 3 ZPO entscheidet der Vorsitzende über die Aufhebung sowie die Verlegung eines Termins ohne mündliche Verhandlung. Dagegen entscheidet das Gericht über eine Vertagung. Unter Aufhebung eines Termins ist die Beseitigung des Termins vor seinem Beginn zu verstehen. Von Verlegung spricht man, falls der Termin vor seinem Beginn aufgehoben und gleichzeitig ein neuer Termin bestimmt wird. Eine Vertagung ist dagegen gegeben, wenn nach Aufruf der Sache die Verhandlung auf einen anderen Termin verschoben wird, um die Sache von neuem zu behandeln (Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 227 Rz 5 ff.). Hieraus ergibt sich, daß für alle Terminbestimmungen und Terminänderungen vor Eintritt in die mündliche Verhandlung der Vorsitzende allein zuständig ist, dagegen für Terminänderungen nach Eintritt in die mündliche Verhandlung das Gericht. Dies hat seinen guten Grund. Der Vorsitzende soll auf eine zügige Abwicklung des Verfahrens drängen, damit die Parteien keine Schäden erleiden. Das Gericht muß zur Sache entscheiden und hat zu bestimmen, ob und in welchem Umfang Vorbereitungsmaßnahmen ausreichend sind.
Im Schrifttum wird daher im allgemeinen auch nur dann eine Anfechtbarkeit der Entscheidung des Vorsitzenden bejaht, wenn es zu Verzögerungen kommt (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 227 Rz 27; MünchKomm-Feiber, ZPO, § 227 Rz 13 ff.; Thomas/ Putzo, aaO, § 227 Anm. 4; Zöller/Stephan, aaO, § 227 Rz 10 ff.).
c) Ob und in welchem Umfang der Vorsitzenden bei der Terminbestimmung Grundrechte der Beklagten oder ihrer Prozeßbevollmächtigten verletzt haben soll, ist aus dem Antrag nicht ersichtlich. Der Hinweis der Prozeßbevollmächtigten auf einen zweiten Termin vor dem Bundesarbeitsgericht in Kassel kann einen Grundrechtsverstoß nicht begründen.
III. Für die Entscheidung des Antrags war der erkennende Senat zuständig.
1. Die Gegenvorstellung vom 20. Februar 1993 ist mit der Bitte um Senatsentscheidung verbunden, weil der Vorsitzende für Terminbestimmungen funktionell unzuständig sei. Welcher Senat angegangen ist, ist aus der Gegenvorstellung nicht ersichtlich. Da das Gericht den gesetzlichen Richter zu wahren hat (Art. 101 Abs. 1 GG), ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, welche Gerichtsbesetzung angegangen sein kann.
2. Der Senat in der Besetzung der Terminierung vom 21. April 1993 kann nicht gemeint sein. Eine derartige Annahme verbietet sich, weil der erkennende Senat erst eine Kompetenz nach mündlicher Verhandlung erlangt. Eine derartige Annahme würde aber auch den Interessen der Antragstellerin widersprechen, weil sie gerade eine Entscheidung vor dem Termin will.
3. Aus § 72 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 53 ArbGG wird abgeleitet, daß für Beschlüsse außerhalb der mündlichen Verhandlung der aus den berufsrichterlichen Mitgliedern bestehende Senat zuständig ist. Die Auslegung des Schriftsatzes vom 20. Februar 1993 läßt sowohl die Deutung zu, der allein aus den berufsrichterlichen Mitgliedern bestehende, sogenannte Kleine Senat sei angesprochen, als auch die, ein Senat unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter sei gemeint. Für die Entscheidung, welcher Spruchkörper angegangen wird, muß nach dem Gesetzeszusammenhang von Arbeitsgerichtsgesetz und ZPO entschieden werden. Im Arbeitsgerichtsgesetz sind dem Vorsitzenden des erst- und zweitinstanzlichen Gerichts oder dem allein aus den berufsrichterlichen Mitgliedern bestehenden Kleinen Senat nur in Ausnahmefällen Sachentscheidungskompetenzen übertragen. Zu diesen Sachentscheidungskompetenzen gehören aber Terminbestimmungen und Verlegungen nicht. Der Vorsitzende des Senats hat in seiner Entscheidung vom 4. Februar 1993 darauf hingewiesen, daß dann ein Senat unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zuständig sein muß, wenn die Beurteilung der Frage, ob eine sonstige Handlung vorgenommen werden muß, die an Gerichtsstelle nicht vorgenommen werden kann, mit der Sachentscheidung zusammenhängt. Würden in diesen Fällen die ehrenmtlichen Richter nicht hinzugezogen, würde in deren Kompetenz eingegriffen.
4. Damit ergibt sich die Zuständigkeit des nächstbereiten Senats nach Eingang des Verlegungsantrags. Das ist der Senat in der Besetzung vom 10. März 1993.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Dr. Wißmann, Müller-Tessmann, Hauk
Fundstellen