Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeitsantrag im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Leitsatz (amtlich)
- Gegen einen Beschluß des Bundesarbeitsgerichts, durch den eine Nichtzulassungsbeschwerde verworfen wird, findet entsprechend § 79 ArbGG, §§ 578 ff. ZPO die Wiederaufnahme des Verfahrens statt. Zu entscheiden ist in diesem Fall aufgrund eines Antrages durch Beschluß, der ohne mündliche Verhandlung ergehen kann; eine Nichtigkeitsklage ist in einen solchen Antrag umzudeuten (Bestätigung von BAGE 66, 140 = AP Nr. 2 zu § 579 ZPO).
- Bei einer Zustellung des Berufungsurteils nach § 212a ZPO weist der Eingangstempel der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten nicht den Zeitpunkt der Zustellung des Urteils aus, so daß er nicht die Feststellung der Versäumung der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ermöglicht und die Kenntnis des Gerichts davon keinen Anlaß für einen Hinweis an den Beschwerdeführer auf eine Fristversäumnis sein kann.
- Ohne ausdrücklichen Antrag kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 236 Abs. 2 S. 2 ZPO u. a. dann gewährt werden, wenn die die Wiedereinsetzung rechtfertigenden Umstände offenkundig sind. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Antragsteller zur Begründung eines später ausdrücklich gestellten Wiedereinsetzungsantrages selbst nacheinander zwei völlig verschiedene Sachverhalte anführt und seine Zweitdarstellung ausschließlich Umstände in der Sphäre seines Bevollmächtigten zum Inhalt hat.
- Nach § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 ZPO sind alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorzutragen. Eine in sich geschlossene, inhaltlich falsche Darstellung kann nach Fristablauf nicht durch den Vortrag zuvor nicht einmal angedeuteter neuer Tatsachen ausgetauscht werden (ständige Rechtsprechung des BGH, z.B. BGH FamRZ 1993, 309, 310; NJW 1992, 697, m.w.N).
Normenkette
ZPO § 579 Abs. 1 Nr. 4, § 236 Abs. 1-2, § 234 Abs. 1, § 212a; GG Art. 103 Abs. 1; ArbGG § 79 S. 1
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.01.1994; Aktenzeichen 2 Sa 572/93) |
ArbG Mainz (Urteil vom 17.03.1993; Aktenzeichen 7 Ca 2000/92) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Juli 1994 – 4 AZN 332/94 – “abzuändern”, wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
I. Die Parteien haben im Ausgangsverfahren um die zutreffende Eingruppierung des Antragstellers gestritten. Das Arbeitsgericht hat seine Klage abgewiesen. Durch Urteil vom 12. Januar 1994 – 2 Sa 572/93 – hat das Landesarbeitsgericht seine Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Hiergegen hat sich der Antragsteller mit seiner auf Divergenz der anzufechtenden Entscheidung zu dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Juni 1984 (– 4 AZR 203/82 – AP Nr. 91 zu §§ 22, 23 BAT 1975) gestützten Nichtzulassungsbeschwerde vom 12. April 1994 gewandt, die laut Poststempel am 27. April 1994 in Bremen in den Postverkehr gelangt und am 28. April 1994 beim Bundesarbeitsgericht eingegangen ist. Dieser war die Kopie einer Ausfertigung des Berufungsurteils beigefügt, auf der sich der folgende Stempelaufdruck befindet: “Eingegangen 23. März 1994”. Mit seinem ebenfalls am 28. April 1994 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Antrag vom 12. April 1994 hat der Antragsteller außerdem die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für des Beschwerdeverfahren beantragt.
Durch Verfügung der Geschäftsstelle vom 28. April 1994 wurde der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers über das Aktenzeichen des Beschwerdeverfahrens sowie darüber unterrichtet, daß seine Nichtzulassungsbeschwerdeschrift vom 12. April 1994 am 28. April 1994 eingegangen sei; außerdem wurde er gebeten, alle Schriftsätze 7-fach einzureichen. Durch Verfügung des Vorsitzenden vom 2. Mai 1994 wurde dem Antragsteller zu der von ihm eingelegten Beschwerde u. a. mitgeteilt, nach dem derzeitigen Stande des Verfahrens sei diese unzulässig, da keine divergierenden Rechtssätze dargelegt seien; da nicht ausgeschlossen sei, daß nach Entscheidung über die Prozeßkostenhilfe ein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt werde, erhalte er vorab Gelegenheit zur Stellungnahme.
Mit Schriftsatz vom 10. Mai 1994 hat der Antragsteller zunächst drei weitere Abschriften der Nichtzulassungsbeschwerdeschrift vom 12. April 1994 überreicht und sodann mit seinem am 24. Mai 1994 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 18. Mai 1994 seine Beschwerde auch auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt.
Die Vorakte ist beim Bundesarbeitsgericht am 30. Mai 1994 eingegangen. Ausweislich des darin befindlichen Empfangsbekenntnisses seines Prozeßbevollmächtigten nach § 212a ZPO ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts dem Antragsteller am 23. März 1994 zugestellt worden. Dieser wurde daraufhin durch Verfügung vom 1. Juni 1994 auf die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde, die am Montag, dem 25. April 1994 abgelaufen war, hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 17. Juni 1994 gegeben. Mit Schriftsatz vom 14. Juni 1994, beim Bundesarbeitsgericht eingegangen am 17. Juni 1994, hat der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde – beantragt. Er hat seinen Antrag damit begründet, die Beschwerdeschrift vom 12. April 1994 sei ebenso wie seine Nichtigkeitsklage vom 18. April 1994 gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts am Donnerstag, dem 21. April 1994, noch vor Leerung des Briefkastens in den Postverkehr gegeben worden; er habe daher davon ausgehen können, daß der Schriftsatz rechtzeitig und nicht erst nach sieben Tagen bei Gericht eingehe.
Durch Verfügung vom 21. Juni 1994 wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, daß der Poststempel des Briefumschlages, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht versandt worden sei, als Einlieferungsdatum den 27. April 1994 ausweise; danach sei die Sendung somit erst einen Tag vor ihrem Eingang beim Bundesarbeitsgericht in den Postverkehr gegeben worden. Dies gelte auch für die am 28. April 1994 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangene Nichtigkeitsklage.
Mit Schriftsatz vom 5. Juli 1994, beim Bundesarbeitsgericht eingegangen am 7. Juli 1994, hat dann der Antragsteller seinen Wiedereinsetzungsantrag damit begründet, die Auszubildende Susanne Brandt seines Prozeßbevollmächtigten habe die von ihr zur Posteinlieferung am 21. April 1994 mitgenommene Nichtzulassungsbeschwerdeschrift sowie die Nichtigkeitsklage vom 18. April 1994 in ihrer Tasche vergessen, dies erst am Dienstagabend, dem 26. April 1994, bemerkt und dann die Sendung nach 20.30 Uhr desselben Tages in den Postverkehr gegeben. Zur Glaubhaftmachung dieser Umstände hat der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung dieser Auszubildenden vom 5. Juli 1994 vorgelegt.
Der Senat hat durch Beschluß vom 14. Juli 1994 (– 4 AZN 332/94 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) ohne mündliche Verhandlung die Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers als unzulässig verworfen. Mit seinem am 14. September 1994 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage erhebt der Antragsteller “Nichtigkeitsklage” gegen diesen ihm am 15. August 1994 zugestellten Beschluß. Zu deren Begründung führt er aus, ihm sei das rechtliche Gehör zu denjenigen Umständen verweigert worden, die dafür hätten sprechen können, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist von Amts wegen zu bewilligen. Da die Beschwerde innerhalb der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag beim Bundesarbeitsgericht eingegangen sei, hätte die Wiedereinsetzung nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch ohne förmlichen Antrag gewährt werden können. Seiner Auffassung nach habe dies zwingend geschehen müssen. Außerdem habe die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag wegen der besonderen Umstände erst nach der gerichtlichen Verfügung vom 1. Juni 1994 begonnen, mit der er ausdrücklich auf die Versäumung der Frist für die Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen worden sei. Zumindest aber habe ihm nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gewährt werden müssen, weil diese Säumnis unverschuldet gewesen sei. Zwar hätten sowohl er – der Antragsteller – als auch sein Bevollmächtigter die Eingangsnachricht vom 28. April 1994 zunächst nicht beachtet. Den Hinweis des Vorsitzenden vom 2. Mai 1994 hätten sie jedoch als umfassende Behandlung der bestehenden Zulässigkeitsprobleme verstanden und deshalb keine Veranlassung gesehen, die Wahrung der Beschwerdefrist zu prüfen. Die Fristversäumnis sei für sie erst nach der gerichtlichen Verfügung vom 1. Juni 1994 erkennbar geworden. Die Darstellung im Beschluß vom 14. Juli 1994, der Senat habe erst nach Eingang der Vorakte beim Bundesarbeitsgericht am 30. Mai 1994 die Fristversäumnis erkannt, sei unzutreffend. Das Datum der Zustellung des Berufungsurteils habe sich aus dem Eingangsstempel ergeben, der auf der mit der Beschwerdeschrift dem Bundesarbeitsgericht übersandten Urteilskopie angebracht gewesen sei.
Entscheidungsgründe
II. Der Nichtigkeitsantrag ist unbegründet. Der Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör ist vom Senat vor der Entscheidung vom 14. Juli 1994 nicht verletzt worden. Diese erweist sich im übrigen auch wegen eines Versäumnisses des Antragstellers in der Zeit nach dem 1. Juni 1994 als richtig, für die er die Verletzung rechtlichen Gehörs nicht rügt.
1. Der Antrag ist statthaft, obwohl die Entscheidung vom 14. Juli 1994, gegen die der Antragsteller sich wendet, kein Urteil, sondern ein Beschluß ist.
Zwar setzt § 578 Abs. 1 ZPO voraus, daß das Verfahren, das wieder aufgenommen werden soll, durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossen wurde. Über den Wortlaut dieser Bestimmung hinaus ist die Wiederaufnahme des Verfahrens jedoch auch dann statthaft, wenn die letzte Entscheidung ein urteilsvertretender Beschluß war, etwa eine Entscheidung nach § 519b ZPO oder § 554a ZPO, durch den die Berufung oder Revision als unzulässig verworfen worden ist (BAGE 1, 228 = AP Nr. 3 zu § 66 ArbGG 1953; BGH NJW 1983, 883). Gleiches gilt auch für einen Beschluß, durch den eine Nichtzulassungsbeschwerde verworfen wird. Auch durch einen solchen Beschluß wird das Verfahren beendet (BAGE 66, 140 = AP Nr. 2 zu § 519 ZPO, m.w.N.). Die entsprechende Anwendung der Wiederaufnahmevorschriften rechtfertigt sich aus dem Gesetzeszweck. Die Wiederaufnahme des Verfahrens dient der Beseitigung einer gerichtlichen Entscheidung, die mit einem Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden kann. Durch Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) kann die Rechtskraft eines Urteils bekämpft werden, das unter Verstoß gegen elementare Grundsätze eines rechtsstaatlich geregelten Verfahrens zustande gekommen ist. Derartige schwere Mängel können auch in Verfahren auftreten, die durch Beschluß beendet werden. Es kann daher nicht auf die Form der Entscheidung ankommen, sondern nur darauf, ob es sich um eine Entscheidung handelt, die das gerichtliche Verfahren rechtskräftig abschließt. Dies ist bei einem Beschluß, durch der eine Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wird, der Fall. Nach § 77a Abs. 5 Satz 6 ArbGG wird mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig. Zu entscheiden ist in diesem Fall nicht aufgrund einer “Nichtigkeitsklage”, sondern aufgrund eines Antrages durch Beschluß, der entsprechend § 573 ZPO, § 72a Abs. 5 Satz 2 ArbGG aufgrund freigestellter mündlicher Verhandlung ergehen kann (BAGE 66, 140 = AP, aaO, m.w.N.).
2. Der Antragsteller hat den Antrag mit dem notwendigen Inhalt (§ 587 ZPO) bei dem zuständigen Bundesarbeitsgericht (§ 584 Abs. 2 ZPO) rechtzeitig (§ 586 Abs. 1 ZPO) eingereicht. Die am 14. September 1994 bei Gericht eingegangene “Nichtigkeitsklage”, die als Antrag aufzufassen ist, wahrt die einmonatige Antragsfrist, die mit der Zustellung des Beschlusses vom 14. Juli 1994 an den Antragsteller am 15. August 1994 begann.
3. Es kann dahinstehen, ob § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auf alle Fälle einer Verletzung rechtlichen Gehörs anwendbar ist (vgl. dazu BAGE 66, 140 = AP, aaO). Der Antrag ist jedenfalls unbegründet, denn eine Verletzung des Anspruchs des Antragstellers auf rechtliches Gehör durch den Senat liegt nicht vor.
a) Entgegen der Darstellung des Antragstellers war die Versäumung der Frist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Antragsteller für den Senat erst nach Eingang der Vorakte beim Bundesarbeitsgericht am 30. Mai 1994 erkennbar. Vorher konnte der Antragsteller daher nicht zu der Fristversäumnis angehört werden.
In der Beschwerdeschrift des Antragstellers vom 12. April 1994 findet sich keine Angabe dazu, wann das Urteil des Berufungsgerichts, welches der Antragsteller mit der Revision angreifen will, diesem zugestellt worden ist. Zutreffend ist zwar seine Darstellung, daß der Beschwerdeschrift die Ablichtung einer Ausfertigung des Berufungsurteils beigefügt war, auf dem sich ein Eingangsstempel mit dem Text “Eingegangen 23. März 1994” befindet. Dieser ist als Nachweis des Zustellungszeitpunktes jedoch ungeeignet. Ganz abgesehen davon, daß der Eingangsstempel nicht erkennen läßt, bei wem der Eingang der Urteilsausfertigung erfolgt ist, reicht bei der vereinfachten Zustellung nach § 212a ZPO, die für die Zustellung des Berufungsurteils gewählt worden ist, der bloße Eingang einer Urteilsausfertigung für die Wirksamkeit der Zustellung nicht aus. Dies ist unstreitig (z. B. BGH NJW 1990, 1239, 1240; BGH NJW 1991, 42 und BGH NJW 1992, 512, jeweils m.w.N.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 53. Aufl., § 212a Rz 7; vgl. jüngst Beschluß des Senats vom 2. Dezember 1994 – 4 AZB 17/94 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Die Zustellung ist erst dann wirksam erfolgt, wenn der empfangende Anwalt von dem durch den Eingang in der Kanzlei erlangten Gewahrsam Kenntnis erhalten hat (BGH VersR 82, 273), wenn er sich entschlossen hat, das Schriftstück endgültig zu behalten, und wenn sein Entschluß auch erkennbar geworden ist. Auch dies ist unstreitig (z. B. BGH NJW 1989, 1154; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 198 Rz 5).
Da diese Voraussetzungen zu dem bloßen Eingang der Urteilsausfertigung in der Kanzlei hinzutreten müssen, ist in der Praxis häufig festzustellen, daß in dem schriftlichen Empfangsbekenntnis nach § 212a ZPO ein späteres Datum als Zustellzeitpunkt genannt ist als dasjenige, das sich aus einem auf die Ausfertigung gesetzten Eingangsstempel der Kanzlei ergibt. Dies ist auch dann, wenn der in dem schriftlichen Empfangsbekenntnis genannte Zeitpunkt derjenige ist, zu dem der Empfänger das Schriftstück als zugestellt entgegengenommen hat, nicht zu beanstanden.
Folglich weist der auf dem Berufungsurteil befindliche Eingangsstempel “Eingegangen 23. März 1994” nicht den Zeitpunkt der Zustellung des Urteils nach § 212a ZPO an den Antragsteller aus. Es kam ohne weiteres in Betracht, daß der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers erst am Montag, dem 28. März 1994, von dem durch den Eingang in seiner Kanzlei am Mittwoch, dem 23. März 1994, erlangten Gewahrsam an dem Berufungsurteil Kenntnis erlangt hat, sich dann dazu entschlossen hat, es endgültig zu behalten, und dies durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses dokumentiert hat. Dann wäre bei der in diesem Falle am 28. März 1994 erfolgten Zustellung nach § 212a ZPO der Eingang der Beschwerschrift am 28. April 1994 beim Bundesarbeitsgericht fristgerecht gewesen.
Die Rüge des Antragstellers, die Fristversäumnis sei bereits im Zeitpunkt der Verfügung des Vorsitzenden vom 2. Mai 1994 offenkundig gewesen und hätte ihm mitgeteilt werden müssen, geht somit fehl. Für den Senat war die Fristversäumnis erst nach Eingang der Vorakte beim Bundesarbeitsgerichts am 30. Mai 1994 und Einsichtnahme in das darin befindliche Empfangsbekenntnis erkennbar und hat zu dem Hinweis vom 1. Juni 1994 auf die Fristversäumnis geführt. Das Verfahren ab diesem Zeitpunkt wird vom Antragsteller nicht beanstandet.
b) Der Antragsteller mißversteht die Erwähnung der Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrages in der Verfügung des Vorsitzenden vom 2. Mai 1994, wenn er annimmt, diese könne als Anregung, er solle sofort einen Wiedereinsetzungsantrag stellen, gemeint gewesen sein. Der Hinweis auf einen möglichen Wiedereinsetzungsantrag sollte nur aufzeigen, was der Antragsteller nach Bewilligung von Prozeßkostenhilfe in diesem Fall inhaltlich zu beachten habe. Die Frage, ob die Nichtzulassungsbeschwerde fristgerecht beim Bundesarbeitsgericht eingegangen sei, ist in der Verfügung des Vorsitzenden vom 2. Mai 1994 nicht berührt worden; auf sie konnte nach dem seinerzeitigen Kenntnisstand des Gerichts nicht eingegangen werden. Dies anhand der ihm übersandten Eingangsbestätigung vom 28. April 1994 zu prüfen, oblag dem Antragsteller ohne weiteren gerichtlichen Hinweis. Gerade das ist auch der Sinn der gerichtlichen Eingangsbestätigung. Daher kommt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht.
c) Eine Wiedereinsetzung ohne ausdrücklichen Antrag nach § 236 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz ZPO kam im vorliegenden Falle nicht in Betracht und konnte daher nicht Gegenstand eines Hinweises an den Antragsteller nach § 139 ZPO sein.
Ein ausdrücklicher Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist entbehrlich, wenn entweder bei Nachholung der versäumten Handlung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO Tatsache und Grund der unverschuldeten Fristversäumnis von der Partei zumindest erkennbar gemacht werden (= schlüssiger Antrag) oder die die Wiedereinsetzung rechtfertigenden Umstände aktenkundig oder sonst offenkundig (§ 291 ZPO) sind (= Gewährung von Amts wegen).
Ein schlüssiger Antrag liegt in der das Bewußtsein der Fristversäumung erkennbar machenden Darlegung von Wiedereinsetzungsgründen, z. B. durch Angabe des Zustellungstages. Ausreichend ist der schlüssig zum Ausdruck gekommene Wille, das Verfahren trotz Ablaufs der Frist fortzusetzen (Zöller-Greger, ZPO, 19. Aufl., § 236 Rz 4). Da bei Eingang der Nichtzulassungsbeschwerdeschrift am 28. April 1994 die Fristversäumnis nicht erkennbar war, insbesondere mangels Angabe des Zustellungsdatums in dieser, ist das Bewußtsein der Fristversäumnis in der Nichtzulassungsbeschwerdeschrift nicht erkennbar dargelegt worden. Nach seinem eigenen Vortrag hat der Antragsteller erst durch die gerichtliche Verfügung vom 1. Juni 1994 von der Fristversäumnis Kenntnis erlangt. Vorher konnte er daher diese nicht erkennbar machend darlegen; nach diesem Zeitpunkt war die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag bereits versäumt.
Auch die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung von Amts wegen lagen nicht vor. Umstände, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen würden, waren weder aktenkundig noch offenkundig. Eine Verzögerung im Postbetrieb, die bei einem Vergleich des Poststempels mit dem Eingangsdatum bei Gericht hätte festgestellt werden können, war nicht die Ursache der Fristversäumnis: Der Eingang der Nichtzulassungsbeschwerdeschrift ist am Tage nach der Einlieferung in den Postverkehr erfolgt. Die Umstände, die der Antragsteller mit Schriftsatz vom 5. Juli 1994 für die Fristversäumnis anführt – Vergessen der Posteinlieferung durch die Auszubildende Susanne Brandt –, waren nicht einmal für den Antragsteller offenkundig, wie der Umstand zeigt, daß er für seinen Antrag zunächst einen unzutreffenden Sachverhalt – Verzögerung der Beförderung im Postbetrieb – angeführt hat. Erst recht waren die dann später angeführten Umstände in der Sphäre seines Bevollmächtigten für den Senat nicht offenkundig.
d) Unabhängig davon mußte der Erfolg des Wiedereinsetzungsantrages auch wegen eines Versäumnisses des Antragstellers in der Zeit nach dem 1. Juni 1994 scheitern, für die er das Verfahren des Gerichts nicht beanstandet.
Der Vortrag des Antragstellers in seinem Schriftsatz vom 5. Juli 1994, beim Bundesarbeitsgericht eingegangen am 7. Juli 1994, vermag die beantragte Wiedereinsetzung nicht zu rechtfertigen, denn er darf nicht berücksichtigt werden. Alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, müssen in der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden (§ 234 Abs. 1, § 236 Abs. 1 ZPO). Ein Nachschieben von Gründen nach Fristablauf ist unzulässig. Lediglich erkennbar unklare und ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war, dürfen nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (Rechtsprechung des BGH z. B. BGH FamRZ 1993, 309, 310; NJW 1991, 1892; 1992, 697; NJW RR 1987, 900).
Das Vorbringen des Antragstellers in seinem Wiedereinsetzungsantrag vom 14. Juni 1994, die Post habe eine Woche für die Beförderung der Nichtzulassungsbeschwerde benötigt, war weder erkennbar unklar noch in irgendeinem Punkt ergänzungsbedürftig, sondern schlicht falsch. Dies ist dem Antragsteller durch die Verfügung vom 21. Juni 1994 mitgeteilt worden. Die Zweitbegründung des Antragstellers ist keine Erläuterung und Ergänzung der Erstbegründung, sondern die Darlegung von Tatsachen, die zuvor nicht einmal angedeutet waren. Diese könne nach Ablauf der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO nicht nachgeschoben werden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Schneider, Friedrich, Bott
Fundstellen
Haufe-Index 870892 |
NJW 1995, 2125 |
NZA 1995, 550 |