Entscheidungsstichwort (Thema)
Staffelübersteigende Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds
Leitsatz (amtlich)
- Die zeitweilige Verhinderung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds infolge seiner Zugehörigkeit zum Gesamtbetriebsrat berechtigt den Betriebsrat nur unter den Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG, eine anteilige Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds zu verlangen.
- Die weitere Freistellung kann dann erforderlich sein, wenn die Aufgaben des Betriebsrats auch nach einer zumutbaren betriebsratsinternen Umverteilung durch die anderen Betriebsratsmitglieder nicht erledigt werden können und feststeht, daß eine Arbeitsbefreiung einzelner Betriebsratsmitglieder aus konkretem Anlaß nicht ausreicht.
Normenkette
BetrVG § 38 Abs. 1, § 37 Abs. 2, § 50 Abs. 1, § 51 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27. März 1996 – 3 TaBV 70/95 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über eine staffelübersteigende teilweise Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds.
Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen der chemischen Industrie. Sie beschäftigt in ihrem Werk U… ca. 1.400 Arbeitnehmer. Der dort im April 1994 gewählte Betriebsrat besteht aus 15 Mitgliedern, von denen drei kraft Gesetzes freigestellt sind. Gewählt wurde auch eine Arbeitnehmerin, die dem Betriebsrat von der Arbeitgeberin für die Erledigung von Schreibarbeiten zur Verfügung gestellt worden war.
Nach der Wahl des freigestellten Betriebsratsvorsitzenden zum Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats wendet dieser ca. 20 % seiner Arbeitszeit zur Führung der Geschäfte des Gesamtbetriebsrats auf. Daraufhin beschloß der Betriebsrat die pauschale Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds. Eine Einigung mit der Arbeitgeberin kam nicht zustande.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Mindeststaffel des § 38 BetrVG berücksichtige nicht den zeitlichen Aufwand eines freigestellten Betriebsratsmitglieds mit überbetrieblichen Angelegenheiten des Gesamtbetriebsrats. Daher erfordere die ordnungsgemäße Erledigung von Betriebsratsaufgaben zwingend eine anteilige ständige Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds.
Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß die Arbeitgeberin verpflichtet ist, neben den drei Freistellungen einschließlich der Freistellung des Betriebsratsvorsitzenden ein weiteres Betriebsratsmitglied zu 20 % von der beruflichen Tätigkeit freizustellen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie hat gemeint, eine zusätzliche generelle Freistellung könne nach § 37 Abs. 2 BetrVG ohne konkrete Darlegung der Erforderlichkeit nicht verlangt werden.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Antragsziel weiter, während die Arbeitgeberin dei Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Betriebsrat hat nicht dargelegt, daß eine die Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG übersteigende teilweise Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 2 BetrVG erforderlich ist.
1. Ein Anspruch auf teilweise Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds folgt nicht aus § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Danach ist eine von der Betriebsgröße abhängige Mindestzahl von Betriebsratsmitgliedern für die jeweils laufende Amtsperiode von der Arbeit freizustellen. Bei einer regelmäßigen Beschäftigtenzahl von ca. 1.400 Arbeitnehmern kann der Betriebsrat die Freistellung von drei Betriebsratsmitgliedern verlangen. Diesen Anspruch hat die Arbeitgeberin erfüllt. Neben dem Betriebsratsvorsitzenden hat sie zwei weitere Betriebsratsmitglieder von ihrer Arbeitspflicht befreit.
Die zeitweilige Verhinderung des Betriebsratsvorsitzenden durch die Geschäftsführung für den Gesamtbetriebsrat führt nicht zu einem Unterschreiten der Mindeststaffel. Denn auch eine zeitweilige Verhinderung läßt dessen Rechtsstellung als freigestelltes Betriebsratsmitglied unberührt (BAG Beschluß vom 22. Mai 1973 – 1 ABR 26/72 – AP Nr. 1 zu § 38 BetrVG 1972, zu III 1 der Gründe, ständige Rechtsprechung). Zusätzliche Freistellungen stehen dem Betriebsrat nur unter den Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG zu (BAG Beschluß vom 26. Juli 1989 – 7 ABR 64/88 – BAGE 63, 1 = AP Nr. 10 zu § 38 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 26. Juni 1996 – 7 ABR 48/95 – AP Nr. 17 zu § 38 BetrVG 1972).
2. Die teilweise ständige Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds kann nach § 37 Abs. 2 BetrVG geboten sein. Der Betriebsrat hat allerdings die Voraussetzungen dafür nicht dargelegt.
a) Die Arbeitsbelastung des freigestellten Betriebsratsvorsitzenden durch seine Funktion als Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats kann die Notwendigkeit der Arbeitsbefreiung eines weiteren Betriebsratsmitglieds begründen. Der Betriebsrat ist nicht gehalten, eine ihm zustehende Freistellung ganz oder teilweise für die Erledigung von Aufgaben des Gesamtbetriebsrats zu verwenden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beruht die Freiststellungsregelung des § 38 Abs. 1 BetrVG auf der Vermutung des Gesetzgebers, nach der in den Betrieben der darin genannten Größenordnung regelmäßig Betriebsratsarbeit in einem solchen Umfang anfällt, daß sie die Arbeitszeit eines oder mehrerer Betriebsratsmitglieder in vollem Umfang in Anspruch nimmt (BAG Urteil vom 31. Mai 1989 – 7 AZR 277/88 – AP Nr. 9 zu § 38 BetrVG 1972, zu 3 der Gründe). Es handelt sich um eine pauschalierende Regelung zur Arbeitsbefreiung, die ausschließlich der Erledigung von Betriebsratsaufgaben dient. Dazu zählt nicht die Tätigkeit für den Gesamtbetriebsrat. Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat sind unterschiedliche betriebsverfassungsrechtliche Organe mit eigenständigen und voneinander unabhängigen Aufgabenstellungen. Während der Betriebsrat die gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer eines Betriebes ist, erstreckt sich die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats auf die Behandlung von Anliegen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und gerade nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb der Betriebe geregelt werden können (§ 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Dafür billigt § 51 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dem Gesamtbetriebsrat und seinen Mitgliedern einen eigenständigen Anspruch auf Arbeitsbefreiung zu, der unabhängig von den Verhältnissen in den Jeweiligen Einzelbetriebsräten zu beurteilen ist.
b) Bei einer Abweichung von dem in § 38 Abs. 1 BetrVG geregelten Normalfall muß der Betriebsrat eine Arbeitsbelastung des gesamten Betriebsrats beschreiben, die eine zusätzliche ständige Freistellung erforderlich macht. Aus seinem Vorbringen muß ersichtlich werden, daß die Möglichkeit einer Arbeitsbefreiung weiterer Betriebsratsmitglieder aus konkretem Anlaß und die Vertretung durch ein Ersatzmitglied nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht ausreichen, die anfallenden Betriebsratsaufgaben ordnungsgemäß bewältigen zu können (BAG Beschluß vom 26. Juli 1989, aaO, zu B II 2b der Gründe). Ist ein freigestelltes Betriebsratsmitglied durch die Wahrnehmung einer Funktion in einem anderen betriebsverfassungsrechtlichen Organ in einem zeitlich feststehenden Umfang an der Erledigung von Betriebsratsaufgaben verhindert, folgt daraus nicht zwingend die Notwendigkeit einer entsprechenden weiteren Freistellung eines anderen Betriebsratsmitglieds. Vielmehr muß erkennbar sein, daß die Aufgaben auch nach einer zumutbaren betriebsratsinternen Umverteilung durch die anderen Mitglieder des Betriebsrats nicht erledigt werden können und deswegen eine weitere Freistellung unumgänglich ist.
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Betriebsrats nicht. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat er sich darauf beschränkt, die derzeitige und künftige zeitliche Belastung des Betriebsratsvorsitzenden in seiner Funktion als Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats zu beschreiben. Angaben über das Ausschöpfen von Optimierungsmöglichkeiten in der Betriebsratsarbeit fehlen. Darüberhinaus ist auch nicht ersichtlich, weshalb eine Arbeitsbefreiung einzelner Betriebsratsmitglieder nach § 37 Abs. 2 BetrVG aus konkretem Anlaß nicht ausreichen soll, den zeitlich begrenzten Ausfall des freigestellten Betriebsratsvorsitzenden auszugleichen. Der Betriebsrat ist zwar in der Organisation seiner Betriebsratsarbeit frei und keinen Weisungen unterworfen. Doch kann er nicht durch das Unterlassen zumutbarer organisatorischer Maßnahmen die Notwendigkeit einer zusätzlichen ständigen Freistellung begründen.
3. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die dem Betriebsrat von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellte Bürokraft, die selbst dem Betriebsrat angehört, nicht auf die durch § 38 Abs. 1 BetrVG vorgegebene Anzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder anzurechnen. Insoweit erfüllt der Arbeitgeber einen Anspruch des Betriebsrats aus § 40 Abs. 2 BetrVG, der in keinem Zusammenhang mit einer Arbeitsbefreiung einzelner Betriebsratsmitglieder zur Durchführung von Betriebsratsarbeiten steht.
Unterschriften
Dörner, Steckhan, Schmidt, Schiele, G. Güner
Fundstellen
Haufe-Index 885466 |
NZA 1997, 782 |
SAE 1998, 156 |
AP, 0 |