Leitsatz (amtlich)

  • § 246 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO findet auch dann Anwendung, wenn eine Anwaltssozietät klagt, sofern diese sich im Prozeß selbst vertritt und nur einer der Sozien stirbt.
  • Wird eine Partei durch mehrere Anwälte vertreten, so führt der Tod eines dieser Anwälte nicht zur Unterbrechung des Verfahrens.
  • Machen die Angehörigen einer Anwaltssozietät gemeinsam eine Forderung geltend, die in unmittelbarer Beziehung zur Sozietät steht, so muß, wenn nicht ganz besondere Umstände vorliegen, davon ausgegangen werden, daß ein Gesamthandsverhältnis als Grundlage des Anspruchs in Betracht kommt.
  • Stirbt ein notwendiger Streitgenosse, so sind er bzw. seine Erben in entsprechender Anwendung des § 62 ZPO durch den oder die anderen Streitgenossen vertreten. In einem solchen Falle ist es geboten, den Tod eines notwendigen Streitgenossen dem Fall der Säumnis gleichzustellen. Eine Aussetzung des Verfahrens ist in einem solchen Falle nicht angängig.
 

Normenkette

ZPO §§ 62, 78 Abs. 3, §§ 239, 244, 246 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 13.01.1972; Aktenzeichen 5 Sa 619/71)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 13. Januar 1972 – 5 Sa 619/71 – wird unter Zurückweisung des Antrags vom 2. Mai 1972, das Verfahren gemäß §§ 239, 246 ZPO auszusetzen, auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.

 

Gründe

Die Kläger betreiben gemeinsam eine Rechtsanwaltspraxis. Sie machen gegen den Beklagten, der bei ihnen als Bürovorsteher tätig gewesen war, einen Schadenersatzanspruch von 1.550,– DM nebst Zinsen wegen Unterschlagung von Mandantenzahlungen geltend. In Höhe dieses Betrages sind gegen den Beklagten ein Zahlungs- und ein Vollstreckungsbefehl ergangen. Auf den Einspruch des Beklagten hat das Arbeitsgericht den Vollstreckungsbefehl aufrechterhalten; die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Nach Eingang der Revision des Beklagten ist der Kläger H… M… verstorben. Daraufhin hat der Beklagte am letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist die Aussetzung des Verfahrens gemäß §§ 239, 246 ZPO beantragt. Eine Revisionsbegründung ist nicht eingegangen.

Die Revision ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist begründet worden ist. Entgegen der vom Beklagten in seinem Aussetzungsantrag vertretenen Auffassung ist die Revisionsbegründungsfrist nicht unterbrochen, und das Verfahren konnte nicht ausgesetzt werden.

Eine Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 239 ZPO scheidet aus. Die Kläger sind im vorliegenden Verfahren nicht nur selbst Prozeßpartei, sondern sie haben sich auch, was gemäß § 78 Abs. 3 ZPO zulässig ist, selbst vertreten. Gemäß § 246 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO ist deshalb eine Unterbrechung des Verfahrens nicht eingetreten.

Die Vorschrift des § 244 ZPO hat nämlich ebenfalls nicht zu einer Unterbrechung des Verfahrens geführt. Auf seiten der Kläger waren zwei Prozeßbevollmächtigte vorhanden, von denen nur einer fortgefallen ist. In diesem Falle tritt eine Unterbrechung des Verfahrens nicht ein (Baumbach-Lauterbach, ZPO, 30. Aufl., § 244 Anm. 1 B a.E.).

Aber auch dem Antrag des Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens konnte nicht stattgegeben werden.

Die Kläger standen zueinander in einem Sozietätsverhältnis. Sie bildeten gemäß § 62 ZPO eine notwendige Streitgenossenschaft. Machen die Angehörigen einer Rechtsanwaltssozietät gemeinsam eine Forderung geltend, die in unmittelbarer Beziehung zu der Sozietät steht, so muß nämlich, wenn nicht ganz besondere, hier nicht ersichtliche Umstände vorliegen, davon ausgegangen werden, daß ein Gesamthandsverhältnis als Grundlage des Anspruchs in Betracht kommt.

Im Streitfall wurden der Zahlungs- und der Vollstreckungsbefehl von den Klägern gemeinsam beantragt. Die Begründetheit oder Nichtbegründetheit des Begehrens der Kläger als notwendige Streitgenossen kann deshalb den Parteien gegenüber nur einheitlich festgestellt werden.

Stirbt ein notwendiger Streitgenosse, so sind er bzw. seine Erben in entsprechender Anwendung des § 62 ZPO durch den oder die anderen Streitgenossen als vertreten anzusehen. Nach der Fassung des § 62 Abs. 1 ZPO besteht in einem solchen Fall die unwiderlegliche Vermutung einer Vertretung, die dabei selbst diejenigen Fälle deckt, bei denen Vertretungsmacht und Vertretungswille fehlen; die Vorschrift deckt – im Interesse beschleunigter Prozeßführung nicht zuletzt auch gegenüber dem Prozeßgegner – prozessual sogar ein nein egoistisches Handeln des auftretenden Streitgenossen (s. Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl., § 62 Anm. IV). Dann aber ist es geboten, den Tod eines notwendigen Streitgenossen dem Fall der Säumnis gleichzustellen. Eine Aussetzung des Verfahrens ist deshalb in einem solchen Falle nicht angängig.

Demgegenüber kann sich der Beklagte nicht auf die in Warneyers Rechtsprechung des Reichsgerichts 1916, S. 97 Nr. 58, wiedergegebene Entscheidung berufen; diese betrifft einen gegenüber dem vorliegenden Fall besonders gelagerten Sachverhalt. Dort stand in Rede die Aussetzung des Verfahrens zum Schutze von Kriegsteilnehmern des Ersten Weltkrieges, wobei die notwendige Streitgenossenschaft auch zur Aussetzung hinsichtlich der anderen Streitgenossen führen mußte. Hier dagegen ist lediglich ein Mitglied einer Gesamthandsgemeinschaft fortgefallen, während die Vertretung der Gemeinschaft nach wie vor gewährleistet blieb. In einem solchen Falle bestehen keine Gründe für eine Aussetzung des Verfahrens.

Da somit das Verfahren nicht ausgesetzt werden durfte und auch im übrigen eine Unterbrechung der Frist zur Begründung der Revision nicht eintreten konnte, da weiter die Revisionsbegründung innerhalb der verlängerten Begründungsfrist nicht eingegangen ist, war das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen.

 

Unterschriften

gez. Dr. Müller, Wichmann, Wendel

 

Fundstellen

Haufe-Index 1492460

BAGE, 261

NJW 1972, 1388

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