Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschlußsprungrechtsbeschwerde im Beschlußverfahren. “Durchführungsbeschlußverfahren” nach § 77 Abs. 1 BetrVG. Zulässigkeit des Antrags des Betriebsrats, ob in einer Betriebsvereinbarung über die Verteilung der Arbeitszeit ein bestimmter Manteltarifvertrag zugrunde zu legen ist. Zulässigkeit des Antrags des Betriebsrats, ob die Regelungen eines bestimmten Manteltarifvertrags noch auf Arbeitnehmer des Betriebes anzuwenden sind
Leitsatz (amtlich)
- Im Beschlußverfahren sind selbständige und unselbständige Anschlußsprungrechtsbeschwerden zulässig.
- Im Falle der Aufhebung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses und der Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Anhörung und Entscheidung ist das Sprungrechtsbeschwerdegericht berechtigt, an das Arbeitsgericht oder an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Normenkette
ArbGG §§ 96a, 76; BetrVG § 87 Abs. 2, § 80 Abs. 1 Nr. 1, § 77
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten im Rahmen des vorliegenden Beschlußverfahrens, in dem es in erster Linie um die Frage der Nachwirkung der Betriebsvereinbarung der Beteiligten vom 10. März 1993 geht, der Sache nach darüber, ob die Tarifverträge der Hessischen Metallindustrie auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer weiter anzuwenden sind, in deren Arbeitsverträgen darauf Bezug genommen ist, obwohl die Arbeitgeberin nicht mehr Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Hessischen Metallindustrie ist, sondern im Landesverband des Groß- und Außenhandels für Hessen e.V.
Das Arbeitsgericht ist von folgendem Sachverhalt ausgegangen:
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen, das vor Jahren aus der S… GmbH rechtlich verselbständigt und ausgegliedert wurde. Arbeitnehmer, die im Wege der Betriebsnachfolge auf die Beteiligte zu 2) übergegangen sind, haben noch Arbeitsverträge, die den Bezug auf “die jeweiligen Bestimmungen des Tarifvertrages für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen” enthalten. Bis zum 31. Dezember 1979 war die Beteiligte zu 2) Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Hessischen Metallindustrie e.V. Während der Dauer ihrer Mitgliedschaft bei diesem Arbeitgeberverband nahm sie in ihren Arbeitsverträgen auf die Tarifverträge der Hessischen Metallindustrie Bezug. Die genaue Formulierung in den Verträgen ist nicht festgestellt; ein Arbeitsvertrag ist nicht vorgelegt worden.
Die Beteiligte zu 2) entwickelte sich zu einem Unternehmen, bei dem der Handel mit Büromaschinen, Büroeinrichtungsgegenständen und Organisationssystemen überwiegt. Sie ist seit dem 1. Januar 1980 Mitglied im “Landesverband des Groß- und Außenhandels für Hessen e.V.”, einem Arbeitgeberverband. Seitdem nimmt die Arbeitgeberin in den mit neu eingestellten Arbeitnehmern geschlossenen Arbeitsverträgen auf die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Hessen Bezug. Etwa 25 der ca. 110 bei der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer haben Arbeitsverträge, in denen die Anwendung der jeweiligen Bestimmungen des Tarifvertrages für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vereinbart ist. Einige dieser Arbeitnehmer sind Mitglieder der IG Metall, einige sind gewerkschaftlich nicht organisiert (Zahlen sind insoweit nicht vorgetragen).
Für diese Arbeitnehmer schloß der Betriebsrat mit der Arbeitgeberin mit Wirkung vom 1. April 1993 die Betriebsvereinbarung vom 10. März 1993 über Arbeitszeitverkürzung unter Bezugnahme auf den Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom 15. Januar 1982 in der ab 1. April 1993 gültigen Fassung. Diese Betriebsvereinbarung kündigte die Arbeitgeberin.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die gekündigte Betriebsvereinbarung wirke nach und sei daher weiter anzuwenden. Es sei weder ein Fall der Tarifkonkurrenz noch der Tarifpluralität gegeben. Für die Arbeitnehmer, in deren Arbeitsverträgen die Tarifverträge der Hessischen Metallindustrie in Bezug genommen seien, seien diese auch weiter anzuwenden.
Der Betriebsrat hat beantragt,
- der Antragsgegnerin aufzugeben, die nachwirkende Betriebsvereinbarung der Beteiligten vom 10. März 1993 weiter anzuwenden,
- festzustellen, daß bei einer etwaigen Neuregelung der Arbeitszeit für die Arbeitnehmer, deren individueller Arbeitsvertrag einzelvertraglich die jeweiligen Bestimmungen des Tarifvertrages für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen in Bezug nimmt, der genannte Tarifvertrag hinsichtlich der Arbeitszeitregelungen auch weiter zugrunde zu legen ist,
- festzustellen, daß im Betrieb der Antragsgegnerin für die Arbeitnehmer, für deren individueller Arbeitsvertrag einzelvertraglich die jeweiligen Bestimmungen des Tarifvertrages für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen gelten, der genannte Tarifvertrag auch weiterhin Anwendung findet.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330 = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz die Auffassung vertreten, nach dem Grundsatz der Tarifeinheit seien in einem Betrieb auch auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer, für deren Arbeitsvertrag einzelvertraglich die jeweiligen Bestimmungen der Tarifverträge der Metallindustrie vereinbart seien, die spezielleren Tarifverträge des Groß- und Außenhandels des Landes Hessen anzuwenden. Auch die vertragliche Vereinbarung der Geltung eines Tarifvertrages könne zum Entstehen einer Tarifkonkurrenz oder Tarifpluralität führen. Die Verdrängung des sachferneren Tarifvertrages gelte selbst dann, wenn mangels Organisationszugehörigkeit des Arbeitnehmers keine Tarifbindung an den spezielleren Tarifvertrag bestehe und dann kein Tarifvertrag Anwendung finde.
Das Arbeitsgericht hat den Anträgen zu 1) und zu 2) entsprochen und den Antrag zu 3) zurückgewiesen. Mit der vom Arbeitsgericht auf Anregung der Beteiligten zugelassenen Sprungrechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Zurückweisung der Anträge des Betriebsrates, soweit ihnen entsprochen wurde. Der Betriebsrat, der der Einlegung der Sprungrechtsbeschwerde mit Schreiben vom 15. August 1994 zugestimmt hat, verfolgt mit seiner unselbständigen Anschlußrechtsbeschwerde seinen Antrag zu 3) weiter.
Entscheidungsgründe
B. Auf die Sprungrechtsbeschwerde und die Anschlußsprungrechtsbeschwerde ist der Beschluß des Arbeitsgerichts aufzuheben und die Sache zur anderweiten Anhörung und Entscheidung an das Hessische Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Das Arbeitsgericht hat den Sachverhalt in für die Entscheidung erheblichen Punkten nicht geklärt.
I. Die Sprungrechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig.
1.a) Die Sprungrechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist an sich statthaft. Das Arbeitsgericht hat sie in seinem verfahrensbeendenden Beschluß vom 6. Juli 1994 zugelassen.
b) Die Sprungrechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Der erforderliche Antrag zur Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde ist darin zu sehen, daß die Beteiligten im Anhörungstermin vom 6. Juli 1994 angeregt haben, die Sprungrechtsbeschwerde zuzulassen. Die erforderliche schriftliche Zustimmung des Betriebsrats zur Einlegung der Sprungrechtsbeschwerde liegt vor. Sie ist nach § 96a Abs. 1 Satz 3 ArbGG auch dem Rechtsbeschwerdeschriftsatz vom 13. Januar 1995 im Original beigefügt worden.
c) Ob die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, wie das Arbeitsgericht lapidar ohne weitere Begründung ausgeführt hat, kann dahinstehen, denn nach § 96a Abs. 2 in Verb. mit § 76 Abs. 2 Satz 2 ArbGG ist der Senat an die Zulassung gebunden. Es darf daher nicht überprüft werden, ob die grundsätzliche Bedeutung vom Arbeitsgericht zu Recht bejaht worden ist (BAG Urteil vom 16. November 1982 – 3 AZR 177/82 – BAGE 40, 355 = AP Nr. 8 zu § 42 SchwbG; GK-ArbGG/Ascheid, Stand März 1996, § 76 Rz 15; Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 2. Aufl., § 76 Rz 22).
d) § 96a Abs. 2 ArbGG nimmt zwar auf § 76 Abs. 2 Satz 2, 3, Abs. 3 bis 6 ArbGG – Sprungrevision – Bezug. Für die Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde ist aber allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache abgestellt und das Vorliegen einer sogenannten privilegierten Rechtsstreitigkeit des § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 nicht erforderlich. Das folgt daraus, daß § 96a Abs. 2 die entsprechende Anwendung von § 76 Abs. 2 Satz 1 gerade nicht vorsieht (GK-ArbGG/Ascheid, Stand März 1996, § 96a Rz 2). Die Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde ist daher in allen Rechtsstreiten möglich, über die im Beschlußverfahren (§ 2a ArbGG) entschieden wird (Hauck, ArbGG 1996, § 96a Rz 1). Es kommt daher nicht darauf an, ob der Rechtsprechung des Dritten, Sechsten und Achten Senats (Urteil vom 16. November 1982 – 3 AZR 177/82 – BAGE 40, 355, 356 f. = AP Nr. 8 zu § 42 SchwbG, zu I 2 der Gründe; Beschluß vom 12. Februar 1985 – 3 AZR 335/82 – AP Nr. 4 zu § 76 ArbGG 1979, zu 2b der Gründe; Urteil vom 12. Januar 1989 – 8 AZR 251/88 – BAGE 60, 362, 363 = AP Nr. 14 zu § 50 BAT, zu A der Gründe; Urteil vom 15. Oktober 1992 – 6 AZR 349/91 – AP Nr. 19 zu § 17 BAT, zu I der Gründe) noch gefolgt werden kann, nach der die Vorschrift des § 76 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, wonach der Beschluß, mit dem Sprungrevision zugelassen wird, für das Revisionsgericht bindend ist, einschränkend dahin auszulegen ist, daß sich die Bindung nur auf die Feststellung des Arbeitsgerichts erstrecke, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung, nicht aber auf die Frage, ob ein Fall der in § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ArbGG abschließend aufgeführten Rechtsstreitigkeiten gegeben ist.
2. Die unselbständige Anschlußsprungrechtsbeschwerde des Betriebsrats ist zulässig.
Der Erste Senat hält unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung eine unselbständige Anschlußrechtsbeschwerde für statthaft (Beschluß vom 20. Dezember 1988 – 1 ABR 63/87 – BAGE 60, 311 = AP Nr. 5 zu § 92 ArbGG 1979, zu B I 1 der Gründe). Er hat ausgeführt, daß auch die Vorschrift über die Anschlußrevision (§ 556 ZPO) im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren Anwendung findet. Das spricht für die generelle Zulässigkeit einer Anschlußsprungrechtsbeschwerde.
Der Zulässigkeit der Anschlußbeschwerde des Betriebsrats als selbständige Anschlußsprungrechtsbeschwerde steht entgegen, daß der Betriebsrat die Frist für die Einlegung einer selbständigen Sprungrechtsbeschwerde von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses des Arbeitsgerichts versäumt hat (§ 96a Abs. 1, § 92 Abs. 2, § 74 Abs. 1 ArbGG). Nur innerhalb dieser Frist kann der Beschwerte selbst Sprungrechtsbeschwerde oder Anschlußsprungrechtsbeschwerde einlegen, die entsprechend § 522 Abs. 2 ZPO so angesehen wird, als sei selbständige Sprungrechtsbeschwerde eingelegt worden (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 2. Aufl., § 89 Rz 43, zur selbständigen Anschlußbeschwerde).
Die Anschlußbeschwerde des Betriebsrats ist aber als unselbständige Anschlußsprungrechtsbeschwerde zulässig. Sie ist nach § 556 Abs. 1 ZPO fristgerecht eingelegt und auch begründet worden. Sie ist auch im übrigen zulässig.
Es liegt eine zulässige Sprungrechtsbeschwerde vor. Damit gelten die allgemeinen Verfahrensvorschriften für die Rechtsbeschwerde. Daraus folgt, daß der Betriebsrat als Sprungrechtsbeschwerdegegner sich der Sprungrechtsbeschwerde selbständig oder unselbständig anschließen konnte. Dazu bedarf er weder der Zustimmung des Gegners noch einer gesonderten Rechtsbeschwerdezulassung. Das ist für die Sprungrevision des § 566a ZPO anerkannt (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 54. Aufl., § 566a Rz 9; Wieczorek/Rössler, ZPO, 2. Aufl., § 566a, Anm. B IIa). Für den Bereich des § 161 SGG wird nichts anderes vertreten (Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl., § 161 Rz 10). Entsprechendes gilt im Rahmen des § 134 VerwGO: Mit der wirksamen Einlegung der zugelassenen Sprungrevision bestimmt diese allein den weiteren Gang des Verfahrens. Die übrigen Beteiligten können dann nur noch Anschlußrevisionen einlegen (Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 9. Aufl., § 134, Rz 12). Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 4. Februar 1982 – 4 C 58.81 – BVerwGE 65, 27 = NVwZ 1982, 372 f. – ausgeführt, durch die zugelassene und in zulässiger Weise eingelegte Sprungrevision eines Prozeßbeteiligten werde mit Wirkung für alle Prozeßbeteiligten die Zuständigkeit der Revisionsinstanz endgültig begründet und die der Berufungsinstanz endgültig beseitigt. Für die Anschließung an die Sprungrevision eines Prozeßbeteiligten bedürfe der Anschlußrevisionsführer weder einer gesonderten Revisionszulassung noch der Zustimmung des Rechtsmittelgegners. Handele es sich bei der Anschlußsprungrevision um eine selbständige Anschlußrevision, so bleibe ihre Zulässigkeit von der Zurücknahme der ursprünglichen Sprungrevision unberührt. Für den Bereich der Sprungrechtsbeschwerde des § 96a ArbGG gilt nichts anderes. Eine zulässige Sprungrechtsbeschwerde liegt vor. Gleichzeitig erhielten die Einlegung der Sprungrechtsbeschwerde durch die Arbeitgeberin und die Zustimmung durch den Betriebsrat für beide Verfahrensbeteiligte die Bedeutung eines Verzichts auf die Beschwerde. Darüber hinaus hatte und hat die zugelassene und zulässige Sprungrechtsbeschwerde der Arbeitgeberin für alle am Beschlußverfahren Beteiligten zur Folge, daß das Rechtsmittel der Beschwerde endgültig ausgeschlossen war und die Sprungrechtsbeschwerde allein den weiteren Gang des Verfahrens bestimmte und bestimmt. Der Weg in die Rechtsbeschwerdeinstanz ist von der Zustimmung des Betriebsrates abhängig gewesen. Damit ist dann mit der zugelassenen und in zulässiger Form eingelegten Sprungrechtsbeschwerde der Arbeitgeberin der Weg in die Rechtsbeschwerdeinstanz für alle Verfahrensbeteiligten endgültig eröffnet worden. Das hat für alle Verfahrensbeteiligten notwendigerweise zur Folge, daß die Sprungrechtsbeschwerde den für die Rechtsbeschwerde geltenden Regeln unterliegt. Zu den regulären Verfahrensmöglichkeiten in der Rechtsbeschwerdeinstanz gehört für den Rechtsbeschwerdegegner die Anschließung an die Rechtsbeschwerde. Für die Sprungrechtsbeschwerde gilt nichts anderes. Dabei bedarf es weder hier noch dort für die Zulässigkeit der Anschließung einer eigenen Rechtsbeschwerdezulassung. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde wirkt vielmehr, sofern sie nicht ausdrücklich auf bestimmte Verfahrensbeteiligte eingeschränkt ist, zugunsten aller Verfahrensbeteiligten. In dem hier vorliegenden Beschlußverfahren enthält der Zulassungsbeschluß keine in diesem Sinne rechtlich beachtliche Einschränkung. Die vom Betriebsrat erklärte Anschließung an die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin begegnet daher unter diesem Gesichtspunkt keinen Bedenken. Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht das Zustimmungserfordernis des § 96a ArbGG. Mit der auf dem Antrag des einen und der Zustimmung des anderen Beteiligten beruhenden Zulassung und Einlegung der Sprungrechtsbeschwerde hat das Zustimmungserfordernis für das Beschlußverfahren die ihm im Gesetz generell zugewiesene Funktion erfüllt, den Rechtsmittelgegner davor zu schützen, ohne sein Einverständnis die zweite Tatsacheninstanz zu verlieren. Ist jedoch die Beschwerdeinstanz für das Beschlußverfahren bereits in zulässiger Weise ausgeschlossen worden und das Verfahren damit endgültig in die Revisionsinstanz gelangt, so ist für ein weiteres Zustimmungserfordernis nach § 96a ArbGG kein Raum mehr. Die Anschließung an die Sprungrechtsbeschwerde ist also ohne weiteres zulässig, sei es selbständig, sei es, wie hier, unselbständig.
II. Entgegen der Sprungrechtsbeschwerde unterliegt der angefochtene Beschluß nicht bereits aus prozessualen Gründen der Aufhebung, weil etwa der Beschluß erst am 20. Dezember 1994 (unter Überschreitung der Fünfmonatsgrenze seit Verkündung der Entscheidung) der Rechtsbeschwerdeführerin zugestellt wurde, ein Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 Abs. 2 Satz 3 ZPO wegen Versäumung der Dreimonatsfrist seit Verkündung der Entscheidung ausgeschlossen ist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der nicht verlängerbaren Ausschlußfrist nicht zulässig ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 19. Aufl., § 320 Rz 8).
Nach § 96a Abs. 2 in Verb. mit § 76 Abs. 4 ArbGG kann die Sprungrechtsbeschwerde mit Erfolg nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden. Damit soll eine schnelle Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erreicht und eine Verzögerung des Verfahrens verhindert werden, die eintreten könnte, wenn wegen durchgreifender Verfahrensrügen der Rechtsstreit zurückverwiesen werden müßte (vgl. GK-ArbGG/Ascheid, Stand März 1996, § 76 Rz 20). Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel sind aber im Gegensatz zu den nur auf Rüge zu berücksichtigenden Mängeln stets zu beachten (Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 2. Aufl., § 76 Rz 31, m.w.N.).
Ob eine Verletzung des § 551 Nr. 7 ZPO, wonach eine Entscheidung stets als auf einer Gesetzesverletzung beruhend anzusehen ist, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist, im Rahmen des Sprungrechtsbeschwerdeverfahrens zulässigerweise gerügt werden kann, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
Denn es ist nicht davon auszugehen, daß die angefochtene Entscheidung vom 6. Juli 1994 als nicht mit Gründen versehen anzusehen ist, weil sie nach dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 – GmbOGB 1/92 – (AP Nr. 21 zu § 551 ZPO) nicht innerhalb von fünf Monaten in vollständiger Form zur Geschäftsstelle gelangt ist. Die die Zustellung der Beschlußausfertigung anordnende, allerdings nicht unterschriebene Verfügung der Geschäftsstelle stammt vom 25. November 1994. Die Ausführung erfolgte nach dem Kanzleivermerk am 16. November 1994. Dabei handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler. Das Datum der Ausführung war der 16. Dezember 1994. Denn die Empfangsbekenntnisse der Beteiligtenvertreter stammen vom 19. und 20. Dezember 1994.
III. Die Anträge des Betriebsrats sind zulässig.
1. Gegen die Zulässigkeit des Antrags zu 1) des Betriebsrates bestehen keine Bedenken. Mit dem Antrag zu 1) begehrt der Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber, die gekündigte Betriebsvereinbarung ihrem Regelungsgehalt entsprechend im Betrieb kraft Nachwirkung anzuwenden. Ein solcher Durchführungsanspruch kann sich aus § 77 Abs. 1, Abs. 6 BetrVG ergeben (vgl. BAG Beschluß vom 24. Februar 1987 – 1 ABR 18/85 – BAGE 54, 191 = AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972, zu B II 1 der Gründe).
2. Der Antrag zu 2) ist auslegungsbedürftig. Er darf nicht so verstanden werden, daß der Betriebsrat mit einer Neuregelung individualrechtliche Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber meint. Für die Geltendmachung individualrechtlicher Rechte würde ihm die Antragsbefugnis fehlen. Der Antrag ist vielmehr so zu verstehen, daß eine Neuregelung durch Betriebsvereinbarung angestrebt wird. Mit dem Antrag zu 2) begehrt der Betriebsrat die Feststellung, daß bei Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung über die Verteilung der Arbeitszeit für eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern die Arbeitszeitregelung des Manteltarifvertrages für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen zugrunde gelegt wird.
Das insoweit erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Es ist zwar nicht von vornherein ersichtlich, welche Rechtsfolgen der Betriebsrat aus einer solchen Feststellung ableiten will, da im Falle der Nichteinigung über den Inhalt einer Regelung, die der erzwingbaren Mitbestimmung unterliegt, die Einigungsstelle entscheidet, § 87 Abs. 2 BetrVG. Ein Feststellungsinteresse ist aber auch dann gegeben, wenn unter den Beteiligten streitig ist, ob ein möglicherweise unstreitiges Mitbestimmungsrecht ein bestimmtes Regelungsverlangen des Betriebsrats deckt (Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 2. Aufl., § 81 Rz 31, m.w.N.). Zwischen den Beteiligten besteht zwar kein Streit, daß der Betriebsrat bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage nach § 87 Abs. 1 Ziff. 2 BetrVG generell ein Mitbestimmungsrecht hat, wohl aber in welcher Ausgestaltung, da der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie und der Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel den Betriebspartnern unterschiedliche Vorgaben und Grenzen für die Flexibilisierung der Arbeitszeit in ihren tariflichen Öffnungsklauseln über die regelmäßige Arbeitszeit setzen. Da die Arbeitgeberin das Recht des Betriebsrates bestreitet, hinsichtlich einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmern überhaupt eine gesonderte Betriebsvereinbarung über die Verteilung der Arbeitszeit zu schließen, ist das Feststellungsinteresse zu bejahen.
Der Antrag zu 2) scheitert auch nicht an mangelnder Bestimmtheit. Dem Antrag muß zu entnehmen sein, über welche konkrete Streitfrage das Gericht mit bindender Wirkung für die Beteiligten entscheiden soll. Das ist hier der Fall. Dem steht nicht entgegen, daß hinsichtlich des etwaigen Abschlusses einer neuen Betriebsvereinbarung weder deren persönlicher Geltungsbereich noch der Tarifvertrag, der für die Ausgestaltung des Mitbestimmungsrechtes zugrunde gelegt werden soll, konkret bezeichnet worden sind. Für die Betriebspartner ist anhand der Arbeitsverträge bestimmbar, welche Arbeitnehmer davon betroffen sein sollen. Durch die Bezugnahme auf die “Jeweiligkeitsklausel” in diesen Einzelarbeitsverträgen ist auch bestimmbar, welcher Tarifvertrag dem konkreten Mitbestimmungsrecht zugrunde gelegt werden soll.
3. Der Antrag zu 3) des Betriebsrates ist ebenfalls zulässig.
Zwar geht es vordergründig darum, welcher Tarifvertrag individualrechtlich anzuwenden ist. Der Betriebsrat hat aber darüber zu wachen, daß die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Tarifverträge durchgeführt werden (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).
Daraus folgt das eigene Interesse des Betriebsrats an der begehrten Feststellung. Der Antrag zu 2) betrifft nur die Lage der Arbeitszeit. Der Antrag zu 3) geht darüber hinaus. Es geht um die Anwendung der Regelungen dieses Tarifvertrags überhaupt. Die so gewünschte Entscheidung ist geeignet, den Streit unter den Beteiligten zu beenden.
Im übrigen ist der Antrag zwar unbestimmt, weil er die Arbeitnehmer mit den entsprechenden einzelvertraglichen Vereinbarungen nicht nennt. Es liegt aber immerhin eine Bestimmbarkeit vor. Das reicht aus.
IV. Der Beschluß des Arbeitsgerichts ist aufzuheben. Die Sache ist zur anderweiten Anhörung und Entscheidung – entsprechend der Anregung der Beteiligen – an das Hessische Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
1. Die Betriebsvereinbarung ist nur noch dann anzuwenden, wenn sie wirksam abgeschlossen wurde und nachwirkt.
Da sie auf der Basis des gemeinsamen Manteltarifvertrages für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom 15. Januar 1982 in der hinsichtlich der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit ab 1. April 1993 geltenden Fassung abgeschlossen wurde, setzt das voraus, daß dieser Tarifvertrag auf Arbeitnehmer der Arbeitgeberin auch anzuwenden ist (war).
Ob das der Fall ist, kann der Senat nicht entscheiden.
Zwar schließt ein lediglich nachwirkender Tarifvertrag Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht aus (BAG Beschluß vom 24. Februar 1987 – 1 ABR 18/85 – BAGE 54, 191 = AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; vgl. BAG Urteil vom 20. August 1991 – 1 AZR 326/90 – AP Nr. 50 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Selbst wenn von einer Nachwirkung des Manteltarifvertrages auszugehen sein sollte, kann diese Nachwirkung aber bereits beendet gewesen sein.
Dem bisherigen Aktenbild, wie es sich dem Senat darstellte und wie es zu A der Gründe dieses Beschlusses wiedergegeben ist, haben die Beteiligten im Termin zur mündlichen Anhörung vor dem Senat widersprochen.
Die Beteiligten haben im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Senat vorgetragen: Die Arbeitgeberin hat die Geschäfte von der S… R… GmbH am 2. Juli 1977 rückwirkend zum 1. Juli 1977 übernommen, und zwar wurde lediglich der Handel übernommen. Die S… R… Corporation soll für die Tätigkeit der Arbeitgeberin die ausreichende finanzielle Basis geschaffen haben. Lieferwerk soll das B… Metallwerk GmbH, vormals S… R…, K…, B… sein. Die Arbeitgeberin soll danach schon 1977 eine reine Vertriebsgesellschaft gewesen sein, die wahrscheinlich nicht mehr richtig organisiert war. Die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen hätten danach nicht mehr aufgrund fachlichen Geltungsbereiches gegolten, sondern lediglich kraft Vereinbarung. Dafür könnte die vom Geschäftsführer der Arbeitgeberin im Termin zur Anhörung vor dem Senat übergebenen Durchschrift des Anschreibens vom 30. März 1978 an die zum 1. April 1978 als Buchhalterin eingestellte Frau F… stehen, wobei in dem Arbeitsvertragsangebot der Arbeitgeberin vom 30. März 1978 die Bestimmung enthalten ist, “Im übrigen gelten die jeweiligen Bestimmungen des Tarifvertrages für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen”. Dann habe sich die Arbeitgeberin per 1. Januar 1980 “richtig organisiert”, indem sie in den Landesverband des Groß- und Außenhandels für Hessen e.V. eingetreten sei.
Auf Nachfrage hat der Geschäftsführer der Arbeitgeberin erklärt, ausgegliedert worden seien die Verkaufsabteilung Büromaschinen und der Service; die Produkte seien von B… gekommen, das in Rheinland-Pfalz liege und ebenfalls in der S… R… GmbH gewesen sei. Beide Betriebe seien von dieser GmbH geführt worden, die ihren Sitz in F… gehabt habe. Die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin seien zunächst in F… beschäftigt worden, dort sei ein reiner Verkaufsbetrieb gewesen. Nachdem die Arbeitgeberin zunächst in F… -R… tätig gewesen sei, sei sie später nach K… verlegt worden. Dem entspricht das vom Geschäftsführer der Arbeitgeberin im Termin zur Anhörung der Beteiligten vor dem Senat übergebene Schreiben vom 6. Juli 1977 an die Arbeitnehmerin L…. In ihm ist ausgeführt, die Firma K… Organisationssysteme GmbH werde ihren Sitz zunächst in der W… straße 33-35 in F… -R… haben. Der Sitz werde etwa Ende August nach K…, N… Straße 64 verlegt.
Der Vertreter des Betriebsrats hat vorgetragen, die Tarifbindung sei nur eine vertragliche gewesen.
Aufgrund dieses neuen Sachvortrages kann der Senat im Hinblick auf die in sich nicht stimmigen Feststellungen des Arbeitsgerichts über die Anträge des Betriebsrates nicht mehr entscheiden. Die Beteiligten selbst haben die Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts als lückenhaft angesehen und erkannt, daß der Senat aufgrund der Feststellungen des Arbeitsgerichts nicht sinnvoll entscheiden kann. Auf der anderen Seite konnten die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen vor dem Senat nicht restlos geklärt und unstreitig gestellt werden. Der Sachverhalt muß daher im einzelnen aufgeklärt werden. Es muß geklärt werden, wie die Ausgliederung des Handels und des Service aus der S… R… GmbH erfolgte und auf die Arbeitgeberin überging, ob der Verkauf in F… lediglich ein Appendix an den Produktionsbetrieb in B… war, wie die tarifliche und arbeitsvertragliche Situation in beiden Bereichen war und was es mit der Verlagerung des Vertriebs von F… nach K… auf sich hat. Nur auf diese Weise lassen sich die richtigen rechtlichen Folgerungen aus dem Verbandswechsel und aus der Tatsache ziehen, daß Arbeitnehmer, die von der S… R… GmbH auf die Arbeitgeberin übergegangen sind, in ihren Arbeitsverträgen die Bezugnahme auf den Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen haben, und daß Arbeitnehmer, die von der Arbeitgeberin vor dem 1. Januar 1980 eingestellt worden sind, ebenfalls in ihren Arbeitsverträgen die entsprechende Klausel aufweisen.
Weitere Hinweise kann der Senat nicht geben. Das würde auf Rechtsgutachten über möglicherweise gegebene Sachverhalte hinauslaufen. Das ist nicht Aufgabe des Senats.
2. Entsprechendes gilt für die Anträge 2) und 3) des Betriebsrats. Der Senat kann über sie mangels hinreichender Feststellungen des Arbeitsgerichts nicht entscheiden.
V. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist dabei aufzuheben. Sie kann auch nicht aus anderen Gründen aufrechterhalten werden; es fehlt an den erforderlichen Feststellungen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist berechtigt, das Arbeitsgericht oder das Landesarbeitsgericht als weiteren Tatrichter zu bestimmen (arg. § 566a Abs. 5 ZPO). Der Senat hat – der Anregung der Beteiligten folgend – die Sache an das Hessische Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird den Beteiligten Gelegenheit geben müssen, zur Übernahme des Vertriebs von der S… R… GmbH durch die Arbeitgeberin und zum Übergang der einzelnen Arbeitsverhältnisse auf die Arbeitgeberin und den damit einhergegangenen Vereinbarungen, zu den Betrieben der S… R… GmbH, insbesondere zum Metallwerk B… in Rheinland-Pfalz und zur Verbandszugehörigkeit der S… R… GmbH usw. im einzelnen vorzutragen. Aufgrund dieses Vortrages sind die Anträge des Betriebsrates dann zu würdigen.
Unterschriften
Schaub, Bott, Friedrich, Brocksiepe, Hecker
Fundstellen
Haufe-Index 884818 |
NZA 1997, 565 |