Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6, § 577 Abs. 2, §§ 516, 552; GVG n.F. § 17a Abs. 2, 4, § 17b Abs. 1; ArbGG n.F. § 48 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Beschluss vom 25.02.1992; Aktenzeichen 86 A Ca 26627/91) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Berlin bestimmt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten um Herausgabeansprüche.
Die Kläger waren Arbeitnehmer des VEB-Bärensiegel Berlin in einer von diesem betriebenen Gaststätte. Sie behaupten, sie hätten mit eigenen Mitteln viele Dinge für die Gaststätte angeschafft, um diese auf einem erträglichen Niveau zu führen. Die ihnen gehörenden Gegenstände hätten sie bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht aus der Gaststätte herausnehmen können. Sie nehmen nunmehr die Beklagte als angebliche Rechtsnachfolgerin in Anspruch. Sie haben Klage vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg (Berlin) erhoben.
Dies hat sich nach Gewährung rechtlichen Gehörs auf Antrag der Kläger für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin verwiesen.
Nachdem die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 7. November 1991 Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht beantragt hatten, ist am selben Tag folgender Beschluß verkündet worden:
„Das Landgericht erklärt sich für sachlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht Berlin. (§§ 281 ZPO, 2 Abs. 3 Nr. 3 a ArbGG.)”
Dieser Beschluß wurde zu keiner Zeit förmlich zugestellt.
Das Arbeitsgericht Berlin erklärte sich durch Beschluß vom 25. Februar 1992 nach Anhörung der Parteien für sachlich unzuständig, und zwar mit der Begründung, der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Berlin vom 7. November 1991 sei nicht bindend, weil er offensichtlich gesetzwidrig sei. Denn er sei ohne Begründung ergangen und stütze sich fälschlicherweise auf § 281 ZPO. Im übrigen fehle ihm jede gesetzliche Grundlage; allein die Angabe in der Klageschrift, die Kläger seien in der Gaststätte beschäftigt gewesen, könne eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nicht begründen. Der Beschluß des Arbeitsgerichts Berlin, der die Rechtsmittelbelehrung enthielt, daß dagegen die sofortige Beschwerde gegeben sei, wurde den Parteien am 30. März 1992 zugestellt. Gemäß richterlicher Verfügung vom 4. Juni 1992 wurden die Akten dem Bundesarbeitsgericht „gem. § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 36 Ziff. 6 ZPO mit der Bitte um Entscheidung übersandt”.
Entscheidungsgründe
II. Zuständig ist das Arbeitsgericht Berlin.
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Diese Vorschrift ist auch bei einem negativen Kompetenzkonflikt von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten anwendbar (BAG Beschluß vom 25. November 1983 – 5 AS 20/83 – AP Nr. 34 zu § 36 ZPO). Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder auch durch ein Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist vorliegend für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem Arbeitsgericht und dem Landgericht zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist (vgl. BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 1 der Gründe, m.w.N.; BGHZ 44, 14, 15).
2. Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Berlin ist inzwischen rechtskräftig geworden.
a) Nach § 48 Abs. 1 ArbGG a.F. fanden die §§ 11, 281 ZPO auf das Verhältnis der Arbeitsgerichte und der ordentlichen Gerichte zueinander entsprechende Anwendung. Die Rechtslage hat sich jedoch geändert. Nunmehr (ab 1. Januar 1991 – Art. 23 des 4. VwGOÄndG) sind die §§ 17 ff. GVG n.F. maßgebend. Das hat das Landgericht, das seine Entscheidung auf § 281 ZPO gestützt hat, offenbar übersehen.
b) Gemäß § 17 b Abs. 1 Satz 1 GVG n.F. wird der Rechtsstreit (erst) „nach Eintritt der Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses … mit Eingang der Akten bei dem im Beschluß bezeichneten Gericht anhängig”. Die Versendung der Akten durch das abgebende Gericht ist folglich erst nach Eintritt der Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses zulässig (Kissel, NJW 1991, 945, 950; Klimpe-Auerbach, ArbuR 1992, 110, 113). Die Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses tritt aber nach § 705 ZPO vor Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels bestimmten Frist nicht ein. § 705 ZPO ist auch auf Beschlüsse anwendbar, die mit der sofortigen Beschwerde (§ 577 ZPO) anfechtbar sind (vgl. nur Zöller/Stöber, ZPO, 17. Aufl., § 705 Rz 1). Dazu gehören Verweisungsbeschlüsse gemäß § 17 a Abs. 2 GVG n.F., gegen die nach § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG n.F. die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben ist.
Nach § 329 Abs. 3 ZPO sind Entscheidungen, die der sofortigen Beschwerde unterliegen, zuzustellen. Gemäß § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beschwerde binnen einer Notfrist von zwei Wochen einzulegen, die mit der Zustellung beginnt. Bei unterbliebener Zustellung von Verweisungsbeschlüssen ordentlicher Gerichte nach § 17 a GVG n.F. sind jedoch die §§ 516, 552 ZPO analog anzuwenden, so daß die Beschwerdefrist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung oder – bei nicht verkündeten Beschlüssen – fünf Monate nach der formlosen Mitteilung beginnt (Senatsbeschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus folgendes: Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Berlin ist den Parteien zu keiner Zeit formgerecht zugestellt worden. Eine Heilung dieses Mangels kommt nicht in Betracht (§ 187 Satz 2 ZPO). Das Landgericht durfte daher die Akten zum damaligen Zeitpunkt nicht an das Arbeitsgericht übersenden. Es hätte vielmehr den Beschluß begründen und die Zustellung veranlassen müssen. Erst nach Ablauf der Beschwerdefrist hätte es die Akten übersenden dürfen. Da der Verweisungsbeschluß noch nicht rechtskräftig war, die Voraussetzungen des § 17 b Abs. 1 Satz 1 GVG n.F. also nicht vorlagen, hat das Arbeitsgericht am 25. Februar 1992 die Übernahme des Rechtsstreits zu Recht abgelehnt. Es hätte die Akten daher ohne Verstoß gegen § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F., wonach Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das verwiesen worden ist, bindend sind, an das Landgericht zurücksenden können.
Wäre das Bundesarbeitsgericht schon zum damaligen Zeitpunkt angegangen worden, so hätte es gleichwohl nicht das zuständige Gericht bestimmen können. § 36 Nr. 6 ZPO ist im vorliegenden Fall, in dem es um die Frage geht, ob der Verweisungsbeschluß bereits rechtskräftig ist, nur entsprechend anwendbar. Die Vorschrift kann nicht dazu führen, daß anstelle der in § 17 a Abs. 4 GVG vorgesehenen Instanzen das nach § 36 Nr. 6 ZPO zuständige Gericht entscheidet. Das Bundesarbeitsgericht hätte also in diesem Fall nur feststellen können, daß der Rechtsstreit wegen fehlender Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses noch immer beim Landgericht Berlin anhängig ist.
Eine solche Feststellung kommt aber nicht mehr in Betracht. Denn der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Berlin vom 7. November 1991 ist inzwischen rechtskräftig geworden. Mangels Zustellung begann die Zweiwochenfrist des § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des Beschlusses, also am 8. April 1992 zu laufen. Sie endete daher mit dem 21. April 1992. – Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Berlin war daher am 4. Juli 1992, als die Akten dem Bundesarbeitsgericht übersandt wurden, bereits rechtskräftig.
3.a) Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO). Nur so kann der Zweck des § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden.
Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschlüsse vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen; Zöller/Vollkommer, ZPO, 17. Aufl., § 36 Rz 25, 28; a.A. zum neuen Recht Zöller/Gummer, a.a.O., GVG § 17 a Rz 13). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 3 a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164).
Offensichtlich gesetzwidrig ist der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Berlin jedoch nicht. Dieser Beschluß enthält nur den Hinweis auf § 281 ZPO, § 2 Abs. 3 Nr. 3 a ArbGG. Damit entspricht er nicht den Anforderungen des § 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG n.F., wonach Verweisungsbeschlüsse zu begründen sind. Dies ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. neuestens Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) zumindest dann unschädlich, wenn sich der Verweisungsgrund aus der Akte ergibt. Das ist hier der Fall. Das Landgericht Berlin hat erkennbar einen so engen Zusammenhang der Herausgabeansprüche mit dem Arbeitsverhältnis für gegeben erachtet, daß es sie als „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG angesehen hat. Diese Ansicht ist auch keinesfalls abwegig, da nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine weite Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG geboten ist (Urteil vom 3. Februar 1965 – 4 AZR 385/63 –, BAGE 17, 59, – AP Nr. 12 zu § 5 TVG). Abgesehen davon ist anerkannt, daß Verweisungsbeschlüsse nicht schon dann offensichtlich gesetzwidrig sind, wenn sie grob fehlerhaft sind (BAG Beschluß vom 1. März 1984 – 5 AS 5/84 – AP Nr. 35 zu § 36 ZPO; Beschluß vom 12. März 1992 – 5 AS 10/91 –, n.v.).
b) Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Berlin wäre schließlich auch dann nicht bindend, wenn bereits ein das Landgericht in Bezug auf den Rechtsweg bindender Verweisungsbeschluß vorläge. Das ist aber nicht der Fall. Der Rechtsstreit war zwar bereits gemäß § 281 ZPO vom Amtsgericht an das Landgericht verwiesen worden; dieser Verweisungsbeschluß ist auch gemäß § 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO für das Landgericht bindend. Dies schließt jedoch eine Weiterverweisung in einen anderen Rechtsweg nicht aus (BGH Urteil vom 1. Februar 1978 – IV ZR 142/77 –, NJW 1978, 949; MünchKomm-Prütting, ZPO, § 281 Rz 45). Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist aber nach den §§ 17 ff. GVG n.F. auch im Verhältnis zur ordentlichen Gerichtsbarkeit als eigenständiger Rechtsweg anzusehen; es handelt sich nun nicht mehr – wie aus § 48 a ArbGG a.F. entnommen wurde – um einen Streit über die sachliche Zuständigkeit innerhalb derselben Gerichtsbarkeit (BAG Urteil vom 26. März 1992 – 2 AZR 443/91 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II 1 a bb der Gründe).
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke
Fundstellen