Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmereigenschaft des Mit-Geschäftsführers der Komplementär-GmbH. Rechtsweg. Geschäftsführer/Gesamtprokurist
Leitsatz (amtlich)
Wer als Gesamtprokurist für eine Kommanditgesellschaft (GmbH & Co. KG) tätig ist, ist regelmäßig deren Arbeitnehmer. Er wird nicht allein dadurch freier Dienstnehmer, daß er zum Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH bestellt wird.
Normenkette
ArbGG § 5 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 3b; GVG § 17a n.F.
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.11.1994; Aktenzeichen 14 Ta 14/94) |
ArbG Mannheim (Beschluss vom 29.07.1994; Aktenzeichen 1 Ca 643/93) |
ArbG Mannheim (Beschluss vom 22.03.1994; Aktenzeichen 1 Ca 755/93) |
Tenor
- Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 28. November 1994 – 14 Ta 14/94 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
- Der Streitwert für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde wird auf 32.880,00 DM festgesetzt.
Tatbestand
I. Die beklagte GmbH & Co. KG hat das Anstellungsverhältnis mit dem Kläger durch Schreiben vom 21. Dezember 1992 unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist zum 31. Dezember 1993 gekündigt. Mit Schreiben vom 22. September 1993 hat sie gegenüber dem Kläger ferner eine außerordentliche Kündigung erklärt. Beide Kündigungen hat der Kläger mit Kündigungsschutzklagen vor dem Arbeitsgericht angefochten. Derzeit streiten die Parteien darüber, ob der vom Kläger beschrittene Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zulässig ist oder ob für die Klage der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist.
Der 1933 geborene Kläger trat ab 1. Oktober 1973 in die Dienste der Beklagten. Er war Abteilungsleiter im Rechnungswesen. 1976 wurde sein Aufgabenbereich erweitert; fortan oblag ihm die Leitung der kaufmännischen Verwaltung. Die Beklagte erteilte ihm Gesamtprokura, die am 25. Juni 1976 in das Handelsregister eingetragen wurde. Im März 1987 wurde der Kläger zum Mitgeschäftsführer der Komplementärin der Beklagten bestellt. Die Satzung der Komplementär-GmbH sieht zwei Geschäftsführer vor. Für einen plötzlich ausgeschiedenen Geschäftsführer mußte eine Ersatzbestellung erfolgen. Zu dieser Zeit betrugen die Bezüge des Klägers bei der Beklagten 7.900,00 DM brutto im Monat. Zusätzlich erhielt der Kläger Jahrestantiemen in der Höhe von einem bis zu zwei Monatsgehältern.
Durch Vertrag vom 12. Juni 1987 regelten der Kläger und die beklagte GmbH & Co. KG ihre Rechtsbeziehungen neu. In diesem Vertrag wird der Kläger als “Prokurist” bezeichnet. In der Präambel des Vertrages heißt es auszugsweise:
“Am 31. März 1987 wurde Herr G… zum Geschäftsführer der S… GmbH berufen. Der Dienstvertrag vom 29. Juli 1980 ist hiermit ungültig. An seine Stelle tritt mit Übernahme aller Rechte und Pflichten der neue Dienstvertrag vom 12. Juni 1987. Das Dienstverhältnis mit der Gesellschaft regelt sich wie folgt: …”
Durch diesen Vertrag wurden die Bezüge des Klägers auf 9.000,00 DM zuzüglich einer Gewinnbeteiligung erhöht.
Der Kläger hält den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für gegeben. Er ist der Ansicht, trotz seiner Bestellung zum Geschäftsführer der Komplementär-GmbH sei er nach wie vor Arbeitnehmer der beklagten Kommanditgesellschaft. Dagegen vertritt die Beklagte die Auffassung, der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen stehe dem Kläger nicht offen, denn der Kläger sei aufgrund des letzten, allein maßgeblichen Vertrags vom 12. Juni 1987 nicht mehr Arbeitnehmer, sondern freier Dienstnehmer.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschlüsse vom 22. März und 29. Juli 1994 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und die Rechtsstreitigkeiten an das Landgericht Mannheim verwiesen. Auf die sofortigen Beschwerden des Klägers hat das Landesarbeitsgericht nach Verbindung beider Beschwerdeverfahren den zu den Gerichten für Arbeitssachen beschrittenen Rechtsweg für zulässig erachtet. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde will die Beklagte erreichen, daß der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt bleibt.
Entscheidungsgründe
II. Die weitere sofortige Beschwerde ist unbegründet.
1. Über die weitere sofortige Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 bis 6 GVG entscheidet der Senat ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter. Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht. Dies folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 72 Abs. 6 in Verbindung mit § 53 Abs. 1 ArbGG (ständige Rechtsprechung des BAG seit Beschluß vom 10. Dezember 1992 – 8 AZB 6/92 – AP Nr. 4 zu § 17a GVG).
Die dagegen von der Beklagten erhobenen Bedenken vermögen den Senat nicht zu überzeugen: Nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG hat zwar im erstinstanzlichen Verfahren ein Beschluß nach § 17a Abs. 4 GVG stets durch die Kammer zu ergehen, auch wenn keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Diese Regelung stellt jedoch eine ausdrückliche gesetzliche Abweichung vom Grundsatz des § 53 Abs. 1 ArbGG dar (Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 2. Aufl., § 48 Rz 47). Nach dieser Vorschrift ist der Vorsitzende für den Erlaß ohne mündliche Verhandlung ergehender Beschlüsse und Verfügungen, soweit nichts anderes bestimmt ist, allein zuständig. Ein durchgängiges Prinzip, wonach der Gesetzgeber auf die Beteiligung der ehrenamtlichen Richter in der Rechtswegfrage in allen Instanzen Wert gelegt habe, läßt sich der gesetzlichen Regelung nicht entnehmen. Weder in der grundlegenden Verweisungsnorm für die Landesarbeitsgerichte (§ 64 Abs. 7 ArbGG) noch in der für das Bundesarbeitsgericht (§ 72 Abs. 6 ArbGG) ist § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG in Bezug genommen. Insoweit hat es der Gesetzgeber bei dem Grundsatz belassen, der sich aus der in beiden Bestimmungen enthaltenen Verweisung auf § 53 ArbGG ergibt: Über die sofortige Beschwerde zum Landesarbeitsgericht entscheidet der Vorsitzende der jeweiligen Kammer des Landesarbeitsgerichts, über die weitere sofortige Beschwerde zum Bundesarbeitsgericht entscheiden die berufsrichterlichen Mitglieder des Senats, sofern die Entscheidungen über die sofortige Beschwerde bzw. weitere sofortige Beschwerde ohne mündliche Verhandlung ergehen.
2. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als eröffnet angesehen. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG liegen vor. Der Kläger war Arbeitnehmer der Beklagten im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, nicht etwa ihr freier Dienstnehmer.
a) Zugunsten der Beklagten kann davon ausgegangen werden, daß sich die Rechtsbeziehung der Parteien nur noch nach dem zuletzt unter den Parteien abgeschlossenen Vertrag vom 12. Juni 1987 richten. Auch nach diesem Vertrag ist der Kläger nicht freier Dienstnehmer der Beklagten, sondern ihr Arbeitnehmer.
b) Vertragliche Grundlage für die Tätigkeit des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH kann auch eine Vereinbarung mit der Kommanditgesellschaft sein (BAG Urteil vom 13. Mai 1992 – 5 AZR 344/91 – ZIP 1992, 1496 ff., m.w.N.). Die Frage, wie diese vertragliche Beziehung rechtlich einzuordnen ist, nämlich als Arbeitsverhältnis oder als freies Dienstverhältnis, ist damit noch nicht beantwortet, sondern erst aufgeworfen. Soweit kommt es auf den Grad der persönlichen Abhängigkeit an, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat.
c) Ein für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses hinreichender Grad persönlicher Abhängigkeit des Klägers gegenüber der Beklagten ergibt sich im vorliegenden Fall bereits aus der inhaltlichen Gestaltung des Vertrags der Parteien. Zwar wurde der Kläger zum Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH der beklagten Kommanditgesellschaft bestellt. Er blieb jedoch weiterhin als Gesamtprokurist der Beklagten tätig. Dies war auch so von den Parteien gewollt. Sowohl die Bezeichnung des Klägers eingangs des Vertrages als “Prokurist” als auch der Vertragstext zeigen deutlich, daß der Kläger weiterhin als Gesamtprokurist der Beklagten tätig sein sollte. In der Aufgaben- und Verpflichtungsbeschreibung des § 1, bei der Kündigungsregelung für den Kläger in § 2 Abs. 2, bei der Beschreibung des Geschäftskreises und dessen Einschränkungen in § 3, bei der Vereinbarung des Gehaltes in § 4, der Vereinbarung einer Tantieme in § 5, bei der Vereinbarung über die Zahlung einer Betriebsrente in § 6 und beim Urlaub in § 7 ist im Vertrag durchgängig vom Kläger als “Prokuristen” die Rede.
Diese vertraglichen Regelungen, die nach dem Vortrag der Parteien auch praktiziert worden sind, lassen keinen Raum für die Annahme, der Kläger habe zur beklagten Kommanditgesellschaft in einem freien Dienstverhältnis als Geschäftsführer gestanden. Ähnlich wie im Fall des Urteils vom 15. April 1982 (BAGE 39, 16 = AP Nr. 1 zu § 14 KSchG 1969) ist der Kläger Arbeitnehmer der Beklagten geblieben, er hat lediglich formal die Stellung eines Organvertreters der geschäftsführenden Komplementär-GmbH eingenommen. Hätten die Parteien im vorliegenden Fall tatsächlich erreichen wollen, daß der Kläger seinen Aufgaben als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH als freier Dienstnehmer nachgeht, so hätte es nahegelegen, seine Stellung als Gesamtprokurist der beklagten Kommanditgesellschaft aufzuheben. Als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH hätten ihm zumindest dieselben Befugnisse eingeräumt werden müssen wie als Gesamtprokurist der Kommanditgesellschaft. Das aber ist gerade nicht geschehen. Vielmehr haben die Parteien mit dem Vertrag vom 12. Juni 1987 eine Regelung gewählt, die die Arbeitnehmerstellung des Klägers im Verhältnis zur Beklagten aufrechterhält. Die Befugnisse des Klägers gegenüber der Beklagten sind dahin geregelt worden, daß er Gesamtprokurist der Beklagten war. Prokuristen sind in der Regel Arbeitnehmer des Unternehmens, in dessen Diensten sie stehen. Sie können leitende Angestellte sein (vgl. § 5 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG).
d) Anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Bezüge des Klägers von monatlich 7.900,00 DM auf 9.000,00 DM, jeweils zuzüglich Tantiemen, erhöht wurden. Aus dieser Änderung läßt sich nicht auf das Vorliegen eines freien Dienstverhältnisses im Verhältnis zur Beklagten schließen. Die Erhöhung der Bezüge könnte allenfalls ein Indiz für die Ablösung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten durch die Geschäftsführerstellung der Komplementär-GmbH sein. Hierauf kommt es indessen nicht an, weil der Kläger auch nach dem neuen Vertrag vom 12. Juni 1987 Arbeitnehmer der Beklagten geblieben ist.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke
Fundstellen
Haufe-Index 714117 |
NJW 1995, 3338 |
NZA 1995, 1070 |