Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg
Leitsatz (amtlich)
Im Beschwerdeverfahren nach § 17a Abs. 4 GVG ist eine Zurückverweisung der Rechtssache vom Landesarbeitsgericht an das Arbeitsgericht unzulässig.
Orientierungssatz
- Ein sic-non-Fall im Sinne der Senatsrechtsprechung liegt vor, wenn auf Grund eines einheitlichen Klageantrags nicht nur zu entscheiden ist, ob das Vertragsverhältnis der Parteien durch die Kündigung beendet worden ist, sondern auch, ob dieses Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist. Die beantragte Feststellung setzt in diesem Fall voraus, daß im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat. Andernfalls wäre die Klage schon deshalb als unbegründet abzuweisen. Der Klageerfolg hängt bei dieser Antragstellung folglich auch von den Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtswegs entscheidend sind (Bestätigung von Senat 19. Dezember 2000 – 5 AZB 16/00 – AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 9 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 52; Senat 17. Januar 2001 – 5 AZB 18/00 – AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 10 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 53).
- Nach dem über § 78 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Beschwerdeverfahren anwendbaren § 575 ZPO (nunmehr § 572 Abs. 3 ZPO nF) mag zwar grundsätzlich eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht in Betracht kommen. Dies gilt jedoch nicht im Beschwerdeverfahren nach § 17a Abs. 4 GVG. Dem steht der das arbeitsgerichtliche Verfahren prägende Beschleunigungsgrundsatz (vgl. § 9 Abs. 1 ArbGG) entgegen. Dieser Grundsatz hat in § 68 ArbGG eine spezielle Ausgestaltung erfahren. Der darin zum Ausdruck kommende Grundgedanke schließt im lediglich vorgeschalteten Rechtswegbestimmungsverfahren nach § 17a GVG eine Zurückverweisung aus der Beschwerdeinstanz an das Arbeitsgericht aus. Dieses Verfahren darf nicht durch Zurückverweisungen von zweiter zu erster Instanz verzögert werden. Diese Auslegung gilt im Hinblick auf die besondere Prozeßförderungspflicht nach § 61a Abs. 1 ArbGG erst recht in Kündigungsschutzverfahren.
Normenkette
GVG § 17a; ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3b, § 9 Abs. 1, §§ 68, 78; ZPO § 538 Abs. 2, § 572 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Kündigungen.
Die Beklagte betreibt einen Getränkegroßhandel. Sie unterhält bundesweit eine Vielzahl einheitlich gestalteter Getränkemärkte, die sie an Handelsvertreter verpachtet und in denen diese ihr Getränkesortiment vertreiben. Der Kläger führte auf der Grundlage einer als Handelsvertretervertrag bezeichneten Vereinbarung einen solchen Getränkemarkt. Nach § 3 Abs. 1 dieses Vertrags wurde der Kläger als selbständiger Gewerbetreibender iSv. § 84 Abs. 1 HGB tätig. Er bezog eine monatliche Garantieprovision iHv. 7.200,00 DM. Die Pacht des Getränkemarkts betrug einschließlich Nebenkosten 2.400,00 DM.
Am 5. Februar 2001 öffnete der Kläger den Getränkemarkt nicht. An der Eingangstür hing ein Schild mit der Aufschrift:
“Auf Grund eines Statusfeststellungsverfahrens nach §§ 7a ff. 4. Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) bleibt die Filiale wegen Scheinselbständigkeit geschlossen.”
Aus diesem Grunde kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis am 5. Februar 2001 schriftlich “fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächst zulässigen Termin”. Dagegen hat der Kläger mit einem beim Arbeitsgericht am 22. Februar 2001 eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben und folgende Anträge angekündigt:
1. Es wird festgestellt, daß die fristlose Kündigung der Beklagten vom 5. Februar 2001 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis über den 5. Februar 2001 hinaus bis 31. Juli 2001 ungekündigt fortbesteht.
2. Es wird festgestellt, daß die mit Brief vom 5. Februar 2001 vorsorglich ausgesprochene Kündigung zum nächst zulässigen Termin unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis bis 31. Juli 2001 fortbesteht.
Er macht die Unwirksamkeit der Kündigung geltend und vertritt die Auffassung, in einem Arbeitsverhältnis zu stehen. Vorsorglich für den Fall, daß das Arbeitsgericht seine Zuständigkeit verneine, hat er die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Landgericht Hof beantragt.
Nachdem der Kläger zur Sicherung behaupteter Ansprüche Tageseinnahmen einbehalten hatte, kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis vorsorglich erneut außerordentlich. Der Kläger hat mit einem beim Arbeitsgericht am 1. März 2001 eingegangenen Schriftsatz seine Klage erweitert und will beantragen
3. festzustellen, daß die außerordentliche Kündigung der Beklagten, ausgestellt von ihren Prozeßbevollmächtigten Dr. Bistritzki und Kollegen, vom 23. Februar 2001 unwirksam ist und daß das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht.
Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen gerügt. Der Kläger sei als Handelsvertreter tätig gewesen.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschluß vom 11. April 2001 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als gegeben erachtet. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg mit Beschluß vom 9. August 2001 den Beschluß des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klageanträge wiesen keine Doppelrelevanz auf. Dies ergebe sich aus dem vorsorglich gestellten Verweisungsantrag. Das Arbeitsgericht habe deshalb zu prüfen, ob der Kläger als Arbeitnehmer, arbeitnehmerähnliche Person oder freier Handelsvertreter für die Beklagte tätig gewesen sei. Mit Beschluß vom 5. September 2001 hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Hof verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg mit Beschluß vom 17. Juni 2002 den Beschluß des Arbeitsgerichts aufgehoben und den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des Verweisungsbeschlusses des Arbeitsgerichts.
Entscheidungsgründe
II. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten nach § 17a Abs. 4 GVG, §§ 574 ff. ZPO ist unbegründet. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses.
2. Auf Grund der vom Kläger angekündigten, jeweils als Einheit gemeinten, Klageanträge ist im Rechtsstreit nicht nur zu entscheiden, ob das Vertragsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen beendet worden ist, sondern auch, ob dieses Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist (vgl. Senat 17. Januar 2001 – 5 AZB 18/00 – AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 10 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 53). Damit setzen die beantragten Feststellungen voraus, daß im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungen ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat. Andernfalls wäre die Klage schon deshalb als unbegründet abzuweisen (Senat 20. September 2000 – 5 AZR 271/99 – BAGE 95, 324; 26. Mai 1999 – 5 AZR 664/98 – AP GmbHG § 35 Nr. 10; 17. Januar 2001 aaO). Der Klageerfolg hängt bei dieser Antragstellung folglich auch von den Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtswegs entscheidend sind (Senat 19. Dezember 2000 – 5 AZB 16/00 – AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 9 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 52). Es liegt daher im Sinne der Senatsrechtsprechung ein sic-non-Fall vor. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger “rein vorsorglich” für den Fall der Unzuständigkeit des Arbeitsgerichts die Verweisung an das Landgericht Hof beantragt hat. Der Kläger hat damit lediglich auf die nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG von Amts wegen zu berücksichtigende Rechtsfolge bei Beschreiten des unzulässigen Rechtswegs hingewiesen. Eine weitere Bedeutung kommt diesem Antrag nicht zu.
3. Entgegen der Auffassung der Beklagten entfaltet der Beschluß des Landesarbeitsgerichts vom 9. August 2001 hinsichtlich der Frage, ob ein sic-non-Fall gegeben ist, keine Bindungswirkung. Unabhängig von der hier nicht zu entscheidenden Frage, ob ein Berufungs- oder Beschwerdegericht an die von ihm vertretene Rechtsauffassung, die der Aufhebung einer vorinstanzlichen Entscheidung zugrunde liegt, bei erneuter Berufung oder Beschwerde selbst gebunden ist und, sofern die Sache nach erneuter Berufung oder Beschwerde in die Revisions- oder Rechtsbeschwerdeinstanz gelangt, diese Bindungswirkung auch für das Revisions- oder Rechtsbeschwerdegericht gilt (vgl. dazu BGH 28. Oktober 1954 – IV ZB 48/54 – BGHZ 15, 122, 125; 18. September 1957 – V ZR 153/56 – BGHZ 25, 200, 203 f.; 18. Oktober 1968 – X ZB 1/68 – BGHZ 51, 131, 135; 23. Juni 1992 – XI ZR 227/91 – NJW 1992, 2831; GmS-OGB 6. Februar 1973 – 1/72 – BGHZ 60, 392, 396), entfaltet der Beschluß vom 9. August 2001 keine derartige Bindungswirkung, weil er in rechtswidriger Weise ergangen ist.
Das Landesarbeitsgericht durfte den ersten Beschluß des Arbeitsgerichts nicht aufheben und die Sache an das Arbeitsgericht zurückverweisen. Zwar mag nach dem über § 78 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Beschwerdeverfahren anwendbaren § 575 ZPO (nunmehr § 572 Abs. 3 ZPO nF) grundsätzlich eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht in Betracht kommen (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 78 Rn. 12). Dies gilt jedoch nicht im Beschwerdeverfahren nach § 17a Abs. 4 GVG. Dem steht der das arbeitsgerichtliche Verfahren prägende Beschleunigungsgrundsatz (vgl. § 9 Abs. 1 ArbGG) entgegen. Dieser Grundsatz hat in § 68 ArbGG eine spezielle Ausgestaltung erfahren. Diese bereits im ArbGG 1926 enthaltene Vorschrift verbietet dem Landesarbeitsgericht abweichend von § 538 Abs. 2 ZPO die Zurückverweisung einer Rechtssache im Berufungsverfahren an das Arbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren. Der darin zum Ausdruck kommende Grundgedanke schließt im lediglich vorgeschalteten Rechtswegbestimmungsverfahren nach § 17a GVG eine Zurückverweisung aus der Beschwerdeinstanz an das Arbeitsgericht aus. Dieses Verfahren darf nicht durch Zurückverweisungen von zweiter zu erster Instanz verzögert werden. Soweit das Landesarbeitsgericht eine weitere Sachaufklärung oder Klarstellungen für erforderlich hält, kann es als Tatsacheninstanz gemäß § 139 Abs. 1 ZPO selbst Hinweise geben und auf eine sachdienliche Antragstellung hinwirken. Diese Auslegung gilt im Hinblick auf die besondere Prozeßförderungspflicht nach § 61a Abs. 1 ArbGG erst recht in Kündigungsschutzverfahren, wie dem vorliegenden.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck
Fundstellen
Haufe-Index 913160 |
BAGE 2004, 1 |
DB 2003, 1004 |
EBE/BAG 2003, 63 |
JR 2004, 483 |
NZA 2003, 517 |
SAE 2003, 372 |
AP, 0 |
EzA |