Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg. Wettbewerbsverbot für Arbeitnehmer/Gesellschafter
Leitsatz (amtlich)
Wird bei der Veräußerung des Gesellschaftsanteils eines Gesellschafters, der zugleich Arbeitnehmer der Gesellschaft ist, ein entschädigungsloses nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart, kann für die Klage des Arbeitnehmers auf Feststellung der Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet sein. Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ist zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer Minderheitsgesellschafter war (hier: weniger als 1 % Beteiligung am Stammkapital) und sein Ausscheiden aus der Gesellschaft mit der vom Erwerber veranlaßten Aufhebung des Arbeitsverhältnisses verbunden worden ist.
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3c, Abs. 3, § 78; GVG § 17a Abs. 3-4; HGB § 74 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Beschluss vom 30.04.1997; Aktenzeichen 15 Ta 449/96) |
ArbG Hannover (Beschluss vom 09.10.1996; Aktenzeichen 1 Ca 311/96) |
Tenor
Auf die weitere sofortige Beschwerde des Klägers und der Klägerin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 30. April 1997 – 15 Ta 449/96 – aufgehoben.
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers und der Klägerin wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Hannover vom 9. Oktober 1996 – 1 Ca 311/96 – abgeändert.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
Die Beklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
I. Die Kläger machen die Unwirksamkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots geltend.
Der Kläger war seit 1978 bei der Beklagten zu 1. als Angestellter beschäftigt. Zugleich war er als Gesellschafter an der Beklagten zu 1. beteiligt. Sein Geschäftsanteil betrug 0,83 % des Stammkapitals (2.500,00 DM von 300.000,00 DM). Die weiteren Geschäftsanteile wurden von den Beklagten zu 2., 3. und 4. gehalten. Die damaligen Gesellschafter der Beklagten zu 1. veräußerten mit dem am 15. Februar 1996 vor einem Notar in Oberhausen unterzeichneten Vertrag ihre sämtlichen Gesellschafteranteile an die Beklagte zu 5. Nach § 2 des Kauf- und Abtretungsvertrages ist die Abtretung der Geschäftsanteile zum 29. Februar 1996 24.00 Uhr wirksam geworden. Nach § 3 des Vertrages betrug der Kaufpreis für jeden veräußerten Geschäftsanteil 1,00 DM. In § 5 Abs. 2 des Vertrages ist für den Kläger folgendes Wettbewerbsverbot vereinbart worden:
“… verpflichtet sich, mit der T…-… GmbH auf den sachlichen und örtlichen Märkten, auf denen die Gesellschaft bei Abschluß dieses Vertrages tätig gewesen ist, für die Dauer von zwei Jahren nach Abschluß dieses Vertrages weder unmittelbar noch mittelbar in Wettbewerb zu treten.”
Auf gesonderter Urkunde, die gleichfalls am Amtssitz des den Kaufvertrag beurkundenden Notars am 15. Februar 1996 errichtet und unterzeichnet worden ist, haben der Kläger und die Beklagte zu 1., vertreten durch die damaligen geschäftsführenden Gesellschafter, den Beklagten zu 2. und zu 4., die Beendigung des Anstellungsverhältnisses mit Wirkung zum 29. Februar 1996 24.00 Uhr vereinbart. Der Aufhebungsvertrag ist nach Angaben der Beklagten abgeschlossen worden, weil die Käuferin der Geschäftsanteile Wert darauf gelegt habe, daß der Kläger nach Verkauf seines Geschäftsanteils nicht mehr beschäftigt werde.
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 1. ist der Kläger in ein Anstellungsverhältnis zur Klägerin getreten. Die Geschäftszwecke der Beklagten zu 1. und der Klägerin überschneiden sich. Beide sind auf dem Gebiet der Abrechnung von Pflegeleistungen tätig.
Am 13. Mai 1996 hat der Kläger beim Arbeitsgericht Hannover mit dem Antrag Klage erhoben, festzustellen, daß er keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterliege. Mit Schreiben vom 28. August 1996 hat die Beklagte zu 1. von der Klägerin Unterlassung der Beschäftigung des Klägers verlangt. Die Klägerin hat sich am 20. September 1996 der Klage angeschlossen und ferner beantragt, dem Beklagten zu untersagen, den Kläger in seiner beruflichen Tätigkeit für die Klägerin zu behindern.
Auf die Rüge der Beklagten zu 1., 4. und 5. hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als unzulässig erklärt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers und der Klägerin ist vom Landesarbeitsgericht unter Zulassung der weiteren sofortigen Beschwerde zurückgewiesen worden. Ziel der von den Klägern eingelegten weiteren sofortigen Beschwerde ist die Bejahung des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen.
Entscheidungsgründe
II. Die weitere sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts ist zulässig und begründet.
- Nach § 48 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG ist in Abweichung von § 78 Abs. 2 ArbGG eine weitere Beschwerde statthaft, wenn sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen worden ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die weitere sofortige Beschwerde ist auch frist- und formgerecht eingelegt worden. Die zweiwöchige Notfrist (§ 78 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 577 Abs. 2 ZPO) ist gewahrt.
Für die bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen dem Kläger und den Beklagten zu 1. ist der beschrittene Rechtsweg (vgl. § 48 Abs. 1 ArbGG) zulässig. Die Gerichte für Arbeitssachen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 3c ArbGG für die Nachwirkungen des vor dem 29. Februar zwischen den Parteien bestandenen Arbeitsverhältnisses zuständig. Das war nach § 17a Abs. 3 GVG vorab auszusprechen.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a, c ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für “bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis … und aus dessen Nachwirkungen”. Das Landesarbeitsgericht hat diese Zuständigkeit verneint, weil die Beklagte zu 1. sich ausschließlich auf die kaufvertragliche Nebenabrede berufe, die dem Kläger entschädigungslos für zwei Jahre nachvertraglichen Wettbewerb verbiete.
Diese Ansicht verkennt, daß nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG der Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entschieden werden muß. Es besteht eine sog. rechtswegüberschreitende Kompetenz. Läßt sich das prozessuale Begehren aus mehreren Klagegründen herleiten, ist das angerufene Gericht berufen und verpflichtet, den Rechtsstreit umfassend unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Daher genügt es, wenn das angerufene Gericht für einen Klagegrund zuständig ist (Ascheid, Urteils- und Beschlußverfahren im Arbeitsrecht, Rz 406, 407; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 2 Rz 197; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 2 Rz 88).
- Dem vom Kläger geltend gemachten Feststellungsbegehren liegt ein “gemischtes” Vertragswerk zugrunde, das unterschiedliche Ansprüche regelt. Das Landesarbeitsgericht hat isoliert die zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 5. im Kaufvertrag vom 15. Februar 1996 zugunsten der Beklagten zu 1. getroffene wettbewerbsrechtliche Nebenabrede betrachtet. Es hat dabei unberücksichtigt gelassen, daß nach dem eigenen Vortrag der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 5. die Käuferin “Wert darauf gelegt” hat, der Kläger müsse nach Verkauf des Geschäftsanteils aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Der Abschluß des Kauf- und des Aufhebungsvertrages fallen somit nicht nur zufällig zeitlich und örtlich zusammen, sondern sind auch sachlich wie ein Vertragswerk miteinander verbunden. Ist somit von einem einheitlichen Lebenssachverhalt auszugehen, kann die Verbindlichkeit des von der Muttergesellschaft zugunsten ihrer Tochtergesellschaft vereinbarten entschädigungslosen Wettbewerbsverbots nicht allein unter kaufvertrags- oder gesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten beurteilt werden. Es kommen auch arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht. Denn nach § 74 Abs. 2 HGB ist ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nur verbindlich, wenn sich der vor dem Wettbewerb geschützte Arbeitgeber verpflichtet, für die Dauer des Verbots die gesetzliche Entschädigung zu zahlen.
- Zu Recht weist die Beschwerde ergänzend darauf hin, daß unabhängig von der Wirksamkeit des zwischen dem Beklagten zu 5. und dem Kläger als Gesellschafter der Beklagten zu 1. geschlossenen kaufvertraglichen Wettbewerbsverbots der Kläger gegen seine frühere Arbeitgeberin den von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannten Anspruch geltend macht, alles Zumutbare zu vermeiden, was sich für den ausgeschiedenen Arbeitnehmer nachteilig auswirken könne (BAG Urteil vom 31. Oktober 1975 – 1 AZR 11/72 – AP Nr. 80 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht). Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts macht hier die Beschwerde keinen bloßen Einwand geltend. Die Beschwerde beruft sich auf einen arbeitsrechtlichen Anspruch. Danach soll es der Beklagten zu 1. verwehrt sein, ohne Zahlung einer Entschädigung von dem von ihrer Muttergesellschaft kaufvertraglich vereinbarten zweijährigen Wettbewerbsverbot Gebrauch zu machen.
- Liegt der Feststellungsklage des Klägers somit mindestens ein arbeitsrechtlicher Klagegrund zugrunde, so genügt das (vgl. Ascheid, aaO, Rz 406). Unerheblich ist, daß ggf. rechtswegüberschreitend auch sonstige bürgerlich-rechtliche Fragen zu entscheiden sind. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß für die allgemein zivilrechtlichen Fragen die Gerichte für Arbeitssachen ebenfalls kompetent sind, während den ordentlichen Gerichten die arbeitsrechtlichen Spezialkenntnisse fehlen (Grunsky, aaO, Rz 88).
Für die im Wege der Klagehäufung von dem Kläger gegen die Beklagten zu 2. bis 5. gestellten Anträge und die weitere von der Klägerin erhobene Klage ist der beschrittene Rechtsweg ebenfalls eröffnet.
Nach § 2 Abs. 3 ArbGG können vor die Gerichte für Arbeitssachen auch nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fallende Rechtsstreitigkeiten gebracht werden, wenn der Anspruch mit einer bei einem Arbeitsgericht anhängigen Rechtsstreitigkeit in einem rechtlichen oder unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang steht und für seine Geltendmachung nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Eine in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fallende Hauptklage ist anhängig. Der unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang ist gegeben, weil die Hauptklage und die Zusammenhangsklage aus dem gleichen einheitlichen Lebenssachverhalt entspringen und nicht nur rein zufällig eine Verbindung zueinander haben (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, aaO, § 2 Rz 119). Die Rechtsstreitigkeit beruht auf der von der Beklagten zu 5. im Zusammenwirken mit den Beklagten zu 2. bis 4. herbeigeführten Verbindung der Aufhebung des Arbeitsvertrages des Klägers mit der Nebenabrede im Kaufvertrag über das entschädigungslose Wettbewerbsverbot.
Mit der arbeitsrechtlichen Streitigkeit der Hauptklage steht auch die von der Klägerin erhobene Klage in dem geforderten Zusammenhang. Ist das von den Beklagten zu 1. und 5. gegenüber dem Kläger geltend gemachte Wettbewerbsverbot unverbindlich, haben die Beklagten zu 1. und 5. kein Recht, von der Klägerin die Unterlassung der Beschäftigung zu verlangen.
Unterschriften
Leinemann, Reinecke, Düwell
Fundstellen
Haufe-Index 893929 |
NJW 1998, 1091 |
FA 1998, 18 |
FA 1998, 19 |
NZA 1997, 1362 |
NZG 1998, 185 |
ZIP 1997, 2094 |
AP, 0 |
GmbHR 1998, 538 |