Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung. unterlassene Mitteilung eines Anschriftswechsels. unterlassene Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse
Leitsatz (amtlich)
§ 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ist dahin auszulegen, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung auch im Fall einer nicht unverzüglichen Mitteilung eines Anschriftswechsels oder einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Partei voraussetzt, dass die Partei eine unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat.
Orientierungssatz
1. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ist dahin auszulegen, dass es für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nicht ausreicht, dass die Partei dem Gericht eine wesentliche Verbesserung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Änderung ihrer Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat, sondern dass auch im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der Partei in Form der Absicht oder groben Nachlässigkeit erforderlich ist. Die Partei muss demnach eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage und auch den Anschriftswechsel absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt haben.
2. Kommt die Partei ihren gesetzlichen Mitwirkungspflichten nicht nach, soll sie nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ihren Anspruch auf Prozesskostenhilfe regelmäßig verlieren. Ein solcher Rechtsverlust setzt nach dem Rechtsgedanken des § 242 BGB allerdings ein schuldhaft unredliches Verhalten der Partei, mithin eine grobe Pflichtverletzung, also grobes Verschulden voraus.
3. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz untersagen es weder, der Partei, die Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt, aufzuerlegen, den Fortbestand der persönlichen und wirtschaftlichen Bewilligungsvoraussetzungen in redlicher Weise darzulegen, noch an ein schuldhaftes unredliches Verhalten der Partei die Verwirkung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe zu knüpfen. Mit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF wird der Gefahr einer unverhältnismäßigen Erschwernis des Zugangs zu den Gerichten dadurch ausreichend begegnet, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ein qualifiziertes Verschulden der Partei (Absicht oder grobe Nachlässigkeit) voraussetzt und dass aufgrund der Ausgestaltung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF als „Soll-Vorschrift” trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung in atypisch gelagerten Einzelfällen Ausnahmen von der „Regelaufhebung” möglich bleiben.
4. Die Verschuldensanforderung der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF erfordert mehr als leichte Fahrlässigkeit. Grob nachlässig handelt nur derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Es muss sich auch in subjektiver Hinsicht um ein unentschuldbares Verhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt.
Normenkette
ZPO § 124 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 1. März 2016 – 2 Ta 79/16 – aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I. Der Kläger war seit dem 16. Januar 2014 bei der Beklagten beschäftigt.
Diese kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 16. Juni 2014, das dem Kläger am 24. Juni 2014 zugegangen ist, zum 30. Juni 2014. Der Kläger hat sich mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24. Juni 2014, der am 25. Juni 2014 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, gegen diese Kündigung gewandt und die Feststellung beantragt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten erst mit Ablauf des 8. Juli 2014 sein Ende gefunden hat. Zugleich hat er beantragt, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Im beigefügten und vom Kläger unterschriebenen Vordruck der „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe” ist auf der letzten Seite ein vorgedruckter Text enthalten, der wie folgt lautet: „…
Mir ist auch bekannt, dass ich während des Gerichtsverfahrens und innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren seit der rechtskräftigen Entscheidung oder der sonstigen Beendigung des Verfahrens verpflichtet bin, dem Gericht wesentliche Verbesserungen meiner wirtschaftlichen Lage oder eine Änderung meiner Anschrift unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. … Ich weiß, dass die Bewilligung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bei einem Verstoß gegen diese Pflicht aufgehoben werden kann, und ich dann die gesamten Kosten nachzahlen muss.”
Das Arbeitsgericht hat den Parteien unter dem 16. Juli 2014 einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag nach § 278 Abs. 6 ZPO unterbreitet und dem Kläger mit Beschluss vom 4. September 2014 mit Wirkung vom 25. Juni 2014 Prozesskostenhilfe in vollem Umfang unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgte mit der Maßgabe, dass der Kläger keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten hat. Mit Beschluss vom 15. September 2014 hat es gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs festgestellt.
Nachdem dem Kläger ein Schreiben der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts vom 12. Januar 2015, das Angaben zur Höhe der Prozesskosten sowie die Information enthielt, dass seine Heranziehung zur Erstattung der Kosten in voraussichtlich acht Monaten geprüft werde, unter der bislang angegebenen Anschrift „A” nicht zugestellt werden konnte, wandte sich das Arbeitsgericht an das Einwohnermeldeamt der Stadt D und bat um Mitteilung der neuen Anschrift des Klägers. Dieses teilte dem Arbeitsgericht am 8. Juli 2015 die aktuelle Anschrift des Klägers mit „E” mit.
Mit Schreiben vom 17. September 2015 wandte sich die Rechtspflegerin an den Prozessbevollmächtigten des Klägers und wies darauf hin, dass beabsichtigt sei, den Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss vom 4. September 2014 nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufzuheben, da der Kläger seiner Verpflichtung, dem Gericht die Änderung der Wohnanschrift unverzüglich mitzuteilen, nicht nachgekommen sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte daraufhin unter dem 22. September 2015 die neue Anschrift des Klägers mit und bat um Erläuterung, inwieweit eine eventuelle Adressänderung für die maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Endergebnis relevant sein solle, da Zustellungen im Überprüfungsverfahren an ihn als beigeordneten Rechtsanwalt erfolgen müssten.
Durch Beschluss vom 2. Dezember 2015, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7. Dezember 2015 zugestellt wurde, hat das Arbeitsgericht seinen Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss vom 4. September 2014 nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufgehoben. Gegen diesen Beschluss hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 9. Dezember 2015 sofortige Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, der Kläger sei stets – jedenfalls über ihn – erreichbar gewesen, weshalb die Aufhebung der Prozesskostenhilfe völlig überzogen sei.
Nachdem das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2016 der sofortigen Beschwerde des Klägers nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt hatte, hat das Landesarbeitsgericht die sofortige Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 1. März 2016 zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO lägen vor, da der Kläger dem Gericht die Änderung seiner Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt habe. Ein Zeitraum von mehr als einem Monat liege nicht mehr im Rahmen der zuzubilligenden Toleranzgrenzen. Eine grobe Nachlässigkeit oder Absicht sei nicht erforderlich. Das Merkmal „unverzüglich” enthalte bereits ein subjektives Element. Es liege auch kein atypischer Fall vor, der ein Abweichen von der in § 124 Abs. 1 ZPO getroffenen Regelanordnung, wonach die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufgehoben werden „soll”, gebieten könnte. Dass der Kläger ggf. über seinen Prozessbevollmächtigten erreichbar blieb, sei bei der Prozesskostenhilfebewilligung der Regelfall und dem Gesetzgeber bekannt gewesen. Zwar könne das Ausmaß eines eventuellen Verschuldens der Partei im Einzelfall Auswirkungen darauf haben, ob ein Regelfall oder ein atypischer Fall anzunehmen sei. Eine Partei, die ihre Rechte aus der Prozesskostenhilfe in Anspruch nehme und auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt habe und die darüber hinaus auf ihre Meldepflichten hingewiesen wurde, handele aber auch grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergesse oder ignoriere.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er geltend macht, die subjektiven Merkmale der Absicht bzw. der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezögen sich sowohl auf die unrichtige Mitteilung als auch auf die Nichtmitteilung des Anschriftswechsels. Im Übrigen sei er über seinen Prozessbevollmächtigten auch im Überprüfungsverfahren stets erreichbar gewesen. Solange der Prozessbevollmächtigte erreichbar sei, gebe es keinen Anlass für Sanktionen nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.
Entscheidungsgründe
II. Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 2. Dezember 2015 nicht zurückgewiesen werden. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Auf der Grundlage der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen ist der Senat allerdings an einer eigenen Sachentscheidung gehindert (§ 577 Abs. 5 ZPO). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Entscheidung (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
1. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 2. Dezember 2015 nicht zurückgewiesen werden. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass eine Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bereits dann in Betracht kommt, wenn die Partei die Änderung ihrer Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat, ohne dass der Partei der Vorwurf der groben Nachlässigkeit oder der Absicht zu machen wäre.
a) Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der seit dem 1. Januar 2014 geltenden Fassung (im Folgenden nF), der gemäß § 40 Satz 1 EGZPO vorliegend zur Anwendung kommt, da der Kläger den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach dem 1. Januar 2014 gestellt hatte, soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO nF dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
b) § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ist dahin auszulegen, dass es für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nicht ausreicht, dass die Partei dem Gericht eine wesentliche Verbesserung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Änderung der Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat, sondern dass auch im Falle der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der Partei in Form der Absicht oder der groben Nachlässigkeit erforderlich ist. Die Partei muss demnach eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage und auch den Anschriftswechsel absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt haben (so auch AR/Heider 7. Aufl. § 11a ArbGG Rn. 16; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann ZPO 74. Aufl. § 124 Rn. 51; BeckOK ZPO/Kratz Stand 1. Juli 2016 ZPO § 124 Rn. 23a; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe 7. Aufl. Rn. 847; HWK/Kalb 7. Aufl. § 11a ArbGG Rn. 10; Hk-ZPO/Kießling 6. Aufl. § 124 Rn. 8; Korinth ArbRB 2016, 60, 63; Maul-Sartori jurisPR-ArbR 38/2015 Anm. 6; Natter FA 2014, 290, 291; Nickel MDR 2013, 890, 894; Thomas/Putzo/Seiler 37. Aufl. § 124 Rn. 4a; wohl auch Groß Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe 13. Aufl. § 124 ZPO Rn. 20, 21; aA Musielak/Voit/Fischer ZPO 13. Aufl. § 124 Rn. 8a ohne Begründung).
aa) Zwar ist es aufgrund der Stellung der tatbestandlichen Voraussetzung „unverzüglich” in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF und ihres möglichen Wortsinns nicht von vornherein ausgeschlossen, dass im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der Partei nicht erforderlich ist, sondern dass bereits einfaches Verschulden der Partei für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung regelmäßig ausreicht. Insoweit könnte der Begriff „unverzüglich”, der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF am Satzende im unmittelbaren Kontext mit der Nichtmitteilung steht, iSv. § 121 BGB und damit als „ohne schuldhaftes Zögern” zu verstehen sein. Danach wären die geforderten Mitteilungen zwar nicht sofort, wohl aber innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist zu erstatten (vgl. etwa BGH 28. Juni 2012 – VII ZR 130/11 – Rn. 20; 15. März 2005 – VI ZB 74/04 – zu II 1 a der Gründe), ohne dass es auf eine Absicht oder eine grobe Nachlässigkeit ankäme.
bb) Die Systematik von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF, seine Entstehungsgeschichte und sein Sinn und Zweck sprechen indes dafür, dass die Bestimmung so auszulegen ist, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung auch im Fall einer nicht unverzüglichen Mitteilung eines Anschriftswechsels und einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Partei voraussetzt, dass die Partei eine unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat.
(1) § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF setzt durch die Bezugnahme auf § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO nF voraus, dass die Partei ihren Verpflichtungen nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF nicht nachgekommen ist. Bereits nach dieser Bestimmung hat die Partei aber eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und einen Anschriftswechsel „unverzüglich” mitzuteilen. Soweit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF dann die unrichtige Mitteilung der Nichtmitteilung gleichstellt, bezieht sich dies sowohl auf die wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse als auch auf die Änderung der Anschrift. Bereits dies spricht dafür, dass mit dem Merkmal „unverzüglich” im Zusammenhang mit der Nichtmitteilung in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF im Hinblick auf das Verschulden der Partei keine Abgrenzung zur unrichtigen Mitteilung erfolgen sollte und dass sich demnach das Verschuldenserfordernis der „Absicht” und der „groben Nachlässigkeit” – vor die Klammer gezogen – sowohl auf die unrichtige Mitteilung als auch auf die Nichtmitteilung bezieht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sowohl eine unvollständige Mitteilung der Änderung der Anschrift als auch eine unvollständige Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse unrichtige Mitteilungen sind und dass die Grenze zwischen einer unrichtigen Mitteilung und einer Nichtmitteilung im Einzelfall fließend sein kann. So kann eine Mitteilung im Einzelfall so lückenhaft sein, dass sie bei wertender Betrachtung einer Nichtmitteilung gleichsteht. Auch dies spricht dafür, dass § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF für sämtliche dort aufgeführten Verstöße der Partei gegen ihre Mitwirkungspflichten, sei es durch unrichtige oder unterlassene Mitteilungen, einen einheitlichen Verschuldensmaßstab der Absicht oder groben Nachlässigkeit normiert.
(2) Dass § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben voraussetzt, dass die Partei die unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat, wird durch die Entstehungsgeschichte der Bestimmung bestätigt.
Der ursprüngliche Entwurf eines „Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe” (BT-Drs. 17/1216) sah in Artikel 1 (Änderung der Zivilprozessordnung) unter Nr. 11 Buchst. c vor, dass § 124 ZPO dahin geändert wird, dass nach Nr. 3 die Nr. 3a eingefügt wird. Danach sollte die Prozesskostenhilfebewilligung aufgehoben werden, wenn „die Partei entgegen § 120 Absatz 4 Satz 4 Halbsatz 1 wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift dem Gericht nicht unverzüglich oder unrichtig mitgeteilt hat, es sei denn, dass sie ohne ihr Verschulden an der unverzüglichen oder richtigen Mitteilung gehindert war”. Bereits nach diesem Entwurf sollte für die Fälle der unrichtigen und die der unterlassenen unverzüglichen Mitteilung erkennbar ein und derselbe Verschuldensmaßstab gelten.
Mit der endgültigen Fassung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF hat der Gesetzgeber sodann die Möglichkeiten einer Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung sowohl für den Fall, dass die Partei ihren Mitteilungspflichten nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF nicht unverzüglich nachkommt, als auch für den Fall, dass die Partei eine Änderungsmitteilung erstattet, diese aber inhaltlich unrichtig ist, deutlich eingeschränkt. In beiden Fällen setzt die Aufhebung voraus, dass die Partei ihre Pflichten absichtlich oder grob nachlässig verletzt hat. Insoweit heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11472 S. 35), dass nicht nur das Unterlassen einer Änderungsmitteilung, sondern auch eine zwar erstattete, inhaltlich aber unrichtige Änderungsmitteilung zu einer Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung führe. Die Einschränkung auf absichtliche und grob nachlässige Pflichtverletzungen entspreche den subjektiven Voraussetzungen für eine Aufhebung gemäß Absatz 1 Nr. 2. Diese Ausführungen belegen, dass der Gesetzgeber gerade im Hinblick auf den Verschuldensmaßstab nicht zwischen der Nichtmitteilung und der unrichtigen Mitteilung differenzieren wollte.
(3) Sinn und Zweck der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF getroffenen Regelung sprechen ebenfalls für die einheitlich geltende Verschuldensanforderung der Absicht und der groben Nachlässigkeit.
Mit der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF vorgesehenen Sanktion (vgl. BT-Drs. 17/11472 S. 35) der Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung soll die Partei nicht nur erkennbar dazu angehalten werden, ihren in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF bestimmten Mitwirkungspflichten nachzukommen. Hierdurch soll das Gericht in die Lage versetzt werden, jederzeit zu überprüfen, ob sich die für die Prozesskostenhilfe maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse in einem Umfang verbessert haben, dass der Bewilligungsbeschluss zulasten der Partei zu ändern ist. Dies gilt sowohl für die in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF vorgesehene Verpflichtung der Partei, dem Gericht von sich aus wesentliche Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Lage mitzuteilen, als auch für ihre Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung eines Anschriftswechsels. Teilt die Partei eine Änderung ihrer Anschrift nicht von sich aus mit oder macht sie insoweit unrichtige Angaben, ist das Gericht ebenfalls nicht oder nur nach aufwändigen Ermittlungen in der Lage, ein Verfahren zur Änderung oder Aufhebung der Bewilligung zu betreiben (vgl. BT-Drs. 17/11472 S. 34).
Kommt die Partei ihren Mitwirkungspflichten nicht nach, soll sie nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ihren Anspruch auf Prozesskostenhilfe regelmäßig verlieren. Ein solcher Rechtsverlust setzt nach dem Rechtsgedanken des § 242 BGB allerdings ein schuldhaft unredliches Verhalten der Partei, mithin eine grobe Pflichtverletzung, also grobes Verschulden (vgl. BeckOK BGB/Fritzsche Stand 1. August 2016 BGB § 990 Rn. 6) voraus. Eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung kann demnach auch in den Fällen der unterlassenen unverzüglichen Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse und eines Anschriftswechsels nur erfolgen, wenn die Partei ihrer Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung der geforderten Angaben absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht nachgekommen ist.
(4) In dieser Auslegung trägt § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben hinreichend Rechnung.
Zwar folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) die Verpflichtung des Staates, die Situation Bemittelter und Unbemittelter im Bereich des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen, insbesondere den Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen. Einer weniger bemittelten Partei darf die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Vergleich zu einer bemittelten Partei nicht unverhältnismäßig erschwert werden (vgl. BVerfG 29. Dezember 2009 – 1 BvR 1781/09 – Rn. 12; 19. Februar 2008 – 1 BvR 1807/07 – Rn. 20 f.; BAG 28. April 2016 – 8 AZB 65/15 – Rn. 21). Diesen Anforderungen trägt die Zivilprozessordnung mit der Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu erhalten, Rechnung. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben verbieten es allerdings weder, der Partei, die Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt, aufzuerlegen, den Fortbestand der persönlichen und wirtschaftlichen Bewilligungsvoraussetzungen in redlicher Weise darzulegen, noch an ein schuldhaftes unredliches Verhalten der Partei die Verwirkung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe zu knüpfen (vgl. BGH 10. Oktober 2012 – IV ZB 16/12 – Rn. 30). Insoweit wird mit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF der Gefahr einer unverhältnismäßigen Erschwernis des Zugangs zu den Gerichten dadurch ausreichend begegnet, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ein qualifiziertes Verschulden der Partei (Absicht oder grobe Nachlässigkeit) voraussetzt und dass aufgrund der Ausgestaltung von § 124 Abs. 1 ZPO nF als „Soll-Vorschrift” trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung in atypisch gelagerten Einzelfällen Ausnahmen von der „Regelaufhebung” (vgl. hierzu BT-Drs. 17/11472 S. 33) möglich bleiben.
2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Entgegen den – allerdings vorliegend nicht tragenden – Ausführungen des Landesarbeitsgerichts handelt eine Partei, die – wie der Kläger – Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt und damit auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt hat und die – wie der Kläger – darüber hinaus auf ihre Mitteilungspflichten nach § 120a Abs. 2 ZPO nF hingewiesen wurde, nicht schon dann grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergisst oder ihnen schlicht nicht nachkommt. Die schlichte Verletzung der in § 120a Abs. 2 ZPO nF bestimmten Mitteilungspflichten indiziert noch keine grobe Nachlässigkeit.
a) Die Verschuldensanforderung der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF erfordert mehr als leichte Fahrlässigkeit, nämlich eine besondere Sorglosigkeit. Der Maßstab der groben Nachlässigkeit entspricht dem der groben Fahrlässigkeit. Danach handelt grob nachlässig nur derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (in diesem Sinne auch: BeckOK ZPO/Kratz Stand 1. Juli 2016 ZPO § 124 Rn. 18; Musielak/Voit/Fischer ZPO 13. Aufl. § 124 Rn. 5; zum Begriff der groben Nachlässigkeit in § 296 Abs. 2 ZPO vgl. BGH 30. März 2006 – VII ZR 139/05 – Rn. 4). Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich demnach bei einem grob nachlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Verhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (vgl. etwa BGH 11. Juli 2007 – XII ZR 197/05 – Rn. 15).
b) Die Entscheidung, ob im Einzelfall von einfacher Fahrlässigkeit oder grober Nachlässigkeit auszugehen ist, erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Umstände. Geht es – wie hier – um die Frage, ob eine Partei ihre Verpflichtung, dem Gericht einen Anschriftswechsel von sich aus unverzüglich mitzuteilen, grob nachlässig oder lediglich leicht fahrlässig verletzt hat, kann vor dem Hintergrund, dass diese Pflicht dazu dient, die jederzeitige Erreichbarkeit der Partei durch das Gericht sicherzustellen, um dieses letztlich in die Lage zu versetzen, ohne weitergehende aufwändige Ermittlungen ein Verfahren zur Änderung oder Aufhebung der Bewilligung zu betreiben, im Rahmen der Abwägung auch von Bedeutung sein, wenn die Partei anderweitige Maßnahmen getroffen hat, um ihre jederzeitige Erreichbarkeit durch das Gericht sicherzustellen. Hierzu hat die Partei, die diesen Umstand berücksichtigt wissen möchte, substantiiert vorzutragen. Ein solcher Vortrag kann auch noch in der Beschwerdeinstanz erfolgen (vgl. zur Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Nr. 2 ZPO aF BAG 18. November 2003 – 5 AZB 46/03 – BAGE 108, 329).
3. Auf der Grundlage der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert (§ 577 Abs. 5 ZPO). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zu erneuten Entscheidung (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
a) Entgegen der Annahme des Klägers scheidet eine Anwendung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF nicht bereits deshalb aus, weil der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten wurde.
Zwar haben auch nach Beendigung der Instanz bzw. des Hauptsacheverfahrens Zustellungen im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren jedenfalls dann gemäß § 172 ZPO an den Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, wenn dieser die Partei im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hat (BGH 8. Dezember 2010 – XII ZB 38/09 – Rn. 15 f.; BAG 19. Juli 2006 – 3 AZB 18/06 –). Dies führt aber nicht dazu, dass die Partei von ihren in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF bestimmten Mitteilungspflichten befreit wäre. Nach § 120a Abs. 2 Satz 1 iVm. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF hat „die Partei” „dem Gericht” einen Anschriftswechsel mitzuteilen. Über die Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung ist „die Partei” bei der Antragstellung im Antragsformular zu belehren, § 120a Abs. 2 Satz 4 ZPO. Der Antragsteller muss – persönlich – im Antragsformular seine Kenntnis von der Mitteilungspflicht bestätigen. Zudem ist die Änderung der Anschrift mitzuteilen, ohne dass es einer gesonderten Fristsetzung durch das Gericht oder sogar Zustellung eines Aufforderungsschreibens bedürfte.
b) Da das Landesarbeitsgericht bislang keine Feststellungen getroffen hat, die die Annahme grober Nachlässigkeit des Klägers begründen könnten, ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert. Die Sache ist daher gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Schlewing, Vogelsang, Roloff
Fundstellen
Haufe-Index 9783545 |
BAGE 2017, 125 |
BB 2016, 2484 |
DB 2016, 7 |