Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschlussfassung des Betriebsrats. Änderung oder Ergänzung der Tagesordnung
Orientierungssatz
1. Die Beachtung des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG und die dort ausdrücklich angeordnete Ladung der Betriebsratsmitglieder einschließlich etwaiger Ersatzmitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung ist wesentlich für die Wirksamkeit eines in der Sitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses.
2. Für die Heilung eines Verfahrensmangels iSd. § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG reicht es aus, dass alle Betriebsratsmitglieder einschließlich erforderlicher Ersatzmitglieder rechtzeitig zur Sitzung geladen worden sind und die beschlussfähig (§ 33 Abs. 2 BetrVG) Erschienenen in dieser Sitzung eine Ergänzung oder Erstellung der Tagesordnung einstimmig beschließen. An der Rechtsauffassung, ein Beschluss des Betriebsrats zu einem nicht in der Tagesordnung aufgeführten Punkt könne auch bei einstimmiger Beschlussfassung wirksam nur gefasst werden, wenn alle Betriebsratsmitglieder anwesend sind, hält der Siebte Senat nicht fest.
3. Vieles spricht dafür, dass nicht jeder Verstoß gegen die formellen Anforderungen einer Betriebsratssitzung die Unwirksamkeit eines darin gefassten Beschlusses zur Folge hat, sondern nur eine solcher, der so schwerwiegend ist, dass der Fortbestand des Beschlusses von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden kann.
Normenkette
BetrVG § 29 Abs. 2 S. 3, § 33 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; ArbGG § 45 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Der Siebte Senat hält an seiner Rechtsauffassung, ein Beschluss des Betriebsrats zu einem nicht in der Tagesordnung aufgeführten Punkt könne auch bei einstimmiger Beschlussfassung wirksam nur gefasst werden, wenn alle Betriebsratsmitglieder anwesend sind, nicht fest.
Tatbestand
Rz. 1
I. Der Erste Senat möchte die Auffassung vertreten, dass die Ladung zu einer Betriebsratssitzung ohne Mitteilung der Tagesordnung nicht zur Unwirksamkeit eines in dieser Betriebsratssitzung gefassten Beschlusses führt, wenn sämtliche Mitglieder des Betriebsrats rechtzeitig geladen sind, der Betriebsrat beschlussfähig iSd. § 33 Abs. 2 BetrVG ist und die anwesenden Betriebsratsmitglieder einstimmig beschlossen haben, über den Regelungsgegenstand des später gefassten Beschlusses zu beraten und abzustimmen; nicht erforderlich sei, dass in dieser Sitzung alle Betriebsratsmitglieder anwesend sind.
Rz. 2
Damit würde der Erste Senat von der Rechtsprechung des Siebten Senats (28. Oktober 1992 – 7 ABR 14/92 – zu B II 2 b der Gründe; 24. Mai 2006 – 7 AZR 201/05 – Rn. 19; 10. Oktober 2007 – 7 ABR 51/06 – Rn. 12, BAGE 124, 188; vgl. auch schon BAG 28. April 1988 – 6 AZR 405/86 – zu II 3 c der Gründe, BAGE 58, 221) abweichen. Nach dieser setzt die Änderung oder Ergänzung einer festgesetzten Tagesordnung auf einer Betriebsratssitzung voraus, dass der vollzählig versammelte Betriebsrat einstimmig sein Einverständnis erklärt, den Beratungspunkt in die Tagesordnung aufzunehmen und darüber zu beschließen; andernfalls könne ein Beschluss des Betriebsrats zu einem nicht in der Tagesordnung aufgeführten Punkt nicht wirksam gefasst werden (BAG 24. Mai 2006 – 7 AZR 201/05 – Rn. 19 mwN).
Rz. 3
Der Erste Senat hat daher gem. § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG angefragt, ob der Siebte Senat an seiner Rechtsauffassung festhält.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
II. Der Siebte Senat hält an seiner Rechtsauffassung, ein Beschluss des Betriebsrats zu einem nicht in der Tagesordnung aufgeführten Punkt könne auch bei einstimmiger Beschlussfassung wirksam nur gefasst werden, wenn alle Betriebsratsmitglieder anwesend sind, nicht fest.
Rz. 5
1. Das Betriebsverfassungsgesetz regelt die Voraussetzungen einer wirksamen Beschlussfassung des Betriebsrats nicht abschließend. Es bestimmt in § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG lediglich, dass die Beschlüsse des Betriebsrats, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst werden. Ferner regelt § 33 Abs. 2 Halbs. 1 BetrVG, dass der Betriebsrat nur beschlussfähig ist, wenn mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt.
Rz. 6
2. Die Anfrage des Ersten Senats verlangt keine abschließende Beantwortung der Frage, welche Voraussetzungen für die Wirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses unverzichtbar sind und welche Verfahrensverstöße zur Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses führen. Allerdings spricht vieles für die Beurteilung des Ersten Senats, nach der nicht jeder Verstoß gegen die formellen Anforderungen einer Betriebsratssitzung die Unwirksamkeit eines darin gefassten Beschlusses zur Folge hat, sondern nur ein solcher, der so schwerwiegend ist, dass der Fortbestand des Beschlusses von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden kann (BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 2/13 (A) – Rn. 38).
Rz. 7
3. Der Siebte Senat teilt auch die Auffassung des Ersten Senats, wonach die Beachtung des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG und die dort ausdrücklich angeordnete Ladung der Betriebsratsmitglieder einschließlich etwaiger Ersatzmitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung als wesentlich für die Wirksamkeit eines in der Sitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses anzusehen ist (BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 2/13 (A) – Rn. 40 ff.). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Siebten Senats (BAG 28. Oktober 1992 – 7 ABR 14/92 – zu B II 2 a der Gründe; 24. Mai 2006 – 7 AZR 201/05 – Rn. 17; 10. Oktober 2007 – 7 ABR 51/06 – Rn. 12, BAGE 124, 188).
Rz. 8
4. Im Übrigen schließt sich der Siebte Senat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsauffassung der Ansicht des Ersten Senats an, wonach es für die Heilung eines Verfahrensmangels iSd. § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nach dem Zweck dieser Ladungsvorschrift ausreicht, dass alle Betriebsratsmitglieder einschließlich erforderlicher Ersatzmitglieder rechtzeitig zur Sitzung geladen worden sind und die beschlussfähig (§ 33 Abs. 2 BetrVG) Erschienenen in dieser Sitzung eine Ergänzung oder Erstellung der Tagesordnung einstimmig beschließen (BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 2/13 (A) – Rn. 49). Auch an der Begründung für seine bisherige Auffassung, wonach eine Heilung nur bei Anwesenheit aller Betriebsratsmitglieder möglich sei, hält der Siebte Senat nach erneuter Prüfung nicht fest.
Rz. 9
a) Das vom Senat bislang angeführte Argument, ein verhindertes Betriebsratsmitglied müsse anhand der zuvor erfolgten Mitteilung der Tagesordnung Gelegenheit haben, seine Betriebsratskollegen außerhalb der Sitzung über seine Auffassung zu unterrichten und sie hiervon zu überzeugen (vgl. BAG 24. Mai 2006 – 7 AZR 201/05 – Rn. 20), trägt, wie der Erste Senat zutreffend ausführt, nicht (BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 2/13 (A) – Rn. 46). Im Falle der zeitweiligen Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds rückt das Ersatzmitglied gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG mit allen Rechten und Pflichten in dessen Stellung ein. Schützenswerte Einflussmöglichkeiten auf die Willensbildung des Gremiums stehen dem zeitweilig verhinderten Betriebsratsmitglied nicht zu.
Rz. 10
b) Der Siebte Senat schließt sich dem Ersten Senat auch in der Beurteilung an, die Mitteilung der Tagesordnung diene nicht dazu, dem einzelnen Betriebsratsmitglied die Auflösung einer etwaigen Terminskollision zu ermöglichen (BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 2/13 (A) – Rn. 47). Zwar hat ein Betriebsratsmitglied im Falle einer Pflichtenkollision eigenverantwortlich zu beurteilen, welche Pflicht von ihm vorrangig wahrzunehmen ist. Es darf diese Beurteilung aber nicht davon abhängig machen, ob es die Betriebsratssitzung unter Berücksichtigung der Tagesordnung für wichtig oder unwichtig hält. Jedenfalls verdient ein Betriebsratsmitglied, das eine bestimmte Tagesordnung für unwichtig erachtet, keinen Schutz davor, dass die anwesenden Betriebsratsmitglieder einen weiteren Tagesordnungspunkt einstimmig auf die Tagesordnung setzen. Im Übrigen würde das Argument, ein Betriebsratsmitglied müsse unter Würdigung der Tagesordnung entscheiden können, ob es sich für verhindert erklärt, konsequenterweise dazu führen, dass eine Ergänzung der Tagesordnung nur bei vollständiger Anwesenheit aller originär gewählten Betriebsratsmitglieder möglich und bei Heranziehung von Ersatzmitgliedern, also bei Fehlen auch nur eines originär gewählten Betriebsratsmitglieds ausgeschlossen wäre. Damit wäre insbesondere in größeren Betriebsräten, bei denen häufig ein oder mehrere Betriebsratsmitglieder zeitweilig verhindert sind, eine Ergänzung der Tagesordnung weitgehend unmöglich. Hierdurch würde aber die praktische Betriebsratsarbeit erheblich erschwert. Dies gilt insbesondere für Angelegenheiten der Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen, in denen dem Betriebsrat nach seiner Unterrichtung nur ein Zeitraum von einer Woche zur Verfügung steht, nach dessen ungenutztem Ablauf die Zustimmung des Betriebsrats als erteilt gilt (vgl. § 99 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2, § 102 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BetrVG).
Rz. 11
5. Schließlich weist der Erste Senat auch zutreffend darauf hin, dass das weiterhin geltende Erfordernis der Einstimmigkeit der Beschlussfassung das einzelne Betriebsratsmitglied davor schützt, über betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten befinden zu müssen, mit denen es sich aus seiner Sicht noch nicht angemessen befasst und über die es sich noch keine abschließende Meinung gebildet hat (BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 2/13 (A) – Rn. 50).
Rz. 12
6. Von einer weiteren Begründung sieht der Siebte Senat im Hinblick auf die zutreffenden Ausführungen des Ersten Senats ab.
Unterschriften
Linsenmaier, Schmidt, Zwanziger, R. Gmoser, Donath
Fundstellen
Haufe-Index 6519790 |
BB 2014, 628 |
DB 2014, 726 |
FA 2014, 111 |
FA 2014, 120 |
NZA 2014, 441 |
AP 2014 |
EzA 2014 |
ZMV 2014, 170 |
ArbRB 2014, 138 |
ArbR 2014, 158 |
NJW-Spezial 2014, 179 |
RdW 2014, 442 |