Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufteilung der Freistellung auf mehrere Betriebsratsmitglieder
Leitsatz (amtlich)
- Der Betriebsrat darf eine ihm nach § 38 Abs. 1 BetrVG zustehende Freistellung anteilig für mehrere seiner Mitglieder verwenden, wenn dies zur ordnungsgemäßen Erledigung seiner Betriebsratsaufgaben erforderlich ist. Soweit er bei dieser Aufteilung insgesamt im zeitlichen Rahmen der in § 38 Abs. 1 BetrVG vorgesehenen Vollzeitfreistellungen bleibt, braucht er nicht darzulegen, daß die volle Ausschöpfung dieses zeitlichen Rahmens für die gesamte Amtsperiode erforderlich ist.
- Macht der Arbeitgeber geltend, die Aufteilung stelle ihn vor besondere organisatorische Probleme, so muß er diese im einzelnen darlegen.
Normenkette
BetrVG 1972 § 38 Abs. 1-2, § 37 Abs. 2; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 9. Mai 1995 – 5 TaBV 1/94 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Befugnis des Betriebsrats, die teilweise Freistellung mehrerer seiner Mitglieder anstelle einer gesetzlichen Mindestfreistellung zu beschließen.
Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt innerhalb des Berliner Stadtgebietes eine Vielzahl sozialer Einrichtungen (Sozialstationen). Sie beschäftigt ca. 490 Arbeitnehmer. Der am 13. Mai 1993 gewählte Betriebsrat besteht aus neun Mitgliedern. Zu seinem Vorsitzenden wurde ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer gewählt; stellvertretender Betriebsratsvorsitzender ist ein mit 30 Wochenstunden beschäftigter Arbeitnehmer. Mit Schreiben vom 23. Juni 1993 teilte der Betriebsrat der Arbeitgeberin mit, daß der Betriebsratsvorsitzende mit 20 Wochenstunden von seiner beruflichen Tätigkeit freizustellen sei. In einem weiteren Schreiben vom 8. Juli 1993 informierte er die Arbeitgeberin über eine von ihm beabsichtigte Freistellung des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden im Umfang von 15 Wochenstunden. Daran hat er auch nach einem Widerspruch der Arbeitgeberin festgehalten.
Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, sie sei zu einer weiteren, die gesetzliche Mindestzahl überschreitenden Freistellung nicht verpflichtet. Der Betriebsrat sei nicht berechtigt, einseitig eine von § 38 Abs. 1 BetrVG abweichende Verteilung der gesetzlichen Freistellung vorzunehmen. Ihm bleibe nur die Auswahl der von Gesetzes wegen freizustellenden Betriebsratsmitglieder vorbehalten. Eine ständige Teilfreistellung sei auch nach § 37 Abs. 2 BetrVG nicht zulässig. Im übrigen stünden der ständigen Teilfreistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds arbeitsorganisatorische Gründe entgegen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt
festzustellen, daß sie verpflichtet ist, nur ein Betriebsratsmitglied freizustellen.
Der beteiligte Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hält den Antrag für unzulässig, weil die Arbeitgeberin nicht in der Zwei-Wochen-Frist des § 38 Abs. 2 Satz 6 BetrVG die Einigungsstelle angerufen habe. Im übrigen sei eine Teilfreistellung mehrerer seiner Mitglieder im Umfang der gesetzlichen Mindestfreistellung rechtens. Dadurch werde es den freigestellten Betriebsratsmitgliedern ermöglicht, den Verlust beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten und die damit verbundenen Eingliederungsschwierigkeiten nach Beendigung der Freistellung zu vermeiden. Im übrigen beruhe die Freistellung darauf, daß der Betriebsratsvorsitzende, der innerhalb eines Teams Patienten in einer Wohngemeinschaft zu betreuen habe, nicht jeden Kontakt zu seinen Patienten verlieren wolle. Zudem sei er für 27 Betriebsstätten zuständig. Zur ordnungsgemäßen Erledigung der dort anfallenden Betriebsratsaufgaben bedürfe es einer Aufteilung der gesetzlichen Freistellung. Schließlich führe eine starre Anwendung der gesetzlichen Mindestfreistellung zu einer mittelbaren Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Frauen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde des beteiligten Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und den Antrag abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin. Der beteiligte Betriebsrat hat die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der beteiligte Betriebsrat berechtigt ist, die Aufteilung einer ihm zustehenden Mindestfreistellung auf mehrere seiner Mitglieder zu beschließen.
I. Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig.
1. Der Antrag genügt den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Es geht der Arbeitgeberin um die Klärung der Frage, ob sie aufgrund konkreter Betriebsratsbeschlüsse verpflichtet ist, neben dem Betriebsratsvorsitzenden ein weiteres Betriebsratsmitglied in zeitlich begrenztem Umfang zusätzlich freizustellen. In diesem Sinne haben die Vorinstanzen den Antrag auch verstanden, ohne daß die Arbeitgeberin Einwendungen dagegen erhoben hätte.
2. Für den Antrag fehlt es nicht an dem von § 256 ZPO geforderten Feststellungsinteresse. Wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben, erstrebt die Arbeitgeberin die Klärung der Frage, ob sie verpflichtet sei, mehr als ein Betriebsratsmitglied teilweise von der Pflicht zur Arbeitsleistung freizustellen, obwohl die Mindeststaffel nach § 38 Abs. 1 BetrVG nur die vollständige Freistellung eines Betriebsratsmitglieds vorsieht, jedoch die vom Betriebsrat erstrebten Freistellungen in ihrer Gesamtheit das Arbeitszeitvolumen eines vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds nicht überschreiten. Zu dieser Frage bestehen unterschiedliche Auffassungen der Beteiligten und damit eine unklare betriebsverfassungsrechtliche Rechtslage, die durch eine Entscheidung im vorliegenden Beschlußverfahren abschließend geklärt werden kann.
II. Der Antrag der Arbeitgeberin ist unbegründet.
1. Im Ergebnis zu Recht hat das Landesarbeitsgericht den Antrag nicht schon deswegen abgewiesen, weil die Arbeitgeberin davon abgesehen hat, das Einigungsstellenverfahren nach § 38 Abs. 2 Satz 6 BetrVG durchzuführen.
a) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts berührt die unterbliebene Durchführung des Einigungsstellenverfahrens nicht die Zulässigkeit des vorliegenden Feststellungsantrages. Nach § 38 Abs. 2 Satz 6 BetrVG hat der Arbeitgeber die Einigungsstelle anzurufen, soweit er eine Freistellung i.S.v. § 38 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BetrVG für sachlich nicht vertretbar hält. Sieht er innerhalb der Ausschlußfrist des § 38 Abs. 2 Satz 6 BetrVG von der Anrufung der Einigungsstelle ab, wird sein Einverständnis mit der fraglichen Freistellung fingiert (Wiese, GK-BetrVG, 5. Aufl., § 38 Rz 48, 55; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 38 Rz 33). Die Freistellung wird für die Beteiligten bindend und gestaltet das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis der Betriebsparteien mit der Folge, daß das betroffene Betriebsratsmitglied von seiner beruflichen Tätigkeit freizustellen ist. Ein Streit über die Rechtsfolgen einer unterbliebenen Anrufung betrifft deshalb die Begründetheit eines entsprechenden Feststellungsantrags und nicht seine Zulässigkeit.
b) Die Arbeitgeberin war zur Vermeidung von Rechtsnachteilen ohnehin nicht gehalten, die Einigungsstelle anzurufen. Die Entscheidungskompetenz des Betriebsrats nach § 38 Abs. 2 BetrVG bezieht sich auf die personelle Auswahl der nach § 38 Abs. 1 BetrVG freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Diese Vorschrift berechtigt ihn nicht dazu, ohne Einverständnis mit dem Arbeitgeber abweichend von der Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG die Freistellung einer größeren Zahl seiner Mitglieder zu beschließen (st. Rspr. BAG Beschluß vom 26. Juli 1989, BAGE 63, 1, 6 = AP Nr. 10 zu § 38 BetrVG 1972, zu B I 2 der Gründe, m.w.N.). Der Betriebsrat ist lediglich befugt, darüber zu befinden, welches seiner Mitglieder die pauschalierte Freistellung in Anspruch nehmen kann, wodurch ein konkreter Nachweis der Erforderlichkeit einer Arbeitsbefreiung zur Erledigung von Betriebsratsaufgaben entbehrlich wird. Die Beschränkung der Betriebsratsbefugnisse auf eine personenbezogene Auswahlkompetenz ist auch für die Entscheidungsbefugnis der Einigungsstelle maßgebend. Sie kann mit bindender Wirkung zwar über die Person, nicht aber über die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder entscheiden (BAG Beschluß vom 9. Oktober 1973 – 1 ABR 29/73 – AP Nr. 3 zu § 38 BetrVG 1972; Wiese, aaO, § 38 Rz 53; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 38 Rz 62; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 38 Rz 40).
2. Der Betriebsrat war berechtigt, die Freistellung eines weiteren Mitglieds im Umfang von 15 Wochenstunden zu beschließen. Dazu muß er sich bei Fehlen einer tarifvertraglichen Regelung nicht auf den Abschluß einer Betriebsvereinbarung verweisen lassen. Die Voraussetzungen einer weiteren ständigen, zeitlich begrenzten Teilfreistellung eines seiner Mitglieder nach § 37 Abs. 2 BetrVG hat der Betriebsrat hinreichend dargetan. Daher bedarf es keiner Entscheidung, ob ein entsprechendes Freistellungsbegehren seine Rechtsgrundlage auch in § 38 Abs. 1 BetrVG finden könnte.
a) Eine von der Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG abweichende Befreiung von der Arbeitspflicht läßt sich jedenfalls auf § 37 Abs. 2 BetrVG stützen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Voraussetzung für die ständige und zusätzliche Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds ist, daß nach Art und Umfang des Betriebes die zusätzliche Freistellung zur ordnungsgemäßen Durchführung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben erforderlich ist (BAG Beschluß vom 26. Juli 1989, aaO, zu B I 2 der Gründe; BAG Beschluß vom 13. November 1991, BAGE 69, 34, 38 = AP Nr. 80 zu § 37 BetrVG 1972, zu B II 1 der Gründe, m.w.N.). Eine derartige Regelung ist entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht allein einer tariflichen oder betrieblichen Vereinbarung vorbehalten. Zwar eröffnet § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Möglichkeit, anstelle der gesetzlichen eine anderweitige pauschalierte Freistellung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung festzulegen. Davon betroffen ist auch eine Regelung, die anstelle einer völligen Freistellung die teilweise Freistellung mehrerer Betriebsratsmitglieder vorsieht (Wiese, aaO, § 38 Rz 25; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 38 Rz 23). Doch regelt die Vorschrift des § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht abschließend die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern. Vielmehr enthält die Staffel des § 38 Abs. 1 BetrVG schon ihrem Wortlaut nach nur Mindestzahlen, die entsprechend einer konkreten betriebs- oder betriebsratsbezogenen Bedarfslage einer Erweiterung zugänglich sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist § 38 Abs. 1 BetrVG eine Sonderregelung der im übrigen in § 37 Abs. 2 BetrVG geregelten Arbeitsbefreiung, die unabhängig vom Willen des Arbeitgebers oder der Tarifvertragsparteien dem Betriebsrat eine gerichtlich überprüfbare Entscheidungskompetenz hinsichtlich des Umfangs erforderlicher Freistellungen für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben zuweist (BAG Beschlüsse vom 26. Juli 1989, aaO, und 13. November 1991, aaO, jeweils m.w.N.).
Die ständige Senatsrechtsprechung, nach der ein Betriebsrat von dem Arbeitgeber außerhalb der Regelung des § 38 BetrVG auf der Grundlage von § 37 Abs. 2 BetrVG verlangen kann, eines oder mehrere seiner Mitglieder dauerhaft von der Arbeitspflicht zu befreien, ist in der betriebsverfassungsrechtlichen Literatur ganz überwiegend auf Zustimmung gestoßen (Wiese, aaO, § 38 Rz 13, 21; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 38 Rz 15; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 5. Aufl., § 38 Rz 11; vgl. die Zusammenstellung bei Boemke, Anm. zu AP Nr. 80 zu § 37 BetrVG 1972, unter Punkt I 2b). Sie hat aber auch Kritik erfahren, weil Anspruchsgrundlage eines pauschalierten Freistellungsbegehrens des Betriebsrats nur § 38 Abs. 1 BetrVG sein könne, diese Vorschrift eine Freistellung abschließend regele und Abweichungen nur aufgrund kollektivrechtlicher Regelungen zulasse (vgl. Boemke, aaO). Diese Ansicht läßt jedoch nicht nur die maßgeblichen gesetzessystematischen Zusammenhänge außeracht (BAG Beschluß vom 13. November 1991, aaO), sondern übersieht auch, daß § 37 Abs. 2 BetrVG nur die Voraussetzungen einer Arbeitsbefreiung, nicht aber den Kreis der Anspruchsberechtigten bestimmt. Dieser Anspruch kann daher sowohl dem einzelnen Betriebsratsmitglied als auch dem Betriebsrat nach entsprechender Beschlußfassung zustehen (Wiese, aaO, § 37 Rz 46, § 38 Rz 17).
b) In der Entscheidung vom 26. Juli 1989 (aaO) hat der Senat das Recht des Betriebsrats anerkannt, eine zusätzliche, die Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG übersteigende Freistellung zu beschließen. Diesen Rechtsgrundsatz hat der Senat in seiner Entscheidung vom 13. November 1991 (aaO) auch auf den Fall einer ständigen Freistellung eines Betriebsratsmitglieds in Betrieben mit regelmäßig weniger als 300 Beschäftigten angewandt. In den bisher entschiedenen Fällen hat der Senat vom Betriebsrat verlangt darzulegen, daß für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben die konkrete Arbeitsbefreiung eines oder mehrerer seiner Mitglieder nach § 37 Abs. 2 BetrVG nicht ausreichend ist und die pauschalierte Freistellung eines Betriebsratsmiglieds für die restliche Dauer der Wahlperiode erfordert.
Die für die staffelübergreifende Freistellung bzw. für die pauschalierte Freistellung von Betriebsratsmitgliedern in Betrieben unterhalb des Eingangsschwellenwertes des § 38 Abs. 1 BetrVG entwickelten Darlegungsgrundsätze können nicht uneingeschränkt auf die Teilfreistellung mehrerer Betriebsratsmitglieder anstelle einer staffelgemäßen vollen Freistellung übertragen werden. Der Gesetzgeber ist bei der Aufstellung der Mindeststaffel von der Freistellung eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers ausgegangen. Das ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien. In § 38 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. VI/1786, S. 9) war zunächst eine nach Betriebsgröße gestaffelte stundenweise Arbeitsbefreiung vorgesehen, die sich in Betrieben mit 151 – 300 Beschäftigten auf 24 Arbeitsstunden belaufen sollte. Erst ab einer Betriebsgröße von mehr als 300 Beschäftigten sollte ein personenbezogener Richtwert eingeführt werden. Diese Regelung ist jedoch aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht Gesetz geworden (zu BT-Drucks. VI/2729, S. 24). Zwar hat der Gesetzgeber die personenbezogenen Richtwerte ab einer Betriebsgröße von mehr als 300 Beschäftigten übernommen, jedoch den Betriebsrat in kleineren Betrieben auf die Inanspruchnahme der Arbeitsbefreiung aus konkretem Anlaß nach Maßgabe des § 37 Abs. 2 BetrVG oder den Abschluß einer kollektivrechtlichen Regelung mit dem Arbeitgeber nach § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG verwiesen. Daraus läßt sich schließen, daß der Gesetzgeber bei einer Betriebsgröße von mehr als 300 Arbeitnehmern von einer zeitlichen Inanspruchnahme für erforderliche Betriebsratstätigkeit im Umfang eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers ausgegangen ist (BAG Urteil vom 31. Mai 1989 – 7 AZR 277/88 – AP Nr. 9 zu § 38 BetrVG 1972 zu 3 der Gründe; LAG Düsseldorf, LAGE § 38 BetrVG Nr. 4; Wiese, aaO, § 38 Rz 12; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 38 Rz 11). In diesem Umfang wird von Gesetzes wegen vermutet, daß regelmäßig im Verlauf der gesamten Amtsperiode ein entsprechendes Maß an erforderlicher Betriebsratstätigkeit anfällt (vgl. BAG Beschluß vom 31. Mai 1989, aaO). Das hat Auswirkungen auf den Tatsachenvortrag des Betriebsrats zur Erforderlichkeit der Arbeitsbefreiung. Soweit er durch die von ihm beabsichtigte Aufteilung einer Vollzeitfreistellung auf mehrere seiner Mitglieder innerhalb des Arbeitszeitvolumens eines Vollzeitbeschäftigten bleibt, muß er die Erforderlichkeit des zeitlichen Umfangs der weiteren Freistellung bezogen auf den Rest der Amtsperiode nicht mehr darlegen. Sie ergibt sich nach Umfang und Dauer aus der gesetzlichen Vermutung, die der Mindeststaffel zugrunde liegt.
c) Daraus folgt jedoch nicht, daß der Betriebsrat von jeder Darlegungspflicht befreit wäre. Die zusätzliche Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds ohne Überschreiten eines sich aus der Staffel des § 38 Abs. 1 BetrVG ergebenden Zeitvolumens ist betriebsorganisatorisch nicht neutral. Eine im zeitlichen Umfang begrenzte, gleichwohl laufende Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds kann den Arbeitgeber bei der Arbeitseinteilung vor weitere Probleme stellen. Sie kann von ihm einen höheren organisatorischen ggf. auch personellen Aufwand verlangen, um die ständig ausfallende Arbeitszeit eines weiteren Betriebsratsmitglieds zu überbrücken. Die so umschriebenen betrieblichen Belange muß der Betriebsrat bei seiner Beschlußfassung wie auch sonst im Rahmen des § 37 Abs. 2 BetrVG berücksichtigen (BAG Urteil vom 15. März 1995 – 7 ABR 643/94 – AP Nr. 105 zu § 37 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt, zu II 1b der Gründe, m.w.N.). Das wirkt sich auf Inhalt und Umfang seiner Darlegungspflicht aus. Der Betriebsrat hat vorzutragen, daß die Aufteilung der Vollzeitfreistellung auf mehrere seiner Mitglieder in dem von ihm beschlossenen Umfang zur ordnungsgemäßen Erledigung seiner Aufgaben erforderlich ist.
d) Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht nicht verkannt. Seine Würdigung, wonach vorliegend die Aufteilung einer Vollzeitfreistellung in unterschiedlichem zeitlichen Umfang auf zwei Betriebsratsmitglieder angesichts der besonderen Verhältnisse im Betrieb und im Betriebsrat für die Erledigung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben erforderlich war, ist nicht zu beanstanden. Auch die Rechtsbeschwerde zeigt weder eine Verkennung von Rechtsbegriffen noch das Vorliegen von Abwägungsfehlern oder -defiziten bei der Würdigung aller Einzelfallumstände auf. Zur Erforderlichkeit der Aufteilung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, der Betriebsrat sei verpflichtet, die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben sicherzustellen. Dazu habe er die Freistellungen nach § 38 Abs. 1 BetrVG auszuschöpfen. Sei er daran gehindert, weil für die von ihm als geeignet angesehenen Betriebsratsmitglieder zur Vermeidung besonderer beruflicher Nachteile, die über § 38 Abs. 4 BetrVG nicht ausgeglichen werden können, eine Vollzeitfreistellung nicht in Betracht komme, sei eine Aufteilung der Freistellung möglich, soweit damit keine besonderen unzumutbaren organisatorischen Belastungen der Arbeitgeberin verbunden seien. Diese Belastungen habe jedoch die Arbeitgeberin darzulegen.
Dagegen wendet die Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf § 286 ZPO im wesentlichen ein, das Landesarbeitsgericht habe verkannt, daß die Darlegung eines gesteigerten und unzumutbaren Organisationsaufwandes Sache des Betriebsrats und nicht des Arbeitgebers sei. Dieser Einwand vermag der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Wie bei der Darlegung zum Nachweis der Erforderlichkeit der Arbeitsbefreiung aus konkretem Anlaß (BAG Beschluß vom 15. März 1995, aaO, zu II 1c der Gründe, m.w.N.) ist auch bei der Darlegung der Erforderlichkeit einer Freistellungsaufteilung von einer abgestuften Mitwirkung der Betriebsparteien auszugehen. Betriebliche Belange, die der Betriebsrat bei seiner Beschlußfassung zu berücksichtigen hat, kann er nur beachten, soweit sie ihm bekannt oder offenkundig sind. Fehlt es daran, kann er davon ausgehen, daß dem Arbeitgeber durch die Aufteilung der Freistellung kein höherer Organisationsaufwand entsteht als derjenige, der ohnehin aus Anlaß einer Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG zu bewältigen ist. Ob und ggf. welche organisatorischen Maßnahmen der Arbeitgeber zur Überbrückung eines ständigen Arbeitsausfalls eines Betriebsratsmitglieds durchführt oder durchführen will, entzieht sich als unternehmerische Entscheidung zunächst der Beurteilung des Betriebsrats. Ohne einen konkreten Hinweis des Arbeitsgebers kann der Betriebsrat die durch seinen Beschluß ausgelösten besonderen betrieblichen Belange nicht berücksichtigen. Daher ist der Arbeitgeber gehalten, eine Organisationsproblematik von besonderem Gewicht zu beschreiben, die einer Aufteilung der Freistellung in der vom Betriebsrat gewünschten Form aus der Sicht eines vernünftigen Dritten entgegensteht. In diesem Umfang trifft auch den Arbeitgeber eine prozessuale Mitwirkungspflicht (§ 138 ZPO).
Dieser Mitwirkungspflicht ist die Arbeitgeberin vorliegend nicht nachgekommen. Sie hat sich jeder Angabe darüber enthalten, welche konkreten organisatorischen Gründe einer Aufteilung entgegenstehen. Erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren verweist sie auf einen doppelten Organisationsaufwand bei der Arbeitsaufteilung und Urlaubsplanung. Abgesehen davon, daß es sich um unbeachtliches neues Tatsachenvorbringen handelt, wird daraus ein unzumutbarer Organisationsaufwand gegenüber einem ansonsten im Rahmen des § 37 Abs. 2 BetrVG ohnehin zu leistenden Aufwand nicht ersichtlich. Im Hinblick darauf war die Vorinstanz auch nicht zu einer weiteren Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts verpflichtet. Bei verständiger Würdigung des bisherigen Vorbringens der Arbeitgeberin mußte sich dem Landesarbeitsgericht kein weiterer Aufklärungsbedarf aufdrängen.
3. Der Hinweis des Betriebsrats, die von ihm vorgenommene Freistellungsaufteilung vermeide eine mittelbare Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Frauen bei der Ausübung eines betriebsverfassungsrechtlichen Amtes, ist unbeachtlich. Diese Motivlage war für die vorliegende Freistellungsaufteilung auf den Betriebsratsvorsitzenden und seinen Stellvertreter nicht ausschlaggebend. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Betriebsrats, abstrakte Rechtsfragen zu klären, die in keinem Zusammemhang mit den für die Beschlußfassung entscheidenden betrieblichen oder betriebsratsbezogenen Verhältnissen stehen.
Unterschriften
Steckhan, Düwell, Schmidt, Peter Haeusgen, G. Metzinger
Fundstellen
Haufe-Index 884839 |
BAGE, 234 |
BB 1996, 2356 |
NZA 1997, 58 |
SAE 1998, 118 |
MDR 1997, 69 |