Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahlrecht von Rehabilitanden zur Schwerbehindertenvertretung
Leitsatz (amtlich)
Schwerbehinderte, die an Maßnahmen zur Rehabilitation in einem privatwirtschaftlichen Berufsbildungswerk teilnehmen, sind bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung wahlberechtigt.
Normenkette
SchwbG § 24 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 22. September 1999 – 14 TaBV 1030/99 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über die Wahlberechtigung von schwerbehinderten Rehabilitanden zur Schwerbehindertenvertretung und über die Wirksamkeit einer unter Beteiligung der schwerbehinderten Rehabilitanden durchgeführten Wahl.
Der Arbeitgeber betreibt in Berlin ein Berufsbildungswerk. Von den dort beschäftigten 196 Arbeitnehmern haben 20 einen Grad der Behinderung von 50 und mehr. In dem Berufsbildungswerk wurden im November 1998 461 behinderte Jugendliche in verschiedenen Ausbildungsbereichen beruflich gefördert und ausgebildet. Die Rehabilitationsmaßnahmen werden überwiegend von der Bundesanstalt für Arbeit finanziert. Der Arbeitgeber erledigt unter Einsatz der Rehabilitanden aber auch Aufträge der Privatwirtschaft. 200 der Rehabilitanden haben einen Grad der Behinderung von 50 und mehr. An der am 4./5. November 1998 durchgeführten Wahl einer Schwerbehindertenvertretung beteiligte der Wahlvorstand neben den schwerbehinderten Arbeitnehmern auch die schwerbehinderten Rehabilitanden. Bei der Wahl wurden die Beteiligte zu 2) als Vertrauensfrau der Schwerbehinderten und die Beteiligten zu 3) und 4) als Stellvertreter gewählt. Das Wahlergebnis wurde am 5. November 1998 bekannt gemacht.
Mit einem am 10. November 1998 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Arbeitgeber die Wahl angefochten und die Feststellung begehrt, die Rehabilitanden seien bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung nicht wahlberechtigt. Rehabilitanden seien keine im Betrieb beschäftigte Schwerbehinderte. Beschäftigt iSv. § 24 Abs. 2 SchwbG seien nur die Schwerbehinderten, die einen Arbeitsplatz iSv. § 7 SchwbG innehätten.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
- festzustellen, daß die Rehabilitanden im A. Berlin für die Wahl zur Vertrauensfrau/mann der Schwerbehinderten des Betriebes nicht wahlberechtigt sind,
- die Wahl der Schwerbehindertenvertretung (Vertrauensfrau sowie 1. Stellvertreterin und 2. Stellvertreter) im A. Berlin vom 4./5. November 1998 für unwirksam zu erklären.
Die Beteiligten zu 2) bis 4) haben beantragt,
die Anträge abzuweisen.
Sie haben die Auffassung vertreten, schwerbehinderte Rehabilitanden seien bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung wahlberechtigt.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Arbeitgebers zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber seine Anträge weiter. Die Beteiligten zu 2) bis 4) beantragen die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge zu Recht als unbegründet abgewiesen.
I. Der auf die Feststellung des fehlenden aktiven Wahlrechts der Rehabilitanden zur Schwerbehindertenvertretung gerichtete Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Wie die im Interesse einer Sachentscheidung gebotene Auslegung ergibt, ist der Antrag nicht auf die Feststellung des Nichtbestehens des aktiven Wahlrechts bestimmter einzelner Personen gerichtet. Vielmehr will der Arbeitgeber gerichtlich festgestellt wissen, ob die Gruppe der schwerbehinderten Rehabilitanden unabhängig von der jeweiligen genauen Anzahl und Zusammensetzung zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung wahlberechtigt ist(vgl. zu einem derartigen Antrag auch BAG 17. Oktober 1990 – 7 ABR 66/89 – nv.; 22. März 2000 – 7 ABR 34/98 – AP AÜG § 14 Nr. 8 = EzA AÜG § 14 Nr. 4, zu B II 1 der Gründe).
b) Der so verstandene Antrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Bezeichnung (schwerbehinderte) „Rehabilitanden” ist ausreichend, um den Personenkreis zuverlässig abzugrenzen(vgl. zu diesem Erfordernis BAG 17. Oktober 1990 – 7 ABR 66/89 – nv., zu B I der Gründe; 22. März 2000 – 7 ABR 34/98 – AP AÜG § 14 Nr. 8 = EzA AÜG § 14 Nr. 4, zu B II 1 der Gründe).
c) Das aktive Wahlrecht der Rehabilitanden kann als Rechtsverhältnis im Sinne des im Beschlußverfahren entsprechend anwendbaren, im Interesse der Klärung streitiger kollektivrechtlicher Fragen weit auszulegenden § 256 Abs. 1 ZPO angesehen werden(vgl. hierzu auch BAG 22. März 2000 – 7 ABR 34/98 – aaO, zu B II 1 der Gründe). Das erforderliche rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung ist gegeben. Die Frage der Wahlberechtigung der schwerbehinderten Rehabilitanden ist auch für künftige Wahlen der Schwerbehindertenvertretung im Betrieb des Arbeitgebers von Bedeutung(vgl. hierzu auch BAG 17. Oktober 1990 – 7 ABR 66/89 – nv., zu B III der Gründe). Hieran hat sich weder durch das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter (SchwbBAG) vom 29. September 2000(BGBl. I S 1394) noch durch das zum 1. Juli 2001 in Kraft tretende SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen –(BGBl. I S 1046) etwas geändert.
d) Eine Beteiligung der einzelnen Rehabilitanden am Verfahren war nicht erforderlich. Wenn in einem Beschlußverfahren der arbeitsrechtliche Status einer nach abstrakten Merkmalen abgegrenzten Personengruppe generell geklärt werden soll, müssen die einzelnen zu dieser Gruppe gehörenden Personen nicht beteiligt werden(BAG 10. Februar 1981 – 6 ABR 86/78 – BAGE 35, 59 ff. = AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 25, zu II 3 der Gründe; 17. Oktober 1990 – 7 ABR 66/89 – nv., zu B II der Gründe; 22. März 2000 – 7 ABR 34/98 – aaO, zu B II 1 der Gründe).
2. Der Antrag ist unbegründet. Wie die Vorinstanzen zu Recht entschieden haben, sind die schwerbehinderten Rehabilitanden im Betrieb des Arbeitgebers bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung wahlberechtigt. Sie sind im Betrieb beschäftigte Schwerbehinderte iSv. § 24 Abs. 2 SchwbG (ab 1. Juli 2001 § 94 Abs. 2 SGB IX).
a) Nach einhelliger Auffassung im Schrifttum sind wahlberechtigt nach § 24 Abs. 2 SchwbG ohne sonstige Voraussetzungen sämtliche im Betrieb beschäftigte Schwerbehinderte. Für das aktive Wahlrecht zur Schwerbehindertenvertretung komme es weder auf das Alter, noch auf die Betriebszugehörigkeit, noch auf die Stellung im Betrieb an. Wahlberechtigt seien daher zB auch leitende Angestellte iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG. Ebensowenig sei die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz erforderlich. Auch Schwerbehinderte, die an Maßnahmen zur Rehabilitation teilnehmen, seien deshalb Beschäftigte iSv. § 24 Abs. 2 SchwbG(Cramer SchwbG 5. Aufl. § 24 Rn. 10; Neumann/Pahlen SchwbG 9. Aufl. § 24 Rn. 23, 24; GK-SchwbG/Schimanski 2. Aufl. § 24 Rn. 46; ErfK/Steinmeyer 2. Aufl. SchwbG §§ 23 bis 29 Rn. 7; Weber SchwbG § 24 Anm. 7; Wiegand SchwbG § 24 Rn. 40).
b) Diese Auffassung ist zutreffend. Sie entspricht dem Wortlaut des § 24 Abs. 2 SchwbG, dem systematischen Zusammenhang, Sinn und Zweck der Vorschrift und der Gesetzesgeschichte.
aa) Schon der Wortlaut des § 24 Abs. 2 SchwbG spricht dafür, schwerbehinderte Personen, die im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme unter entsprechender Anleitung eine wie auch immer geartete Tätigkeit in einem Betrieb entfalten, als wahlberechtigt iSv. § 24 Abs. 2 SchwbG anzusehen. Der Begriff „Beschäftigung”, bzw. „beschäftigt sein” ist weiter als der Begriff der Arbeit. Nach Wahrig(Deutsches Wörterbuch 6. Aufl. S 273) bedeutet Beschäftigung „Beruf, Arbeit, Betätigung, Tätigkeit, Zeitvertreib”. Arbeit ist daher nur ein Fall der Beschäftigung. Ebensowenig ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein Arbeitsverhältnis oder ein Arbeitsplatz notwendige Voraussetzung, um beschäftigt zu sein.
bb) Vor allem die Gesetzessystematik zeigt, daß der Begriff der „Beschäftigung” in § 24 Abs. 2 SchwbG in weitem Sinne verwendet wird und einen Arbeitsplatz nicht voraussetzt.
(1) Besonders deutlich wird dies an § 7 Abs. 2 SchwbG. Danach gelten als Arbeitsplätze nicht die Stellen, auf denen die in § 7 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 genannten Personengruppen „beschäftigt” werden. Hieraus folgt, daß ein Arbeitsplatz im Sinne des Schwerbehindertengesetzes keine Voraussetzung dafür ist, „beschäftigt” zu sein. § 7 Abs. 2 Nr. 1 SchwbG betrifft sogar ausdrücklich Stellen, auf denen Behinderte „beschäftigt” werden, die an Maßnahmen zur Rehabilitation teilnehmen.
(2) Auch der Umstand, daß der Umfang der in § 5 Abs. 1 SchwbG normierten Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers von der Zahl der Arbeitsplätze iSv. § 7 Abs. 1 SchwbG abhängt, rechtfertigt entgegen der Auffassung des Arbeitgebers nicht den Schluß, Rehabilitanden seien nicht iSv. § 24 Abs. 2 SchwbG „beschäftigt”. Vielmehr ergibt sich umgekehrt aus § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchwbG iVm. § 7 Abs. 2 Nr. 1 SchwbG, daß die Beschäftigung von Rehabilitanden sogar ausreichend zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers ist.
(3) Schließlich spricht auch § 24 Abs. 3 SchwbG dafür, den Kreis der „beschäftigten Schwerbehinderten” iSv. § 24 Abs. 2 SchwbG in weitem Sinn zu verstehen. Diese die Wählbarkeit zur Schwerbehindertenvertretung regelnde Bestimmung erweitert zum einen den Kreis der wählbaren Personen insoweit, als die Schwerbehinderung keine Voraussetzung des passiven Wahlrechts ist. Zum anderen wird aber der Kreis der wählbaren Personen ua. dadurch eingeschränkt, daß nach § 24 Abs. 3 Satz 2 SchwbG nicht wählbar ist, wer kraft Gesetzes dem Betriebsrat nicht angehören kann. Dies hat ua. zur Folge, daß Rehabilitanden in reinen Berufsausbildungswerken für die Schwerbehindertenvertretung nicht wählbar sind, denn sie sind nach der neueren Senatsrechtsprechung keine zum Betriebsrat, bzw. zur Jugend- und Auszubildendenvertretung wählbaren Arbeitnehmer iSv. § 5 Abs. 1, § 60 Abs. 1 BetrVG(BAG 26. Januar 1994 – 7 ABR 13/92 – BAGE 75, 312 ff. = AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 54; 20. März 1996 – 7 ABR 46/95 – AP BetrVG 1972 § 5 Ausbildung Nr. 9 = EzA BetrVG 1972 § 5 Nr. 59). Zugleich wird aber deutlich, daß der Gesetzgeber unter der Gruppe der Schwerbehinderten den Kreis der nach § 24 Abs. 2 SchwbG aktiv Wahlberechtigten weiter zieht als den Kreis der passiv Wählbaren.
cc) Sinn und Zweck der Regelung sprechen ebenfalls für die Wahlberechtigung der schwerbehinderten Rehabilitanden. Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung ist nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SchwbG, die Eingliederung Schwerbehinderter in den Betrieb oder die Dienststelle zu fördern, die Interessen der Schwerbehinderten in dem Betrieb zu vertreten und ihnen beratend und helfend zur Seite zu stehen. Der Gesetzgeber beschränkt die Schwerbehindertenvertretung also nicht auf die Interessenwahrung der schwerbehinderten Arbeitnehmer, sondern erstreckt sie auf die Vertretung der Interessen aller Schwerbehinderten in dem Betrieb. Zu diesen gehören auch die Rehabilitanden. Aus Gründen demokratischer Legitimation ist es daher angezeigt, den Rehabilitanden das aktive Wahlrecht zu dem Organ zuzuerkennen, das ihre besonderen Interessen als Schwerbehinderte wahrzunehmen hat.
dd) Schließlich spricht auch die Gesetzesgeschichte dafür, das Wahlrecht nicht auf die Beschäftigten zu beschränken, die Inhaber eines Arbeitsplatzes im Sinne des Schwerbehindertengesetzes sind. § 13 Abs. 2 des Schwerbeschädigtengesetzes in der Fassung vom 14. August 1961(BGBl. I S 1234 ff.) lautete: „Sofern in einem Betrieb oder einer Dienststelle wenigstens fünf Schwerbeschädigte auf Arbeitsplätzen im Sinne des § 5 nicht nur vorübergehend beschäftigt sind, haben sie zur Vertretung ihrer Interessen einen Vertrauensmann und wenigstens einen Stellvertreter zu wählen, die Schwerbeschädigte sein sollen”. Arbeitsplätze iSv. § 5 Schwerbeschädigtengesetz 1961 waren „alle Stellen, auf denen Arbeiter und Angestellte beschäftigt sind, sowie auch die Beamtenstellen”. Voraussetzung des aktiven Wahlrechts war also, daß die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz iSv. § 5 Schwerbeschädigtengesetz 1961 erfolgte. Genau dieses Merkmal entfiel mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts vom 24. April 1974(BGBl. I S 981). Anhaltspunkte für die Annahme, es habe sich hierbei lediglich um ein Redaktionsversehen gehandelt, sind nicht ersichtlich. Vielmehr rechtfertigt diese Gesetzesgeschichte den (Umkehr-)Schluß, daß nunmehr auch Schwerbehinderte, deren Beschäftigung im Betrieb nicht auf einem Arbeitsplatz erfolgt, zur Schwerbehindertenvertretung wahlberechtigt sein sollen.
II. Unbegründet ist auch der zulässige Wahlanfechtungsantrag.
Nach dem sinngemäß anwendbaren § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, daß durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflußt werden konnte. Die gerügte Beteiligung der Rehabilitanden an der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung ist – wie ausgeführt – kein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften des Wahlrechts. Andere Wahlanfechtungsgründe sind weder behauptet noch erkennbar.
Unterschriften
Dörner, Linsenmaier zugleich für den wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung verhinderten Richter Dr. Steckhan, Hökenschnieder, Dr. Koch
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 27.06.2001 durch Schiege, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 637687 |
BAGE, 151 |
BB 2001, 2654 |
DB 2002, 277 |
NWB 2001, 2586 |
ARST 2001, 262 |
ARST 2002, 84 |
FA 2001, 282 |
FA 2001, 345 |
FA 2002, 19 |
NZA 2002, 50 |
SAE 2002, 328 |
ZTR 2002, 48 |
ZfPR 2002, 81 |
br 2001, 203 |
AuS 2001, 58 |