Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats bei Einstellung
Leitsatz (redaktionell)
Der Betriebsrat kann die Zustimmung zur Einstellung eines Arbeitnehmers mit einer Wochenarbeitszeit von weniger als 20 Stunden verweigern, wenn ein Tarifvertrag die Beschäftigung von Arbeitnehmern mit einer Arbeitszeit von weniger als 20 Stunden untersagt.
Orientierungssatz
Auslegung des § 3 Abs 3 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen vom 6.7.1990.
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 09.04.1991; Aktenzeichen 8 TaBV 5/91) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.11.1990; Aktenzeichen 2 BV 124/90) |
Gründe
A. Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur Einstellung von fünf weiblichen Teilzeitkräften mit regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit unter 20 Stunden.
Der antragstellende Arbeitgeber betreibt bundesweit zahlreiche Einzelhandelswarenhäuser, unter anderem in D . In diesem Warenhaus sind 450 festangestellte Mitarbeiter und 50 Aushilfen im Verkauf beschäftigt. Der Arbeitgeber hat dort sog. lange Donnerstage eingeführt, an denen von 9.00 bis 20.30 Uhr geöffnet ist.
Mit Schreiben vom 30. August 1990 beantragte der Arbeitgeber beim Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung von fünf weiblichen Teilzeitkräften im Verkauf. Diese sollten wöchentlich weniger als 20 Stunden arbeiten und zwar jeweils donnerstags ab 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr bzw. 14.00 Uhr und samstags, wobei teilweise zwischen "langen" und "kurzen" Samstagen unterschieden wurde.
Der Betriebsrat lehnte die Einstellungen mit der Begründung ab, Einstellungen für weniger als 20 Stunden widersprächen § 3 Abs. 3 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1990 (künftig: MTV), außerdem würden Frauen durch diese Art von Arbeitsverhältnissen diskriminiert.
§ 3 Abs. 3 MTV lautet:
"Die Arbeitszeit soll wöchentlich mindestens 20
Stunden und am Tag mindestens 4 Stunden betragen
und auf höchstens 5 Tage pro Woche verteilt wer-
den. Hiervon kann abgewichen werden, wenn der Ar-
beitnehmer dies wünscht oder betriebliche Belange
(z.B. Schließdienst, Hausreinigung, Inventur und
...) dies erfordern. Mit Zustimmung des Betriebs-
rats sowie einzelvertraglich in Betrieben ohne
Betriebsrat kann die Arbeitszeit auf 6 Tage ver-
teilt werden."
Mit Schriftsatz vom 18. September 1990 hat der Arbeitgeber das vorliegende Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet. Er meint, die Zustimmung sei zu ersetzen. Der Betriebsrat berufe sich nicht darauf, daß die Einstellung selbst, sondern nur die vereinbarte Wochenarbeitszeit tarifwidrig sei. Im übrigen verstießen die Einstellungen nicht gegen § 3 Abs. 3 MTV, da es sich hierbei um eine Sollvorschrift handele, von der aus betrieblichen Gründen abgewichen werden könne. Solche Gründe erforderten jedoch die Einstellung von Teilzeitkräften, da an den langen Donnerstagen im wöchentlichen Schichtwechsel (9.00 Uhr bis 18.35 Uhr und 12.45 Uhr bis 20.35 Uhr)gearbeitet werde, was zu einer dramatischen Unterbesetzung am Donnerstagvormittag wie auch am Donnerstagabend führe.
Der Arbeitgeber hat daher beantragt,
die Zustimmung des Betriebsrats zur geplanten
Einstellung der Teilzeitkräfte Ruth B , Christa
Ba , Eva Maria S , Rosemarie G und Wal-
traud N zum 20. 9. 1990 zu ersetzen.
Der Betriebsrat hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung hat er vorgetragen, sein Widerspruch richte sich nicht nur gegen einzelne Bestimmungen des Arbeitsvertrages, beispielsweise gegen die Arbeitszeitregelung, sondern gegen die Einstellung als solche. Nach Sinn und Zweck der tariflichen Regelung solle Teilzeitarbeit grundsätzlich 20 Stunden wöchentlich bzw. vier Stunden täglich nicht unterschreiten. Ausnahmen lasse der Tarifvertrag nur zu, wenn die Art der Tätigkeit selbst eine kürzere Arbeitszeit zwingend erfordere. Die Tarifvertragsparteien hätten verhindern wollen, daß Arbeitnehmer nur für den langen Donnerstag eingestellt würden.
Das Arbeitsgericht hat die vom Arbeitgeber begehrte Zustimmung ersetzt. Das Landesarbeitsgericht hat die gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Betriebsrat weiterhin die Abweisung des Antrags erreichen, während der Arbeitgeber um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde bittet.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Beschlußsache an das Landesarbeitsgericht. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann die Zustimmung des Betriebsrats nicht ersetzt werden.
Nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG kann der Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung u.a. verweigern, wenn diese gegen einen Tarifvertrag verstößt.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Betriebsrat die Zustimmung nur dann verweigern kann, wenn die personelle Einzelmaßnahme selbst gegen eine Bestimmung in einem Tarifvertrag verstößt. Es genügt nicht, daß einzelne Vertragsbestimmungen gegen Gesetze oder Tarifverträge verstoßen. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (BAG Beschluß vom 20. Juni 1978 - 1 ABR 65/75 - AP Nr. 8 zu § 99 BetrVG 1972; BAGE 49, 180 = AP Nr. 21 zu § 99 BetrVG 1972, mit weiteren Nachweisen und BAGE 59, 380 = AP Nr. 60 zu § 99 BetrVG 1972). Mit dem Beschluß vom 14. November 1989 (BAGE 63, 226 = AP Nr. 77 zu § 99 BetrVG 1972) hat der Senat eine Änderung seiner Rechtsprechung nicht eingeleitet. In dieser Entscheidung hat der Senat ausgeführt, daß die Einstellung eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers gegen eine gesetzliche Vorschrift im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG verstößt, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SchwbG zuwider vor der Einstellung nicht prüft, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer besetzt werden kann. Er hat damit lediglich klargestellt, daß der Begriff der Einstellung umfassend zu verstehen ist und sich die Aufnahme in den Betrieb auf die Person des Einzustellenden auch insoweit bezieht, als ein gesetzwidriges Auswahlverfahren, das auch potentielle andere Bewerber schützt, in die Betrachtung einbezogen wird (so auch von Maydell, Anm. zu EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 84).
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts läßt sich der Begründung der Zustimmungsverweigerung im vorliegenden Falle nicht entnehmen, der Betriebsrat habe sich nicht gegen die Einstellung als solche gewandt, sondern nur den Abschluß von Arbeitsverträgen für die fünf Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 20 Stunden durchsetzen wollen. Der Betriebsrat hat in seinem Schreiben vom 5. September 1990 die geplanten Einstellungen mit der Begründung abgelehnt, diese widersprächen § 3 Abs. 3 MTV für den Einzelhandel NRW. Mit keinem Wort hat er anklingen lassen, er wolle für die fünf Bewerberinnen Verträge mit längerer Arbeitszeit erreichen. Dementsprechend hat in den Vorinstanzen die Frage auch keine Rolle gespielt, ob die Bewerberinnen länger beschäftigt werden wollten. Die Kritik des Betriebsrats daran, daß der Arbeitgeber sich mit Arbeitsverträgen von weniger als 20 Stunden in der Woche ausdrücklich an Hausfrauen wende, spricht vielmehr dafür, daß der Betriebsrat mit seiner Zustimmungsverweigerung Einstellungen gänzlich verhindern wollte, die gegen § 3 Abs. 3 MTV verstoßen.
3. Dem Landesarbeitsgericht kann auch nicht darin gefolgt werden, daß § 3 Abs. 3 MTV nicht die Einstellung als solche untersage, sondern nur eine Mindestarbeitszeit von weniger als 20 Stunden in der Woche untersage und damit eine Mindestarbeitsbedingung festsetze, so daß auch der Betriebsrat mit dem Hinweis auf einen Verstoß gegen § 3 Abs. 3 MTV nur rüge, die vorgesehenen Vertragsbedingungen verstießen gegen den Tarifvertrag.
Das Landesarbeitsgericht übersieht hierbei, daß durch Gesetz und Tarifvertrag die Beschäftigung ganz untersagt werden kann, wenn bestimmte vom Gesetzgeber oder den Tarifvertragsparteien für wesentlich gehaltene Umstände vorliegen. Stellt ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer trotz Vorliegens einer solchen Voraussetzung ein, verstößt die Einstellung gegen ein Gesetz bzw. einen Tarifvertrag im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG.
So untersagt § 19 AFG beispielsweise nicht schlechthin die Beschäftigung von Ausländern, sondern knüpft die Aufnahme der Tätigkeit nur an eine Erlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit. Dennoch ist die Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten Einstellung begründet, wenn sie auf § 19 AFG gestützt wird und die erforderliche Erlaubnis tatsächlich fehlt (Senatsbeschluß vom 22. Januar 1991 - 1 ABR 18/90 - EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 98). Nach Art. 1 § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG ist einem Arbeitgeber, der gewerbsmäßig Arbeitnehmer Dritten zur Arbeitsleistung überläßt, die Erlaubnis oder deren Verlängerung zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller einem Entleiher denselben Arbeitnehmer länger als sechs aufeinanderfolgende Monate überläßt. Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber erreichen, daß die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung auf die Fälle begrenzt bleibt, in denen sie sinnvoll ist, nämlich zur Überbrückung eines kurzfristigen Bedürfnisses, z.B. vorübergehender dringender Arbeiten, während die Arbeitnehmerüberlassung auf längere Zeit wegen ihrer Gefahr einer Umgehung des staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols und der Umgehung von Arbeitnehmerschutzgesetzen unterbunden werden soll. Dementsprechend hat der Senat in der Entscheidung vom 28. September 1988 (BAGE 59, 380 = AP Nr. 60 zu § 99 BetrVG 1972) entschieden, der Betriebsrat könne die Zustimmung zur Übernahme eines Leiharbeitnehmers zur Arbeitsleistung im Entleiherbetrieb mit der Begründung verweigern, es handele sich um eine Überlassung für mehr als sechs aufeinanderfolgende Monate und verstoße damit gegen Art. 1 § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG.
4. Bei der Regelung in § 3 Abs. 3 MTV für den Einzelhandel NRW handelt es sich - soweit es um die Arbeitszeit geht - um eine mit Art. 1 § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG vergleichbare Vorschrift. Hier wollen die Tarifvertragsparteien für den Regelfall verhindern, daß Arbeitnehmer mit einer Wochenarbeitszeit von weniger als 20 Stunden beschäftigt werden. Dementsprechend soll nach § 3 Abs. 3 MTV im Regelfall die wöchentliche Arbeitszeit mindestens 20 Stunden betragen. § 3 Abs. 3 MTV enthält zwar dem Wortlaut nach nur eine Sollvorschrift; aus dem Regelungszusammenhang des § 3 Abs. 3 MTV ergibt sich aber, daß der Tarifvertrag für den Regelfall eine Beschäftigung von Arbeitnehmern mit einer Arbeitszeit von weniger als 20 Stunden in der Woche untersagt. Während nämlich nach § 3 Abs. 3 Satz 1 MTV die Arbeitszeit wöchentlich mindestens 20 Stunden betragen soll, kann nach Satz 2 hiervon abgewichen werden, wenn der Arbeitnehmer dies wünscht oder betriebliche Belange dies erfordern. Die Ausnahmevorschrift des Satzes 3 hat aber nur einen Sinn, wenn Satz 1 für den Regelfall eine kürzere Arbeitszeit als 20 Stunden in der Woche untersagt.
Haben die Tarifvertragsparteien für den Regelfall die Arbeitszeit auf mindestens 20 Stunden in der Woche festgelegt, haben sie damit zugleich eine Regelung getroffen, nach der Arbeitsverhältnisse mit einer Arbeitszeit von weniger als 20 Stunden in der Woche nicht begründet werden dürfen. Wollen die Tarifvertragsparteien für den Regelfall Beschäftigungsverhältnisse mit einer Arbeitszeit von weniger als 20 Stunden in der Woche ausschließen, verstößt eine Einstellung, die dieser Regelung widerspricht, nicht nur gegen § 3 Abs. 3 MTV, sondern auch gegen einen Tarifvertrag im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Dementsprechend konnte der Betriebsrat die Zustimmung mit der Begründung verweigern, § 3 Abs. 3 MTV für den Einzelhandel NRW sei verletzt.
5. Ob die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats begründet ist oder ob die Zustimmung zu ersetzen ist, hat der Senat nicht abschließend entscheiden können, denn das Landesarbeitsgericht hat - von seinem Standpunkt aus zu Recht - nicht geprüft, ob ein Ausnahmefall des § 3 Abs. 3 Satz 2 MTV vorliegt, nämlich betriebliche Belange oder der Wunsch der Arbeitnehmerinnen die geringere Arbeitszeit rechtfertigen. Aus diesem Grunde war die Beschlußsache an das Landesarbeitsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Bei der Beantwortung der Frage, ob betriebliche Bedürfnisse vorliegen, hat das Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen, daß als Beispiele für diese betrieblichen Belange Tätigkeiten aufgeführt sind, die nur eine relativ geringe Arbeitszeit erfordern. Dies kann dafür sprechen, daß betriebliche Belange eine kürzere Arbeitszeit nur rechtfertigen sollen, wenn die Tätigkeit als solche sie bedingt. Ferner hat das Landesarbeitsgericht zu prüfen, ob § 3 Abs. 3 MTV erstmals zeitgleich mit § 2 Nr. 8, der die Beschäftigung der Arbeitnehmer am verlängerten Dienstleistungsabend ermöglicht, in den Tarifvertrag aufgenommen wurde. In diesem Falle spricht viel dafür, daß die Engpässe, die durch die verlängerte Öffnungszeit am Donnerstag entstehen, nicht "betriebliche Belange" sein sollen, die zu einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von wöchentlich weniger als 20 Stunden berechtigen.
Schließlich ist in den Vorinstanzen bisher unerörtert geblieben, ob die fünf Arbeitnehmerinnen auf ihren eigenen Wunsch für weniger als 20 Stunden in der Woche beschäftigt werden sollten. Ist dies der Fall, ist die Zustimmung des Betriebsrats ebenfalls zu ersetzen.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
Breier Schneider
Fundstellen
BB 1992, 994 |
BB 1992, 994-995 (LT1) |
DB 1992, 1049-1050 (LT1) |
DStR 1992, 624 (S1) |
BuW 1992, 336 (K) |
AiB 1992, 355-356 (LT1) |
BetrVG, (14) (LT1) |
ARST 1992, 118-120 (LT1) |
NZA 1992, 606 |
NZA 1992, 606-607 (LT1) |
RdA 1992, 222 |
SAE 1992, 176-178 (LT1) |
AP § 99 BetrVG 1972 (LT1), Nr 95 |
AR-Blattei, ES 640 Nr 19 (LT1) |
ArbuR 1992, 251-253 (LT1,ST1) |
EzA § 99 BetrVG 1972, Nr 103 (LT1) |
JuS 1992, 972 (L) |