Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörungsrüge vor Zustellung der schriftlichen Entscheidungsgründe. Anhörungsrüge
Orientierungssatz
1. Ein Verfahrensbeteiligter kann im Rahmen einer Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung nur darlegen, wenn er die schriftlich niedergelegten Gründe der beanstandeten Entscheidung kennt. Einer Anhörungsrüge, die vor Bekanntgabe der mit Gründen versehenen Entscheidung erhoben ist, fehlt zwangsläufig der ordnungsgemäße Vortrag einer Gehörsverletzung und deren Entscheidungserheblichkeit. Sie ist deshalb unzulässig.
2. Weder den mündlich mitgeteilten Entscheidungsgründen noch einer Presseerklärung des erkennenden Gerichts kann verbindlich entnommen werden, welche Erwägungen für die Entscheidung tatsächlich maßgebend sind.
Normenkette
ArbGG § 78a
Verfahrensgang
Tenor
Die Anhörungsrügen der Beteiligten zu 5. und 8. gegen den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – werden als unzulässig verworfen.
Tatbestand
I. Der Senat hat auf die Anhörung der Beteiligten vom 21. September 2016 mit einem am selben Tag verkündeten Beschluss festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung vom 15. Mai 2008 (BAnz. Nr. 104a vom 15. Juli 2008) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 in der Fassung des letzten Änderungstarifvertrags vom 20. August 2007, die Allgemeinverbindlicherklärung vom 15. Mai 2008 (BAnz. Nr. 104a vom 15. Juli 2008) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 in der Fassung des letzten Änderungstarifvertrags vom 5. Dezember 2007 sowie die Allgemeinverbindlicherklärung vom 25. Juni 2010 (BAnz. Nr. 97 vom 2. Juli 2010) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 unwirksam sind. Mit ihren am 5. Oktober 2016 eingegangenen Anhörungsrügen machen die Beteiligten zu 5. und 8. die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Bei dem Beschluss handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Dies ergebe sich aus der mündlichen Beschlussbegründung vom 21. September 2016 sowie der Presseerklärung Nr. 50/16 des Bundesarbeitsgerichts. Der mit Gründen versehene und von allen Senatsmitgliedern unterschriebene Beschluss war den Beteiligten zum Zeitpunkt der Erhebung der Anhörungsrüge noch nicht zugestellt worden.
Entscheidungsgründe
II. Die Anhörungsrügen der Beteiligten zu 5. und 8. sind als unzulässig zu verwerfen, § 78a Abs. 4 Satz 2, Abs. 8 ArbGG, weil die Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt, § 78a Abs. 2 Satz 5 ArbGG. Es fehlt an der erforderlichen Darlegung einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Senat.
1. Nach § 78a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr. 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr. 2). Die Rüge muss nach § 78a Abs. 2 Satz 5 ArbGG die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
2. Hieran fehlt es. Mangels Vorliegens der mit Gründen versehenen schriftlichen Beschlussfassung kann die Entscheidungserheblichkeit der von den Beteiligten zu 5. und 8. behaupteten Gehörsverletzung nicht dargelegt werden.
a) Ein Beteiligter kann eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung nur darlegen, wenn er die Gründe der beanstandeten Entscheidung kennt (BAG 27. Juli 2016 – 3 AZR 260/16 (F) – Rn. 4; 12. November 2010 – 9 AZR 595/10 (F) – Rn. 4; Zöller/Vollkommer ZPO 31. Aufl. § 321a Rn. 14). Einer Anhörungsrüge, die vor Bekanntgabe der mit Gründen versehenen Entscheidung erhoben ist, fehlt zwangsläufig der ordnungsgemäße Vortrag einer Gehörsverletzung und deren Entscheidungserheblichkeit (vgl. BGH 15. Juli 2010 – I ZR 160/07 – Rn. 2). Die Notwendigkeit eines von den Beteiligten zu 5. und 8. als fehlend beanstandeten rechtlichen Hinweises (§ 139 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO) bezieht sich nicht auf den Inhalt der verkündeten Entscheidungsformel, sondern auf entscheidungserhebliche Gesichtspunkte, welche bei einer am Schluss der Sitzung verkündeten Entscheidung noch nicht niedergelegt und den Beteiligten bekannt sein können (vgl. BVerfG 22. Juni 2011 – 1 BvR 2553/10 – Rn. 39).
b) Allein die schriftliche, von allen Senatsmitgliedern unterschriebene Entscheidungsfassung ist maßgebend (vgl. MüKoZPO/Musielak 5. Aufl. § 311 Rn. 6; Zöller/Vollkommer aaO § 311 Rn. 5). Demgegenüber haben die mündlich mitgeteilten Gründe nur die Bedeutung einer vorläufigen Information. Welche Erwägungen für die Entscheidung tatsächlich tragend sind, kann den mündlich mitgeteilten Gründen verbindlich ebenso wenig entnommen werden, wie einer Presseerklärung (vgl. BAG 12. November 2010 – 9 AZR 595/10 (F) – Rn. 4; BSG 29. Oktober 2015 – B 12 KR 11/15 C – Rn. 4), auf deren Inhalt sich der Beteiligte zu 5. zur Begründung seiner Anhörungsrüge ebenfalls bezieht.
Unterschriften
Linck, W. Reinfelder, Schlünder
Fundstellen
Haufe-Index 10083801 |
BB 2017, 51 |