Entscheidungsstichwort (Thema)
Gehaltsfortzahlung und Wiederholungskrankheit
Leitsatz (amtlich)
Tritt eine Krankheit, die sich später als Fortsetzungskrankheit herausstellt, zu einer bereits bestehenden, zur Arbeitsunfähigkeit führenden Krankheit hinzu und dauert sie über deren Ende hinaus an, so ist sie für die Zeit, in der sie die alleinige Ursache der Arbeitsunfähigkeit war, als Teil der späteren Fortsetzungserkrankung zu werten (Fortsetzung von BAGE 68, 115 = AP Nr. 93 zu § 1 LohnFG).
Normenkette
BGB § 616; HGB § 63; GewO § 133c; LFZG § 1 Abs. 1; SGB X § 115
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 05.11.1992; Aktenzeichen 14 Sa 1460/91) |
ArbG Lüneburg (Urteil vom 23.10.1991; Aktenzeichen 1 Ca 946/91) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 5. November 1992 – 14 Sa 1460/91 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) auf Gehaltsfortzahlung in Anspruch.
Der bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte Angestellte Hugo F… ist in dem Altenpensionsbetrieb der Beklagten, seiner Ehefrau, als geschäftsführender Angestellter mit einem monatlichen Verdienst von 2.790,-- DM brutto beschäftigt. Im Jahre 1990 war der Versicherte in der Zeit vom 21. Januar bis zum 2. März wegen einer Rippenfraktur arbeitsunfähig erkrankt. In der Zeit vom 19. Februar bis zum 12. März trat ein ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führendes Handekzem hinzu. Vom 17. April bis zum 9. Mai sowie vom 7. bis zum 19. November 1990 erkrankte der Versicherte erneut an diesem Handekzem und war deswegen arbeitsunfähig. Die Beklagte zahlte dem Versicherten das Gehalt für die Dauer von sechs Wochen, nämlich vom 21. Januar bis zum 3. März 1990, fort. Weitere Zahlungen lehnte sie ab. Daraufhin gewährte die Klägerin dem Versicherten Krankengeld (u.a.) für die Zeit vom 18. April bis zum 9. Mai sowie vom 8. bis zum 19. November 1990 in Höhe von insgesamt 2.282,48 DM. Wegen dieses Betrages verfolgt die Klägerin mit ihrer Klage den auf sie übergegangenen, nach ihrer Ansicht bestehenden Gehaltsfortzahlungsanspruch des Versicherten. Sie hat geltend gemacht, die Beklagte hätte dem Versicherten auch für die genannten Zeiträume Gehalt gewähren müssen, da von dem Gehaltsfortzahlungsanspruch wegen des Handekzems im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit vom 21. Januar bis zum 12. März 1990 lediglich ein Tag, nämlich der 3. März 1990, verbraucht worden sei.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.282,48 DM zuzüglich 5,3 % Zinsen aus 1.461,58 DM seit dem 24. Mai 1991 sowie weiterer 5,3 % aus dem Betrag von 820,80 DM seit dem 6. September 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, für die Zeiten der weiteren Arbeitsunfähigkeit des Versicherten wegen des Handekzems vom 17. April bis zum 9. Mai und vom 7. bis zum 19. November 1990 zur Fortzahlung des Gehalts nicht verpflichtet zu sein. Bei den erneuten Erkrankungen des Versicherten habe es sich um Fortsetzungserkrankungen gehandelt. Da die Abschnitte der zwischenzeitlichen Arbeitsfähigkeit jeweils weniger als sechs Monate betragen hätten, sei nur ein Gehaltsfortzahlungsanspruch von sechs Wochen entstanden, dieser aber sei durch ihre Gehaltsfortzahlung vom 21. Januar bis zum 3. März 1990 verbraucht, da dieser Zeitraum unter dem Gesichtspunkt der Einheit des Verhinderungsfalles voll anzurechnen sei.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben dem Klagebegehren entsprochen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klagabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Klägerin steht der verlangte Betrag aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) als Gehaltsfortzahlungsanspruch ihres Versicherten für die Zeit vom 17. April bis zum 9. Mai sowie vom 7. bis zum 19. November 1990 gegen die Beklagte zu.
1. Nach § 616 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 BGB, § 63 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 133c Satz 1 GewO, § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG behält der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit den Anspruch auf Arbeitsentgelt jeweils bis zur Verhinderungsdauer von sechs Wochen. Bei einer auf einem nicht ausgeheilten Grundleiden beruhenden Fortsetzungskrankheit (Arbeitsunfähigkeit “infolge derselben Krankheit”) behält der Arbeitnehmer den Entgeltfortzahlungsanspruch innerhalb von zwölf Monaten nur für die Dauer von insgesamt sechs Wochen, es sei denn, zwischen zwei Krankheitszeiten läge ein Zeitraum von sechs Monaten, währenddessen keine Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Fortsetzungserkrankung aufgetreten ist (§ 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG; BAG Urteil vom 22. März 1973 – 5 AZR 592/72 – AP Nr. 34 zu § 63 HGB). Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung ist aber auch dann auf sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit begrenzt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit hinzutritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles: BAGE 37, 172 = AP Nr. 48 zu § 1 LohnFG; BAG Urteil vom 12. September 1967 – 1 AZR 367/66 – AP Nr. 27 zu § 133c GewO). Wird ein Arbeitnehmer unverschuldet arbeitsunfähig krank und tritt dann eine ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung hinzu, die sich später als Teil einer Fortsetzungskrankheit herausstellt, dann bleibt dieser Teil der Fortsetzungserkrankung bei der Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs bei späterem Wiederauftreten der Fortsetzungserkrankung jedenfalls dann außer Betracht, wenn beide Erkrankungen (die zunächst eingetretene und die dann hinzugetretene Fortsetzungserkrankung) zeitgleich enden. Diese Fallgestaltung hat der Senat durch Urteil vom 19. Juni 1991 (– 5 AZR 304/90 – BAGE 68, 115 = AP Nr. 93 zu § 1 LohnFG) entschieden.
Anders ist die Rechtslage jedoch zu beurteilen, wenn eine Fortsetzungserkrankung zu einer bereits bestehenden Krankheit hinzutritt und über deren Ende andauert. Bei dieser Fallgestaltung liegt ein einheitlicher Verhinderungstatbestand mit dem Ende der ursprünglichen Krankheit nicht mehr vor. Vielmehr beruht die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers dann nur noch auf dem Erscheinen der Fortsetzungskrankheit. Hier schuldet der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung bis zum Ablauf der Sechs-Wochen-Frist, die die äußerste zeitliche Grenze auch für Mehrfacherkrankungen bei einem einheitlichen Verhinderungsfall bedeutet.
2. Vorliegend war der Versicherte vom 21. Januar bis zum 2. März 1990 wegen einer Rippenfraktur arbeitsunfähig krank. Für die Zeit vom 19. Februar bis zum 12. März 1990 trat Arbeitsunfähigkeit wegen eines Handekzems hinzu. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles schuldete die Beklagte Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 21. Januar bis zum 2. März. Da der 3. März als der letzte Tag noch innerhalb der Sechs-Wochen-Frist lag, war auch für diesen Tag das Gehalt an den Versicherten weiterzuzahlen. Für diesen Tag lag allerdings als alleiniger Verhinderungstatbestand nur noch das Handekzem vor. Die Krankheitszeiten des Versicherten vom 17. April bis zum 9. Mai und vom 7. bis zum 19. November 1990 waren Zeiten einer Fortsetzungserkrankung (Handekzem). Zwischen der Ersterkrankung vom 19. Februar bis zum 12. März und dem weiteren Auftreten der Fortsetzungserkrankung lagen jeweils weniger als sechs Monate. Das bedeutet, daß die Beklagte für den 3. März sowie für die beiden späteren Zeiträume im April/Mai und November das Gehalt für insgesamt sechs Wochen (42 Tage) weiterzahlen muß. Für den 3. März ist dies geschehen. Für die beiden anderen Zeiträume stand dem Versicherten Entgeltfortzahlung ebenfalls zu. Die Klägerin macht die Forderungen für diese beiden Zeiträume zu Recht aufgrund gesetzlichen Forderungsüberganges geltend.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Kraft, Heel
Fundstellen
Haufe-Index 856663 |
BAGE, 340 |
BB 1994, 860 |
NZA 1994, 547 |