Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsfrist. Wiedereinsetzung. Berufungsbegründungsfrist
Leitsatz (redaktionell)
Die Berufungsfrist beginnt fünf Monaten nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils, auch wenn dies noch nicht zugestellt und keine Rechtsmittelbelehrung erteilt ist.
Normenkette
ArbGG § 66 Abs. 1 S. 2, § 9 Abs. 5 S. 4; ZPO § 236 Abs. 2 S. 2, § 234
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 11.03.2004; Aktenzeichen 4 Sa 1218/03) |
ArbG München (Urteil vom 06.02.2003; Aktenzeichen 32 Ca 9966/01) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 11. März 2004 – 4 Sa 1218/03 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten oder zur englischen Tochtergesellschaft der Beklagten gestanden hat und ob dieses auf Grund entsprechender Erklärungen der Tochtergesellschaft beendet worden ist.
Der Kläger, englischer Staatsangehöriger mit Hauptwohnsitz in Großbritannien, bewarb sich bei der Beklagten im Frühjahr 2000 um eine Anstellung. Er führte Gespräche in M… und auch in Großbritannien mit der B… Services Ltd., einer Tochtergesellschaft der Beklagten. Von dieser erhielt er Arbeitsvertragsentwürfe in englischer Sprache. Die Einzelheiten der Vertragsverhandlungen und des Vertragsabschlusses sind streitig. Ab 11. September 2000 arbeitete der Kläger jedenfalls bei der Beklagten in M… in einem Projekt-Team. Seine Vergütung wurde ihm in englischen Pfund über die B… Services ausgezahlt. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2000 bzw. 13. Juni 2001 teilte ihm die B… Services mit, seine Beschäftigung ende zum 30. Juni 2001.
Der Kläger hat beantragt,
1. es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht, das nicht durch das Schreiben der B… Services Limited vom 13. Juni 2001 und nicht durch das Schreiben der B… Services Limited vom 21. Dezember 2000 zum 30. Juni 2001 endet;
2. es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch sonstige Beendigungstatbestände endet, sondern über den 30. Juni 2001 hinaus fortbesteht;
3. die Beklagte wird verurteilt, den Kläger über den 30. Juni 2001 zu unveränderten Bedingungen gemäß der Beschäftigung vom 1. September 2000 bis zum 30. Juni 2001 weiterzubeschäftigen und mit Aufgaben zu betrauen, die der Tätigkeit eines Hauptabteilungsleiters entsprechen;
4. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 244.331,12 Euro zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 1. August 2001 zu bezahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, Arbeitgeberin des Klägers sei allein ihre Tochtergesellschaft gewesen. Es sei dem Kläger langfristig um eine Tätigkeit bei dieser in Großbritannien gegangen; er habe nur für eine begrenzte Zeit im Projekt in Deutschland eingesetzt werden sollen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil wurde am 6. Februar 2003 verkündet und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9. September 2003 zugestellt. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2003 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 10. Dezember 2003 – mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2003, bei Gericht eingegangen am selben Tage, begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Es hat die Einlegung als verfristet angesehen. Nach der Neufassung des § 66 ArbGG liefen die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist spätestens fünf Monate nach der Verkündung des Urteils an; die Berufung sei hier aber erst nach über acht Monaten eingelegt worden. Eine Kumulation von Berufungsfrist und Jahresfrist nach § 9 Abs. 5 ArbGG komme angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht mehr in Betracht.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Er rügt Verletzung von § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, § 9 Abs. 5 ArbGG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen.
I. In Übereinstimmung mit den Entscheidungen des Achten Senats vom 28. Oktober 2004 – 8 AZR 492/03 – (AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 29 = EzA ArbGG 1979 § 66 Nr. 38) und des Vierten Senats vom 3. November 2004 – 4 AZR 531/03 – geht auch der erkennende Senat davon aus, dass der Lauf der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist nach der Neufassung des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bereits nach fünf und nicht entsprechend der bisherigen Rechtsprechung nach 17 Monaten seit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils beginnen (16. Dezember 2004 – 2 AZR 611/03 – AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 30). Nur diese Gesetzesauslegung, die auch nach dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Neuregelung nahe liegt, dient der vom Gesetzgeber beabsichtigten Verfahrensbeschleunigung und ist geeignet, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass § 9 Abs. 5 ArbGG nur eine Rechtsmittelbelehrung über die Berufungsfrist, nicht über die Begründungsfrist vorschreibt. Würde man an der bisherigen Rechtsprechung (17 Monate) festhalten, so ließe sich kaum das absurde Ergebnis vermeiden, dass dann der Beginn der Berufungsbegründungsfrist nach fünf Monaten, der der Berufungsfrist erst nach 17 Monaten einträte. Auf die ausführliche Begründung des Achten Senats in seinem Urteil vom 28. Oktober 2004 – 8 AZR 492/03 – (aaO) wird insoweit Bezug genommen.
Soweit die Revision aus § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG herleiten möchte, bei Verkündung einer Entscheidung sei stets die Rechtsmittelbelehrung zu erteilen, dass die Rechtsmittelfrist in jedem Fall mit dem Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung der Entscheidung zu laufen beginne, sonst greife die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG ein, so ist dem nicht zu folgen. Eine solche Pflicht des Gerichts lässt sich weder aus § 9 Abs. 5 ArbGG, noch aus § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, noch aus einer Zusammensicht beider Vorschriften herleiten. Auch Art. 103 Abs. 1 GG bzw. Art. 20 Abs. 3 GG sind nicht tangiert. Wenn kurz nach der erfolgten Gesetzesänderung einzelne Parteien irrtümlich die alte Rechtsprechung zu der bisherigen Gesetzesfassung auf die Neufassung des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG übertragen haben, so kann einem solchen Irrtum durch eine – möglicherweise großzügige – Handhabung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 f. ZPO) Rechnung getragen werden. Es ist jedenfalls nicht sachgerecht, im Hinblick auf solche allenfalls in einer gewissen Übergangszeit verständlichen Irrtümer in einem Anwaltsprozess eine Pflicht zur Rechtsmittelbelehrung anzunehmen, die sich so nicht aus dem Gesetz herleiten lässt.
II. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt im Unterschied zu dem vom Senat schon entschiedenen Verfahren – 2 AZR 611/03 – (16. Dezember 2004 – AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 30) nicht in Betracht. Der Kläger hat keinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 f. ZPO) wegen Versäumung der Berufungseinlegungsfrist gestellt. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) scheidet aus. Der Kläger hat die Antragsfrist (§ 234 ZPO) nicht eingehalten. Die Berufung ist geraume Zeit nach Ablauf der Berufungsfrist beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Entsprechender Sachvortrag, weshalb trotzdem die Antragsfrist eingehalten sein könnte, fehlt.
III. Der Kläger hat nach § 97 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Eylert, Bensinger, Claes
Fundstellen
Haufe-Index 1408538 |
FA 2005, 274 |
JurBüro 2005, 616 |
AnwBl 2005, 137 |