Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsausschluß bei Versorgungsehe
Leitsatz (amtlich)
- Sieht eine betriebliche Versorgungsordnung den Ausschluß vom Bezug des Witwengeldes vor, “wenn der Verdacht einer Versorgungsehe naheliegt”, so muß der Verdacht auf objektiven und nachprüfbaren Tatsachen beruhen.
- Der Verdacht kann durch ebenfalls objektive und nachprüfbare Tatsachen erschüttert werden. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt insoweit dem Versorgungsberechtigten.
Normenkette
BetrAVG § 1; BetrVG § 77 Auslegung
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 16.03.1987; Aktenzeichen 4 Sa 97/86) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 26.06.1986; Aktenzeichen 4 Ca 505/85) |
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Witwenrente.
Der verstorbene Ehemann der Klägerin war seit 1956 bei der Beklagten beschäftigt. Er war, bevor er die Ehe mit der Klägerin schloß, zweimal verheiratet und lebte seit 1981 oder 1982 mit der Klägerin zusammen, die ebenfalls schon einmal verheiratet gewesen war. In den letzten Jahren hatte sich der Verstorbene nicht wohlgefühlt. Er war verschiedentlich arbeitsunfähig erkrankt und im März 1985 bei der Arbeit zusammengebrochen. Am 4. April 1985 wurde er erneut ins Krankenhaus eingeliefert. Zwei Tage später wurde auch die Klägerin in demselben Krankenhaus zur stationären Behandlung aufgenommen.
Am 7. Mai 1985 schlossen die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann im Krankenhaus die Ehe. Zwei Ärzte traten als Trauzeugen auf. Dem Standesbeamten, der auf ein förmliches Aufgebotsverfahren verzichtet hatte, war eine ärztliche Bescheinigung vom Vortag, dem 6. Mai 1985, vorgelegt worden, derzufolge der Verstorbene das Krankenhaus nicht verlassen konnte. Sechs Tage nach der Eheschließung, am 13. Mai 1985, verstarb der Ehemann.
Die Beklagte gewährt ihren Mitarbeitern und deren Hinterbliebenen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Nach den Leistungsrichtlinien, die in einer Betriebsvereinbarung enthalten sind, stünde der Klägerin eine Witwenrente in Höhe von 747,80 DM monatlich zu. Die Beklagte verweigert die Zahlung unter Hinweis auf eine Klausel in ihrer Ruhegeldordnung, nach der ein Witwengeld nicht gezahlt wird,
“wenn der Verdacht einer Versorgungsehe naheliegt. …”
Die Klägerin hat vorgetragen, sie und ihr verstorbener Ehemann hätten die Ehe nicht aus Gründen ihrer Versorgung geschlossen. Mit dem alsbaldigen Ableben habe sie nicht gerechnet. Ihre eigene Erkrankung sei ihr wesentlich bedrohlicher erschienen. Sie hätten beide nicht gewußt, daß ihr Ehemann an Leberkrebs gelitten habe. Grund für die Eheschließung sei die gemeinsame Absicht gewesen, ihre tiefe Liebesbeziehung nach außen zu dokumentieren. Sie hätten schon im Jahre 1983 heiraten wollen, davon aber mit Rücksicht auf den Tod der Mutter des Ehemanns abgesehen.
Die Klägerin hat die Witwenrente für die Zeit vom 1. August 1985 bis zum 31. Dezember 1985 als Rückstände verlangt und für die Zeit ab 1. Januar 1986 Feststellung der Zahlungspflicht der Beklagten begehrt.
Sie hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.739,-- DM nebst 4 % Zinsen aus den einzelnen Teilbeträgen je nach Fälligkeit zu zahlen,
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr Witwengeld nach ihrem am 13. Mai 1985 verstorbenen Ehemann K… S… entsprechend der Betriebsvereinbarung “Soziale Richtlinien”, Stand: 13. Mai 1985, ab dem 1. Januar 1986 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Klägerin habe gewußt, daß ihr Ehemann sterbenskrank gewesen und schon mit der Diagnose Leberkrebs in das Krankenhaus eingewiesen worden sei. Der Verstorbene habe sich seit einem Aufenthalt in Afrika im Jahre 1983 ständig krank gefühlt. Das sei sogar den Arbeitskollegen aufgefallen. Er habe gewußt, daß er sterben müsse. Unter diesen Umständen liege der Verdacht einer Versorgungsehe nahe.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenrente.
I. Nach den Versorgungsrichtlinien der Beklagten kann die Zahlung einer Witwenrente verweigert werden, wenn der Verdacht einer Versorgungsehe naheliegt. Die Vorinstanzen haben an die Voraussetzungen dieses Versagungsgrundes zu hohe Anforderungen gestellt; sie haben außerdem die Darlegungs- und Beweislast verkannt.
1. Die Vorinstanzen sind allerdings ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß als Versorgungsehe eine Ehe verstanden wird, die nicht mit dem Ziel der ungewissen Dauer einer künftigen ehelichen Lebensgemeinschaft geschlossen wird, sondern allein oder überwiegend dazu dienen soll, dem Hinterbliebenen eine Versorgung zu verschaffen. Es mag zutreffen, wie das Berufungsgericht angenommen hat, daß die Beklagte und ihr Betriebsrat bei Abschluß der Betriebsvereinbarung über die Versorgung von der Definition in § 101 des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 1937 ausgegangen sind. Danach war als Versorgungsehe zu verstehen eine Heirat, mit der “allein oder überwiegend der Zweck verfolgt worden ist, der Witwe den Bezug des Witwengeldes zu verschaffen”.
2. Im übrigen enthält jedoch die Versorgungsordnung der Beklagten eine von den Regeln des Beamtenrechts abweichende eigenständige Regelung. Nach ihr soll für den Ausschluß des Anspruchs auf die Witwenrente schon genügen, daß der “Verdacht einer Versorgungsehe naheliegt”. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Merkmale dieses Ausschlußtatbestands erfüllt: Der Verdacht, daß die Ehe der Klägerin überwiegend oder gar ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, ihr Versorgungsrechte zu verschaffen, liegt nahe.
a) Das Berufungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, daß “Verdacht” einen geringeren Überzeugungsgrad kennzeichnet als eine objektive Gewißheit oder eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dennoch ist “Verdacht” als regelndes Tatbestandsmerkmal in einer Betriebsvereinbarung über Versorgungsrechte nicht zu verstehen als bloß subjektive Vorstellung über die Beweggründe, die Menschen zu einer Eheschließung veranlassen. Der Verdacht muß sich auf nachvollziehbare objektive Anhaltspunkte gründen, die, wie die Versorgungsordnung sagt, es “nahelegen”, daß Versorgungsgesichtspunkte ein entscheidend bestimmendes Motiv der Eheschließung gewesen sind.
b) Solche objektiven Umstände liegen hier vor: Das Berufungsgericht hat festgestellt, der Klägerin sei bewußt gewesen, daß ihr Lebensgefährte mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung in das Krankenhaus eingeliefert worden sei; nach den Aussagen von Zeugen müsse angenommen werden, daß der Ehemann der Klägerin sich bereits vorher mit Todesgedanken getragen habe. Schon dies spricht dagegen, daß der Ehemann plötzlich und unerwartet verstarb. Gegen eine solche Annahme spricht auch der weitere Ablauf des Geschehens: Der Standesbeamte wurde veranlaßt, von einem regulären Aufgebotsverfahren abzusehen; ihm wurde ein Attest vorgelegt, aus dem sich ergab, daß der Ehemann das Krankenhaus nicht verlassen konnte. Es fällt weiter auf, daß zwei Ärzte als Trauzeugen herangezogen wurden, von denen anzunehmen ist, daß es sich nicht etwa – wie üblich – um Verwandte, Freunde oder Bekannte des Ehepaares handelte, sondern um fremde Menschen. Angesichts dessen kann der sechs Tage später eingetretene Tod nicht überraschend gewesen sein.
c) Unter diesen Umständen besteht ein durch Tatsachen belegter Verdacht im Sinne der Versorgungsordnung der Beklagten, daß die eilig herbeigeführte Eheschließung ganz oder überwiegend dazu diente, der Klägerin als Witwe Versorgungsrechte zu verschaffen, die sie als unverheiratete Lebensgefährtin des Verstorbenen nicht gehabt hätte. Ehen werden normalerweise mit dem Ziel geschlossen, unter den rechtlichen Regeln des Eherechts auf unbestimmte Zeit miteinander zu leben. Eheschließungen auf dem Totenbett sind ungewöhnlich. Sie können durchaus auf ehrenwerten Motiven beruhen, aber die Außergewöhnlichkeit eines solchen Verhaltens legt die Frage nahe, warum die Ehe noch im Angesicht des Todes eines der Ehepartner geschlossen werden soll. Im Streitfall liegt die Frage besonders nahe. Immerhin lebten die späteren Ehepartner seit 1981 oder 1982 wie Mann und Frau zusammen. Daß eine für 1983 vorgesehene Heirat an dem Tod der Schwiegermutter gescheitert sei, überzeugt wenig. Seither waren mindestens eineinhalb Jahre vergangen. Zudem ist nicht einsichtig, warum Gründe des Respekts oder der Trauer anläßlich des Todes der Schwiegermutter die rechtsförmliche Legitimierung der ohnehin längst bestehenden Beziehung gehindert haben könnten.
3. Da nach der Versorgungsordnung der Beklagten bereits ein Verdacht einer Eheschließung zu Versorgungszwecken ausreicht, Ansprüche auf eine Witwenrente auszuschließen, bleibt der Versorgungsberechtigten die Möglichkeit, den Verdacht im Einzelfall zu erschüttern. Dazu hätte die Klägerin plausible Gründe dartun müssen, die es rechtfertigten anzunehmen, Versorgungsgesichtspunkte hätten bei der Heirat keine oder jedenfalls keine bestimmende Rolle gespielt. Solche Gesichtspunkte hat die Klägerin nicht vorgetragen. Sie hat als einzige Begründung für die Eheschließung auf dem Totenbett angegeben, sie und der Verstorbene hätten ihre innige Liebe nach außen dokumentieren wollen. Diese Behauptung mag zutreffen, sie gibt aber keine Antwort auf die Frage, warum diese Liebesbeziehung, wenn für sie die staatliche Anerkennung so wichtig war, nicht schon lange zur standesamtlichen Eheschließung geführt hatte und ferner, warum dann die staatliche Anerkennung der Beziehung noch eilig auf dem Totenbett des Ehemannes herbeigeführt wurde. Erschien die Erkrankung des Ehemannes, wie die Klägerin behauptet hat, nicht lebensbedrohend, so hätte es nahegelegen, die Heirat zu verschieben und unter normalen Umständen, etwa im Familienkreis, nachzuholen. Dazu hat die Klägerin keine Angaben gemacht. Sie hat den Verdacht einer Versorgungsehe nicht erschüttert. Die Merkmale des Ausschlußtatbestands der Versorgungsordnung der Beklagten sind daher erfüllt. Die Klägerin kann keine Witwenrente verlangen.
II. Der Senat kann dies selbst entscheiden. Eine weitere Aufklärung ist nicht geboten. Das Berufungsgericht hat zahlreiche Zeugen vernommen und seine Feststellungen auch auf deren Aussagen gestützt. Auf die Verfahrensrügen der Beklagten kommt es nicht an. Es besteht auch kein Anlaß, der Klägerin Gelegenheit zu geben, ihren Vortrag zu ergänzen. Als Begründung für die Heirat in einem Zeitpunkt, als der Ehemann das Krankenhaus schon nicht mehr verlassen konnte, hat sie nur ihre tiefe Liebesbeziehung genannt. Diese Begründung allein erscheint, wie ausgeführt, nicht ausreichend.
Unterschriften
Dr. Heither, Griebeling, Dörner, Zieglwalner, Gnade
Fundstellen
Haufe-Index 873903 |
BB 1990, 494 |
NJW 1990, 1008 |
RdA 1989, 382 |