Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Ausschlußfrist. Rechtsmißbrauch
Orientierungssatz
1. Nach § 13 Nr 2 Satz 1 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer des Groß- und Außenhandels und des genossenschaftlichen Groß- und Außenhandels in Nordrhein-Westfalen vom 8.2.1982 müssen Garantielohnansprüche binnen sechs Wochen nach Fälligkeit schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden. Nach Satz 2 wird jedoch weiter eine gerichtliche Geltendmachung der Lohnansprüche innerhalb eines Monats nach Ablauf der Frist zur schriftlichen Geltendmachung verlangt.
2. Wie das BAG im Urteil vom 3.12.1970 5 AZR 208/70 = AP Nr 46 zu § 4 TVG Ausschlußfristen entschieden hat, muß der Arbeitnehmer nach Wegfall der den Arglisteinwand gegenüber der Ausschlußfrist begründenden Umstände innerhalb einer kurzen, nach den Umständen des Falles sowie Treu und Glauben zu bestimmenden Frist die Ansprüche in der nach dem Tarifvertrag gebotenen Form geltend machen.
Normenkette
TVG § 4; BGB § 242
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.11.1985; Aktenzeichen 10 Sa 998/85) |
ArbG Duisburg (Entscheidung vom 22.05.1985; Aktenzeichen 3 Ca 1627/84) |
Tatbestand
Die Klägerin war bei der Beklagten, einem Unternehmen des Getränke-Fachgroßhandels, seit 20. Februar 1984 in einer von der Beklagten betriebenen Kantine beschäftigt. Ihr war ein monatlicher Garantielohn von 1.250,-- DM brutto zugesagt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der ab 1. Januar 1982 für allgemein verbindlich erklärte Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des Groß- und Außenhandels und des genossenschaftlichen Groß- und Außenhandels in Nordrhein-Westfalen vom 8. Februar 1982 (künftig: MTV) Anwendung. Dieser Tarifvertrag enthält in § 13 eine Ausschlußklausel, die, soweit hier von Interesse, wie folgt lautet:
Fälligkeit und Erlöschen von Ansprüchen
1. Das Gehalt bzw. der Lohn ist am Schluß des
Kalendermonats bzw. des Lohnabrechnungszeitraumes,
Provisionen, Vergütungen und Abgeltungen
für Mehr-, Nacht-, Schicht-, Sonn- und
Feiertagsarbeit sind spätestens am Schluß
des folgenden Monats fällig, in jedem Fall
jedoch mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Für Provisionen kann ein anderer Fälligkeitszeitpunkt
vereinbart werden.
2. Der Anspruch auf vorgenannte Vergütungen sowie
alle sonstigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis
sind von Angestellten binnen drei Monaten,
von gewerblichen Arbeitnehmern binnen sechs Wochen
nach Fälligkeit dem anderen Vertragspartner gegenüber
schriftlich geltend zu machen. Spätestens
innerhalb eines weiteren Monats nach Ablauf dieser
Frist ist Klage zu erheben.
Ist im Falle des Annahmeverzuges des Arbeitgebers
Klage auf wiederkehrende Leistungen gemäß
§ 258 ZPO erhoben worden, so sind zur Wahrung
der Ausschlußfristen weder eine erneute schriftliche
Geltendmachung noch Klage auf die erst später
fällig werdenden Leistungen erforderlich.
3. (Betrifft Urlaubsanspruch der Arbeitnehmer).
4. Eine Geltendmachung von Ansprüchen nach Ablauf
der in § 13 Nr. 2 - 3 genannten Fristen ist ausgeschlossen;
das gleiche gilt bei Nichterfüllung
der dort genannten Voraussetzungen.
5. Die Ausschlußfristen zur Geltendmachung und Klageerhebung
gelten nicht für Schadenersatzansprüche
aus Verkehrsunfällen und mit Strafe bedrohten
Handlungen sowie für Ansprüche aus der betrieblichen
Altersversorgung.
Am 19. Juli 1984 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich zum 23. Juli 1984. Auf die hiergegen von der Klägerin am 1. August 1984 erhobene und der Beklagten am 3. August 1984 zugestellten Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht durch Urteil vom 23. Oktober 1984 (Arbeitsgericht Duisburg - 1 Ca 1332/84 -) fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten nicht beendet worden sei, sondern ungekündigt fortbestehe. Die gegen dieses Urteil von der Beklagten eingelegte Berufung verwarf das Landesarbeitsgericht durch Beschluß vom 13. Februar 1985 als unzulässig.
Mit der vorliegenden, zu Protokoll des Arbeitsgerichts am 11. September 1984 anhängig gemachten und der Beklagten am 18. September 1984 zugestellten Klage hat die Klägerin von der Beklagten zunächst die Zahlung ihres Garantielohns für die Monate Juli und August 1984 in Höhe von 2.500,-- DM brutto gefordert, nachdem sie seit Juli 1984 keine Zahlungen mehr erhalten hatte. Im Gütetermin vom 1. Oktober 1984 hat das Arbeitsgericht den Rechtsstreit im Einvernehmen mit den Parteien bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsrechtsstreits ausgesetzt.
Mit Schreiben vom 11. Februar 1985 teilte der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit, daß im Kündigungsrechtsstreit das Berufungsverfahren nicht durchgeführt werde und die Sache damit rechtskräftig abgeschlossen sei. In seinem Antwortschreiben vom 13. Februar 1985 fragte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin an, ob "das Verfahren wegen Zahlung vor dem Arbeitsgericht" unbedingt fortgesetzt werden müsse, da die Verurteilung der Beklagten sicher sein dürfte. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten entgegnete mit Schreiben vom 15. Februar 1985, es stehe trotz des rechtskräftigen Abschlusses des Kündigungsschutzverfahrens keineswegs fest, daß der Klägerin für den gesamten Zeitraum Ansprüche gegen die Beklagte zustünden. Es werde u.a. darauf ankommen, ob möglicherweise die tariflichen Ausschlußfristen, die fristgebundene Geltendmachung von Zahlungsansprüchen vorsähen, eingriffen. Er bitte deshalb um Verständnis, daß der Zahlungsrechtsstreit zunächst fortgesetzt werden müsse.
Mit Schriftsatz vom 20. März 1985 hat die Klägerin die Klage um Zahlung der Monatslöhne für September bis Dezember 1984 sowie des anteiligen Monatslohns von 675,-- DM bis 15. Januar 1985 (Beginn der Mutterschutzfrist) erweitert. Sie hat vorgetragen, sie sei als Verkäuferin beschäftigt worden. Ihre Tätigkeit habe in der Bedienung einer auf dem M-Gelände von der Beklagten betriebenen Kantine bestanden. Neben dem Garantielohn sei eine Provision von 7 % für die verkaufte Ware vereinbart worden. Da das Arbeitsverhältnis fortbestehe, schulde ihr die Beklagte den Garantielohn bis 14. Januar 1985.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 8.175,-- DM
brutto an sie zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich zuletzt nur noch darauf berufen, daß die Lohnansprüche nach § 13 Nr. 2 und 4 MTV verfallen seien. Hierzu hat sie vorgetragen:
Die Klägerin sei als Kantinenhilfe beschäftigt worden. Ihre überwiegende Tätigkeit habe darin bestanden, entsprechend den Auflagen des Gesundheitsamtes die Verkaufsräume und das Lager zu pflegen. Nur zu etwa 20 % habe sie die Tätigkeit einer Verkäuferin ausgeübt. Sie sei deshalb gewerbliche Arbeitnehmerin im Sinne des Manteltarifvertrages gewesen und hätte ihre Lohnansprüche nach § 13 Nr. 2 MTV innerhalb von sechs Wochen nach Fälligkeit schriftlich und nach Ablauf dieser Frist innerhalb eines weiteren Monats gerichtlich geltend machen müssen. Die Vereinbarung einseitiger Verfallfristen nur für Arbeitnehmer durch Tarifvertrag sei zulässig. Sollte sie unwirksam sein, so müsse eine für beide Arbeitsvertragsparteien geltende Ausschlußklausel angewendet werden, da die Tarifvertragsparteien dies bei Kenntnis der Rechtsunwirksamkeit der einseitigen Fristenregelung vereinbart hätten. Die Tarifvertragsparteien hätten in einem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf - 1 Ca 3845/84 - die übereinstimmende Auskunft erteilt, die einseitige Unterwerfung von Arbeitnehmeransprüchen unter die Ausschlußklausel beruhe auf einem Redaktionsversehen.
Die Klägerin hat weiter vorgetragen, die Berufung der Beklagten auf die tariflichen Verfallfristen sei rechtsmißbräuchlich. Die Beklagte habe die Lohnansprüche der Höhe nach niemals bestritten. Durch ihr Einverständnis mit der Aussetzung des vorliegenden Verfahrens im Gütetermin vom 1. Oktober 1984 habe sie zu erkennen gegeben, daß sie im Falle ihres Unterliegens im Kündigungsrechtsstreit die allein vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängigen Lohnansprüche erfüllen werde.
Die Beklagte ist diesem Einwand entgegengetreten. Die Aussetzung des Rechtsstreits habe die gerichtliche Geltendmachung weiterer, noch nicht rechtshängiger Ansprüche nicht entbehrlich gemacht. Eine Erklärung, daß sie sich bis zum Abschluß des Kündigungsrechtsstreits generell nicht auf die tarifliche Ausschlußfrist berufen werde, habe sie nicht abgegeben.
Das Arbeitsgericht hat der Klägerin nur den Lohn für die Monate Juli und August 1984 sowie den anteiligen Lohn für Januar 1985 in Höhe von insgesamt 3.175,-- DM brutto zugesprochen. Die Lohnansprüche für die Monate September bis Dezember 1984 hat es gemäß § 13 Nr. 2 Satz 2, Nr. 4 MTV für verfallen angesehen, weil die Klägerin die einmonatige Frist zur gerichtlichen Geltendmachung versäumt habe.
Gegen dieses Urteil hat nur die Klägerin Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts, soweit dieses die Klage abgewiesen hat. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts, soweit es die Klage abgewiesen hat.
I. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, daß die von der Klägerin für die Monate September bis Dezember 1984 geltend gemachten Lohnansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nach § 615 BGB entstanden sind. Insoweit erhebt auch die Revision keine Einwendungen.
II. Das Berufungsgericht ist ferner unter Bezugnahme auf die Gründe des arbeitsgerichtlichen Urteils zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin diese Ansprüche zwar gemäß § 13 Nr. 2 Satz 1 MTV rechtzeitig schriftlich, jedoch erst nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist des Satzes 2 dieser Tarifnorm gerichtlich geltend gemacht hat.
1. Die Klägerin mußte ihre Garantielohnansprüche gemäß § 13 Nr. 2 Satz 1 MTV binnen sechs Wochen nach Fälligkeit schriftlich gegenüber der Beklagten geltend machen.
Die Ansprüche sind gemäß § 13 Nr. 1 Satz 1 MTV jeweils am Schluß des betreffenden Kalendermonats fällig geworden, für den letzten Monat somit am 31. Dezember 1984. Die Fälligkeit ist nicht erst mit der Rechtskraft des im Kündigungsschutzprozeß zugunsten der Klägerin ergangenen Urteils des Arbeitsgerichts Duisburg vom 23. Oktober 1984 und somit erst mit dem Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 1985 eingetreten. Zwar ist die Unwirksamkeit der Kündigung Voraussetzung für Vergütungsansprüche, da ein Gehaltsfortzahlungsanspruch aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nach § 615 BGB nur bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bestehen kann. Maßgebend hierfür ist jedoch die objektive Rechtslage, die das der Kündigungsschutzklage stattgebende Urteil nur deklaratorisch wiedergibt (BAGE 14, 156, 160 = AP Nr. 23 zu § 615 BGB). Der Verzugslohnanspruch des Arbeitnehmers entsteht nach dem Kündigungstermin, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Annahmeverzugs des Arbeitgebers gemäß §§ 293 ff. BGB erfüllt sind. Der Lohn wird dann wie bei der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers fällig (BAG Urteil vom 9. März 1966 - 4 AZR 87/65 - AP Nr. 31 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
2. Mit der am 3. August 1984 der Beklagten zugestellten Kündigungsschutzklage hat der Kläger auch die vorliegend umstrittenen Ansprüche für die Monate September bis Dezember 1984 im Sinne des § 13 Nr. 2 Satz 1 MTV schriftlich und somit rechtzeitig geltend gemacht. Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage ist in aller Regel ein ausreichendes Mittel zur Geltendmachung von Ansprüchen, die während des Kündigungsschutzprozeßes fällig werden und von seinem Ausgang abhängen, sofern die tarifliche Verfallklausel nur eine formlose oder schriftliche Geltendmachung verlangt (BAGE 30, 135 = AP Nr. 63 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 1 der Gründe, m.w.N.).
3. § 13 Nr. 2 Satz 2 MTV verlangt jedoch weiter eine gerichtliche Geltendmachung der Lohnansprüche innerhalb eines Monats nach Ablauf der Frist zur schriftlichen Geltendmachung. Diese Frist hat die Klägerin versäumt.
a) Die Frist zur schriftlichen Geltendmachung der Lohnansprüche betrug für die Klägerin sechs Wochen nach dem Ende des jeweiligen Kalendermonats, weil sie gewerbliche Arbeitnehmerin im Sinne des MTV gewesen ist.
Das Arbeitsgericht, auf dessen Gründe das Berufungsgericht Bezug genommen hat, hat hierzu ausgeführt, nach der Verkehrsanschauung sei von einer Angestelltentätigkeit auszugehen, wenn der Arbeitnehmer überwiegend kaufmännische oder büromäßige Tätigkeit verrichte. Liege der Schwerpunkt der Tätigkeit in der körperlichen Arbeit, so lasse dies auf einen gewerblichen Arbeitnehmer schließen. Die Beklagte habe vorgetragen, daß die Klägerin als Kantinenhilfe angestellt und bei der AOK angemeldet worden sei. Zu ihren Aufgaben habe zum überwiegenden Teil die Pflege des Verkaufsraums und des Lagers gehört. Nur zu etwa 20 % ihrer Gesamttätigkeit seien Verkaufstätigkeiten angefallen. Dieser Vortrag sei gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, da ihn die Klägerin nicht substantiiert bestritten habe.
Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Sie sind auch von der Klägerin bereits in der Berufungsinstanz nicht angegriffen worden. Die Feststellung, der vorstehend wiedergegebene Vortrag der Beklagten sei nach § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, ist für das Revisionsgericht bindend, weil hiergegen keine Verfahrensrüge erhoben worden ist (§ 561 Abs. 2 ZPO). Auch die vom Berufungsgericht übernommene materiell-rechtliche Würdigung des Arbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Tarifvertragsparteien haben weder im Manteltarifvertrag noch in den Lohn- und Gehaltstarifverträgen die Angestellten- und Arbeitereigenschaft generell definiert oder die von der Klägerin überwiegend ausgeübte Tätigkeit beispielhaft erwähnt.
b) Die Frist für die gerichtliche Geltendmachung der Garantielohnansprüche für die Monate September bis Dezember 1984 begann daher jeweils sechs Wochen nach dem Schluß des Kalendermonats, für den Dezemberlohn 1984 somit am 11. Februar 1985, und endete jeweils einen Monat später, für den Dezemberlohn am 11. März 1985. Die Klägerin hat ihre Lohnansprüche jedoch erstmals mit dem am 20. März 1985 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag und somit verspätet gerichtlich geltend gemacht. Die Erhebung der Kündigungsschutzklage konnte diese Frist nicht wahren. Bestimmt eine tarifvertragliche Ausschlußklausel, daß Ansprüche nach erfolgloser schriftlicher Geltendmachung innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden müssen, so genügt dem nur die fristgerechte Zahlungsklage. Dies gilt auch dann, wenn es sich um Zahlungsansprüche eines Arbeitnehmers handelt, die vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängen (st. Rechtsprechung des BAG; vgl. BAGE 30, 135 = AP aaO, zu 2 der Gründe, m.w.N., BAGE 46, 359 = AP Nr. 86 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu I der Gründe).
4. Das Arbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte handele mit der Berufung auf den Fristablauf auch nicht rechtsmißbräuchlich. Das Berufungsgericht hat die tarifliche Fristenregelung für unwirksam angesehen und ist von diesem Standpunkt aus zu Recht auf die Frage des Rechtsmißbrauchs nicht eingegangen. Der Senat kann jedoch die Frage im Sinne der Entscheidung des Arbeitsgerichts abschließend beantworten, da die hierfür maßgeblichen Umstände feststehen.
a) Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe die Lohnansprüche der Klägerin für die Monate September bis Dezember 1984 weder anerkannt noch die Klägerin daran gehindert, sie rechtzeitig einzuklagen. Die Klägerin habe aus dem Einverständnis der Beklagten mit der Aussetzung des damals nur wegen der Lohnansprüche für Juli und August 1984 anhängigen Rechtsstreits am 1. Oktober 1984 nicht entnehmen können, daß die Beklagte sich auch hinsichtlich weiterer Ansprüche nicht auf die tarifliche Verfallklausel berufen werde.
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Auslegung der Einverständniserklärung der Beklagten mit der Aussetzung des Verfahrens zu folgen ist; selbst wenn man ihr einen weiteren Bedeutungsinhalt beimessen würde, sind die Lohnansprüche verfallen.
Die Aussetzung des Verfahrens am 1. Oktober 1984 war objektiv dadurch veranlaßt, daß die damals rechtshängigen und rechtzeitig innerhalb der tariflichen Ausschlußklausel gerichtlich geltend gemachten Lohnansprüche vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und damit vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits abhingen. Der objektive Erklärungswert der Einverständniserklärung der Beklagten konnte deshalb für künftige Ansprüche dieser Art allenfalls darin gesehen werden, die Beklagte wolle die Lohnzahlung nur von der noch gerichtlich zu klärenden Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung abhängig machen. In diesem Fall hätte die Beklagte die Klägerin von der gerichtlichen Geltendmachung dieser Ansprüche bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsprozesses abgehalten. Ihrer Berufung auf den vor dem rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsprozesses eingetretenen Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist für die gerichtliche Geltendmachung stand dann zunächst der Einwand der Arglist (§ 242 BGB) entgegen (vgl. BAG Urteil vom 3. Dezember 1970 - 5 AZR 208/70 - AP Nr. 46 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
Wie das Bundesarbeitsgericht in dem vorstehend zitierten Urteil jedoch weiter entschieden hat, muß der Arbeitnehmer nach Wegfall der den Arglisteinwand gegenüber der Ausschlußfrist begründenden Umstände innerhalb einer kurzen, nach den Umständen des Falles sowie Treu und Glauben zu bestimmenden Frist die Ansprüche in der nach dem Tarifvertrag gebotenen Form, vorliegend somit gerichtlich geltend machen. Diese letzte Frist hat die Klägerin versäumt. Mit dem Verwerfungsbeschluß des Landesarbeitsgerichts vom 13. Februar 1985 war der Kündigungsprozeß rechtskräftig abgeschlossen. Die Beklagte hatte überdies bereits durch das Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 11. Februar 1985 mitgeteilt, sie werde die Berufung nicht durchführen, und auf die Anfrage des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 13. Februar 1985 in dem Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 15. Februar 1985 eindeutig zu erkennen gegeben, daß sie sich auf tarifliche Ausschlußfristen berufen wolle. Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren die den Arglisteinwand gegenüber der Ausschlußfrist für die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche begründenden Umstände weggefallen. Die Klägerin hatte auch keinen Anlaß mehr, noch zuzuwarten, ob die Beklagte von sich aus zahlen werde, oder die Forderungen zunächst noch einmal anzumahnen (vgl. dazu auch das vorstehend zitierte Urteil des BAG). Sie hat erst über einen Monat nach dem den Standpunkt der Beklagten zur Frage der tariflichen Ausschlußfristen klarstellenden Schreiben vom 15. Februar 1985 mit ihrem am 20. März 1985 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterungsschriftsatz ihre Ansprüche für die Monate September bis Dezember 1984 gerichtlich geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ansprüche jedoch unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verfallen.
III. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt somit davon ab, ob die Verfallklausel des § 13 Nr. 2, 4 MTV wirksam ist. Diese Frage hat das Berufungsgericht zu Unrecht verneint.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 13 Nr. 2 MTV enthalte nach seinem eindeutigen Wortlaut eine Ausschlußfrist, die nur die Ansprüche von Arbeitnehmern erfasse.
Der Wortlaut entspreche allerdings nicht dem wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien, sondern beruhe auf einem Redaktionsversehen. Der MTV habe die zuvor in gesonderten Manteltarifverträgen für Angestellte und gewerbliche Arbeitnehmer vom 22. Februar 1977 vereinbarten Bestimmungen zusammengefaßt. In diesen Tarifverträgen seien jeweils in § 11 Ausschlußfristen für die schriftliche Geltendmachung von Ansprüchen beider Arbeitsvertragsparteien, wenn auch von unterschiedlicher Dauer - bei Arbeitsverhältnissen mit Angestellten drei Monate, mit gewerblichen Arbeitnehmern sechs Wochen nach Fälligkeit - vereinbart worden. Diese unterschiedlichen Fristen sollten in dem MTV vom 8. Februar 1982 beibehalten werden. Bei der Formulierung des § 13 Nr. 2 hätten die Tarifvertragsparteien vergessen, auch die Ansprüche des Arbeitgebers ausdrücklich in den Vertragstext aufzunehmen. Hierüber bestehe zwischen den Tarifvertragsparteien Einigkeit, wie sich aus ihren im Verfahren 15 Sa 1866/82 vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingereichten Schreiben vom 29. August 1983 (DAG), 30. August 1983 (Unternehmensverband des Großhandels) und vom 6. September 1983 (Gewerkschaft HBV) ergebe. Dieser Wille der Tarifvertragsparteien sei jedoch in der Tarifnorm nicht zum Ausdruck gekommen. Er könne deshalb ebensowenig wie die Tarifgeschichte bei der Auslegung berücksichtigt werden. Es erscheine zwar sonderbar, daß § 13 Nr. 5 MTV u.a. Schadenersatzansprüche "aus Verkehrsunfällen" ausnehme, weil derartige Ansprüche von Arbeitnehmern gegen den Arbeitgeber nur sehr selten entstehen dürften. Hieraus könne jedoch nicht auf ein Redaktionsversehen bei der Formulierung der Nr. 2 und 4 geschlossen werden, zumal die Nr. 1 und 3 nur Ansprüche des Arbeitnehmers beträfen.
Mit diesem Inhalt verstoße die tarifliche Ausschlußklausel jedoch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil es an einem sachlich gerechtfertigten Grund dafür fehle, einseitig sämtliche Ansprüche des Arbeitnehmers einer kurzen und mit Formzwang versehenen Ausschlußfrist zu unterwerfen. Die Nichtigkeit dieser einseitigen Fristenregelung könne nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geheilt werden.
2. Dieser Würdigung ist der Senat nicht gefolgt. Die Fristenregelung des § 13 Nr. 2 und 4 MTV ist wirksam. Sie ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts dahin auszulegen, daß auch die Arbeitgeberansprüche bis auf die in § 13 Nr. 5 MTV genannten Ausnahmen gegenüber Angestellten binnen drei Monaten und gegenüber gewerblichen Arbeitnehmern binnen sechs Wochen nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen sind. Auf die gegen eine einseitige Ausschlußklausel zu Lasten der Arbeitnehmer erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken kommt es deshalb nicht an.
a) Bei der Tarifauslegung ist über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen hinreichend deutlich ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Verbleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, m. w. N.).
b) Zwar spricht der Wortlaut des § 13 Nr. 2 Satz 1 MTV, wonach die dort bezeichneten Ansprüche "von Angestellten binnen drei Monaten, von gewerblichen Arbeitnehmern binnen sechs Wochen nach Fälligkeit" dem anderen Vertragspartner gegenüber schriftlich geltend zu machen sind, zunächst für eine lediglich auf Arbeitnehmeransprüche bezogene Verfallklausel. Ausdrücklich geregelt ist unter dieser Ziffer nur die Geltendmachung von Arbeitnehmeransprüchen. Der tarifliche Gesamtzusammenhang läßt jedoch den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien erkennen, in § 13 MTV auch die Verfallfristen für Arbeitgeberansprüche entsprechend zu regeln.
Anhaltspunkte hierfür finden sich einmal in § 13 Nr. 2 MTV selbst, soweit dort bestimmt ist, daß "alle sonstigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis... dem anderen Vertragspartner gegenüber" schriftlich geltend zu machen sind. Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind auch diejenigen des Arbeitgebers. Des weiteren erschiene die Formulierung, daß die Ansprüche "dem anderen Vertragspartner gegenüber" geltend zu machen sind, ungewöhnlich, wenn Adressat der Geltendmachung lediglich der Arbeitgeber sein sollte. Die Verwendung des weiteren Begriffs des anderen Vertragspartners spricht dafür, daß die Geltendmachung der Ansprüche beider Vertragspartner aus dem Arbeitsverhältnis geregelt werden sollte.
Auf einen dahingehenden Willen der Tarifvertragsparteien deutet weiter die Nr. 5 dieses Paragraphen hin, die auch das Berufungsgericht bei einer nur auf Arbeitnehmeransprüche beschränkten Fristenregelung für wenig sinnvoll hält. Darin werden ausdrücklich Schadenersatzansprüche aus Verkehrsunfällen und mit Strafe bedrohte Handlungen von der Anwendbarkeit der in § 13 Nr. 1 - 4 MTV geregelten Ausschlußfristen ausgenommen. Derartige Ansprüche entstehen jedoch im Arbeitsleben gewöhnlich durch ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber. Eine solche Ausnahmeregelung wäre somit nicht erforderlich gewesen, wenn die Arbeitgeberansprüche nach dem Willen der Tarifvertragsparteien ohnehin nicht unter die tarifliche Ausschlußklausel fallen sollten.
c) Dieses Auslegungsergebnis wird bestätigt durch die Tarifgeschichte und die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages.
Der MTV vom 8. Februar 1982 erfaßt in seinem persönlichen Geltungsbereich alle Groß- und Außenhandelsunternehmen einschließlich der Hilfs- und Nebenbetriebe und die von ihnen beschäftigen Arbeitnehmer und Auszubildenden. Demgegenüber waren die für den Groß- und Außenhandel NRW maßgeblichen vorhergehenden Manteltarifverträge vom 22. Februar 1977 - gültig ab 1. Januar 1977 - für die Angestellten und die gewerblichen Arbeitnehmer gesondert abgeschlossen. Sie enthielten, wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat, jeweils in § 11 Ausschlußfristen für die schriftliche Geltendmachung von Ansprüchen beider Arbeitsvertragsparteien "dem anderen Vertragspartner gegenüber" von drei Monaten (Angestellte) bzw. sechs Wochen (Arbeiter) nach Fälligkeit. In diesen, für die beiden Arbeitnehmergruppen getrennt abgeschlossenen Tarifverträgen war eine innerhalb der Ausschlußklausel vorzunehmende Differenzierung zwischen Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmern nicht notwendig, wohl aber in dem nunmehr für beide gemeinsam abgeschlossenen Tarifvertrag, sofern man die unterschiedlichen Verfallfristen für Angestellte und gewerbliche Arbeitnehmer beibehalten wollte.
Wie das Berufungsgericht ferner aufgrund von Auskünften der Tarifvertragsparteien in einem Parallelverfahren festgestellt hat, wollten diese für den neuen Tarifvertrag auch an der Geltung der Ausschlußfristenregelung für die Ansprüche beider Arbeitsvertragsparteien an dem Arbeitsverhältnis nichts ändern. Sie hatten nur übersehen, daß wegen der aus den vorstehend dargestellten Gründen erforderlich gewordenen Differenzierung zwischen Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmern Anlaß bestand, die Ansprüche des Arbeitgebers ausdrücklich in der Ausschlußklausel zu erwähnen, um ihre Geltung auch für diese Ansprüche klarzustellen. Gegen diese Feststellung des Berufungsgerichts haben die Parteien in der Revisionsinstanz keine Einwendungen erhoben. Auch der Senat kann sie daher seiner Entscheidung zugrunde legen.
IV. Ist die tarifliche Fristenregelung somit wirksam, sind die Lohnansprüche der Klägerin für die Monate September bis Dezember 1984 verfallen. Das Arbeitsgericht hat daher die Klage insoweit zu Recht abgewiesen, so daß sein Urteil wiederhergestellt werden mußte.
Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller
Dr. Harder Dr. Wolter
Fundstellen