Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsfall der Invalidität
Leitsatz (amtlich)
Eine betriebliche Ruhegeldordnung kann den Versorgungsfall der Invalidität von der doppelten Voraussetzung abhängig machen, daß nicht nur Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, sondern darüber hinaus das Arbeitsverhältnis geendet hat.
Normenkette
BGB §§ 242, 271; RVO §§ 182-183
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 04.06.1982; Aktenzeichen 6 Sa 114/82) |
ArbG Koblenz (Urteil vom 04.12.1981; Aktenzeichen 4 Ca 1614/81) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Juni 1982 – 6 Sa 114/82 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger trat vor mehr als 25 Jahren in die Dienste der Beklagten. In den Jahren 1979 und 1980 erhielt er Jahresabschlußvergütungen und im Dezember 1980 1.200,-- DM aus Anlaß seines Dienstjubiläums. Unter dem Datum vom 9. Dezember 1980 bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 21. Oktober 1979 und setzte den Versicherungsfall auf den 2. April 1979 fest. Mit dem 31. Januar 1981 beendeten die Parteien das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen. Seit dem 1. Februar 1981 erhält der Kläger von der Beklagten Ruhegeld wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 100,-- DM monatlich. Maßgebend ist eine Ruhegeldordnung vom 1. Januar 1973. In dieser heißt es:
“§ 5 Leistungsvoraussetzungen für die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente
1. Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente erhält der Betriebsangehörige, der als dauernd berufs- oder erwerbsunfähig im Sinne der Gesetze zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten vom 23. Februar 1957 anerkannt ist. Die Vorschriften dieser Gesetze gelten auch für die Betriebsangehörigen, die der Versicherungspflicht nicht unterliegen.
2. Der Betriebsangehörige muß die Wartezeit (§ 2) erfüllt haben. Sie verringert sich auf fünf Jahre, wenn der Anspruch auf Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente auf einen Betriebsunfall zurückzuführen ist.
3. Die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente wird nur gewährt, wenn der Betriebsangehörige aus dem Grund der dauernden Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit aus den Diensten der Gesellschaft ausscheidet.
§ 19 Beginn und Ende der Auszahlung des Ruhegeldes
1. Das Ruhegeld wird erstmals für den Monat gewährt, der dem Versorgungsfall folgt, letztmalig für den Monat, in dem die Ruhegeldvoraussetzungen weggefallen sind.”
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß der Versorgungsfall bereits am 1. Mai 1979 eingetreten und die Beklagte verpflichtet gewesen sei, ihm ab diesem Zeitpunkt Ruhegeld zu zahlen.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.100,-- DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit (7. Oktober 1981) zu zahlen;
2. festzustellen, daß die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der betrieblichen Erwerbsunfähigkeitsrente mit dem 1. Mai 1979 begonnen hat.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, daß sie dem Kläger erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe Ruhegeld zahlen müssen. Bis dahin habe sie den Kläger als aktiven Arbeitnehmer behandelt. Als Pensionär hätte der Kläger keinen Anspruch auf Abschlußvergütungen oder Jubiläumszuwendungen gehabt. Vorsorglich rechne sie mit einem entsprechenden Rückforderungsanspruch auf.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Klage zulässig ist. Mit dem Zahlungsantrag zu 1) verfolgt der Kläger die nach seiner Auffassung aufgelaufenen Ruhegeldrückstände. Mit dem Feststellungsantrag zu 2) begehrt er eine Klärung des Streits über den Beginn des Ruhestandsverhältnisses. Dies ist nach § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Hiernach kann bis zum Schluß derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, auf Antrag des Klägers ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreites ganz oder zum Teil abhängt, zur Entscheidung des Gerichtes gestellt werden. Die Entscheidung über den Zahlungsantrag hängt von dem Beginn des Ruhestandsverhältnisses ab. Dessen genaue Festlegung ist geboten, da das streitige Datum auch über den gegenwärtigen Prozeß hinaus Bedeutung haben kann (BGH MDR 1982, 642, 643). Der Beginn des Ruhestandsverhältnisses ist für die Verpflichtung der Beklagten maßgebend, die Ruhestandsbezüge veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen (§ 16 BetrAVG).
II. Dem Landesarbeitsgericht ist darin beizutreten, daß der Kläger erst seit dem 1. Februar 1981 von der Beklagten Invalidenrente verlangen kann.
Aus der Versorgungszusage des Arbeitgebers ergibt sich, wann die von ihm geschuldeten Ruhegeldleistungen fällig werden. Nach § 19 der Ruhegeldordnung der Beklagten wird eine Betriebsrente erstmals für den Monat gewährt, der dem Versorgungsfall folgt, längstens für den Monat, in dem die Ruhegeldvoraussetzungen weggefallen sind. Versorgungsfall im Sinne der betrieblichen Altersversorgung ist der Tatbestand, für den die Versorgung zugesagt worden ist. Er tritt ein mit der Erfüllung aller Leistungsvoraussetzungen. Dies verkennt die Revision, wenn sie allein auf den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit abstellt. Insoweit verwechselt sie den betrieblichen Versorgungsfall mit dem Versicherungsfall des Sozialversicherungsrechtes.
Nach der Ruhegeldordnung der Beklagten liegt ein Versorgungsfall vor, wenn die Voraussetzungen für die Entstehung des Ruhegeldanspruches wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt sind. Nach § 5 der Ruhegeldordnung entsteht ein Anspruch auf betriebliche Invaliditätsrente erst dann, wenn der Versicherungsfall der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, der Arbeitnehmer darüber hinaus die fünfjährige Wartezeit erfüllt hat und schließlich auch das Arbeitsverhältnis beendet worden ist. Die von der Beklagten getroffene Regelung ist nach ihrem Wortlaut eindeutig. Sie verlangt über den Versicherungsfall hinaus die Erfüllung weiterer Tatbestandsmerkmale. Das ist im allgemeinen rechtlich nicht zu beanstanden.
Durch die Regelung, daß betriebliche Invaliditätsrenten erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu zahlen sind, wird sichergestellt, daß für die Arbeitnehmer nicht gleichzeitig Ansprüche auf Arbeitsvergütung und Ruhegeld erwachsen können. Wenn der Kläger darauf verweist, daß er gegen die Beklagte keine Vergütungsansprüche mehr gehabt habe, sondern seit dem 30. April 1979 nur noch Krankengeld beanspruchen konnte, so ändert dies nichts an der Beurteilung. Wird ein Arbeitnehmer infolge Krankheit arbeitsunfähig, so erhält er Krankengeld, wenn die Ansprüche auf Vergütungsfortzahlung gegen den Arbeitgeber erschöpft sind (§ 182 Abs. 1 Nr. 2, § 183 Abs. 2 RVO). Das Krankengeld hat Lohnersatzfunktion. Allerdings endet der Anspruch auf Krankengeld, wenn dem Arbeitnehmer eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente gewährt wird (§ 183 Abs. 3 Satz 1 RVO). Indes werden dem Versicherten die Krankenbezüge belassen, soweit sie über den Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit hinaus gezahlt worden sind (§ 183 Abs. 3 Satz 2 RVO). So ist es auch bei dem Kläger geschehen. Ob anders zu entscheiden ist, wenn das Arbeitsverhältnis nur noch formal besteht, ohne daß dies praktische Bedeutung hätte, kann offenbleiben.
Unterschriften
Dr. Dieterich
zugleich für den Richter am BAG Griebeling, der durch Urlaub an der Unterschriftsleistung verhindert ist.
Schaub, Kunze, Dr. Sponer
Fundstellen
Haufe-Index 1745544 |
ZIP 1984, 1260 |