Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariflicher Sonderkündigungsschutz. Auslegung tarifvertraglicher Regelungen (Textilindustrie) zum Schutz älterer und langjährig beschäftigter Arbeitnehmer vor ordentlicher Kündigung. Ausnahmen vom Sonderkündigungsschutz
Orientierungssatz
1. Die Regelung in § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a TV-Westfalen, nach der – in Abweichung von dem in § 2 Nr. 1 Satz 1 des Tarifvertrags geregelten besonderen Kündigungsschutz älterer und langjährig beschäftigter Arbeitnehmer – bei Stilllegung wesentlicher Betriebsteile eine ordentliche Kündigung zulässig ist, sofern der Betriebsrat nicht widerspricht, verlangt nicht, dass der zu kündigende Arbeitnehmer dem stillgelegten Betriebsteil zugeordnet ist. Sie steht der Einbeziehung vergleichbarer, außerhalb des fraglichen Betriebsteils eingesetzter Arbeitnehmer in eine Sozialauswahl selbst dann nicht entgegen, wenn diese Mitarbeiter ihrerseits dem grundsätzlich besonders geschützten Personenkreis angehören.
2. Die durch § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b TV-Westfalen eröffnete Möglichkeit zur Abweichung vom Sonderkündigungsschutz durch ordentliche Kündigung in „anderen sachlich begründeten Fällen” greift – bei Ausbleiben eines Widerspruchs des Betriebsrats – jedenfalls dann ein, wenn die Kündigung auf einer Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG in Gestalt eines Personalabbaus beruht, die zu einem Interessenausgleich und Sozialplan geführt hat. Das gilt unabhängig davon, ob die Leistungen, die der Arbeitnehmer aus dem Sozialplan beanspruchen kann, hinreichend auskömmlich sind.
Normenkette
Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer (Arbeiter) vom 23. Mai 1974 (TV-Westfalen) i.d.F. vom 5. Mai 1980 § 2 Nrn. 1-2; AGG § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, 3, § 10 S. 1; BetrVG § 111 S. 3 Nr. 1; BGB § 134; KSchG § 17 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 1. März 2013 – 12 Sa 1169/12 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Textilindustrie. Im Frühjahr 2012 beschäftigte sie etwa 225 Arbeitnehmer. An ihrem Sitz in B ist ein Betriebsrat gebildet. Der 1952 geborene Kläger war seit April 1993 bei ihr als Maschinenführer im Bereich „Ausrüstung” tätig. Er war an der „Senge”, an der „Babcock” und an der „Benninger-Waschmaschine” eingesetzt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der „Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer (Arbeiter)” vom 23. Mai 1974 (TV-Westfalen) Anwendung. Der Tarifvertrag wurde ursprünglich zwischen dem Verband der Textilindustrie Westfalen und der (damaligen) Gewerkschaft Textil-Bekleidung abgeschlossen. Im März 1998 wurde er in der Fassung vom 5. Mai 1980 nebst Protokollnotizen auf die IG Metall „übergeleitet”. Unter § 2 des Tarifvertrags („Kündigungsschutz”) heißt es:
- „Einem gewerblichen Arbeitnehmer kann nach Vollendung des 55. Lebensjahres und einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von mindestens 10 Jahren bis zur Bewilligung des Altersruhegeldes, längstens jedoch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, das Beschäftigungsverhältnis nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.
- Bei Betriebsstillegung ist die ordentliche Kündigung erst zum Zeitpunkt der endgültigen Produktionseinstellung zulässig.
Wenn der Betriebsrat nicht widerspricht, kann von Ziffer 1 abgewichen werden:
- bei Stillegung wesentlicher Betriebsteile
- in anderen sachlich begründeten Fällen.
Erhebt der Betriebsrat Widerspruch, so hat er diesen sachlich zu begründen. Kommt zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat keine Einigung zustande, so werden die Tarifparteien angerufen. Bleiben auch deren Einigungsbemühungen erfolglos, so steht der Rechtsweg offen.
- Für Änderungskündigungen gelten die Bestimmungen des BetrVG mit der Maßgabe, dass die von einer Maßnahme nach § 99 BetrVG betroffenen Arbeitnehmer Anspruch auf die Leistungen nach § 3, Ziffer 2 und 3 dieses Tarifvertrages haben.”
Am 28. März 2012 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit zwei Namenslisten als Anlagen. Die „Namensliste 1”, die laut § 2 „fester Bestandteil dieses Interessenausgleichs und mit diesem durch Heftung fest verbunden” ist, weist die Namen von 50 zu kündigenden Arbeitnehmern aus. Unter Nr. 1 ist der Name des Klägers aufgeführt. In der „Namensliste 2” sind Arbeitnehmer genannt, die für eine Versetzung vorgesehen waren und ggf. eine Änderungskündigung erhalten sollten.
Mit Schreiben vom 29. März 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „unter Einhaltung der tarifvertraglichen Kündigungsfrist” zum 31. Mai 2012.
Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG lägen nicht vor. Interessenausgleich und Namensliste seien nicht fest miteinander verbunden gewesen. Sein bisheriger Arbeitsplatz sei nicht weggefallen. Die soziale Auswahl sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Er sei sozial schutzbedürftiger als ein anderer – namentlich benannter – Arbeitnehmer. Die Kündigung sei überdies wegen Verstoßes gegen die Regelung über den Ausschluss der ordentlichen Kündigung in § 2 Nr. 1 Satz 1 TV-Westfalen unwirksam. Auch fehle es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats und einer korrekten Massenentlassungsanzeige. Zudem sei die Kündigungsfrist nicht gewahrt. Die im Manteltarifvertrag enthaltene Regelung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit für gewerbliche Arbeitnehmer kürzere Kündigungsfristen vereinbart seien als für Angestellte. Maßgebend sei deshalb auch für ihn die für Angestellte geltende – gesetzliche – Kündigungsfrist.
Der Kläger hat beantragt
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29. März 2012 nicht beendet worden ist;
- im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, die ordentliche Kündigung sei wegen § 2 Nr. 2 TV-Westfalen nicht ausgeschlossen gewesen. Sie beruhe auf einer Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG in Form eines Personalabbaus. Darin liege, zumal ein Interessenausgleich und ein Sozialplan vereinbart worden seien, ein „sachlich begründeter Fall” im Sinne der tariflichen Ausnahmeregelung. Ein Widerspruch des Betriebsrats sei nicht erfolgt. Im Übrigen liege ein „sachlich begründeter Fall” im Sinne der Tarifvorschrift stets dann vor, wenn die Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei. Davon sei im Streitfall auszugehen. Der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger sei nach § 1 Abs. 5 KSchG zu vermuten. Die erforderliche Schriftform sei von Interessenausgleich und Namensliste gewahrt. Einen groben Fehler bei der Sozialauswahl habe der Kläger nicht aufgezeigt. Mit sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmern aus dem Bereich „Ausrüstung” sei er wegen geringerer Verwendungsbreite nicht vergleichbar. Die Anhörung des Betriebsrats sei korrekt erfolgt. Eine Massenentlassungsanzeige habe sie ordnungsgemäß erstattet.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. März 2012 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Kündigung sei wegen Verstoßes gegen § 2 Nr. 1 Satz 1 TV-Westfalen unwirksam (§ 134 BGB).
1. Die persönlichen Voraussetzungen des besonderen Kündigungsschutzes nach dieser Bestimmung liegen allerdings vor. Der Kläger war im Kündigungszeitpunkt 59 Jahre alt und konnte auf eine 18-jährige Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten zurückblicken. Sein Arbeitsverhältnis war deshalb – vorbehaltlich der in § 2 Nr. 2 TV-Westfalen genannten Ausnahmen – nur noch aus wichtigem Grund kündbar. Eine außerordentliche Kündigung hat die Beklagte nicht erklärt. Zu einer Stilllegung des Betriebs – die nach § 2 Nr. 1 Satz 2 TV-Westfalen die ordentliche Kündigung ebenfalls eröffnet hätte – kam es nicht.
2. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen aber nicht das Ergebnis, die ordentliche Kündigung sei auch mit Blick auf § 2 Nr. 2 TV-Westfalen unzulässig. Die Beklagte hat zwar nicht dargetan, dass die Kündigung wegen „Stilllegung wesentlicher Betriebsteile” iSv. Satz 1 Buchst. a der Vorschrift erfolgt wäre. Ihrem Vorbringen zufolge liegt jedoch ein „anderer sachlich begründeter Fall” iSv. Satz 1 Buchst. b der Regelung vor. Danach beruht die Kündigung auf einer Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, die zu einem Interessenausgleich und Sozialplan geführt hat. Bei einer solchen Sachlage ist die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung gegeben. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Bestimmungen.
a) Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien war nicht deshalb zulässig, weil die Beklagte sich entschlossen hatte, ihre Weberei stillzulegen und die Abteilung „Haus und Hof” aufzulösen. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, damit habe sie keinen Kündigungssachverhalt iSv. § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a TV-Westfalen aufgezeigt, ist im Ergebnis zutreffend.
aa) Dies folgt, anders als das Landesarbeitsgericht gemeint hat, nicht schon daraus, dass der Kläger keinem dieser betrieblichen Bereiche zugeordnet war. Die Tarifvorschrift lässt es durchaus zu, ältere Arbeitnehmer, die außerhalb eines „wesentlichen Betriebsteils” tätig sind, mit dort beschäftigten Arbeitnehmern in die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG einzubeziehen.
(1) Wird ein Betriebsteil oder eine Betriebsabteilung geschlossen, ist eine nach § 1 Abs. 3 KSchG gebotene soziale Auswahl nicht auf die fragliche Einheit beschränkt. Sie ist bezogen auf den gesamten Betrieb vorzunehmen. Das gilt auch dann, wenn einzelne Betriebsstätten desselben Betriebs räumlich weit voneinander entfernt liegen (BAG 3. Juni 2004 – 2 AZR 577/03 – zu C I 1 der Gründe mwN). Fallen infolge der Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils Beschäftigungsmöglichkeiten weg, kann dies dazu führen, dass statt des Arbeitsverhältnisses eines dort beschäftigten Arbeitnehmers dasjenige eines Mitarbeiters, der in einem anderen, nicht stillgelegten Teil des Betriebs tätig ist, gekündigt werden muss, weil dieser Mitarbeiter nach arbeitsplatzbezogenen Kriterien mit einem in dem stillgelegten Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer vergleichbar und sozial weniger schutzbedürftig ist (vgl. BAG 3. Juni 2004 – 2 AZR 577/03 – aaO).
(2) Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck der Tarifregelung sprechen für die Annahme, abweichend vom Gesetz sei die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung „bei Stilllegung wesentlicher Betriebsteile” auf solche – älteren – Arbeitnehmer beschränkt, die im Kündigungszeitpunkt in dem betreffenden Betriebsteil tätig seien. Die Tarifvertragsparteien haben in § 2 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 1 Buchst. a TV-Westfalen die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen, an Maßnahmen des Arbeitgebers gebunden, die in Unternehmen mit mehr als zwanzig Arbeitnehmern mitbestimmungspflichtige Betriebsänderungen iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG darstellen (zu den inhaltsgleichen Regelungen in § 2 des Tarifvertrags der nordrheinischen Textilindustrie zur Sicherung älterer Arbeitnehmer [TV-Nordrhein] vgl. BAG 8. August 1985 – 2 AZR 464/84 – zu A II 2 b aa der Gründe). Die damit einhergehende Einschränkung des besonderen Kündigungsschutzes dient erkennbar dem Zweck, ältere Arbeitnehmer innerhalb der betrieblichen Solidargemeinschaft dann nicht zu bevorzugen, wenn bestimmte kollektiv bedeutsame Tatbestände eintreten, die typischerweise die Belegschaft als Ganze oder doch wesentliche Teile von ihr betreffen (vgl. BAG 23. Februar 2012 – 2 AZR 773/10 – Rn. 25). Das wiederum legt die Annahme nahe, dass die Tarifvertragsparteien im Falle des § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a TV-Westfalen die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung gegenüber dem geschützten Personenkreis ohne Beschränkung auf die betroffenen Betriebsteile zulassen wollten. Der Zweck der Regelung würde andernfalls zumindest teilweise verfehlt.
(3) Die gegenteilige Auslegung könnte im Übrigen dazu führen, dass ein „unkündbarer” älterer Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz behielte, obwohl sich die darauf beruhende Auswahl eines Jüngeren als grob fehlerhaft erwiese. Eine tarifliche Regelung über den Schutz älterer Arbeitnehmer wiederum, die sich in dieser Weise auswirkte, könnte nicht mehr als gerechtfertigt iSv. § 10 Satz 1 AGG angesehen werden und wäre wegen Verstoßes gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach § 7 Abs. 1, Abs. 3, § 3 Abs. 1 AGG zumindest teilweise unwirksam (BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 295/12 – Rn. 35 ff., 50 ff., BAGE 145, 296). Auch diese – zumindest nicht gänzlich auszuschließende – Konsequenz spricht dagegen, die in Rede stehende Ausnahmebestimmung nur auf Arbeitnehmer anzuwenden, die der stillgelegten Einheit im Kündigungszeitpunkt zugeordnet waren.
bb) Die Beklagte kann sich dennoch nicht auf einen Kündigungstatbestand iSv. § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a TV-Westfalen berufen.
(1) Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und das ihnen zugrunde liegende Parteivorbringen lassen nicht erkennen, dass der Kläger von der Schließung der Weberei oder der Abteilung „Haus und Hof” zumindest im Rahmen einer Sozialauswahl betroffen gewesen wäre. Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung der Kündigung vielmehr auf eine Verringerung des Personalbestands im Bereich „Ausrüstung” als Folge sich dort auswirkender organisatorischer Maßnahmen, insbesondere einer „Schichtenreduzierung”, berufen.
(2) Danach kann im Ergebnis offenbleiben, ob es sich bei der Weberei oder der Abteilung „Haus und Hof” um wesentliche Betriebsteile im Sinne der Tarifvorschrift gehandelt hat. Die bisherigen Feststellungen lassen jedenfalls nicht erkennen, dass das Kriterium der „Wesentlichkeit” erfüllt wäre. In beiden Bereichen waren – zusammengerechnet – lediglich neun Arbeitnehmer und damit deutlich weniger Personen beschäftigt, als für das Erreichen des Schwellenwerts des § 17 Abs. 1 KSchG erforderlich wäre (zur Berücksichtigung dieses Kriteriums im Rahmen von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG vgl. BAG 28. März 2006 – 1 ABR 5/05 – Rn. 41, BAGE 117, 296; 7. August 1990 – 1 AZR 445/89 – zu III 1 der Gründe). Es liegen auch keine genügenden Anhaltspunkte vor, die unabhängig von der Personalstärke zu der Annahme berechtigten, die fraglichen Einheiten stellten aufgrund anderer Umstände, insbesondere ihrer Bedeutung für den Gesamtbetrieb, „wesentliche” Betriebsteile im tariflichen Sinne dar.
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist, das Vorbringen der Beklagten als wahr unterstellt, ein „anderer sachlich begründeter Fall” iSv. § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b TV-Westfalen gegeben.
aa) Die Beklagte meint, nach dieser Vorschrift sei die ordentliche Kündigung bereits dann zulässig, wenn der Betriebsrat nicht widersprochen habe und die Kündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt sei, ohne dass es noch auf weitere Voraussetzungen ankomme. Ob dieser Auffassung gefolgt werden kann, erscheint fraglich (so auch BAG 8. August 1985 – 2 AZR 464/84 – zu A II 2 a der Gründe, zu § 2 Nr. 2 TV-Nordrhein).
(1) Die Tarifvertragsparteien haben nicht näher definiert, was sie unter einem „sachlich begründeten Fall” im Sinne der Tarifvorschrift verstehen.
(2) Der Wortlaut und die Systematik der Kündigungsregelung, insbesondere das in ihr zum Ausdruck kommende Regel-Ausnahme-Verhältnis sprechen aber dafür, dass sie über § 1 Abs. 2 KSchG hinausgehende Anforderungen stellen wollten und die soziale Rechtfertigung der Kündigung allein nicht genügen soll.
(a) Die in § 2 Nr. 2 Satz 1 TV-Westfalen genannten Kündigungsmöglichkeiten stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Die Regelung verlangt für ihre zweite Alternative einen anderen „sachlich begründeten Fall”. Die Formulierung „anderer … Fall” bezieht sich auf den voranstehenden Tatbestand einer Kündigung „bei Stilllegung wesentlicher Betriebsteile”. Dieser Kündigungssachverhalt dient ersichtlich als Vergleichsmaßstab für die „anderen” Anwendungsfälle. Das spricht gegen die Annahme, die ordentliche Kündigung sei schon bei Vorliegen von Gründen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG zulässig.
(b) Ein anderes Verständnis hätte eine erhebliche Einschränkung des eigentlich beabsichtigten Schutzes älterer Arbeitnehmer zur Folge. Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes hinge es – ausgenommen der Fall einer Betriebsstilllegung – ausschließlich vom Widerspruch des Betriebsrats ab, ob die Kündigung eines „wichtigen Grundes” bedarf oder nicht. Da dem Arbeitgeber auch bei einem Widerspruch des Betriebsrats nach erfolglosen weiteren Einigungsbemühungen iSv. § 2 Nr. 2 Satz 3 TV-Westfalen „der Rechtsweg offen steht”, folgte aus dem Widerspruch unter Umständen nur ein zeitweiliger Aufschub der Kündigung. Dass die Tarifvertragsparteien lediglich einen solchen – marginalen – Schutz gewährleisten wollten, ist schwerlich anzunehmen. Dann wäre insbesondere fraglich, warum es der Ausnahme vom besonderen Kündigungsschutz bei der „Stilllegung wesentlicher Betriebsteile” überhaupt bedurfte. Es hätte näher gelegen, lediglich auf einen „sachlich begründeten Fall” und das Fehlen eines Widerspruchs des Betriebsrats abzustellen.
bb) Die Frage muss für den Streitfall nicht entschieden werden. Damit kann ebenso offenbleiben, ob die von den ursprünglichen Tarifvertragsparteien gemeinsam vorgenommenen „Erläuterungen zum Tarifvertrag für Arbeiter vom 23. Mai 1974” als gerichtliche Interpretationshilfe dienen können (zum Charakter und den Voraussetzungen einer Heranziehung gemeinsamer Erläuterungen der Tarifvertragsparteien bei der Auslegung von Tarifnormen vgl. BAG 5. Dezember 2001 – 10 AZR 242/01 – zu II 1 e der Gründe). Zum einen nämlich beruft sich die Beklagte zur Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung auf eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG in Form eines Personalabbaus mit darauf bezogenem Sozialplan und damit auf einen kollektiven Sachverhalt, für den die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung nach § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b TV-Westfalen in der Tat eröffnet ist. Zum anderen hat sich der Betriebsrat lediglich zu Kündigungen in Zusammenhang mit dem konkret anstehenden Personalabbau geäußert. In § 6 des Interessenausgleichs heißt es, er nehme „die auszusprechenden Beendigungskündigungen gem. § 2 Ziffer 2 des Tarifvertrages […] zur Kenntnis und stimm[e] ihnen ausdrücklich zu”. Ein davon abweichender Kündigungssachverhalt wurde dem Betriebsrat nicht unterbreitet. Für einen solchen – etwa rein individuellen – Sachverhalt hat er dementsprechend auf einen Widerspruch nicht verzichtet.
(1) Mit Blick auf die Regelung in § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b TV-Nordrhein ist ein „anderer sachlich begründbarer Fall”, bei dem der Ausschluss der ordentlichen Kündigung – bei Ausbleiben eines Widerspruchs des Betriebsrats – aufgehoben wird, gegeben, wenn es um die Auswirkungen einer Betriebsänderung geht, die zu einem Sozialplan und Interessenausgleich für die davon betroffenen Arbeitnehmer geführt hat (BAG 8. August 1985 – 2 AZR 464/84 – zu A II der Gründe). Mit den in § 2 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 1 Buchst. a TV-Nordrhein bezeichneten Ausnahmetatbeständen der Betriebsstilllegung und der Stilllegung wesentlicher Betriebsteile ist zumindest eine sozialplanpflichtige Personalabbaumaßnahme vergleichbar (BAG 8. August 1985 – 2 AZR 464/84 – aaO).
(2) Für die inhaltsgleiche Regelung in § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b TV-Westfalen gilt nichts anderes. Das Landesarbeitsgericht, das einen „sachlich begründeten Fall” nur annehmen will, wenn entweder für den Arbeitnehmer im Betrieb faktisch keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr bestehen oder aber Umstände vorliegen, die seine Weiterbeschäftigung unzumutbar erschweren, überspannt die Anforderungen an den tariflichen Ausnahmetatbestand.
(a) Von § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b TV-Westfalen werden, wie aufgezeigt, Kündigungssachverhalte erfasst, die mit dem Tatbestand der „Stilllegung wesentlicher Betriebsteile” sachlich auf einer Ebene liegen. Dazu zählt ein Personalabbau jedenfalls dann, wenn er die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht und deshalb – wie erwähnt – als Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG zu qualifizieren ist. In einem solchen Fall ist regelmäßig davon auszugehen, dass die unternehmerische Maßnahme mit einer erheblichen Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebs als Ganzem einhergeht. Dies ist typischerweise auch die Folge einer „Stilllegung wesentlicher Betriebsteile”. Für die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Betriebs macht es keinen entscheidenden Unterschied, ob sie ihren Grund in der Stilllegung ganzer Betriebsteile oder in einer erheblichen Reduzierung der Stammbelegschaft hat.
(b) Die tarifliche Ausnahmebestimmung kann nicht dahin verstanden werden, dass die ordentliche Kündigung gegenüber einem tariflich besonders geschützten Arbeitnehmer nur zulässig ist, wenn die Möglichkeiten, diesen im bisherigen Arbeitsbereich zu beschäftigen, gänzlich entfallen oder zumindest erheblich erschwert sind. Auch die tarifliche Möglichkeit einer Kündigung „bei Stilllegung wesentlicher Betriebsteile” setzt nicht zwingend voraus, dass der konkrete Arbeitsplatz des älteren Arbeitnehmers entfallen ist. Ein Kündigungssachverhalt iSv. § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b TV-Westfalen ist vielmehr – wie gezeigt – auch dann gegeben, wenn der ältere Arbeitnehmer von dem in Rede stehenden Personalabbau zumindest im Rahmen der Sozialauswahl betroffen ist (so im Ergebnis auch BAG 8. August 1985 – 2 AZR 464/84 – zu A II 2 b der Gründe; LAG Hamm 21. Juli 2005 – 4 (17) Sa 695/05 – zu 3 der Gründe). Die Qualifizierung eines erheblichen Personalabbaus als „anderer sachlich begründeter Fall” entspricht dabei dem Regelungszweck. Den ansonsten besonders geschützten älteren Arbeitnehmern wird bei kollektiven Maßnahmen Solidarität mit der Gesamtbelegschaft abverlangt. Die (Wieder-)Eröffnung der ordentlichen Kündbarkeit und damit die Sozialauswahl vermeidet Widersprüche zu den gesetzlichen Regelungen in § 1 Abs. 3 bis Abs. 5 KSchG und trägt dem Verbot der Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer Rechnung.
(c) Für das Verständnis von § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b TV-Westfalen ist es unerheblich, dass der betroffene Arbeitnehmer – wie im Streitfall der Kläger – keine Abfindung beanspruchen kann, die ihrer Höhe nach geeignet wäre, finanzielle Einbußen bis zum Bezug von Altersruhegeld vollständig zu kompensieren.
(aa) Die Betriebsänderung gemäß dem Interessenausgleich vom 28. März 2012 hat zu einem Sozialplan geführt, der Abfindungsleistungen an betroffene Arbeitnehmer vorsieht. Danach kann der Kläger bei Ausscheiden aus dem Betrieb eine Abfindung von 4.807,00 Euro beanspruchen. Aus einem Härtefonds steht ihm ein weiterer Betrag von 9.000,00 Euro zu. Außerdem kann er die Rückzahlung von Sanierungsbeiträgen iHv. 18.195,00 Euro verlangen.
(bb) Die Tarifvertragsparteien haben auch in den ausdrücklich geregelten Fällen der Betriebsstilllegung und der Stilllegung wesentlicher Betriebsteile für die (Wieder-)Eröffnung der Möglichkeit ordentlicher Kündigungen nicht etwa darauf abgestellt, dass Ansprüche auf hinreichend auskömmliche Leistungen aus einem Sozialplan entstünden. Ersichtlich genügte ihnen unter diesem Aspekt der Umstand, dass mit beiden Fällen von Betriebsänderungen überhaupt die Erzwingbarkeit eines Sozialplans einhergeht. Wie hoch die auf ihm beruhenden Leistungen ausfallen, ist für die Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung ohne Bedeutung. Für die Angemessenheit einer Abfindung kommt es nicht allein auf einen Ausgleich der zu erwartenden finanziellen Einbußen an, sondern auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit für das Unternehmen (vgl. BAG 22. Januar 2013 – 1 ABR 85/11 – Rn. 16 ff. mwN).
II. Die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann mangels erforderlicher Feststellungen nicht beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist.
1. Es steht nicht fest, ob die ordentliche Kündigung tariflich zulässig ist. Zwar hat die Beklagte eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG und insoweit einen Anwendungsfall iSv. § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b TV-Westfalen schlüssig behauptet. Der am 28. März 2012 vereinbarte Interessenausgleich sieht die Entlassung von 50 Arbeitnehmern vor. Damit ist bei einer Beschäftigtenzahl von 225 Arbeitnehmern der von § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG geforderte Schwellenwert erreicht. Der Betriebsrat hat einer auf dieser Betriebsänderung beruhenden Kündigung des Klägers auch nicht widersprochen. Der Kläger hat aber bestritten, dass die Beklagte den im Interessenausgleich verabredeten Personalabbau tatsächlich durchgeführt hat. Dieser Einwand ist nicht nur hinsichtlich einer möglichen Anwendung von § 1 Abs. 5 KSchG, sondern auch mit Blick auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz erheblich. Sollte sich die Beklagte von ihren ursprünglichen Planungen so weit entfernt haben, dass der tatsächliche Kündigungssachverhalt ein anderer wäre als derjenige, zu dem sich der Betriebsrat geäußert hat, wäre der Verlust des Sonderkündigungsschutzes nicht eingetreten.
2. Das Bestreiten des Klägers ist nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil er außerdem gerügt hat, die Beklagte habe eine nur im Fall des § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige nicht ordnungsgemäß erstattet. Es ist dem Kläger prozessual unbenommen, geltend zu machen, seine Kündigung stehe nicht in Zusammenhang mit der verabredeten Betriebsänderung, und sich zugleich – hilfsweise – den Vortrag der Beklagten zu einem Personalabbau zu eigen zu machen.
3. Das Landesarbeitsgericht wird demnach zu prüfen haben, ob die Kündigung in Zusammenhang mit dem vereinbarten Personalabbau steht. Ggf. wird es auf eine Ergänzung des Parteivorbringens hinwirken müssen. Sollte es erneut zu der Auffassung gelangen, die Voraussetzungen des § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b TV-Westfalen lägen nicht vor, wird es bei den gegebenen Sozialdaten davon ausgehen können, dass der damit einhergehende Ausschluss der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung mit dem Verbot der Altersdiskriminierung vereinbar ist.
4. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Kläger hat sich zwar für die geltend gemachte Unwirksamkeit der Kündigung auch darauf berufen, diese sei sozial ungerechtfertigt. Außerdem hat er gerügt, es fehle an einer korrekten Massenentlassungsanzeige und einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit dem Vorbringen aber nicht befasst und keine darauf bezogenen Feststellungen getroffen. Eine abschließende Beurteilung ist dem Senat damit nicht möglich.
5. Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangen, die ordentliche Kündigung sei wirksam, wird es sich mit der Frage zu befassen haben, ob die maßgebende Kündigungsfrist gewahrt ist. Auch insoweit ist der Sachverhalt nicht aufgeklärt. Es ist insbesondere nicht festgestellt, welche Fristenregelungen im Kündigungszeitpunkt auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung gelangten und ob diese mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind (vgl. dazu BAG 23. Januar 1992 – 2 AZR 470/91 – BAGE 69, 257; 23. Januar 1992 – 2 AZR 460/91 –).
6. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt auch die Entscheidung über den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung.
Unterschriften
Kreft, Rachor, Koch, K. Schierle, Niebler
Fundstellen
Haufe-Index 7536438 |
BB 2015, 115 |