Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertragliche Zusatzversorgung – absenkende Anpassung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Auszehrung im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrAVG liegt nur dann vor, wenn die Betriebsrenten unter den bei Eintritt des Versorgungsfalls festgesetzten Betrag sinken. Die vom selben Arbeitgeber gewährten Versorgungsleistungen sind dabei in der Regel auch dann als Einheit anzusehen, wenn sie auf verschiedene Versorgungsformen verteilt sind.
2. Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG kann in Tarifverträgen vom Auszehrungsverbot des § 5 Abs. 1 BetrAVG abgewichen werden. Eine derartige Abweichung muß nicht als solche gekennzeichnet werden. Es genügt, daß sich dies zweifelsfrei aus den tarifvertraglichen Regelungen ergibt.
3. Abweichungen vom Auszehrungsverbot berühren nicht die Unverfallbarkeitsregelung des § 1 Abs. 1 BetrAVG, an die auch die Tarifvertragsparteien gebunden sind.
4. Wenn bei einer Gesamtversorgungsobergrenze nicht die Brutto-, sondern die Nettoversorgung maßgebend sein soll, muß dies in der Versorgungsordnung Ausdruck finden (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung, BAG 10. März 1992 – 3 AZR 352/91 – BAGE 70, 36, 39 f.).
Orientierungssatz
Geltung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nur innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des einzelnen Normgebers Gleichbehandlungsgrundsatz bei bloßem Normvollzug nicht anwendbar
Normenkette
BetrAVG § 5 Abs. 1, § 1 Abs. 1, §§ 1, 17 Abs. 3; TVG § 1; GG Art. 3 Abs. 1; BGB § 242
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 12.11.1997; Aktenzeichen 8 Sa 1803/96) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 30.05.1996; Aktenzeichen 11 Ca 2329/96) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 12. November 1997 – 8 Sa 1803/96 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 30. Mai 1996 – 11 Ca 2326/96 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, wie sich die Entwicklung der Nettogehälter und der gesetzlichen Abgaben auf die von der Beklagten geschuldete Zusatzversorgung auswirkt.
Die am 6. Juni 1927 geborene, tarifgebundene Klägerin war vom 1. Oktober 1953 bis 31. Dezember 1985 bei der Beklagten beschäftigt. Am 1. Januar 1986 trat sie in den Vorruhestand. Seit dem 1. Juli 1987 bezog sie Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung, eine Rente vom Beamtenversicherungsverein des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes sowie eine Zusatzversorgung von der Beklagten. Diese hatte am 18. Oktober 1976 mit der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen eine „Tarifvereinbarung über Zusatzversorgungsleistungen” (TV ZVL) geschlossen. In der Präambel hieß es:
„Mit der Tarifvereinbarung über Zusatzversorgungsleistungen haben die Tarifvertragsparteien eine Regelung geschaffen, die die Versorgungsansprüche der Mitarbeiter aus der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Beamten-Versicherungs-Verein des deutschen Bank- und Bankiergewerbes (BVV) wirksam ergänzt. Insgesamt ist damit beim Eintritt in den Ruhestand nach einer entsprechenden Dauer der Betriebszugehörigkeit eine Gesamtversorgung in Höhe des Nettoeinkommens erreichbar. …
Die Vereinbarung legt ferner fest, daß die von den Mitarbeitern erworbenen Zusatzversorgungsanwartschaften während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses an der Gehaltsentwicklung teilnehmen. Auch die Versorgungsleistungen an die Rentner werden durch eine über die gesetzliche Überprüfungspflicht hinausgehende Regelung laufend an die Tarifentwicklung angepaßt.
Die Mitarbeiter brauchen für die Vorsorge im Alter – abgesehen von den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung – keine Eigenleistungen zu erbringen. …
Mit dieser Vereinbarung haben die Tarifvertragsparteien unter Ausschöpfung der Gestaltungsmöglichkeiten des Betriebsrentengesetzes eine Versorgungsregelung geschaffen, die hinsichtlich ihres Gesamtumfangs die Forderung des DGB-Grundsatzprogramms nach Sicherung des erreichten Lebensstandards weitgehend erfüllt.”
Nach § 6 Nr. 2 Satz 1 TV ZVL besteht „der Anspruch auf Zusatzversorgung insoweit, wie zusammen mit a) der Sozialrente, b) den Leistungen des Beamtenversicherungsvereins des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes a. G., c) sonstigen Versorgungsleistungen, die nicht überwiegend auf Beiträgen des Arbeitnehmers beruhen, nicht mehr als 75 vom Hundert des versorgungsfähigen Einkommens gemäß § 5, höchstens jedoch 100 % des Nettoeinkommens erreicht werden”.
Durch Vereinbarung der Tarifvertragsparteien vom 17. Dezember 1986 ist die Zusatzversorgung ab 1. Januar 1986 für Neuzugänge geschlossen worden. Die Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 1986 bei der Beklagten beschäftigt waren, behielten ihre Versorgungsrechte. Die Anpassungsregelung des § 7 wurde geändert und lautet seither wie folgt:
„7. Anpassung
7.1. Der Arbeitgeber nimmt die Anpassung gemäß den folgenden Ziffern 7.2 und 7.3 zum 1. Februar 1989 vor und alsdann in Abständen von drei Jahren.
7.2. Haben sich die monatlichen Gehälter nach Eintritt des Versorgungsfalles durch Tarifvereinbarung geändert, wird bei dem versorgungsfähigen Einkommen gemäß Ziffer 5. der DM-Betrag aus dieser Gehaltsveränderung berücksichtigt und die Zusatzversorgungsleistung entsprechend neu berechnet. Die Zusatzversorgungsleistung wird ferner neu berechnet, wenn sich die anrechenbaren Bezüge gemäß Ziffer 6.2. nach Eintritt des Versorgungsfalls geändert haben.”
Mit Betriebsvereinbarung vom 26. Mai 1992 wurde für die Arbeitnehmer, die nach dem 31. Dezember 1985 eingestellt wurden, eine umstrukturierte Zusatzversorgung eingeführt. Für die Arbeitnehmer, die schon vor dem 1. Januar 1986 bei der Beklagten beschäftigt waren, wurden die Regelungen der TV ZVL übernommen.
Als die Klägerin am 1. Juli 1987 in den Ruhestand trat, erhielt sie von der Beklagten eine Zusatzversorgung von monatlich 107,00 DM. Die Versorgungsleistung wurde gemäß § 7 TV ZVL laufend erhöht. Seit dem 1. Februar 1992 belief sie sich auf 169,91 DM. Für die Zeit ab 1. Februar 1995 errechnete die Beklagte eine „Nullrente”, weil aufgrund der Entwicklung der Tarifgehälter und gesetzlichen Abgaben das versorgungsfähige Einkommen geringer gestiegen war als die anrechenbaren Renten.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe zumindest die bei Eintritt in den Ruhestand erstmals festgesetzte Zusatzrente von 107,00 DM zu. Eine weitergehende Verringerung erlaube die Tarifvereinbarung über Zusatzversorgungsleistungen auch in der seit 1. Januar 1986 geltenden Fassung nicht. Die Unverfallbarkeitsvorschriften des § 1 BetrAVG dürften auch nicht durch eine tarifvertragliche Abweichung vom Auszehrungsverbot des § 5 Abs. 1 BetrAVG zunichte gemacht werden. Jedenfalls müßten die Tarifvertragsparteien derartige Abweichungen unmißverständlich zum Ausdruck bringen. Insbesondere die Präambel und der Zweck der Tarifvereinbarung sprächen gegen einen solchen Regelungswillen. Zudem verstoße die Kürzung der Zusatzrente gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Davon seien nur die Arbeitnehmer betroffen, die bereits vor dem 1. Januar 1986 bei der Beklagten beschäftigt gewesen und vor dem Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung vom 26. Mai 1992 bei ihr ausgeschieden seien. Im übrigen dürften bei der Berechnung der Zusatzversorgung nicht die Brutto-, sondern nur die Nettorenten abgezogen werden.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie zu zahlen
- für die Zeit vom 1. Februar 1995 bis 30. April 1996 1.605,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 10. April 1996,
- weitere 2.033,00 DM für die Zeit vom 1. Mai 1996 bis 30. November 1997 nebst 4 % Zinsen aus jeweils 107,00 DM jeweils ab dem Monatsersten der Monate Mai 1996 bis November 1997,
- ab 1. Dezember 1997 monatlich am Monatsersten 107,00 DM.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, nach Wortlaut und Zweck der Nr. 7 TV ZVL 86 könne die vorgeschriebene Neuberechnung der Zusatzversorgung nicht nur zu einer höheren, sondern auch zu einer niedrigeren Versorgungsleistung führen. Aus der TV ZVL ergebe sich unmißverständlich, daß die Tarifvertragsparteien von der Befugnis des § 17 Abs. 3 BetrAVG Gebrauch gemacht hätten und von § 5 Abs. 1 BetrAVG abgewichen seien. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor. Die Unterschiede beruhten auf einer zulässigen Stichtagsregelung. Die Klägerin könne auch nicht verlangen, daß statt der Bruttorenten lediglich die Nettorenten abgezogen würden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision will die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Anpassung nach Nr. 7 TV ZVL kann dazu führen, daß die Zusatzversorgung niedriger ausfällt als bei Eintritt des Versorgungsfalles und – wie im vorliegenden Fall – sogar auf eine „Nullrente” absinkt. Diese tarifvertragliche Regelung ist wirksam. Die Beklagte hat die Zusatzversorgung auch richtig berechnet. Zu Recht hat sie bei der Gesamtversorgungsobergrenze auf die Bruttorente abgestellt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, Nr. 7 TV ZVL enthalte lediglich eine spezielle, tarifvertragliche Ausgestaltung der Rentenanpassung des § 16 BetrAVG und weiche nicht vom Auszehrungsverbot des § 5 Abs. 1 BetrAVG ab. Diese Auslegung läßt sich weder auf den Wortlaut noch auf die Systematik oder den Zweck der tariflichen Regelung stützen.
1. Die Überschrift der Nr. 7 TV ZVL beschreibt den Regelungsgegenstand schlagwortartig mit „Anpassung”. Anpassen bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch angleichen oder abstimmen (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 2. Aufl. Stichwort: anpassen). Unter diesen Begriff können nicht nur Leistungserhöhungen, sondern auch Leistungskürzungen fallen. Welche Bedeutung das Wort „Anpassung” hat, hängt von der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen Vorschrift, vor allem von den vorgesehenen Rechtsfolgen ab.
Falls sich das versorgungsfähige Einkommen, die darauf entfallenden gesetzlichen Abgaben oder die anrechenbaren Bezüge ändern, wird das Ruhegeld nach Nr. 7 TV ZVL „entsprechend neu berechnet”. Vor Inkrafttreten der TV ZVL 86 führte jede derartige Änderung zu einer Neuberechnung. Wenn die Tarifgehälter nach Eintritt des Versorgungsfalls angehoben wurden, stieg das Ruhegeld. Erhöhten sich später lediglich die Sozialversicherungsrenten oder andere anrechenbare Bezüge, so sank das Ruhegeld wieder. Die TV ZVL 86 sieht nur noch eine Neuberechnung in Abständen von drei Jahren, beginnend zum 1. Februar 1989 vor. Der Inhalt der Anpassung hat sich dadurch nicht verändert. Die Formulierung „entsprechende Neuberechnung” bedeutet, daß den veränderten Daten voll und ganz Rechnung zu tragen ist. Das Ergebnis der Berechnung kann nicht nur zu einer höheren, sondern auch zu einer geringeren Zusatzrente führen.
2. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat sich Nr. 7 TV ZVL nicht darauf beschränkt, die Regelung des § 16 BetrAVG zu modifizieren oder zu präzisieren. Die Tarifvorschrift enthält andersartige Prüfungsmaßstäbe und Rechtsfolgen.
Nach § 16 BetrAVG hat der Arbeitgeber nach billigem Ermessen darüber zu entscheiden, ob und inwieweit er den zwischenzeitlichen Kaufkraftverlust ausgleicht. Ausgangspunkt dieser Prüfung ist die bisherige Rente. Sie ist nicht neu zu berechnen.
Im Gegensatz dazu hat Nr. 7 TV ZVL die Zusatzrente dynamisiert. Alle späteren Veränderungen der Bemessungsgrundlagen wirken sich auf die Höhe der Zusatzversorgung aus. Dem Arbeitgeber bleibt kein Entscheidungsspielraum. Er hat die Betriebsrenten ausgehend von den aktuellen Zahlen neu zu berechnen. Ob sich die Verhältnisse zugunsten oder zuungunsten der Versorgungsempfänger verändert haben, spielt keine Rolle. Nr. 7 TV ZVL schreibt nicht vor, daß die Neuberechnung nur zu einer Rentenerhöhung führen darf.
3. Eine vom Tarifwortlaut und der Tarifsystematik abweichende Auslegung läßt sich nicht aus dem Regelungszweck herleiten. Er kann nicht unterstellt werden, sondern muß im Wortlaut und der Systematik des Tarifvertrages einen hinreichenden Ausdruck finden. Die Anpassungsvorschrift der Nr. 7 TV ZVL trägt den Besonderheiten dieser Zusatzversorgung Rechnung. Der Tarifvertrag räumt den Versorgungsberechtigten nicht einen isoliert zu betrachtenden Betriebsrentenanspruch ein, sondern gewährleistet ein bestimmtes Gesamtversorgungsniveau. Nach Nr. 6.2. TV ZVL ruht die Altersversorgung der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer in der Regel auf drei Säulen. Zum einen erhalten sie die gesetzliche Sozialversicherungsrente. Zum anderen beziehen sie Leistungen des Bankbeamtenversicherungsvereins des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes. Die Beiträge für diese Versicherung übernimmt die Beklagte in vollem Umfang. Neben diese betriebliche Altersversorgung der Beklagten tritt die Zusatzversorgung nach dem TV ZVL. Die Gesamtversorgung ist nach Nr. 6.2. TV ZVL begrenzt auf 75 % des versorgungsfähigen (Brutto-)Einkommens und 100 % des Nettoeinkommens. Dieses Gesamtversorgungssystem wird über den Eintritt des Versorgungsfalls hinaus uneingeschränkt fortgeführt. Im Ergebnis wird der Versorgungsempfänger an jedem Anpassungsstichtag so gestellt, als wäre zu diesem Zeitpunkt der Versorgungsfall eingetreten. Dies entspricht der Ergänzungsfunktion des zusätzlichen Ruhegelds innerhalb des dynamisierten Gesamtversorgungssystems.
4. Die Präambel führt zu keinem anderen Ergebnis. Eine den tarifvertraglichen Vorschriften vorangestellte, von der Unterschrift der Tarifvertragsparteien mitumfaßte Präambel ist zwar als Bestandteil des Tarifvertrages bei der Auslegung der einzelnen Vorschriften mitzuberücksichtigen. Die vorliegende Präambel relativiert aber weder die Bedeutung der tariflichen Anpassungsregelungen noch die Ergänzungsfunktion der Zusatzversorgung.
a) In Absatz 1 der Präambel werden die Ergänzungsfunktion und das Gesamtversorgungssystem hervorgehoben. Absatz 2 der Präambel enthält keine Einschränkung, sondern weist auf ein besonders wichtiges Anpassungskriterium hin: Die Teilnahme an der Gehaltsentwicklung. Absatz 2 Satz 2 der Präambel nennt die laufende Anpassung an die Tarifentwicklung „eine über die gesetzliche Überprüfungsverpflichtung hinausgehende Regelung”. Mit dieser Formulierung wird darauf aufmerksam gemacht, daß der an die Tarifentwicklung anknüpfende Automatismus über eine bloße Überprüfung nach billigem Ermessen hinausgeht. Zu den übrigen Anpassungskriterien (gesetzliche Abzüge und anrechenbare Bezüge) äußert sich Absatz 2 der Präambel nicht, insbesondere nicht zu der Frage, wie sich deren Entwicklung auswirkt.
b) In Absatz 4 wird erwähnt, daß der „Gesamtumfang” der Altersversorgung „die Forderung des DGB-Grundsatzprogramms nach Sicherung des erreichten Lebensstandards weitgehend erfüllt”. Der Lebensstandard wird, wie Absatz 1 Satz 2 der Präambel zeigt, nach dem Nettoeinkommen bemessen. Es ist ohne Einschränkung zu aktualisieren. Auch ein Absinken der Nettoeinkommen ist zu berücksichtigen. Aus dem in Absatz 4 verwandten Ausdruck „Gesamtumfang” ergibt sich, daß es darauf ankommt, ob alle Versorgungsbezüge zusammengenommen das angestrebte Versorgungsniveau erreichen.
5. Unerheblich ist es, ob die Tarifvertragsparteien bei Abschluß der Tarifvereinbarung daran gedacht haben, daß sich die bei Eintritt des Versorgungsfalls errechnete Zusatzrente wegen der späteren Entwicklung der Gehälter, Abgaben und anrechenbaren Versorgungsbezüge verringern oder sogar bis auf Null sinken könnte. Eine ergänzende Tarifauslegung ist nicht zulässig.
Im vorliegenden Fall besteht nicht einmal eine Regelungslücke. Das Ergebnis entspricht dem System und der Zielsetzung der tarifvertraglichen Zusatzversorgung.
Selbst wenn eine unbewußte Regelungslücke vorläge, wäre eine gerichtliche Lückenfüllung ausgeschlossen. Sie setzt voraus, daß ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, welche Regelung die Tarifvertragsparteien getroffen hätten (vgl. BAG 23. September 1981 – 4 AZR 569/79 – BAGE 36, 218, 225; 21. März 1991 – 2 AZR 616/90 – BAGE 67, 367, 376 f., zu II 2 d der Gründe; ähnlich ua. ErfK/Schaub, § 1 TVG Rn. 23; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. Grundlagen Rn. 335; Wiedemann/Wank TVG 6. Aufl. § 1 Rn. 817). Wenn – wie im vorliegenden Fall – mehrere Lösungsmöglichkeiten bestehen, muß die Wahl den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben (vgl. ua. BAG 27. Mai 1992 – 5 AZR 252/91 – BAGE 70, 301, 305 f., zu I der Gründe). Davon ist der Senat auch im Urteil vom 3. November 1998 (– 3 AZR 432/97 – EzA § 1 TVG Auslegung Nr. 31) ausgegangen. Er hat in dieser Entscheidung eine ergänzende Tarifauslegung vorgenommen, weil der tatsächliche Regelungswille der Tarifvertragsparteien zweifelsfrei feststand.
II. Die tarifliche Anpassungsregelung verstößt gegen keine betriebsrentenrechtlichen Vorschriften.
1. Das Auszehrungsverbot des § 5 Abs. 1 BetrAVG ist nicht verletzt. Zum einen bindet es die Tarifvertragsparteien nicht. Zum anderen liegt im vorliegenden Fall keine Auszehrung iSd. § 5 Abs. 1 BetrAVG vor.
a) Eine Auszehrung iSd. § 5 Abs. 1 BetrAVG setzt voraus, daß die Betriebsrenten unter den bei Eintritt des Versorgungsfalls festgesetzten Betrag sinken. Dabei müssen die vom selben Arbeitgeber zugesagten Leistungen in der Regel als Einheit betrachtet werden. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die von ihm gewährte Altersversorgung auf verschiedene Versorgungsformen verteilt (vgl. Höfer BetrAVG 4. Aufl. § 5 Rn. 2431; Blomeyer/Otto, BetrAVG, 2. Aufl., § 5 Rn. 41 unter Aufgabe der in der Voraufl. vertretenen Ansicht). Im TV ZVL sind die von der Beklagten selbst gezahlte Zusatzrente und die Leistungen des Beamten-Versicherungs-Vereins des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes sogar ausdrücklich verklammert. Obwohl die Beklagte selbst keine Zusatzversorgungsleistung mehr zahlte, liegt die der Klägerin insgesamt gewährte betriebliche Altersversorgung noch über dem Ausgangsbetrag. Bei Eintritt des Versorgungsfalls erhielt die Klägerin vom Beamten-Versicherungs-Verein eine Rente von 774,86 DM und von der Beklagten selbst eine Zusatzversorgungsleistung in Höhe von 107,00 DM. Am 1. Februar 1995 belief sich die BVV-Rente auf 901,17 DM. Damit ist der ursprüngliche Gesamtbetrag von 881,86 DM überschritten.
b) Abgesehen davon können Tarifverträge vom Auszehrungsverbot des § 5 Abs. 1 BetrAVG abweichen (§ 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG). Eine derartige Abweichung muß nicht als solche gekennzeichnet werden. Es genügt, daß sich dies zweifelsfrei aus den tarifvertraglichen Regelungen ergibt. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin scheitert die von § 5 Abs. 1 BetrAVG abweichende Anpassungsregelung für laufende Betriebsrenten auch nicht daran, daß die Tarifvertragsparteien von der Unverfallbarkeitsregelung des § 1 BetrAVG nicht abweichen dürfen. Unverfallbarkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 BetrAVG bedeutet, daß die Arbeitnehmer ihre Versorgungsanwartschaft trotz vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis nicht verlieren. Die Anpassung der laufenden Betriebsrenten und das Auszehrungsverbot des § 5 Abs. 1 BetrAVG haben mit dem Weiterbestehen der Versorgungsanwartschaft bis zum Eintritt des Versorgungsfalls nichts zu tun. Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 BetrAVG sind die betriebsrentenrechtlichen Vorschriften zur Höhe der laufenden Betriebsrenten tarifdispositiv.
III. Die am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Betriebsvereinbarung vom 26. Mai 1992 hat nicht dazu geführt, daß § 7 TV ZVL gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Solange der TV ZVL noch nicht abgelaufen war, behielt er seine unmittelbare und zwingende Wirkung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Zu einer Ungleichbehandlung der Versorgungsempfänger kam es nicht.
IV. Die Kürzung der Zusatzversorgung war auch dann wirksam, wenn der Tarifvertrag gekündigt war und nur noch nachwirkte. Es kann offenbleiben, ob § 17 Abs. 3 Satz 2 BetrAVG es den Betriebspartnern ermöglicht, nachwirkende vom Auszehrungsverbot abweichende tarifvertragliche Versorgungsregelungen zu übernehmen. Selbst wenn dies zu verneinen ist, wurden weder der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) noch der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.
Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gilt für den einzelnen Normgeber innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs. Im vorliegenden Fall haben sowohl die Tarifvertragsparteien als auch die Betriebspartner für sich betrachtet den Gleichheitssatz beachtet. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber nicht dazu, die Rechtsstellung der Versorgungsberechtigten, auf die sich die Regelungskompetenz der Betriebspartner nicht erstreckt und für die weiterhin die Tarifvereinbarung gilt, individualrechtlich zu verbessern. Der Gleichbehandlungsgrundsatz schützt die Arbeitnehmer gegenüber der Gestaltungsmacht des einzelnen Arbeitgebers. Mit dem bloßen Normvollzug schafft der Arbeitgeber jedoch keine eigenständige Ordnung (vgl. BAG 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – BAGE 79, 236, 242, zu B II 1 der Gründe).
V. Berechnungsfehler sind der Beklagten nicht unterlaufen. Zu Recht ist sie bei der Gesamtversorgungsobergrenze nicht von den Bruttorenten, sondern von den Nettorenten ausgegangen. Nach § 6 Nr. 2 TV ZVL sind die Sozialrenten, die Leistungen des Beamtenversicherungsvereins des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes und die sonstigen nicht überwiegend vom Arbeitnehmer finanzierten Versorgungsleistungen anzurechnen. Der einschränkungslose Hinweis auf andere Versorgungsbezüge meint in den Regel den Bruttobezug. Soll nur die Nettoversorgung maßgebend sein, muß dies mindestens sinngemäß zum Ausdruck kommen (vgl. BAG 10. März 1992 – 3 AZR 352/91 – BAGE 70, 36, 39 f., zu II 1 der Gründe; bestätigt ua. durch BAG 4. Mai 1993 – 3 AZR 181/92 – nv., zu I 2 der Gründe, das sich mit der vorliegenden Tarifvereinbarung befaßt hat). Die TV ZVL liefert keine entsprechenden Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Lediglich für das in die Vergleichsberechnung einzubeziehende versorgungsfähige Einkommen wird eine Nettoberechnung verlangt. § 6 Nr. 2 Abs. 2 enthält dafür detaillierte Berechnungsvorschriften. Bei den Versorgungsbezügen ist dagegen keine Nettoberechnung vorgesehen. Schon im Jahre 1976 und erst recht bei der Änderung der TV ZVL im Jahr 1986 war erkennbar, daß auf die Betriebsrenten Steuern und Abgaben entfallen können. Die Krankenversicherungspflicht der Rentner gibt es bereits seit rund 50 Jahre in verschiedenen Ausformungen (BAG 10. März 1992 – 3 AZR 352/91 – aaO). Lediglich die Art und Weise der Beitragsleistungen wechselte. Seit dem 1. Januar 1983 hatten die krankenversicherten Rentner nach § 1304 e RVO, § 381 Abs. 2 RVO, Art. 2 Nr. 11 b RAG 1982 vom 1. Dezember 1981 (BGBl. I S 1205) die Beiträge selbst zu tragen. Sie erhielten lediglich vom Rentenversicherungsträger einen 50 %igen Zuschuß. Die zwischenzeitlich gestiegene Abgabenlast der Rentner ändert am Inhalt des § 6 TV ZVL nichts. Im Tarifvertrag ist keine Regelungslücke entstanden, die von den Gerichten geschlossen werden dürfte.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Fasbender, Martschin
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 05.10.1999 durch Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436383 |
BAGE, 310 |
BB 2000, 1096 |
BB 2000, 1248 |
DB 1999, 2120 |
DB 2000, 1671 |
NWB 1999, 3961 |
EWiR 2000, 755 |
FA 2000, 195 |
NZA 2000, 839 |
SAE 2000, 215 |
ZIP 2000, 1073 |
ZTR 2000, 365 |
AP, 0 |
VersR 2000, 838 |