Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns
Leitsatz (redaktionell)
Der Mindestlohn wird durch die Zahlung einer Nähprämie jeweils zum Quartalsende jedenfalls im Auszahlungsmonat erfüllt.
Normenkette
MiLoG §§ 3, 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Anschlussrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 24. Mai 2016 – 3 Sa 680/15 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs.
Die Klägerin war seit Juli 1994 bei der Beklagten als Verkäuferin mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von zuletzt 39 Stunden beschäftigt. Innerhalb ihrer Arbeitszeit erbrachte sie auch Näharbeiten für Kunden. Die Beklagte zahlte der Klägerin neben einem Grundentgelt Provisionen für getätigte Verkäufe, Prämien im Rahmen von „Personalkäufen” und Prämien für erbrachte Näharbeiten. Diese sog. Nähprämien wurden jeweils zum Quartalsende ausgezahlt.
In den zuletzt allein streitgegenständlichen Monaten März und Juni 2015 erhielt die Klägerin jeweils einen in der Entgeltabrechnung als „Gehalt” bezeichneten Betrag iHv. 1.124,84 Euro brutto sowie eine „Vorauszahlung” iHv. 311,66 Euro brutto. Bei den Vorauszahlungen handelte es sich um endgültige Leistungen der Beklagten, mit der diese zunächst Ansprüche auf Provisionen, Prämien für Personalkäufe sowie Nähprämien erfüllen wollte. Mit der verbleibenden Differenz sollte die Vergütung auf den gesetzlichen Mindestlohn aufgestockt werden. Die von der Klägerin erarbeiteten Nähprämien betrugen im März 2015 150,00 Euro brutto und im Juni 2015 50,00 Euro brutto.
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn geltend gemacht. Die Nähprämien erfüllten diesen Anspruch nicht, weil mit ihnen andere als die arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten als Verkäuferin abgegolten und zusätzlich honoriert würden. Bei diesen handele es sich zudem nicht um monats-, sondern quartalsweise Leistungen.
Die Klägerin hat – soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung – zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat März 2015 den weiteren Betrag von 150,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 2. April 2015 zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Juni 2015 den weiteren Betrag von 50,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 2. Juli 2015 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Nähprämien stellten Gegenleistungen für die Arbeitsleistung dar, die im Auszahlungsmonat den Mindestlohnanspruch miterfüllten.
Das Arbeitsgericht hat der (weitergehenden) Zahlungsklage in Bezug auf die Nähprämien für die Monate März und Juni 2015 stattgegeben. Die Berufung der Beklagten richtet sich ua. hiergegen. Zudem hat sie zweitinstanzlich Widerklage auf Rückzahlung überzahlter Vergütung erhoben. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Beklagten in Bezug auf die Nähprämien entsprochen und die Widerklage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Widerklageantrag weiter, während die Klägerin im Wege der Anschlussrevision (auch) ihren zuletzt gestellten Klageantrag wiederholt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien einen Teilvergleich über weitere in der Revisionsinstanz noch anhängige Zahlungsansprüche geschlossen. Daraufhin hat die Klägerin mit Zustimmung der Beklagten ihre Anschlussrevision auf die Nähprämien beschränkt und die Parteien haben das Verfahren im Übrigen übereinstimmend für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
Die von der Klägerin in zulässiger Weise auf die Nähprämien beschränkte Anschlussrevision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns (auch) durch die Zahlung der Nähprämien bejaht.
I. Die Anschlussrevision ist zulässig.
Erklären die Parteien nach einem Teilvergleich den Streitgegenstand der Hauptrevision übereinstimmend für erledigt, verliert die Anschlussrevision dadurch nicht ihre Wirkung. Die Regelung des § 554 Abs. 4 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG, wonach eine Anschließung ihre Wirkung verliert, wenn die Revision zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird, ist auch nicht analog anwendbar, wenn – wie vorliegend – noch eine Kostenentscheidung über die Revision zu treffen ist (vgl. zu § 522 ZPO aF: BGH 22. Mai 1984 – III ZB 9/84 – zu II 2 der Gründe; BAG 14. Mai 1976 – 2 AZR 539/75 – zu 2 f der Gründe, BAGE 28, 107).
II. Die Klage ist – soweit noch zu entscheiden – unbegründet. Der Anspruch der Klägerin auf den gesetzlichen Mindestlohn ist durch Zahlung (auch) der Nähprämien durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).
1. Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt. § 3 MiLoG führt bei Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns zu einem Differenzanspruch (BAG 21. Dezember 2016 – 5 AZR 374/16 – Rn. 16, BAGE 157, 356).
2. Der Arbeitgeber hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50 Euro (bis zum 31. Dezember 2016) ergibt (BAG 21. Dezember 2016 – 5 AZR 374/16 – Rn. 17, BAGE 157, 356).
Es gilt ein umfassender Entgeltbegriff, weshalb alle im Synallagma stehenden Geldleistungen des Arbeitgebers geeignet sind, den Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen. Von den im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen des Arbeitgebers fehlt folglich nur solchen Zahlungen die Erfüllungswirkung, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen (BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 – Rn. 32, BAGE 155, 202).
3. Danach kommt der streitgegenständlichen Nähprämie Erfüllungswirkung zu.
a) Mit der Zahlung der Nähprämie honoriert die Beklagte die für Nähleistungen erbrachte Arbeitsleistung. Anders als die Klägerin meint, handelt es sich nicht um eine zusätzliche Leistung außerhalb ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung. Der Begriff der „Normalleistung” hat keinen Eingang in den Wortlaut des Mindestlohngesetzes gefunden (so bereits BAG 21. Dezember 2016 – 5 AZR 374/16 – Rn. 21, BAGE 157, 356). Die Nähprämien werden vielmehr als Gegenleistung für die Arbeitsleistung der Klägerin gezahlt und unterfallen daher dem umfassenden Entgeltbegriff des Mindestlohngesetzes.
b) Einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung unterliegt die Nähprämie nicht.
c) Der Erfüllungswirkung steht nicht entgegen, dass die Nähprämie jeweils lediglich zum Quartalsende gezahlt wird. Sie ist jedenfalls im Auszahlungsmonat mindestlohnwirksam.
aa) Für die Berechnung, ob der Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn erfüllt ist, kann angesichts der Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG nicht auf längere Zeiträume als einen Kalendermonat abgestellt werden (BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 – Rn. 25, BAGE 155, 202). Bei der (höchstens) monatsweise vorzunehmenden Betrachtung entscheidet sich jeweils, ob neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch ein Anspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG auf die gesetzlich geregelte Differenzvergütung tritt.
bb) Damit ist die Nähprämie in dem jeweiligen Monat, in dem sie gezahlt wird, mindestlohnwirksam. Auf eine über diese Monate hinausgehende Mindestlohnwirksamkeit beruft sich die Beklagte nicht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Koch, Weber, Volk, Feldmeier, J. Schubert
Fundstellen
Haufe-Index 11290390 |
DStR 2017, 2830 |
LGP 2018, 39 |
ArbR 2017, 594 |