Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung der Bahncard bei der Fahrtkostenerstattung im Baugewerbe
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitnehmer des Baugewerbes hat während des Einsatzes auf einer auswärtigen Baustelle, von der aus ihm eine tägliche Rückkehr zu seiner Wohnung unzumutbar ist, für tatsächlich durchgeführte Wochenendheimfahrten “– gleichgültig wie er den Weg zurücklegt – einen Anspruch auf Zahlung des Preises für die Eisenbahnfahrt zweiter Klasse” (§ 7.4.6 BRTV-Bau). Hierunter ist der volle Fahrpreis zweiter Klasse ohne Berücksichtigung von Vergünstigungen und Sondertarifen zu verstehen. Auch auf die mit der Benutzung einer Bahncard verbundenen Vergünstigungen kommt es nicht an.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Bau; Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe § 7
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 21.06.1994; Aktenzeichen 7 (5) Sa 383/94) |
ArbG Münster (Urteil vom 18.01.1994; Aktenzeichen 3 Ca 1239/93) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21. Juni 1994 – 7 (5) Sa 383/94 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, welche Fahrtkosten die Beklagte dem Kläger im Zusammenhang mit dessen Tätigkeit auf einer auswärtigen Baustelle erstatten muß.
Der Kläger wohnt in Münster. Er ist seit dem 26. Februar 1973 für die Beklagte als Munitionsräumarbeiter tätig. In der Zeit vom 22. März bis zum 29. Oktober 1993 war er auf einer Räum stelle in Grebenhain, in der Nähe von Lauterbach (Hessen), tätig. Am 22. März 1993 reiste er dorthin an. An allen darauffolgenden Wochenenden fuhr er nach Hause.
Die Parteien wenden auf ihr Arbeitsverhältnis den Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) an. In dessen § 7 heißt es u. a.:
Ҥ 7
Fahrtkostenabgeltung, Verpflegungszuschuß und Auslösung
“
Der Preis für eine Hin- und Rückfahrt mit der Eisenbahn in der zweiten Klasse von Münster bis zum Zielbahnhof Lauterbach (einfache Entfernung: 361 km) betrug im Jahre 1993 174,00 DM. Die Beklagte hatte in einer Verwaltungsanweisung darauf hingewiesen, daß die Bundesbahn die Bahncard eingeführt habe. Ab sofort seien durch diese Tarifreduzierung nur noch 50 % der bisherigen Fahrtkosten anzusetzen. Werde der Kauf der Bahncard beim Räumstellenleiter nachgewiesen, sei sie bereit, den Mitarbeitern die Kosten zu erstatten. Dementsprechend zahlte die Beklagte an den Kläger, der bei ihr keine Bahncard vorgelegt hatte, für die Fahrt am 22. März 1993 und die folgenden zehn Wochenendheimfahrten in den Monaten März, April und Mai 1993 insgesamt nur 942,70 DM.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, Sonderkonditionen im Zusammenhang mit der Bahncard seien bei der Ermittlung der nach § 7.4.6 BRTV-Bau zu erstattenden Fahrtkosten nicht zu berücksichtigen. Die Beklagte habe ihm für die erste einfache Fahrt nach Grebenhain und die folgenden zehn Wochenendheimfahrten insgesamt 1.827,00 DM geschuldet. Sie müsse deshalb noch 884,30 DM erstatten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihm 884,30 DM nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 22. Juli 1993 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Begriff “des Preises für die Eisenbahnfahrt zweiter Klasse” enthalte keine Einschränkung, wonach die ermäßigten Preise aufgrund einer Bahncard nicht berücksichtigt werden dürften. Sinn und Zweck der tariflichen Fahrtkostenerstattung sei es, den Arbeitnehmer nur von denjenigen Kosten freizustellen, die er im Falle der Benutzung des gewählten Verkehrsmittels tatsächlich gehabt hätte.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision strebt die Beklagte die Abweisung der Klage an.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Beklagte muß dem Kläger für die Monate März bis Mai 1993 noch Fahrtkosten in Höhe von 884,30 DM erstatten. Dies haben die Vorinstanzen zutreffend entschieden.
I. Der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Hiervon gehen beide Parteien übereinstimmend aus.
II. Alle streitbefangenen Fahrten sind nach § 7.4.6 BRTV-Bau abzurechnen.
1. Dem Kläger war während seiner Arbeit in Grebenhain nach § 7.4.1 BRTV-Bau eine Auslösung zu zahlen. Er war mehr als 25, nämlich 361 km, vom Sitz des Arbeitgeberbetriebes in Münster/Westfalen entfernt eingesetzt. Eine tägliche Rückkehr zu seiner Erstwohnung in Münster war für ihn nicht zumutbar. Er benötigte für den einfachen Weg zwischen Münster und Grebenhain mehr als 1 1/4 Stunden (§ 7.4.1 Abs. 4 BRTV-Bau).
2. Für die erste Fahrt zur Baustelle nach Grebenhain am 22. März 1993 schuldete die Beklagte dem Kläger nach § 7.4.61 BRTV-Bau eine Fahrtkostenerstattung nach § 7.4.6, 1. Halbsatz BRTV-Bau.
3. Für die Wochenendheimfahrten am 17./18. April und 15./16. Mai 1993 gilt § 7.4.6, 1. Halbsatz BRTV-Bau über § 7.4.7 Abs. 4 BRTV-Bau. Hier handelte es sich um tarifliche Wochenendheimfahrten, auf die ein Bauarbeiter, dem eine Auslösung zusteht, nach vierwöchiger ununterbrochener Tätigkeit auf der auswärtigen Baustelle einen Anspruch hat.
4. Auch die übrigen Wochenendheimfahrten in den Monaten März, April und Mai 1993 sind nach § 7.4.6 BRTV-Bau abzurechnen. Der Kläger erfüllte an diesen Wochenenden unstreitig die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung bei außertariflichen Wochenendheimfahrten nach § 7.4.8 BRTV-Bau. Diese Tarifvorschrift gibt u.a. einen “Anspruch auf die entstehenden Fahrtkosten”, der im Falle des Klägers nicht auf die Höhe des Auslösungsbetrages begrenzt war. Der Kläger war mehr als 250 km von seiner Wohnung entfernt eingesetzt (§ 7.4.8 Satz 1 letzter Halbsatz BRTV-Bau).
Die Tarifvertragsparteien haben in § 7.4.8 BRTV-Bau zwar nicht ausdrücklich auf § 7.4.6 BRTV-Bau verwiesen. Gleichwohl sind auch die außertariflichen Wochenendheimfahrten nach dem Maßstab des § 7.4.6 BRTV-Bau abzurechnen. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 22. Juli 1981 – 5 Sa 299/81 – nicht veröffentlicht) und der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 18. Januar 1984 – 4 AZR 367/81 – nicht veröffentlicht) haben dieses Auslegungsergebnis für die im wesentlichen wortgleiche Fassung des BRTV-Bau vom 1. März 1980 (§ 7.6 bis § 7.9 BRTV-Bau) im einzelnen mit systematischen und am Sinn und Zweck der Regelung orientierten Erwägungen begründet. Der erkennende Senat schließt sich dem an, zumal die Tarifvertragsparteien das Auslegungsergebnis zustimmend zur Kenntnis genommen und hierauf nicht mit einer Neuregelung der einschlägigen Tarifvertragsbestimmungen reagiert haben (vgl. Brocksiepe/Sperner, BRTV-Bau, 1981, Anm. a zu § 7.4.7, S. 178 f.; Karthaus/Müller, BRTV-Bau, 4. Aufl., Anm. zu § 7.4.8, S. 259).
III. Die Entscheidung hängt deshalb nur davon ab, ob unter dem “Preis für die Eisenbahnfahrt zweiter Klasse” im Sinne von § 7.4.6 BRTV-Bau der volle Fahrpreis zweiter Klasse ohne Berücksichtigung von Vergünstigungen und Sondertarifen zu verstehen ist. Der Senat bejaht diese Frage. Der Kläger hatte deshalb für die einfache Fahrt nach Grebenhain am 22. März 1993 und die tatsächlich durchgeführten Hin- und Rückfahrten Grebenhain/Münster an den folgenden zehn Wochenenden einen Reisekostenerstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 1.827,00 DM. Da die Beklagte tatsächlich nur 942,70 DM gezahlt hat, muß sie noch 884,30 DM nachzahlen.
1. Nach dem Wortlaut von § 7.4.6, 1. Halbsatz BRTV-Bau sind bei Fahrten im Zusammenhang mit Baustellen ohne tägliche Heimfahrt weder tatsächlich entstandene noch möglichst günstige Fahrtkosten zu erstatten. Der Arbeitnehmer soll unabhängig davon, wie und mit welchem Kostenaufwand er die Fahrten zurücklegt, stets den gleichen Erstattungsbetrag erhalten, nämlich der Preis für die Eisenbahnfahrt zweiter Klasse. Anspruchsauslösend ist allein der Umstand, daß der Arbeitnehmer die Reise tatsächlich unternommen hat (Brocksiepe/Sperner, aaO, Anm. e zu § 7.4.5, S. 169; Karthaus/Müller, aaO, Anm. zu § 7.4.6, S. 251 und § 7.3.1, S. 224).
Mit ihrer Erstattungsregelung haben die Tarifvertragsparteien an die allgemeine Tarifgestaltung bei der Deutschen Bundesbahn angeknüpft. Den Preis, den die Bahn für eine Bahnfahrt zweiter Klasse zwischen Wohnung und Arbeitsort verlangt, soll der Arbeitnehmer erhalten. Ihm sollen nicht einer von mehreren der aufgrund von Tarifvergünstigungen oder Sondertarifen in Betracht kommenden Fahrpreise zugute kommen, sondern der Grundpreis für die Bahnfahrt zweiter Klasse. Der um 50 % ermäßigte Fahrpreis, den ein Fahrgast zu zahlen hat, wenn er eine Bahncard benutzt, ist nicht dieser Grundpreis.
Im übrigen müßte, wenn es auf Fahrpreisermäßigungen ankäme, die vom Arbeitnehmer erkauft werden müssen, geregelt sein, ob und in welcher Weise der Aufwand des Arbeitnehmers ausgeglichen werden soll.
2. Auch der Tarifzusammenhang spricht gegen eine Berücksichtigung der Vergünstigungen einer Bahncard. Den Tarifvertragsparteien war die Möglichkeit bekannt, den Kostenerstattungsanspruch auf die entstandenen und nachgewiesenen Kosten für das preislich günstigste öffentliche Verkehrsmittel zu beschränken (§ 7.3.1 BRTV-Bau). Diesen Weg haben die Tarifvertragsparteien in § 7.4 BRTV-Bau nicht gewählt, sondern statt dessen einen von vornherein feststehenden Preis als Erstattungsbetrag festgelegt. Dies unterstreicht den Willen der Tarifvertragsparteien, einen Erstattungsanspruch unabhängig von Vergünstigungen einzuräumen, die die Arbeitnehmer in Anspruch nehmen können.
3. Die Nichtberücksichtigung der Vergünstigungen einer Bahncard steht auch in Übereinstimmung mit dem in der tariflichen Regelung erkennbaren Sinn und Zweck. Es ging den Tarifvertragsparteien darum, dem Arbeitgeber individuelle Berechnungen zu ersparen, ihm eine feste Kalkulationsgrundlage zu geben und von Anfang an Streit über die Berücksichtigung möglicher Ermäßigungen zu vermeiden. Auch der Arbeitnehmer soll wissen, mit welchem Erstattungsanspruch er bei Familienheimfahrten rechnen kann, die er nicht mit der Bundesbahn durchzuführen braucht.
Dem steht nicht entgegen, daß es sich bei der Einführung der Bahncard um ein abstrakt-generelle Regelung gehandelt hat. Die Ermäßigungen oder Sondertarife bei der Deutschen Bundesbahn beruhen zwar auf abstrakt-generellen Regelungen, welche die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen durch den Arbeitnehmer erfordern, sei es die Mitfahrt in einer Reisegruppe von bestimmter Größe, sei es die Wahl eines bestimmten, späten Abfahrttermines oder eben der Erwerb einer Bahncard durch den Arbeitnehmer. Es spricht aber alles dagegen, daß die Tarifvertragsparteien solche von einer Mitwirkungshandlung des Arbeitnehmers abhängigen Vergünstigungen bei der pauschalen Abrechnungsweise des § 7.4.6 BRTV-Bau berücksichtigt wissen wollten. Es sollen keine tatsächlich entstandenen Fahrtkosten abgerechnet werden. Es bleibt dem Arbeitnehmer überlassen, welches Verkehrsmittel er auswählt und demgemäß auch, ob er für die Benutzung der Deutschen Bundesbahn eine Bahncard erwirbt. Der Arbeitgeber soll verpflichtet sein, dem Arbeitnehmer in jedem Falle – auch bei der Benutzung des eigenen Pkw – für die Heimfahrt einen bestimmten an den Tarifen der Deutschen Bundesbahn orientierten Betrag zur Verfügung zu stellen. Werden unter bestimmten Bedingungen erhebliche Fahrpreisermäßigungen eingeführt, würde deren Berücksichtigung bei der Kostenerstattung diese Ausgangslage grundlegend verändern.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Dr. Reinfeld, G. Hauschild
Fundstellen
Haufe-Index 872373 |
BB 1995, 1802 |
NJW 1995, 2510 |
NZA 1995, 842 |