Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsanspruch. Zeitausgleichsanteile im Urlaub
Orientierungssatz
Parallelsache zu BAG Urteil vom 7.7.1988 - 8 AZR 198/88.
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 16.09.1986; Aktenzeichen 13 (12) Sa 422/86) |
ArbG Göttingen (Entscheidung vom 04.12.1985; Aktenzeichen 1 Ca 1764/85) |
Tatbestand
Die Klägerin ist als gewerbliche Arbeitnehmerin bei der Beklagten beschäftigt; sie ist Mitglied der IG Metall. Durch Anerkenntnistarifvertrag vom 18. März 1985 hat die Beklagte mit der IG Metall die Anwendung u. a. des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der niedersächsischen Metallindustrie (ausschließlich nordwestliches Niedersachsen und Osnabrück) vom 18. Juli 1984 (MTV), gültig ab 1. April 1985, auf ihr Unternehmen vereinbart.
§ 2 MTV lautet auszugsweise:
"§ 2
Regelmäßige Arbeitszeit
(1) Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ohne Pausen
beträgt 38,5 Stunden.
Die Arbeitszeit im Betrieb wird im Rahmen des Volu-
mens, das sich aus der für den Betrieb festgelegten
wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden im
Durchschnitt der vollzeitbeschäftigten gewerblichen
Arbeitnehmer und Angestellten ergibt, durch Be-
triebsvereinbarung geregelt. Bei der Durchschnitts-
berechnung bleiben Teilzeitbeschäftigte und Ar-
beitnehmer mit Arbeitsbereitschaft gemäß Ziff. (5)
unberücksichtigt. Dabei können für Teile des Be-
triebes, für einzelne Arbeitnehmer oder für Gruppen
von Arbeitnehmern unterschiedliche wöchentliche Ar-
beitszeiten festgelegt werden.
Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeits-
zeit beträgt für Vollzeitbeschäftigte zwischen 37
und 40 Stunden.
Die Spanne zwischen 37 und 40 Stunden soll angemes-
sen ausgefüllt werden, dabei sind die betrieblichen
Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Wenn keine andere Regelung getroffen wird, beträgt
für Vollzeitbeschäftigte die regelmäßige tägliche
Arbeitszeit bis zu 8 Stunden.
Der Durchschnitt der tariflichen wöchentlichen Ar-
beitszeit im Betrieb wird dem Betriebsrat monatlich
mitgeteilt. Weicht der Durchschnitt von 38,5 Stun-
den ab, so ist mit dem Betriebsrat eine Anpassung
unverzüglich zu vereinbaren.
(2) Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und die
Pausen werden mit dem Betriebsrat vereinbart.
Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeits-
zeit kann gleichmäßig oder ungleichmäßig auf 5 Werk-
tage verteilt werden. Eine davon abweichende Ver-
teilung kann nach Maßgabe der betrieblichen Erfor-
dernisse mit dem Betriebsrat vereinbart werden.
Diese wöchentliche Arbeitszeit muß im Durchschnitt
von 2 Monaten erreicht werden.
Ausfallende Arbeitszeit kann mit Zustimmung des
Betriebsrates im Rahmen der Bestimmungen der Ar-
beitszeitordnung zuschlagsfrei vor- oder nachge-
holt werden.
(3) Aus Anlaß der Neufestlegung der Arbeitszeit wird
die Auslastung der betrieblichen Anlagen und Ein-
richtungen nicht vermindert. Bei einer Differenz
zwischen Betriebsnutzungszeit und der Arbeitszeit
für die einzelnen Arbeitnehmer kann der Zeitaus-
gleich auch in Form von freien Tagen erfolgen.
Dabei muß zur Vermeidung von Störungen im Betriebs-
ablauf eine möglichst gleichmäßige Anwesenheit der
Arbeitnehmer gewährleistet sein. Bei der Festlegung
der freien Tage sind die Wünsche der Arbeitnehmer
zu berücksichtigen.
....."
Beklagte und Betriebsrat haben hierzu am 18. März 1985 eine Betriebsvereinbarung geschlossen. Danach beträgt die wöchentliche Arbeitszeit aller vollbeschäftigten Tarifangestellten und gewerblichen Mitarbeiter ab 1. April 1985 38,5 Stunden. Die Arbeitszeit ohne Pausen umfaßt von Montag bis Freitag täglich acht Stunden. In Nr. 4 der Betriebsvereinbarung ist weiterhin bestimmt:
"Die sich ergebende Zeitdifferenz zwischen der
wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und der
tariflich festgelegten regelmäßigen Arbeitszeit
von 38,5 Stunden ist in Form von Freizeit auszu-
gleichen.
Gewerbliche Vollzeitbeschäftigte erhalten demnach
für jeden geleisteten Arbeitstag eine Zeitgut-
schrift von 18 Min. (0,3 Stunden), die aus abrech-
nungstechnischen Gründen wie zuschlagsfreie Mehrar-
beit erfaßt und auch vergütet wird. Eine monatliche
DV-Liste über die angesammelten Überzeiten wird
jedem Mitarbeiter sowie dem Betriebsrat und der
Geschäftsführung zugehen.
Ein Zeitausgleich für die sich kumulierenden Zeit-
gutschriften erfolgt in Form von unbezahlten freien
Tagen. Die Gewährung der freien Tage erfolgt unter
Berücksichtigung der persönlichen Wünsche des
Mitarbeiters und der betrieblichen Belange. Hierzu
ist unter Wahrung der Mitbestimmungsrechte des
Betriebsrats eine Abstimmung zwischem dem betrieb-
lichen Vorgesetzten und dem Mitarbeiter erforderlich."
In den Monaten April und Mai 1985 arbeitete die Klägerin an fünf Wochenfeiertagen nicht; sie hatte einen Tag Urlaub und war zwei Arbeitstage krank. Die Beklagte hat Feiertagslohnfortzahlung, Urlaubsentgelt und Lohnfortzahlung jeweils in Höhe von acht Stundenlöhnen gezahlt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß ihr für diese Tage auch ein Freizeitausgleich in Höhe von je 0,3 Stunden zusteht.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Monate April und Mai 1985 einen weiteren Freizeitausgleich in Höhe von 2,4 Stunden zu gewähren. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag weiter. Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat durch Beschluß den Rechtsstreit hinsichtlich des Freizeitausgleichs für den Urlaubstag abgetrennt und an den erkennenden Senat abgegeben. Im übrigen hat er die Revision der Klägerin durch Teilurteil insoweit zurückgewiesen, wie das Landesarbeitsgericht über Freizeitausgleich wegen Feiertagen und Krankheitstagen entschieden hat.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Der erkennende Senat hat nur noch über den von der Klägerin begehrten Freizeitausgleich für einen Urlaubstag in Höhe von 0,3 Stunden zu befinden, nachdem der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts durch Teilurteil vom 2. Dezember 1987 (- 5 AZR 557/86 -, zur Veröffentlichung bestimmt) über den von der Klägerin geforderten Freizeitausgleich wegen Krankheits- und Feiertagen entschieden hat.
Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß der Klägerin kein Anspruch auf Freizeitausgleich für den von ihr genommenen Urlaubstag zusteht.
1. Die Klägerin hat vorgetragen, nach § 19 Nr. 2 MTV sei eine Arbeitszeit von acht Stunden für die Bezahlung von Urlaubstagen zugrundezulegen. Danach ist bei regelmäßiger Arbeitszeit für den Urlaubstag die Stundenzahl anzusetzen, die der Arbeitnehmer während seines Urlaubs an diesem Tage hätte arbeiten müssen. Dann könne aber der Urlaubstag für den Zeitausgleich nicht mit nur 7,7 Stunden bewertet werden. Die Regelung in der Betriebsvereinbarung, nach der nur für jeden geleisteten Arbeitstag ein Freizeitanspruch in Höhe von 0,3 Stunden entstehe, sei gesetz- und tarifwidrig.
2. Dieser Auffassung ist das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht gefolgt. Die Klägerin hat aufgrund des MTV keinen Anspruch auf Zeitausgleich für den ihr gewährten Urlaubstag. Ein Zeitausgleich entsteht nur für Tage, an denen die Klägerin arbeitet, nicht aber für Tage, an denen sie wegen Urlaubs von der Arbeitspflicht freigestellt ist.
a) Die für die Klägerin maßgebliche Arbeitszeit beruht auf § 2 Nr. 1 Abs. 2, Nr. 3 MTV sowie auf Nr. 4 der Betriebsvereinbarung vom 18. März 1985.
Danach gilt für die Klägerin nach dem Tarifvertrag eine individuelle regelmäßige Arbeitszeit von 38,5 Stunden wöchentlich. Diese ist nach der Betriebsvereinbarung in der Weise verteilt, daß die im gewerblichen Bereich der Beklagten tätige Klägerin von Montag bis Freitag täglich acht Stunden zu arbeiten hat. Die sich ergebende Zeitdifferenz zwischen der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und der tariflich festgelegten regelmäßigen Arbeitszeit von 38,5 Stunden ist durch Freizeit auszugleichen.
Gegen die Rechtswirksamkeit dieser Regelungen bestehen keine Bedenken. Für den hier anzuwendenden MTV hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts durch Beschluß vom 18. August 1987 festgestellt (- 1 ABR 30/86 - AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt), daß im Bereich der niedersächsischen Metallindustrie die Dauer der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit für Betriebe, Gruppen von Arbeitnehmern oder einzelne Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarung geregelt werden kann, weil die Tarifvertragsparteien in § 2 Nr. 1 Abs. 2 MTV ergänzende Betriebsvereinbarungen mit diesem Gegenstand und dem in § 2 Nrn. 1 - 3 MTV bezeichneten Inhalt ausdrücklich zugelassen haben. Dieser Auffassung hat sich der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts u. a. mit dem Urteil vom 2. Dezember 1987 (- 5 AZR 602/86 -, zur Veröffentlichung bestimmt) angeschlossen. Auch der erkennende Senat folgt ihr. Gesichtspunkte, die es rechtfertigen könnten, von der Entscheidung des Ersten Senats abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Der MTV ist nach dem von der Beklagten geschlossenen Anerkenntnistarifvertrag auf das Unternehmen der Beklagten anzuwenden.
b) Die Betriebsvereinbarung ist jedenfalls insoweit wirksam, als in ihr die Verteilung der Arbeitszeit bestimmt wird.
Nach § 2 Nrn. 1 und 2 MTV ist die Festlegung der Arbeitszeit gestattet, wie sie in der Betriebsvereinbarung geregelt ist. Die Bestimmung in Nr. 4 der Betriebsvereinbarung, nach der von Montag bis Freitag täglich acht Stunden gearbeitet wird und zum Ausgleich Freizeit in Form von unbezahlten Tagen zu gewähren ist, verstößt nicht gegen § 2 Nr. 3 MTV.
c) Die Beklagte hat die Vergütung für die am Urlaubstag der Klägerin ausgefallene Arbeitszeit mit acht Stunden bezahlt. Hierzu war sie nach § 19 Nr. 2 MTV verpflichtet. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.
d) Zu Unrecht meint jedoch die Klägerin, daß ihr für den Urlaubstag auch ein Zeitguthaben von 0,3 Stunden zustehe. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß es dafür an einer Rechtsgrundlage fehlt. Der MTV enthält zwar keine ausdrückliche Bestimmung hierüber. Daß Zeitausgleichsanteile für einen Arbeitnehmer während des Urlaubs nicht entstehen, ist jedoch der Regelung über die nach § 2 Nr. 3 MTV zulässige Arbeitszeitverteilung zu entnehmen.
Nach § 2 Nr. 3 MTV kann für Arbeitnehmer, die wie die Klägerin im sog. Freischichtenmodell arbeiten, vorgesehen werden, daß sie täglich acht Stunden statt des nach § 2 Nr. 1 Abs. 2 MTV vorgesehenen Durchschnitts von 38,5 Stunden wöchentlich (= 7,7 Stunden täglich) arbeiten.
Das Freischichtenmodell, wie es im Betrieb der Beklagten eingeführt ist, hat zum Inhalt, die für den Arbeitgeber mögliche Betriebsnutzungszeit von 40 Stunden in der Woche mit der wöchentlichen tariflichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers von 38,5 Stunden zu harmonisieren. Beide sollen dadurch aufeinander abgestimmt werden, daß ein Arbeitnehmer, der - soweit dies nach dem Tarifvertrag zulässig ist - weiterhin 40 Wochenstunden arbeitet, als Ausgleich zur tariflich zulässigen Regelarbeitszeit von 38,5 Wochenstunden nach Erreichen eines Zeitguthabens von 7,7 Stunden an einem individuell bestimmten oder betrieblich vereinbarten Arbeitstag von der Arbeitspflicht befreit wird.
Würde ein Arbeitgeber durchgehend Arbeitnehmer im Umfang der zulässigen Betriebsnutzungszeit von 40 Stunden wöchentlich beschäftigen, wäre dies tarifwidrig oder hinsichtlich der die wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden übersteigenden 1,5 Stunden nur ausnahmsweise als Mehrarbeit mit den dadurch verursachten Zuschlägen nach Zustimmung des Betriebsrats möglich. Der nach dem MTV zulässige Zeitausgleich eröffnet die Möglichkeit, trotz einer betrieblichen Arbeitszeit von 40 Stunden durch den Einschub freier Tage die tarifliche Wochenarbeitszeit einzuhalten. Daraus folgt aber notwendig, daß nach § 2 Nr. 3 MTV Zeitausgleichstage nur für geleistete Arbeit entstehen können. Sollen dennoch Zeitausgleichsanteile auch für Zeiträume entstehen, in denen die Vergütung weitergezahlt wird, ohne daß eine Arbeitsleistung erbracht wird, bedarf es einer besonderen Regelung im Tarifvertrag. Daran mangelt es hier.
Die Klägerin verkennt, daß die Regelung für den Ausgleich der Differenz zwischen Arbeits- und Betriebsnutzungszeiten nach § 2 Nr. 3 Satz 2 MTV auf Urlaubstage nicht anwendbar ist. Während des Urlaubs wird sie zwar bezahlt, als hätte sie gearbeitet, sie hat aber keine (betriebliche oder individuelle) Arbeitszeit einzuhalten, sie arbeitet nicht. Damit entstehen für Urlaubstage keine Zeitausgleichsanteile, die zu einem freien Tag angesammelt werden könnten. § 2 Nr. 3 Satz 2 MTV bestimmt, daß nur die Differenz zwischen Betriebsnutzungszeit und Arbeitszeit auszugleichen ist. Zeiten der Lohnfortzahlung, also auch Urlaub, begründen keine Arbeitszeit, auch wenn sie wie Arbeitszeit zu vergüten sind. Die Auffassung der Revision, Zeitgutschriften seien eine Vergütung des Arbeitnehmers, trifft nicht zu.
Auf die Regelung in Nr. 4 der Betriebsvereinbarung, nach der in Übereinstimmung mit diesen Erwägungen Vollzeitbeschäftigte bei der Beklagten Zeitgutschriften nur für jeden geleisteten Arbeitstag erhalten, kommt es nicht an. Diese Bestimmung hat nur deklaratorische Bedeutung (a.A. Urteil des Fünften Senats des BAG vom 2. Dezember 1987 - 5 AZR 557/86 - aaO). Einer Prüfung, ob die Betriebsvereinbarung sich insoweit im Rahmen des MTV hält, bedarf es daher entgegen der Auffassung der Revision nicht. Auch wenn die Regelung in der Betriebsvereinbarung nicht enthalten wäre, käme der Zeitausgleich, den die Klägerin begehrt, nicht in Betracht.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Dr. Weiss Rheinberger
Fundstellen