Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätete Urteilsabsetzung
Normenkette
ZPO § 551 Nr. 7; VwGO § 138 Nr. 6; ArbGG § 45
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 28.02.1992; Aktenzeichen 3 Sa 6/91) |
ArbG Hildesheim (Urteil vom 27.11.1990; Aktenzeichen 2 Ca 478/90) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 28. Februar 1992 – 3 Sa 6/91 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung eines weiteren Betrages einer tariflichen Sonderzuwendung für das Jahr 1988.
Der Kläger war seit dem 1. Februar 1982 zunächst zur Ausbildung und ab 16. Juni 1985 als Verwaltungsfachangestellter bei der beklagten Stadt beschäftigt. In der Zeit vom 1. Oktober 1986 bis zum 30. September 1988 diente er als Zeitsoldat im Beamtenverhältnis bei der Bundeswehr. Ab 1. Oktober 1988 wurde der Kläger bei der beklagten Stadt weiterbeschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden aufgrund beiderseitiger Tarifbindung sowie zusätzlich kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und die diesen ergänzenden Tarifverträge Anwendung.
Für das Jahr 1988 zahlte die beklagte Stadt an den Kläger 3/12 der tariflichen Sonderzuwendung in Höhe von 563,82 DM brutto; der ungekürzte Tarifanspruch hätte 2.255,28 DM brutto betragen.
Mit der Klage vom 30. Oktober 1990 verlangt der Kläger die Zahlung des Differenzbetrages von 1.691,46 DM, den er mit Schreiben vom 24. Februar 1989 bei der beklagten Stadt geltend gemacht hatte.
Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe für das Jahr 1988 die volle tarifliche Sonderzuwendung zu, da § 2 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a des Tarifvertrags über eine Zuwendung für Angestellte insoweit, als er sich nur auf die Ableistung von Grundwehrdienst beziehe, unter Berücksichtigung von § 16 a ArbPlSchG bei gesetzeskonformer Auslegung auf ihn anzuwenden sei; anderenfalls läge ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bzw. gegen den arbeitsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz vor.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.691,46 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit dem 15. November 1988 zu zahlen.
Die beklagte Stadt hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, aus § 16 a ArbPlSchG folge nicht, daß Grundwehrdienstleistende und Soldaten auf Zeit für höchstens zwei Jahre in jedem Fall gleich zu behandeln seien; insbesondere bestünden zwischen beiden Gruppen Unterschiede hinsichtlich der Höhe der Bezüge.
Das Arbeitsgericht hat, nachdem beide Parteien in der Güteverhandlung übereinstimmend eine Entscheidung durch den Vorsitzenden gemäß § 55 Abs. 3 ArbGG beantragt hatten, ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb beim Landesarbeitsgericht ohne Erfolg. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts wurde am Ende der Sitzung vom 28. Februar 1992 verkündet; das abgesetzte Urteil ist den Parteien am 8. September 1993 zugestellt worden.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter und rügt insbesondere, daß wegen des langen Zeitraums zwischen mündlicher Verhandlung und Urteilszustellung der Zusammenhang zwischen mündlicher Verhandlung und Urteilsbegründung nicht mehr gewahrt sei. Die beklagte Stadt bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet.
Aufgrund der zwischen Urteilsverkündung und Zustellung des Urteils mit Tatbestand und Entscheidungsgründen verstrichenen Zeit von ca. 18 Monaten ist das angefochtene Urteil als nicht mit Gründen versehene Entscheidung anzusehen, so daß es nach § 551 Nr. 7 ZPO auf die entsprechende Rüge des Klägers ohne weitere Sachprüfung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen war.
1. Der Kläger hat die verspätete Urteilsabsetzung ordnungsgemäß gerügt, indem er auf die Daten der Urteilsverkündung und der Urteilszustellung sowie auf den fehlenden Zusammenhang zwischen mündlicher Verhandlung und Urteilsbegründung hingewiesen hat.
2. Der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes hat in seinem Beschluß vom 27. April 1993 (– GmS-OGB 1/92 – AP Nr. 21 zu § 551 ZPO) entschieden, daß ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach der Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle des Gerichts übergeben worden sind. Zur Begründung hat der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes ausgeführt, § 552 ZPO ordne aus Gründen der Rechtssicherheit an, daß „zur Vermeidung von Fehlerinnerungen” der an der Urteilsfällung beteiligten Richter das Urteil innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung in vollständig abgefaßter Form vorliegen müsse. Dies gelte für alle Gerichtsbarkeiten.
Der Senat hat sich dieser zu der mit § 551 Nr. 7 ZPO wortgleichen Bestimmung des § 138 Nr. 6 VwGO ergangenen Rechtsprechung in seinen Entscheidungen vom 24. November 1993 (– 10 AZR 372/93 – n.v.) und vom 1. März 1994 (– 10 AZR 178/93 – n.v.) angeschlossen (so auch BAG Urteil vom 4. August 1993 – 4 AZR 501/92 –, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung und in der Fachpresse vorgesehen, und Urteil vom 6. Oktober 1993 – 5 AZR 289/91 – n.v.).
3. Aus dem Datum der Verkündung des Urteils des Landesarbeitsgerichts am 28. Februar 1992 und dem Datum der Zustellung des Urteils des Landesarbeitsgerichts am 8. September 1993 sowie dem Vermerk auf der Rückseite der stenografischen Protokollmitschrift der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 1992 unter dem Datum 23.12. (wohl 1992) „die Akte ist heute oder gestern nachts zurückgekommen”, dem Stempel „zur Kanzlei am 2. August 1993” und der Verfügung vom 3. September 1993 „3. je eine Ausfertigung und Abschrift des Urteils mit Rechtsmittelbelehrung an die Parteivertreter mit EB zustellen”, ergibt sich zweifelsfrei, daß das angefochtene Urteil nicht innerhalb von fünf Monaten abgesetzt und von allen Richtern unterzeichnet zur Geschäftsstelle gelangt ist. Die vom Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Begründung seiner Entscheidung herangezogene Möglichkeit von Fehlerinnerungen der an der Urteilsfällung beteiligten Richter ist daher gegeben.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist somit nach §§ 550, 551 Nr. 7 ZPO auf die entsprechende Rüge des Klägers ohne weiteres aufzuheben und die Sache nach § 565 Abs. 1 ZPO zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Kähler, Staedtler
Fundstellen