Entscheidungsstichwort (Thema)
Verringerung des gesetzlichen Zusatzurlaubs nach dem Schwerbehindertengesetz
Leitsatz (redaktionell)
Der gesetzliche Zusatzurlaub nach dem Schwerbehindertengesetz bleibt von tarifvertraglichen Zwölftelungsvorschriften unberührt.
Normenkette
SchwbG § 47; BAT § 48 Abs. 5a
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 01.06.1992; Aktenzeichen 4 Sa 538/92) |
ArbG Hannover (Entscheidung vom 12.02.1992; Aktenzeichen 2 Ca 524/92) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über Urlaub des Klägers im Jahr 1991 sowie über einen Teil des tarifvertraglichen Übergangsgelds.
Der im Juli 1931 geborene Kläger war vom April 1979 bis 31. Juli 1991 bei der Beklagten als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Die Parteien beendeten das Arbeitsverhältnis einvernehmlich durch Auflösungsvertrag vom 27. Mai 1991 zum 31. Juli 1991. Der Kläger bezieht seit dem 1. August 1991 vorgezogenes Altersruhegeld. Er ist Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 50. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. In dessen § 48 Abs. 5 und Abs. 5 a ist folgendes bestimmt:
(5) Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im
Laufe des Urlaubsjahres, so beträgt der Ur-
laubsanspruch 1/12 für jeden vollen Be-
schäftigungsmonat. Scheidet der Angestellte
wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfä-
higkeit (§ 59) oder durch Erreichung der
Altersgrenze (§ 60) aus dem Arbeitsverhält-
nis aus, so beträgt der Urlaubsanspruch
6/12, wenn das Arbeitsverhältnis in der er-
sten Hälfte, und 12/12, wenn es in der
zweiten Hälfte des Urlaubsjahres endet.
Satz 2 gilt nicht, wenn der Urlaub nach
Abs. 3 zu vermindern ist.
(5 a) Vor Anwendung der Absätze 3 und 5 sind der
Erholungsurlaub und ein etwaiger Zusatzur-
laub zusammenzurechnen.
Der Kläger erhielt 1991 zehn Tage Erholungsurlaub. Ferner gewährte die Beklagte ihm auf seinen Antrag am 22. Januar 1991 weitere 25 Tage für die Zeit vom 24. Juni bis 26. Juli 1991. Nachdem der Kläger am 2. Mai 1991 mitgeteilt hatte, er beabsichtige, ab 1. August 1991 vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch zu nehmen, und er zugleich um Auflösung des Arbeitsverhältnisses gebeten hatte, zog die Beklagte am 10. Mai 1991 ihre Urlaubsgenehmigung für Juni und Juli 1991 zurück. Der Kläger blieb dennoch vom 27. Juni 1991 bis 31. Juli 1991 der Arbeit fern, erhielt aber trotzdem ungekürzt seine Vergütung für diese Monate. Die Beklagte bestimmte die Zahlung für elf Arbeitstage als Urlaubsentgelt und zog für die übrige Fehlzeit 1.730,72 DM vom Übergangsgeld des Klägers ab.
Die Versicherungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zahlte dem Kläger einen Rentenbetrag von 1.858,90 DM nicht aus. Diesen Betrag hatte der Kläger an die Beklagte abgetreten, um das Übergangsgeld insoweit ungekürzt erhalten zu können.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die bei ihm vorgenommene Kür-
zung des Jahresurlaubs um 5/12 nicht vorgenommen
werden durfte,
den auf Grund der vorgenommenen Urlaubskürzung
einbehaltenen Betrag der VBL Zusatzrente in Höhe
von 1.858,90 DM sofort auszuzahlen,
die Rentengewährung für Schwerbehinderte mit
60 Jahren nach dem § 48 SchwbG zu bewerten.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage insgesamt abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision nur hinsichtlich der Abweisung seines Feststellungsantrags; weiter macht er einen anderen Zahlungsanspruch als in den Vorinstanzen geltend. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nur hinsichtlich der Kürzung des gesetzlichen Zusatzurlaubs nach dem Schwerbehindertengesetz begründet. Insoweit waren die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und abzuändern. Der weitergehende Feststellungsantrag sowie der Leistungsantrag sind unbegründet, so daß die Revision insoweit zurückzuweisen war.
I. Die Leistungsklage des Klägers konnte keinen Erfolg haben, weil es sich bei dem Leistungsantrag um eine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageerweiterung handelt. Zwar hatte der Kläger auch in der Vorinstanz einen Zahlungsantrag gestellt. Dieser Antrag ist jedoch mit dem in der Revisionsinstanz gestellten Antrag nicht identisch. Es handelt sich auch nicht um einen nur der Höhe nach verringerten Anspruch. Zunächst verlangte der Kläger den Teil seines Übergangsgeldes, den er wegen der nachträglich gewährten Altersrente aus der VBL an die Beklagte abgetreten hat. Zuletzt jedoch hat der Kläger die Zahlung des Übergangsgeldes verlangt, das die Beklagte mit ihrer Gegenforderung wegen Überzahlung in den Monaten Juni und Juli 1991 verrechnet hat. Der Austausch der dem Streitgegenstand nach unterschiedlichen Beträge ist in der Revisionsinstanz nicht statthaft.
II. Die Revision zum Feststellungsantrag ist teilweise begründet, im übrigen unbegründet. Die Beklagte schuldete dem Kläger nur 18 Tage Erholungsurlaub nach dem BAT, jedoch den vollen Zusatzurlaub nach dem Schwerbehindertengesetz.
1. Der Kläger hat nach § 48 Abs. 1 BAT für das Jahr 1991 30 Tage Erholungsurlaub erworben. Da das Arbeitsverhältnis im Laufe des Urlaubsjahres endete, betrug der Urlaub nach § 48 Abs. 5 Satz 1 BAT 1/12 für jeden Beschäftigungsmonat (gekürzter Vollurlaub). Das waren unter Berücksichtigung der Aufrundungsbestimmung des § 48 Abs. 5 b BAT 18 Urlaubstage (30 : 12 x 7).
2. Die Tarifvorschriften verstoßen nicht gegen die zwingenden Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes. Zwar ist § 48 Abs. 5 Satz 1 BAT nicht mit der Zwölftelungsregelung in § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG zu vereinbaren, nach der eine Zwölftelung nur möglich ist, wenn der Arbeitnehmer nach erfüllter Wartezeit in der ersten Jahreshälfte ausscheidet. § 48 Abs. 5 BAT betrifft aber nur den tarifvertraglich erworbenen Urlaub. Der gesetzliche Mindesturlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz bleibt unberührt. Nach den Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes hätte der Kläger, der regelmäßig an fünf Tagen in der Woche arbeitete, lediglich einen Anspruch auf 15 Urlaubstage, § 3 Abs. 1 und Abs. 2 BUrlG (zur Umrechnung von 18 Werktagen auf 15 Urlaubstage vgl. BAGE 45, 199; 54, 141 = AP Nr. 15 und 30 zu § 13 BUrlG; BAGE 57, 366 = AP Nr. 3 zu § 8 BUrlG).
3. Der Kläger kann sich auch nicht auf die Ausnahmebestimmung des § 48 Abs. 5 Satz 2 BAT berufen. Er ist weder wegen Berufsunfähigkeit noch wegen Erwerbsunfähigkeit noch wegen Erreichens der Altersgrenze von 65 Lebensjahren (§ 60 Abs. 1 BAT) ausgeschieden, sondern aufgrund Auflösungsvertrags zum Ende des Monats, in dem er das 60. Lebensjahr vollendet hatte.
4. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf den ungekürzten Urlaub, weil § 48 Abs. 5 Satz 2 BAT gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verstößt.
Die Tarifvertragsparteien sind zwar dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet; dieser verbietet es, wesentlich gleiche Sachverhalte ohne sachlichen Grund unterschiedlich zu behandeln. Tarifvertragsparteien sind gehalten, ihre Normen so zu fassen, daß gleiche Sachverhalte gleich und ungleiche Sachverhalte ihrer Eigenart nach verschieden behandelt werden. Gleiches ist gleich und ungleiches seiner Eigenart nach verschieden zu behandeln, wenn die Gleichheit oder Ungleichheit in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam ist, daß ihre Beachtung bei einer normativen Regelung nach einer am Gerechtigkeitssinn orientierten Betrachtungsweise geboten erscheint. Eine Tarifnorm ist dann unwirksam, wenn sie für gleiche Sachverhalte unterschiedliche Regelungen enthält und ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund sich nicht finden läßt. So verhält es sich im vorliegenden Fall nicht. Die Tarifvertragsparteien konnten zulässig zwischen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit sowie dem Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren einerseits und Rentenbezug ab Vollendung des 60. Lebensjahres wegen Schwerbehinderung andererseits unterscheiden. Es handelt sich um verschiedenartige Sachverhalte, die grundsätzlich unterschiedlich geregelt werden dürfen. Die Gleichbehandlung der unterschiedlichen Sachverhalte ist auch nicht wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Schwerbehinderten geboten. Die Tarifvertragsparteien konnten z. B. berücksichtigen, daß Schwerbehinderte unabhängig von ihrem Gesundheitszustand aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden dürfen und daß jeder Schwerbehinderte ohnehin Anspruch auf Zusatzurlaub hat. Das sind Vergünstigungen, die den nicht als schwerbehindert anerkannten Berufsunfähigen und Erwerbsunfähigen nicht zustehen. Die Tarifvertragsparteien durften ferner berücksichtigen, daß die Schwerbehinderten freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, während das Arbeitsverhältnis der Erwerbs- und Berufsunfähigen mit normativer Wirkung endet.
5. Dem Kläger stand auch kein höherer Anspruch auf Erholungsurlaub zu, weil die Beklagte ihn bereits im Januar 1991 für die Zeit ab 24. Juni 1991 für 25 Tage freigestellt hatte. Die Beklagte hat damit zwar die von ihr geschuldete Erfüllungshandlung vorgenommen. Bevor der Erfüllungserfolg eingetreten war, hat die Beklagte jedoch ihre Freistellungserklärung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Erste Alternative BGB kondiziert. Der rechtliche Grund für den 18 Tage überschreitenden Zeitraum war nachträglich weggefallen, nachdem das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 1991 beendet worden ist. Mit der Kondiktion der Freistellungserklärung war die Arbeitspflicht des Klägers wieder entstanden.
III. § 48 Abs. 5 Satz 1 BAT findet aber auf den gesetzlichen Zusatzurlaub nach dem Schwerbehindertengesetz keine Anwendung. Das haben die Beklagte und die Vorinstanzen verkannt.
1. Es ist bereits fraglich, ob die Tarifvertragsparteien mit ihrer Verringerungsbestimmung des § 48 Abs. 5 Satz 1 BAT den gesetzlichen Zusatzurlaub nach § 47 SchwbG erfassen wollten. Soweit § 48 Abs. 5 a BAT bestimmt, daß vor Anwendung des § 48 Abs. 5 Erholungsurlaub und Zusatzurlaub zusammenzurechnen seien, besteht die Möglichkeit, daß die Tarifvertragsparteien nur eine Regelung für den tariflichen Erholungsurlaub und den tariflichen Zusatzurlaub nach §§ 48 a, 49 BAT getroffen haben.
2. Der Regelungsumfang des § 48 Abs. 5 a BAT kann jedoch dahingestellt bleiben. Wenn die Tarifvertragsparteien die Verringerung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach dem Schwerbehindertengesetz anordnen wollten, hätte der Kläger dennoch einen Anspruch auf den vollen Zusatzurlaub nach dem Schwerbehindertengesetz. Denn den Tarifvertragsparteien fehlt die Befugnis, § 47 SchwbG zu ändern. Der Umfang des gesetzlichen Zusatzurlaubs nach § 47 SchwbG ist wie der Umfang des Urlaubs nach dem Bundesurlaubsgesetz zwingendes Recht. Er unterliegt nicht der Disposition der Tarifvertragsparteien zum Nachteil des Schwerbehinderten. Auch wenn die Zwölftelungsvorschriften des § 5 Abs. 1 BUrlG heranzuziehen sind, könnten die Tarifvertragsparteien nicht die Verringerung des gesetzlichen Mindesturlaubs für Arbeitnehmer anordnen, die in der zweiten Jahreshälfte ausscheiden. Der in der zweiten Jahreshälfte nach Erfüllung der Wartezeit ausscheidende Arbeitnehmer hat nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG Anspruch auf den vollen Jahresurlaub. Auch insoweit besteht keine Veränderungsmöglichkeit für Tarifvertragsparteien.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Dr. Leinemann Düwell Dörner
Dr. Gaber Oberhofer
Fundstellen
BAGE 76, 74-79 (LT1) |
BAGE, 74 |
BB 1994, 1224 |
BB 1994, 1788 |
BB 1994, 1788-1789 (LT1) |
BB 1994, 648 |
DB 1994, 1528 (LT1) |
EBE/BAG 1994, 94-95 (LT1) |
AiB 1996, 60 (LT1) |
NZA 1994, 1095 |
NZA 1994, 1095-1097 (LT1) |
SAE 1994, 290-292 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 658/94 (S) |
ZTR 1994, 337-339 (LT1) |
AP § 47 SchwbG 1987 (LT1), Nr 5 |
AR-Blattei, ES 1640.5.1 Nr 1 (LT1) |
EzA-SD 1994, Nr 12, 14-16 (LT1) |
EzA § 47 SchwbG, Nr 2 (LT1) |
EzBAT § 48 BAT, Nr 10 (LT1) |
PersV 1994, 554 (L) |
br 1994, 187-188 (LT1) |