Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichbehandlung bei Abfindungszahlungen auf einzelvertraglicher Grundlage
Leitsatz (redaktionell)
vgl. Urteil vom 8. März 1995 – 5 AZR 869/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt
Normenkette
BGB § 242; BetrVG §§ 112, 75 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 05.07.1993; Aktenzeichen 16 Sa 196/93) |
ArbG Darmstadt (Urteil vom 15.09.1992; Aktenzeichen 3/1 Ca 102/92) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. Juli 1993 – 16 Sa 196/93 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Abfindung.
Der Kläger war bei der Beklagten, bei der kein Betriebsrat bestand, seit dem 25. Februar 1986 in deren Hauptverwaltung in Z. als Lagerarbeiter beschäftigt. Die Beklagte teilte ihren Beschäftigten Anfang 1991 mit, daß sie Anfang 1993 die Hauptverwaltung nach K. bei T. verlegen werde. Sie unterbreitete allen Mitarbeitern, auch dem Kläger, im Hinblick „auf den Zusammenschluß V./Z.” mit Schreiben vom 27. Mai 1991 ein „Übernahmeangebot” für einen weiteren Einsatz in K. Der Kläger nahm dieses Angebot nicht an. Die Beklagte leitete ihm eine von ihr verfaßte „Regelung für Mitarbeiter der Hauptverwaltung Z., die aufgrund des Umzuges ihren Arbeitsplatz verlieren” vom 1. August 1991 zu. Darin heißt es:
„l. Ziel
Ziel der Regelung ist der Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die sich durch die erforderliche Verlagerung der V.-Hauptverwaltung von Z. nach K. bei T. ergeben.
Dabei kann ihr Arbeitsverhältnis wie folgt beendet werden:
- Durch Aufhebungsvertrag
- Durch Kündigung seitens V.
…
3. Geltungsbereich
Die Regelung gilt für alle unbefristet beschäftigten Mitarbeiter/innen, die von der Verlagerung der Hauptverwaltung und dem Verlust des Arbeitsplatzes betroffen sind.
Sollten Sie durch V. aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) gekündigt werden oder vor dem Umzugszeitpunkt durch Eigenkündigung austreten, haben Sie keinen Anspruch aus dieser Regelung.
…”
In Nr. 7 der „Regelung” ist die Zahlung einer Abfindung nach näheren Modalitäten festgelegt. U.a. heißt es dort:
„Sollten Sie vor dem Umzugszeitpunkt austreten, haben Sie keinen Anspruch aus dieser Regelung u. Abfindungszahlung (s. Pkt. 3).”
Mit Schreiben vom 12. Februar 1992 kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis zum 31. März 1992, weil er eine neue Stelle gefunden hatte. Der Umzug der Beklagten nach K. wurde im wesentlichen im Dezember 1992 abgeschlossen. Abwicklungsarbeiten dauerten noch bis Ende März 1993 an.
Der Kläger beansprucht von der Beklagten eine Abfindung. Er hat die Ansicht vertreten, ihm stehe eine Abfindung trotz der von ihm selbst ausgesprochenen Kündigung zu. Die Unterscheidung nach Eigenkündigung und Arbeitgeberkündigung bzw. Aufhebungsvertrag sei wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz unwirksam. Es sei nicht richtig, daß die Beklagte ihre Mitarbeiter bis zum Umzugstermin benötigt habe. In vielen Bereichen des Betriebs habe nicht mehr gearbeitet werden können. Die wesentlichen Tätigkeiten seien bereits vor dem endgültigen Ende der Tätigkeit in Z. nach K. verlagert worden. Angesichts dessen habe er nicht damit rechnen können, bis zum letzten Tag der Betriebstätigkeit in Z. gebraucht zu werden. Ein Wechsel nach K. sei ihm wegen seiner familiären Situation nicht zumutbar gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Abfindung in Höhe von 16.500,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 1. April 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Ausschluß solcher Arbeitnehmer von den Abfindungszahlungen, die aufgrund von Eigenkündigungen ausgeschieden seien, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Um den Betriebsablauf möglichst reibungslos aufrecht zu erhalten, habe sie ihre Mitarbeiter möglichst lange halten wollen. Der Kläger habe sich bis zuletzt entscheiden können, ob er mit nach K. gehen wolle.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt er sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung.
I. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Kläger seinen Anspruch nicht auf die „Regelung” vom 1. August 1991 stützen kann. Denn nach deren Nr. 3 Abs. 2 und Nr. 7 bestehen keine Ansprüche, wenn der Arbeitnehmer vor dem Umzugszeitpunkt durch Eigenkündigung ausscheidet. Das war beim Kläger der Fall.
II. Dem Landesarbeitsgericht ist weiter darin zu folgen, daß sich der Anspruch auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt.
1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung (BAG Urteil vom 19. August 1992 – 5 AZR 513/91 – AP Nr. 102 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Er gilt auch für freiwillige Leistungen. Danach ist es dem Arbeitgeber verwehrt, in seinem Betrieb einzelne oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von allgemein begünstigenden Regelungen auszunehmen oder sie schlechter zu stellen. Die Leistungsvoraussetzungen müssen so abgegrenzt werden, daß nicht sachwidrig oder willkürlich ein Teil der Arbeitnehmer von den Vergünstigungen ausgeschlossen wird (BAG Urteil vom 26. Oktober 1994 – 10 AZR 109/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist auch anwendbar, wenn der Arbeitgeber – wie hier die Beklagte – aus Anlaß einer Betriebsänderung (Betriebsverlegung) freiwillig Abfindungen zahlt (BAG Urteil vom 25. November 1993 – 2 AZR 324/93 – AP Nr. 114 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Die Ungleichbehandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen bei freiwilligen Leistungen ist dann mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, wenn die Unterscheidung nach dem Zweck der Leistung gerechtfertigt ist. Die Prüfung des sachlichen Grundes für eine Ausnahme von allgemein begünstigenden Leistungen muß sich an deren Zwecken orientieren (BAGE 33, 57; 49, 346 = AP Nr. 44, 76 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).
2. Hieran gemessen ist die von der Beklagten getroffene Entscheidung nicht zu beanstanden.
a) Das Bundesarbeitsgericht hat allerdings entschieden, daß eine Sozialplanregelung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, wenn sie – undifferenziert – Leistungen von der rechtstechnischen Form der Auflösung des Arbeitsverhältnisses (Arbeitgeberkündigung, Aufhebungsvertrag, Arbeitnehmerkündigung) abhängig macht und damit unbeachtet läßt, ob das Ausscheiden vom Arbeitgeber veranlaßt wurde (BAG Urteil vom 15. Januar 1991 – 1 AZR 80/90 – BAGE 67, 29 = AP Nr. 57 zu § 112 BetrVG 1972). Daß es sich dabei um eine unzulässige Differenzierung handelt, läßt sich auch aus § 112 a Abs. 1 Satz 2 BetrVG herleiten (BAG Urteile vom 28. Oktober 1992 – 10 AZR 405/91 – und – 10 AZR 406/91 – und vom 28. April 1993 – 10 AZR 222/92 – AP Nr. 64, 65, 67 zu § 112 BetrVG 1972).
Indes hat die Rechtsprechung auch anerkannt, daß die Betriebspartner in einem Sozialplan solche Arbeitnehmer von Abfindungen ausschließen können, die ihr Arbeitsverhältnis von sich aus vorzeitig kündigen. Werden hierfür Stichtage festgelegt, haben die Betriebspartner einen weiten Ermessensspielraum (BAG Urteil vom 20. April 1994 – 10 AZR 323/93 – DB 1994, 1882 = BB 1994, 1938; BAG Urteil vom 30. November 1994 – 10 AZR 578/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Die Betriebspartner können in einem solchen Fall davon ausgehen, daß die betreffenden Arbeitnehmer eine neue Arbeitsstelle gefunden haben. Wer sein Arbeitsverhältnis vorzeitig kündigt, weil er eine neue Stelle antritt, ist aber weniger schutzbedürftig als derjenige, der auf Veranlassung des Arbeitgebers zu einem von diesem bestimmten Zeitpunkt aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet und unter Umständen nicht alsbald einen neuen Arbeitsplatz findet. Zwar können auch diejenigen, die selbst kündigen, Nachteile durch die Betriebsänderung erleiden, etwa wenn sie Anwartschaften beim bisherigen Arbeitgeber verlieren; außerdem haben sie beim neuen Arbeitgeber zunächst keinen Kündigungsschutz. Die Betriebspartner sind jedoch nicht gehalten, jeden in Betracht kommenden wirtschaftlichen Nachteil auszugleichen oder zu mildern.
Zudem ist auch das Interesse des Arbeitgebers an einer geordneten Durchführung einer Betriebsänderung anzuerkennen (BAG Urteil vom 11. August 1993 – 10 AZR 558/92 – AP Nr. 71 zu § 112 BetrVG 1972, auch für die Amtliche Sammlung bestimmt, und BAG Urteil vom 30. November 1994 – 10 AZR 570/93 –, a.a.O., zu II 3 b der Gründe). Aus § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG läßt sich – entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts – nicht herleiten, daß ein Sozialplan allein und ausschließlich dazu bestimmt sein muß, die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsänderung entstehenden Nachteile auszugleichen oder zu mildern.
b) Dürfen aber die Betriebsparteien in einem Sozialplan Arbeitnehmer von einer Abfindung ausschließen, falls sie vorzeitig kündigen, weil sie eine andere Stelle bekommen haben, so kann für den Arbeitgeber, der Abfindungen auf einzelvertraglicher Grundlage zahlt, nicht anderes gelten (vgl. auch BAG Urteil vom 25. November 1993 – 2 AZR 324/93 – AP Nr. 114 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, auch für die Amtliche Sammlung bestimmt).
c) Im Streitfall beruhte die Zahlung der Abfindungen auf einzelvertraglichen Zusagen. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, verfolgte die Beklagte damit einen doppelten Zweck: Zum einen wollte sie die wirtschaftlichen Nachteile, die Arbeitnehmer infolge der Betriebsänderung erleiden, ausgleichen oder mildern. Zum anderen wollte die Beklagte einen Anreiz dafür schaffen, daß die Arbeitnehmer bis zum Umzug bei ihr ausharrten und nicht von sich aus vorzeitig ausschieden. Läßt die Beklagte nur diesen Arbeitnehmern eine Abfindung zukommen, so ist dies keine unsachliche Differenzierung und deshalb rechtlich nicht zu beanstanden.
Allerdings unterscheidet die „Regelung” der Beklagten vom 1. August 1991 auch nach dem rechtstechnischen Mittel der Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Eine Abfindung soll nur dann gezahlt werden, wenn das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag oder arbeitgeberseitige Kündigung endet. Es wäre in der Tat bedenklich, wenn dies das einzige Abgrenzungsmerkmal wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Weiter wird – in Nr. 3 Abs. 2 und Nr. 7 Abs. 4 der Regelung – auf den Zeitpunkt des Ausscheidens abgestellt. Mit der Begünstigung der Arbeitgeberkündigung und des Aufhebungsvertrags behielt die Beklagte die Möglichkeit, auf die Größe der Belegschaft und damit auf die Funktionsfähigkeit des Betriebs bis zu seiner endgültigen Schließung Einfluß auszuüben. Darauf kam es ihr an.
Die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf die Abfindung hätte, wenn er zu einem Zeitpunkt ausgeschieden wäre, zu dem die Beklagte ihm ohnehin hätte kündigen wollen, kann hier dahinstehen. Denn der Kläger hat selbst nicht behauptet, daß die Beklagte schon zur Zeit seines Ausscheidens an seiner Arbeitsleistung kein Interesse mehr hatte.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke, Werner, Dr. Frey
Fundstellen