Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: 80% oder 100%
Orientierungssatz
§ 12 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 27. Mai 1991 hat in der im November 1996 geltenden Fassung nur eine Verweisung auf die jeweiligen gesetzlichen Vorschriften über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall.
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 1998 - 3 Sa
1138/97 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit Mai 1971 als Maschinenführerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik Deutschland Anwendung. Im Zeitraum vom 1. Juli 1991 bis zum 31. Dezember 1996 war die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im Manteltarifvertrag wie folgt geregelt:
"§ 11. Die Lohnfortzahlung im Falle von Erkrankungen und Unfällen,
bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schonungszeiten,
die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, richtet sich nach
dem Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im
Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungs-gesetz) in seiner jeweiligen
Fassung.
2. Gemäß § 2 Abs. 3 Lohnfortzahlungsgesetz gelten abweichend
von der gesetzlichen Regelung für die Berechnung des
fortzuzahlenden Arbeitsentgelts einheitlich für den ganzen
Betrieb die Bestimmungen des § 15 Abschnitt III Ziffern 1 und
2 dieses Manteltarifvertrages sinngemäß.
Durch Betriebsvereinbarung kann auch festgelegt werden, daß
für die Berechnundes fortzuzahlenden Arbeitsentgelts die
gesetzlichen Bestimmungen des § 2 Abs. 1 und 2
Lohnfortzahlungsgesetz zur Anwendung kommen.
§ 15 Urlaub, Urlaubsgeld
... III. Url1. Das Urlaubsentgelt wird nach dem
Durchschnittsverdienst der letzten drei abgerechneten
Lohnperioden, mindestens der letzten 13 Wochen,
berechnet. Durch Betriebsvereinbarung kann einheitlich
für den ganzen Betrieb ein längerer Bezugszeitraum bis
zu einem Jahr festgelegt werden.
Im Falle von Kurzarbeit, einer durch kassenärztliche
Bescheinigung nachgewiesenen Erkrankung, eines Heil-
oder Kurverfahrens, einer ärztlich verordneten
Schonzeit oder eines vereinbarten unbezahlten Urlaubs
wird an Stelle des in Abs. 1 genannten Zeitraums auf
vorhergehende volle Abrechnungszeiträume
zurückgegriffen.
Einmalige Zuwendungen, auch wenn sie in Teilbeträgen
ausgezahlt werden, bleiben bei der Berechnung des
Durchschnittsverdienstes außer Betracht.
Soweit eine Lohnerhöhung in der Berechnung des
Urlaubsentgelts noch keinen Niederschlag gefunden hat,
ist eine entsprechende Aufzahlung zu leisten.
2. Die Zahl der für den einzelnen Urlaubstag zu
vergütenden Stunden beträgt eFünftel der wöchentlichen
Arbeitszeit des Arbeitnehmers nach dem Durchschnitt
der letzten drei abgerechneten Lohnperioden,
mindestens der letzten 13 Wochen.
Ist die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf 6
Tage verteilt, so wird für die volle Wochen
überschreitenden Urlaubstage des
Gesamturlaubsanspruchs des Arbeitnehmers ein Sechstel
der nach Abs. 1 zu ermittelnden wöchentlichen
Arbeitszeit angesetzt. Diese Regelung gilt für
Arbeitnehmer in Betrieben, in denen abwechselnd 5 und
6 Tage wöchentlich gearbeitet wird, nur in solchen
angebrochenen Urlaubswochen, in denen der Arbeitnehmer
sechs Tage arbeiten würde."
Im November 1996 war die Klägerin an einzelnen Tagen arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete ihr Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle in Höhe von 80 %. Mit der Klage macht die Klägerin weitere 20 % in rechnerisch unstreitiger Höhe von 114,45 DM brutto geltend. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe aufgrund der tarifvertraglichen Regelung ein Anspruch auf ungekürzte Entgeltfortzahlung zu.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 114,45 DM brutto
nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Manteltarifvertrag stelle keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar. Den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch habe sie erfüllt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte schuldet der Klägerin keine weitere Entgeltfortzahlung für November 1996 in Höhe von 114,45 DM brutto. Den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch hat die Beklagte erfüllt. Ein weitergehender tarifvertraglicher Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall ist nicht gegeben.
I. § 12 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeit-nehmerinnen der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik Deutschland hat in der im November 1996 geltenden Fassung keine konstitutive Regelung des Entgeltfortzahlungsanspruchs enthalten, sondern auf die jeweiligen gesetzlichen Vorschriften über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle verwiesen. Die Tarifnorm besagt lediglich, daß im Falle von Erkrankungen und Unfällen, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schonungszeiten, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, sich die Lohnfortzahlung nach dem Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) in seiner jeweiligen Fassung richtet. Diese Tarifbestimmung gibt weder nach ihrem Wortlaut noch anhand anderer Auslegungsgesichtspunkte Anlaß zu der Annahme, damit sei tarifvertraglich ein Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung in bestimmter Höhe geregelt worden. Vielmehr hat der Tarifvertrag, wie sich aus der Bezugnahme auf die jeweilige Fassung des Gesetzes ergibt, dynamisch auf die Gesetzeslage verwiesen. Damit ist ab 1. Juni 1994 das Entgeltfortzahlungsgesetz an die Stelle des dynamisch in Bezug genommenen Lohnfortzahlungsgesetzes getreten. Dieses Gesetz hat in der ab dem 1. Oktober 1996 geltenden Fassung nur noch eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % vorgesehen.
II. Auf eine konstitutive Regelung der Entgeltfortzahlung in voller Höhe kann auch nicht aus der in § 12 Nr. 2 enthaltenen Verweisung auf § 15 Abschnitt III Nr. 1 und 2 des Manteltarifvertrages geschlossen werden. Danach gelten für die "Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts", sofern es keine abweichende betriebliche Regelung gibt, statt der gesetzlichen Regelung die Vorschriften über die Bemessung der Urlaubsvergütung. Auch diese Bestimmungen des § 15 Abschnitt III regeln nicht einen Anspruch des Arbeitnehmers auf eine bestimmte Vergütungshöhe, sondern modifizieren im Rahmen der nach § 4 Abs. 4 EFZG gegebenen Möglichkeiten den Berechnungsweg des nach § 4 Abs. 1 EFZG maßgebenden Entgelts. So ordnet § 15 Abschnitt III Nr. 1 die Berechnung des Urlaubsentgelts nach dem Referenzperiodensystem an. In § 15 Abschnitt III Nr. 2 findet sich eine Berechnungsregel für die Zahl der zu berücksichtigenden Arbeitsstunden. Damit enthält der Tarifvertrag zwar Bestimmungen über einzelne Berechnungsfaktoren, gibt aber selbst die fortzuzahlende Entgelthöhe nicht vor. Die tarifliche Regelung gewährleistet keinen Zahlbetrag in bestimmter Höhe, wie es z.B. der Fall ist, wenn der Tarifvertrag die Fortzahlung der Vergütung in Höhe eines 1/22stel des Monatsgehaltes je Arbeitstag vorsieht (vgl. BAG Urteil vom 16. Juni 1998 - 5 AZR 728/97 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Gaststätten Nr. 3).
Griebeling Müller-Glöge Kreft
Sappa Zorn
Fundstellen