Entscheidungsstichwort (Thema)
Anpassung der Versorgung an geänderte Rechtsprechung
Leitsatz (amtlich)
- Verschlechterungen einer Versorgungsordnung (hier: Bochumer Verband) auf Grund einer Jeweiligkeitsklausel sind nicht schrankenlos zulässig, sondern unterliegen einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle.
- Wird eine Leistungsordnung zunächst erkennbar mit Rücksicht auf eine geänderte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts verbessert (hier: Streichung einer Klausel über die Teilanrechnung von Unfallrenten), so ist es im allgemeinen nicht unbillig, wenn nach der Aufgabe dieser Rechtsprechung der ursprüngliche Rechtsaustand wieder hergestellt wird.
- Der begünstigte Arbeitnehmer kann in einem solchen Fall nicht verlangen, daß ihm zeitanteilig an Versorgungsleistung erhalten wird, was er unter der zeitlichen Geltung der für ihn günstigeren Regelung an zusätzlicher Versorgung erdient hat.
Normenkette
BetrAVG § 5; BGB § 315; Leistungsordnung des Bochumer Verbands § 8 Abs. 6
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 27.11.1990; Aktenzeichen 6 Sa 1984/85) |
ArbG Bochum (Urteil vom 14.05.1985; Aktenzeichen 4 Ca 55/85) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27. November 1990 – 6 Sa 1984/85 – aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 14. Mai 1985 – 4 Ca 55/85 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, wie sich die Änderung einer Bestimmung über die teilweise Anrechnung einer Unfallrente auf den betrieblichen Versorgungsanspruch des Klägers auswirkt.
Die Beklagte ist Trägerin einer Bergberufsschule und Fachoberschule für Technik. Der Kläger, geboren am 30. Juli 1918, war seit dem 1. Dezember 1973 an der Schule beschäftigt. Ihm war eine Zusatzversorgung nach der Leistungsordnung des Bochumer Verbandes zugesagt. Am 31. Juli 1982 trat er in den Ruhestand. Seither bezieht er ein betriebliches Ruhegeld. Der Berechnung der Rente wurden 25 anrechnungsfähige Dienstjahre zugrunde gelegt.
Daneben bezieht der Kläger wegen der Folgen eines im Jahre 1952 erlittenen Arbeitsunfalls eine Verletztenrente. Diese belief sich im Jahre 1983 auf 1.324,80 DM monatlich.
Nach § 8 Abs. 6 der Leistungsordnung des Bochumer Verbandes der Bergwerke in Westfalen im Rheinland und im Saargebiet in der bis zum 12. Dezember 1979 geltenden Fassung sollten Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung und des Unfallschadensverbandes zur Hälfte auf die nach der Leistungsordnung erreichbare Gesamtversorgung angerechnet werden, wobei jedoch eine erhöhte Gesamtversorgungsobergrenze von 77 % statt der allgemeinen Gesamtversorgungsobergrenze von 70 % der ruhegeldfähigen Dienstbezüge galt.
Durch Urteil vom 17. Januar 1980 (BAGE 32, 297 = AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG mit Anm. v. Krasney) entschied der Senat, eine Anrechnung von Unfallrenten sei grundsätzlich unzulässig. Darauf änderte der Vorstand des Bochumer Verbandes die Leistungsordnung durch Beschluß vom 8. Oktober 1980 dahin, daß rückwirkend vom 1. Januar 1980 an Unfallrenten nicht mehr anzurechnen seien. Die Beklagte teilte dies ihren von der Änderung betroffenen Mitarbeitern mit Schreiben vom 20. Oktober 1980 mit. In dem Schreiben heißt es einleitend:
“Mit einem Urteil vom 17.1.1980 hat das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Auffassung über die Anrechenbarkeit von Unfallrenten überraschend geändert. Das Urteil ist durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15.7.1980 als verfassungsgemäß bestätigt worden.
Der Vorstand des Bochumer Verbandes hat daraufhin beschlossen, der geänderten Auffassung des BAG Rechnung zu tragen und rückwirkend ab 1. Januar 1980 gesetzliche Unfallrenten nur noch im Rahmen der Höchstbegrenzungsvorschriften des § 9 Abs. 1 LO anzurechnen. …”
Durch Urteile vom 19. Juli 1983 (BAGE 43, 161 = AP Nr. 9 zu § 5 BetrAVG mit Anm. v. Gitter und BAGE 43, 173 = AP Nr. 8 zu § 5 BetrAVG mit Anm. v. Gitter) gab der Senat diese Rechtsprechung wieder auf. Er entschied nunmehr, und seither ständig, daß eine Unfallrente in Gesamtversorgungssystemen angerechnet werden darf, soweit sie dazu bestimmt ist, Verdienstminderungen zu ersetzen. Dagegen bleiben die Teile der Unfallrente anrechnungsfrei, die dazu dienen, immaterielle Schäden und sonstige Nachteile auszugleichen. Daraufhin änderte der Bochumer Verband die Leistungsordnung mit Beschluß vom 14. Dezember 1983 erneut, indem er die frühere Halbanrechnung der Unfallrente mit Wirkung vom 1. Januar 1984 wieder einführte. Die Beklagte teilte dies dem Kläger mit Schreiben vom 16. Dezember 1983 mit. Seither wird dem Kläger eine monatlich 491,10 DM niedrigere Betriebsrente gezahlt.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe ihm mit ihrem ersten Leistungsbescheid vom 13. Oktober 1982 ein betriebliches Ruhegeld ohne Anrechnung eines Teiles der Unfallrente zuerkannt. Diese Zusage könne die Beklagte nicht wieder kurzfristig einschränken. Die Kürzung sei unbillig. Er habe für die günstigere Regelung 31 Monate Betriebstreue erbracht. Diese Dienstzeit müsse mindestens zeitanteilig bei der Anrechnung berücksichtigt werden. Bleibe der entsprechende Anteil anrechnungsfrei, so sei ihm für die Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum 30. November 1990 ein – in der Höhe unstreitiger – Betrag von 5.653,24 DM nachzuzahlen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.653,24 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 27. November 1990 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich darauf berufen, daß der Bochumer Verband nur der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt sei. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen können, die Leistungsordnung bleibe unverändert. Maßgeblich sei die jeweilige Fassung. Die erneute Anpassung der Leistungsordnung an die geänderte Rechtsprechung sei nicht unbillig. Der Kläger werde auch nicht unverhältnismäßig hart betroffen. Seine Gesamtversorgung betrage nach wie vor mehr als 6.000,-- DM monatlich.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger muß die Anrechnung der Hälfte seiner Unfallrente hinnehmen. Er kann nicht verlangen, daß die Beklagte seine Dienstzeit von Januar 1980 bis 31. Juli 1982 zeitanteilig bei der Berechnung des anrechnungsfreien Teils der Unfallrente berücksichtigt.
I. Der Kläger stellt nicht in Abrede, daß sich, wie in seinem Arbeitsvertrag vorgesehen, seine betriebliche Altersversorgung nach der jeweils geltenden Fassung der Leistungsordnung des Bochumer Verbandes richtet. Er ist jedoch der Ansicht, die jeweilige Fassung wirke nur für die während der Geltungsdauer abgeleistete Dienstzeit, so daß sich die Versorgungsanwartschaft unterschiedlich entwickeln könne. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten, maßgebend sei allein die jeweils letzte Fassung, verdient den Vorzug:
Mit der Aufstellung einer Leistungsordnung durch einen Dritten soll erreicht werden, daß die Arbeitnehmer des betreffenden Wirtschaftszweigs eine einheitliche betriebliche Zusatzversorgung erhalten. Die Leistungsordnung des Bochumer Verbandes soll für die außertariflichen Angestellten des Bergbaus eine Ordnungsfunktion entfalten, vergleichbar der, die Tarifverträge für andere Arbeitnehmer bewirken. Damit steht die Einheitlichkeit der Versorgung im Vordergrund, die Leistungsordnung soll aktive Arbeitnehmer und Ruheständler erfassen. Daraus folgt, daß der betriebliche Versorgungsanspruch einheitlich nach der jeweils letzten Fassung der Leistungsordnung bestimmt werden soll (vgl. hierzu BAG Urteil vom 17. Oktober 1957 – 2 AZR 50/57 – AP Nr. 29 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG Urteil vom 10. August 1982 – 3 AZR 90/81 – AP Nr. 7 zu § 5 BetrAVG; BAG Urteil vom 2. Februar 1988 – 3 AZR 115/86 – AP Nr. 25 zu § 5 BetrAVG).
II. Die Jeweiligkeitsklausel in einer vertraglichen Versorgungszusage berechtigt nicht dazu, eine Leistungsordnung beliebig zu ändern. Eingriffe in zugesagte Versorgungsansprüche sind nicht schrankenlos zulässig. Sie unterliegen einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 1 BGB (BAG Urteil vom 2. Februar 1988 – 3 AZR 115/86 – AP Nr. 25 zu § 5 BetrAVG). Die durch Beschluß des Bochumer Verbandes vom 14. März 1983 wieder in die Leistungsordnung eingeführte Anrechnung der Hälfte der Unfallrente ist nicht zu beanstanden.
1. Daß die Unfallrente angerechnet werden darf, soweit sie Verdienstminderungen ausgleichen soll (Urteile des Senats vom 19. Juli 1983, aaO), wird vom Kläger nicht angegriffen. Die Anrechnung von 50 % der Unfallrente hat der Senat im Urteil vom 2. Februar 1988 (aaO) für die Leistungsordnung des Bochumer Verbandes bereits gebilligt.
2. Der Kläger wird auch persönlich von der Wiedereinführung der Anrechnung nicht unbillig betroffen.
a) Der Kläger macht geltend, er habe 31 Monate Betriebstreue unter der Geltung einer Leistungsordnung erbracht, die eine Anrechnung der Unfallrente nicht vorgesehen habe; es sei unangemessen, daß dieser Zeitabschnitt nicht zeitanteilig anrechnungsmindernd berücksichtigt werde. Das Berufungsgericht ist dieser Argumentation im Hinblick auf die Rechtsprechung des Senats zu ablösenden und verschlechternden Versorgungsordnungen gefolgt.
b) Der Senat kann sich für den vorliegenden Fall dieser Auffassung nicht anschließen.
Es trifft zu, daß der Kläger 31 Monate (1. Januar 1980 bis 31. Juli 1982) unter der Geltung einer Versorgungsordnung gearbeitet hat, die eine Anrechnung von Unfallrenten nicht vorsah. Damit hat er auch insoweit Betriebstreue für eine im Ergebnis höhere Betriebsrente geleistet. Die Wiedereinführung der Anrechenbarkeit von 50 % der Unfallrente schmälert daher den erdienten Besitzstand des Klägers: Seine Gesamtversorgung aus gesetzlicher und betrieblicher Rente verkürzt sich um den anrechenbaren Teil der Unfallrente.
c) Der Eingriff ist aber zulässig. Er ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht unbillig.
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, beurteilt der Senat Eingriffe in Besitzstände versorgungsberechtigter Arbeitnehmer anhand der Maßstände der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes (ständige Rechtsprechung, zuletzt Urteil vom 9. April 1991 – 3 AZR 598/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Nach dieser Rechtsprechung sind Eingriffe in erdiente, schon durch Betriebstreue belegte Besitzstände nur unter besonders gewichtigen (zwingenden oder triftigen) Gründen zulässig. Die vom Arbeitnehmer in der Vergangenheit in Gestalt von Betriebstreue erbrachte Vorleistung darf grundsätzlich nicht unentgolten bleiben. Die Zusage einer dafür zu leistenden Vergütung darf nur ausnahmsweise widerrufen werden.
Das Berufungsgericht hat jedoch zwei Gesichtspunkten nicht genügend Rechnung getragen, die bei der vorliegenden Fallgestaltung zu beachten sind:
Zunächst war dem Kläger von Anfang an eine Versorgungszusage erteilt worden, deren Inhalt infolge der vertraglichen Jeweiligkeitsklausel unter dem Vorbehalt späterer Änderungen der Leistungsordnungen des Bochumer Verbandes stand. Die Einbindung der Versorgungsordnung in ein “Konditionenkartell” des Bergbaus machte darüberhinaus deutlich, daß nicht einmal ausschließlich im eigenen Unternehmen liegende Gründe den Ausschlag für verschlechternde Änderungen der Leistungsordnung geben können.
Zum anderen hat die Beklagte bei der Änderung der Leistungsordnung durch den Beschluß des Bochumer Verbandes vom 8. Oktober 1980, der die Teilanrechnung der Unfallrente beseitigte, deutlich zu erkennen gegeben, daß es ihr nicht darum ging, im Einvernehmen der übrigen Mitgliedsunternehmen des Bochumer Verbandes die Leistungsordnung zugunsten der betreffenden Arbeitnehmer zu ändern. Alleiniger Zweck der Änderung war es, festzuschreiben, was nach damaliger Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts ohnehin als rechtmäßig angesehen wurde. Es ging nicht darum, den Arbeitnehmern zusätzliche Leistungen zuzusagen, sondern es ging um eine Klarstellung der – vermeintlichen – Rechtslage. Nach damaliger Rechtsauffassung hätte die Leistungsordnung unverändert bleiben können und es hätte dennoch keine Anrechnung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgen dürfen. Die vom Berufungsgericht dazu vertretene Auffassung, es komme nicht darauf an, aus welchen Motiven eine Versorgungsordnung verbessert oder verschlechtert werde, mag zutreffen. Das ist aber hier nicht entscheidend: Für den Kläger und die anderen Empfänger des Schreibens der Beklagten vom 20. Oktober 1980 war erkennbar, daß der Bochumer Verband seine Leistungsordnung ausschließlich geändert hatte, um der verfassungsgerichtlich bestätigten Rechtsprechung des Senats zu genügen, d.h. die – vermeintlich – rechtswidrige Einschränkung aus der Leistungsordnung zu entfernen. Die einleitenden Sätze des Schreibens vom 20. Oktober 1980 ließen insoweit keinen Zweifel aufkommen.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Bochumer Verband und die ihm angeschlossene Beklagte hätten angesichts der umfangreichen Kritik an der Entscheidung des Senats vom 17. Januar 1980 (aaO) weiter zuwarten können, bevor sie die Leistungsordnung änderten, überzeugt ebenfalls nicht. Wenn der Kläger auf den Fortbestand der Rechtsprechung des Senats und die allein darauf gegründete Änderung der Leistungsordnung zu seinen Gunsten vertraute, so konnte dies die Beklagte ebenfalls. Die Beklagte hat nicht deshalb Nachteile hinzunehmen, weil sie sich rechtsprechungstreu verhielt. Ein weitergehendes Vertrauen kann auch der Kläger nicht beanspruchen. Die Beklagte hat den Grund der Änderung der Leistungsordnung klargemacht: Eine rechtswidrige Leistungsverweigerung sollte in ihren Richtlinien keine Stütze finden.
3. Der Eingriff in die Gesamtversorgung des Klägers ist maßvoll. Der Kläger erhält im Ergebnis auch nach der Halbanrechnung seiner Unfallrente dasjenige, was ihm nach dem Zweck einer Gesamtversorgung bei Bezug einer zusätzlichen Unfallrente zustehen soll. Die Entschädigung für seine individuelle Beeinträchtigung durch den Unfall bleibt ihm erhalten.
Unterschriften
Griebeling, Dr. Wittek, Kremhelmer, Seyd, Paul
Fundstellen
BB 1992, 859 |
NZA 1992, 655 |
ZIP 1992, 640 |