Entscheidungsstichwort (Thema)
Massenänderungskündigung eines erfolglosen Wahlbewerbers
Leitsatz (redaktionell)
Die Massenänderungskündigung ist auch gegenüber einem erfolglosen Wahlbewerber nach § 15 Abs 3 Satz 2 KSchG innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig (zugleich Bestätigung der Urteile des BAG vom 24. April 1969 - 2 AZR 319/68 - AP Nr 18 zu § 13 KSchG a F und vom 29. Januar 1981 - 2 AZR 778/78 - BAGE 35, 17 = AP Nr 10 zu § 15 KSchG 1969).
Normenkette
KSchG § 13 Fassung 1951-08-10, § 15 Fassung 1969-08-25
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 26.03.1986; Aktenzeichen 8 Sa 196/85) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 25.10.1985; Aktenzeichen S 1 Ca 158/85) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Änderungskündigung.
Die Beklagte beschäftigt Arbeitnehmer sowohl im Land- als auch im Seebetrieb. Der Kläger ist seit Juni 1980 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin im Seebetrieb als Koch beschäftigt. Kraft Organisationszugehörigkeit sind auf das Heuerverhältnis die Vorschriften des MTV-See und des HTV-See anwendbar. In der Vergangenheit erhielt der Kläger ein außertarifliches Treuegeld. Die Treuegeldregelung, die eine monatliche Treueprämie für alle Besatzungsmitglieder vorsieht, stammt aus Oktober 1976. Mit Schreiben vom 4. März 1985, das dem Kläger am 7. März 1985 zuging, sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Änderungskündigung zum 30. Juni 1985 mit dem Ziel aus, die Treueprämie in Zukunft fortfallen zu lassen. Von den 362 seebeschäftigten Arbeitnehmern (außer den Kapitänen) hatten sich zuvor 128 mit einer gewinnabhängigen Sonderprämienabrede als Ersatz für das Treuegeld einverstanden erklärt. Die übrigen Arbeitnehmer erhielten - außer dem Seebetriebsobmann - ebenfalls eine Änderungskündigung. Den 138 Kapitänen war bereits Ende 1983 eine entsprechende Kündigung ausgesprochen worden. Der Kläger hatte für die Bordvertretung nach § 115 BetrVG kandidiert. Die Wahl fand am 24. Dezember 1984 statt. Der Kläger wurde nicht gewählt.
Mit seiner am 26. März 1985 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger unter Berufung auf § 15 Abs. 3 KSchG die Unzulässigkeit der Änderungskündigung geltend gemacht. Darüber hinaus hat er vorgetragen, die Kündigung sei unwirksam, da die Beklagte den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört habe. Außerdem sei die Änderungskündigung sozial nicht gerechtfertigt.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Änderungskündigung der
Beklagten vom 4. März 1985, zugegangen am
7. März 1985, unzulässig ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, ein Verstoß gegen § 15 Abs. 3 KSchG liege nicht vor. Der Sonderkündigungsschutz greife jedenfalls dann nicht ein, wenn eine Massenänderungskündigung ausgesprochen sei und der gekündigte Arbeitnehmer sich lediglich auf den nachwirkenden Kündigungsschutz berufen könne. Die Auffassung des Klägers würde zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der nicht erfolgreichen Wahlbewerber gegenüber den Arbeitnehmern führen, die sich auf den Sonderkündigungsschutz des § 15 KSchG nicht berufen könnten.
Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß gehört worden. Die Änderungskündigung sei auch nicht sozial ungerechtfertigt, da sie im Hinblick auf die erheblichen Verluste zu Einsparungen gezwungen gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die Kündigung verstoße gegen § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der gleichen Begründung zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
I. Nach der Senatsrechtsprechung (Urteil vom 24. April 1969 - 2 AZR 319/68 - AP Nr. 18 zu § 13 KSchG a.F. mit zust. Anm. von Wiese; Urteil vom 29. Januar 1981 - 2 AZR 778/78 - BAGE 35, 17 = AP Nr. 10 zu § 15 KSchG 1969 mit zust. Anm. Beitzke und Beschluß vom 6. März 1986 - 2 ABR 15/85 - EzA § 15 KSchG n.F. Nr. 34) gilt der Sonderkündigungsschutz des § 15 KSchG entgegen der herrschenden Meinung in Schrifttum (vgl. u.a. Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 15 Rz 43; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 15 Rz 29; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 78 Rz 26 ff.; Herschel, SAE 1970, 87; Matthes, DB 1980, 1165; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 103 Rz 10; Kraft, GK-BetrVG, 3. Bearb., Stand Juni 1985, § 103 Rz 11; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 103 Rz 20; wie das BAG Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 103 Rz 4; KR-Etzel, 2. Aufl., § 103 BetrVG Rz 59) auch für Gruppen- und Massenänderungskündigungen gegenüber Mandatsträgern von Betriebsverfassungsorganen.
1. Bei seiner Begründung ist der Senat zunächst vom Wortlaut und systematischem Zusammenhang des Gesetzes ausgegangen. § 13 KSchG a.F. differenziert ebenso wenig zwischen einer Beendigungs- und einer Änderungskündigung wie § 15 KSchG n.F. Beide Gesetze gewähren einen Sonderkündigungsschutz für Mitglieder von Betriebsverfassungsorganen sowie Wahlvorständen und Wahlbewerbern. Von dem Kündigungsschutz wird ausdrücklich die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB und die ordentliche Kündigung wegen Betriebsstillegung ausgenommen. Ein reduzierter Schutz besteht gegenüber betriebsbedingten Kündigungen bei Stillegung einer Betriebsabteilung. In diesem Falle sind die in § 15 Abs. 1 bis 3 KSchG genannten Personen in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Soweit dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist, kann die ordentliche Kündigung frühestens zum Zeitpunkt der Stillegung ausgesprochen werden. Stellt aber ein Gesetz einen Grundsatz auf und erklärt es gleichzeitig bestimmte Ausnahmen, so ist nach Auffassung des Senats anzunehmen, daß der Gesetzgeber weitere Ausnahmen nicht zulassen wollte, es sei denn, daß den speziell normierten Ausnahmen wiederum ein allgemeines Ausnahmeprinzip zugrundeliegt. Das ist aber nach Überzeugung des Senats vorliegend nicht der Fall. Wenn also der Gesetzgeber zwar die Stillegung, aber nicht auch die als Erscheinung im Wirtschaftsleben bekannte Gruppen- oder Massenänderungskündigung erwähnt, so ist anzunehmen, daß er den Schutz des Betriebsratsmitglieds für den Fall einer Gruppen- oder Massenänderungskündigung nicht ausnehmen wollte.
2. Der Senat hat dann in den angeführten Entscheidungen geprüft, ob § 13 KSchG a.F. und § 15 KSchG n.F. eine verdeckte Regelungslücke enthält, die im Wege der teleologischen Reduktion dahin auszufüllen wäre, daß § 15 KSchG entweder auf Änderungskündigungen überhaupt nicht oder jedenfalls auf sogenannte Massen- oder Gruppenänderungskündigungen nicht anzuwenden sei. Dies hat der Senat mit der Begründung verneint, seit seiner Entscheidung vom 24. April 1969 (AP Nr. 18 zu § 13 KSchG) habe der Gesetzgeber das Kündigungsschutzgesetz mehrmals geändert, den in § 13 KSchG a.F. (= § 15 KSchG n.F.) geschützten Personenkreis mehrfach erweitert und den Schutz durch die erforderliche Zustimmung des Betriebs- oder Personalrats bzw. deren gerichtliche Ersetzung verstärkt. Er hat im übrigen aber an seiner Entscheidung festgehalten, die Kündigung mit Ausnahme der Kündigung aus wichtigem Grund sowie der Kündigung wegen Stillegung bzw. Teilstillegung grundsätzlich auszuschließen. Der Gesetzgeber hätte auch im Hinblick auf die gesetzliche Regelung der Änderungskündigung in § 2 KSchG eine weitere Einschränkung von dem Sonderkündigungsschutz des § 15 KSchG vornehmen müssen, wenn er die Konsequenzen, die sich aus dem Senatsurteil vom 24. April 1969 ergeben, für die Zukunft hätte verhindern wollen. Da er aber trotz der Änderung des Kündigungsschutzgesetzes durch das BetrVG von 1972 und das BPersVG von 1974 keine Veranlassung gesehen hat, die Massenänderungskündigungen vom Schutz des § 15 KSchG auszunehmen, ist davon auszugehen, daß er die vom Senat entwickelte Rechtsprechung billigte (ebenso Wiese in Anm. zu BAG AP Nr. 18 zu § 13 KSchG unter III 1 und Beitzke in Anm. zu BAG AP Nr. 10 zu § 15 KSchG 1969). Der Senat hat seine Entscheidungen weiterhin damit begründet, § 15 KSchG wolle einen umfassenden Schutz der in ihm aufgeführten Personen. Er wolle ihnen Furcht vor möglichen Repressalien des Arbeitgebers nehmen. Zum anderen beabsichtige § 15 KSchG aber auch eine gewisse Gewährleistung der unveränderten Zusammensetzung des Betriebsverfassungsorgans für die Dauer der Wahlperiode, um so eine gewisse Stetigkeit in der Aufgabenwahrnehmung zu erreichen. Diesem Zweck widerspreche es, wenn gegenüber einem Mitglied eines Betriebsverfassungsorgans die Kündigung zur Änderung der Arbeitsbedingungen dann zugelassen würde, wenn alle anderen Arbeitnehmer der Gruppe sie erhielten, der das betreffende Organmitglied angehöre. Die Arbeit im Betriebsrat oder in der Personalvertretung solle auch nach Möglichkeit von Streitigkeiten um die Arbeitsbedingungen eines Mitglieds freigehalten werden.
Darüber hinaus hat der Senat seine Auffassung, § 15 KSchG gelte auch für Gruppen- und Massenänderungskündigungen, damit begründet, daß praktische Schwierigkeiten entstehen, wenn versucht werde, zwischen Einzel-, Gruppen- und Massenänderungskündigungen zu differenzieren. Es bleibt auch offen, ob es darauf ankommen kann, ob die Massenänderungskündigungen gegenüber den anderen Arbeitnehmern wirksam oder unwirksam sind und ob sich andere Arbeitnehmer (ggf. wieviele) gegen die Gruppen- oder Massenänderungskündigung gewehrt haben. Wegen dieser Abgrenzungsschwierigkeiten ist Matthes (DB 1980, 1165 ff.) der Ansicht, der § 15 KSchG enthalte auch keinen Schutz gegenüber Einzeländerungskündigungen. Diese Auffassung schafft dann aber gerade wieder die Möglichkeit, gezielt Mandatsträger um ihrer Position willen einer Änderungskündigung auszusetzen, was dem Schutzzweck des § 15 KSchG zu allererst widerspräche (ebenso Beitzke, Anm. zu BAG AP Nr. 10 zu § 15 KSchG 1969).
Schließlich hat der Senat darauf hingewiesen, seine Auslegung des § 15 KSchG verstoße auch nicht gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Abs. 1 BetrVG und der §§ 46 Abs. 1, 100 Abs. 1 BPersVG, weil § 15 KSchG gegenüber diesen Vorschriften eine lex specialis sei und das Begünstigungsverbot sich an den Arbeitgeber, nicht aber den Gesetzgeber richte (zustimmend Matthes, aaO, S. 1166; KR-Etzel, aaO; Wiese, Anm. zu BAG AP Nr. 18 zu § 13 KSchG a.F. und Beitzke, Anm. zu BAG AP Nr. 10 zu § 15 KSchG 1969, unter 5.).
II. Das Landesarbeitsgericht hat die Senatsrechtsprechung zutreffend referiert und auf die Kündigung eines erfolglosen Wahlbewerbers innerhalb der Frist von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses angewandt.
1. In einem obiter dictum hat der Senat in der Entscheidung vom 29. Januar 1981 (aaO) bereits im ersten Leitsatz ausgeführt, nach § 15 KSchG 1969 seien ordentliche Gruppen- oder Massenänderungskündigungen gegenüber einem Mitglied eines Betriebsverfassungsorgans oder einem der sonst geschützten Arbeitnehmer unzulässig.
2. Richtig ist der Hinweis der Revision, daß Gruppen- und Massenänderungskündigungen den gesetzgeberischen Zweck, die Zusammensetzung des Betriebsverfassungsorgans für die Dauer der Wahlperiode zu erhalten, nicht berührt, wenn sich die Kündigung gegen ein ehemaliges Mitglied eines Betriebsverfassungsorgans oder einen erfolglosen Wahlbewerber wendet. Hiermit hat die Revision aber nur einen Teil des gesetzgeberischen Zwecks angesprochen. Es soll allen in § 15 Abs. 1 bis 3 KSchG genannten Personen die Furcht vor möglichen Repressalien des Arbeitgebers genommen werden, die Furcht, daß sich aus ihrem betriebsverfassungsrechtlichen Engagement ein Nachteil für sie ergeben könnte. Der Gesetzgeber hat es nun einmal für erforderlich gehalten, den Schutz soweit zu fassen, daß er auch Mandatsträger und Wahlbewerber noch ein Jahr bzw. sechs Monate nach Beendigung ihrer Amtszeit bzw. des Wahlverfahrens erfaßt.
Es ist aber dogmatisch nicht möglich, für einen Teil der in § 15 KSchG geschützten Personen die Massenänderungskündigung für zulässig zu erklären, für einen anderen Teil nicht, denn entweder erlaubt der Wortlaut und der systematische Zusammenhang eine solche restriktive Auslegung, dann aber für alle geschützten Personen oder er erlaubt es nicht. In diesem Falle ist bezüglich des geschützten Personenkreises des § 15 KSchG keine weitere Differenzierung möglich (a.A. KR-Etzel, 2. Aufl., § 15 KSchG Rz 18 a, der die Massen- bzw. Gruppenänderungskündigung gegenüber Mitgliedern von Betriebsverfassungsorganen für unzulässig hält, dagegen im Nachwirkungszeitraum gegen ihre Zulässigkeit keine Bedenken hat).
An einer anderen Entscheidung bei dieser Fallgestaltung ist der Senat auch deshalb gehindert, weil der Gesetzgeber in Kenntnis der Entscheidung vom 24. April 1969 trotz mehrmaliger Änderungen des § 15 KSchG Massenänderungskündigungen auch nicht gegenüber erfolglosen Betriebsratsbewerbern zugelassen hat. Im übrigen rechtfertigen auch hier die praktischen Schwierigkeiten, die bei der Abgrenzung von Einzel-, Gruppen- und Massenänderungskündigungen entstehen würden, den Schutz auch der erfolglosen Bewerber gegen Änderungskündigungen. Werden doch auf diese Weise Rechtsklarheit und Rechtssicherheit erhalten.
III. Sind aber Massenänderungskündigungen gegenüber erfolglosen Wahlbewerbern innerhalb der ersten sechs Monate nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Triebfürst Dr. Weller Ascheid
Thieß Dr. Bächle
Fundstellen
Haufe-Index 437702 |
BB 1987, 1885 |
DB 1987, 2209-2209 (LT) |
BetrR 1987, 392-395 (LT) |
NZA 1987, 807-808 (LT) |
RdA 1987, 316 |
RzK, II 1h 7 (LT1) |
AP § 15 KSchG 1969 (LT1), Nr 28 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung IX Entsch 70 (LT1) |
AR-Blattei, ES 1020.2 Nr 4 (LT1) |
AR-Blattei, ES 530.9 Nr 70 (LT1) |
AR-Blattei, Kündigungsschutz II Entsch 4 (LT1) |
EzA § 15 nF KSchG, Nr 37 (LT) |