Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit
Normenkette
LohnFG § 6 Abs. 1 S. 1, § 1 Abs. 1 S. 1; RVO § 182 Abs. 10
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 24.06.1981; Aktenzeichen 5 Sa 34/81) |
ArbG Berlin (Urteil vom 03.03.1981; Aktenzeichen 13 Ca 855/80) |
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 24. Juni 1981 – 5 Sa 34/81 – aufgehoben.
- Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin macht aus Übergegangenem Recht Lohnansprüche ihres Versicherten gegen dessen Arbeitgeber, die Beklagte, nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LohnFG für die Zeit vom 23. August bis 15. September 1980 geltend.
Der bei der Klägerin versicherte Arbeiter B… W… war vom 18. September 1978 bis 22. August 1980 bei der Beklagten als Isolierer beschäftigt. Am 5. August 1980 erschien er nicht zur Arbeit. Er entschuldigte sich mit einem Unwohlsein, versprach aber, am nächsten Tag zu kommen. Am 6. August 1980 suchte er einen Arzt auf. Dieser stellte fest, daß der Arbeiter W… ab 5. August bis voraussichtlich zum 12. August 1980 arbeitsunfähig krank sei. Die vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ging am Mittag des 7. August 1980 bei der Beklagten ein.
Bereits am Morgen des 7. August 1980 hatte die Beklagte ein Kündigungsschreiben zur Post gegeben; sie kündigte damit das Arbeitsverhältnis des Arbeiters W… zum 22. August 1980. Diese Kündigung ist wirksam geworden. Herr W… nahm eine zunächst erhobene Kündigungsschutzklage (13 Ca 616/80 ArbG Berlin) wieder zurück.
Am 10. August 1980 erlitt Herr W… einen Motorradunfall, bei dem er verletzt wurde. Die Folgen dieser Verletzung führten zu einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 15. September 1980. Jedenfalls ab 23. August 1980 beruhte die Arbeitsunfähigkeit allein auf den Verletzungen, die sich Herr W… bei dem Motorradunfall zugezogen hatte.
Die Beklagte weigerte sich, an den Arbeiter W… über den 22. August 1980 hinaus den Lohn fortzuzahlen. Die Klägerin zahlte deshalb ihrem Versicherten Krankengeld für die Zeit vom 23. August 1980 bis zum 15. September 1980 in Höhe von insgesamt 1.292,64 DM. Diesen Betrag fordert sie unter Hinweis auf § 182 Abs. 10 RVO (vgl. jetzt § 115 Abs. 1 SGB X) von der Beklagten.
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe das Arbeitsverhältnis des Herrn W… aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit gekündigt. Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.292,64 DM nebst 4 % Zinsen ab Zustellung der Klage zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, sie habe ihren Arbeitnehmer seit 1980 wiederholt abgemahnt, weil er unpünktlich und unzuverlässig gewesen sei. Im übrigen beruhe die Arbeitsunfähigkeit ab 23. August 1980 auf einer Krankheit – hier den Folgen eines Motorradunfalls –, die erst nach Ausspruch der Kündigung eingetreten sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hat, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen, daß der Arbeiter W… einen Anspruch auf Lohnfortzahlung für den fraglichen Zeitraum vom 23. August bis 15. September 1980 nur nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LohnFG erwerben konnte. Ein Anspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG kommt nicht in Betracht. Nach dieser Bestimmung hat der Arbeiter Ansprüche auf Lohnfortzahlung nur für solche Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis bestand. Umgekehrt setzt § 6 Abs. 1 Satz 1 LohnFG voraus, daß das Arbeitsverhältnis in dem Zeitraum, für den Lohnfortzahlungsansprüche geltend gemacht werden, nicht mehr besteht.
Hier war das Arbeitsverhältnis am 22. August 1980 beendet. Nach Rücknahme der Kündigungsschutzklage ist die Kündigung der Beklagten nach § 7 KSchG wirksam geworden. An diese Rechtslage ist auch die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Arbeiters Wohlgefahrt gebunden. Sie kann nicht geltend machen, das Arbeitsverhältnis müsse ihr gegenüber als fortbestehend behandelt werden (vgl. BAG 34, 128, 135 = AP Nr. 14 zu § 6 LohnFG, zu III 2c der Gründe).
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Lohnfortzahlungsanspruch nach § 6 Abs. 1 LohnFG zeitlich nicht beschränkt auf die Zeit, in der die Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruht, die den Arbeitnehmer schon bei Ausspruch der Kündigung an der Arbeitsleistung hinderte. § 6 Abs. 1 Satz 1 LohnFG stellt – ebenso wie § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG – auf die Dauer des Verhinderungsfalles ab, nicht auf die Dauer einer Krankheit.
Der Verhinderungsfall besteht für die Dauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Denn die Lohnfortzahlungspflicht knüpft an eine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an, nicht an die Krankheit selbst. Deshalb handelt es sich um einen einheitlichen Verhinderungsfall, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf verschiedenen sich zeitlich überschneidenden Krankheiten beruht. Für § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG bedeutet das: Der Anspruch auf Lohnfortzahlung ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit hinzutritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. Der Arbeiter kann bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen (vgl. BAG 37, 172, 174 ff. = AP Nr. 48 zu § 1 LohnFG, zu II 1 der Gründe).
Für § 6 Abs. 1 Satz 1 LohnFG gilt Entsprechendes: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Lohn des erkrankten Arbeiters über das Arbeitsverhältnis hinaus bis zum Ende des Verhinderungsfalles fortzuzahlen, der Anlaß der Kündigung war. Der Arbeiter, dem aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit gekündigt wurde, soll nach Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelung so dastehen, wie er stünde, wenn das Arbeitsverhältnis fortbestanden hätte und nicht während seiner Arbeitsunfähigkeit beendet worden wäre. Der Lohnfortzahlungsanspruch nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LohnFG hat deshalb den gleichen zeitlichen Umfang wie der Lohnfortzahlungsanspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG (vgl. BAG 37, 189, 194 = AP Nr. 19 zu § 6 LohnFG, zu II 2 der Gründe).
Das Berufungsgericht konnte diese Rechtsprechung des Senats in seinem Urteil noch nicht berücksichtigen. Die zuletzt genannten Urteile des Senats stammen vom 2. Dezember 1981; das angefochtene Urteil wurde am 24. Juni 1981 verkündet. An den seinerzeit entwickelten Grundsätzen hält der Senat fest.
II. Das Urteil des Berufungsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO); es ist deshalb aufzuheben.
1. Lohnansprüche des Arbeiters W… ließen sich nur dann ausschließen, wenn er den Motorradunfall schuldhaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG verursacht hätte. Das ist nach dem bisherigen Vorbringen der Beklagten nicht der Fall. Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen könnten, der Arbeiter W… habe vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen Verkehrsregeln verstoßen und dabei seine Gesundheit leichtfertig aufs Spiel gesetzt (vgl. BAG Urteil vom 23. November 1971 – 1 AZR 388/70 – AP Nr. 8 zu § 1 LohnFG; Kehrmann/Pelikan, LohnFG, 2. Aufl., § 1 Rz 49; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., Lohnfortzahlung, C 132; Brecht, Lohnfortzahlung für Arbeiter, 3. Aufl., § 1 Rz 32). Wie es zum Unfall gekommen ist, steht nicht fest. Daß der Arbeiter W… “gerast” sei und deshalb schuldhaft gehandelt habe, ist ohne weitere Angaben über die Höhe der Geschwindigkeit, den Fahrbahnzustand und sonstige Umstände nicht nachvollziehbar.
2. Auch die Ausschlußfristen hat die Klägerin gewahrt. Sie hat ihre Forderung rechtzeitig schriftlich in den beiden Schreiben vom 27. August und 5. September 1980 geltend gemacht (§ 16 Abs. 1 BRTV-Bau). Sie hat auch die daran anschließende Frist für die gerichtliche Geltendmachung (§ 16 Abs. 2 BRTV-Bau) gewahrt. Die Klage wurde vor Ablauf von zwei Monaten nach dem ersten Fälligkeitstermin (15. September 1980) eingereicht. Vor Fälligkeit dieses Anspruchs konnte die zweite Ausschlußfrist für die gerichtliche Geltendmachung nicht zu laufen beginnen.
III. Eine abschließende Entscheidung zugunsten der Klägerin ist nicht möglich. Es steht noch nicht fest, ob die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat (§ 6 Abs. 1 Satz 1 LohnFG).
1. Von seinem Rechtsstandpunkt aus hat das Berufungsgericht hierzu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Zwar heißt es auf S. 7 des angefochtenen Urteils, die Kündigung des Versicherten erfolgte aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit. Dieser Satz darf aber nicht mißverstanden werden. Er diente nur der Abgrenzung des Zeitraumes, für den nach Auffassung des Berufungsgerichts Lohnfortzahlungsansprüche in Betracht kamen, von dem Zeitraum, für den solche Ansprüche ausscheiden sollten, weil sie auf einer neuen Erkrankung beruhten. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe.
2. Bei der erneuten rechtlichen Würdigung wird das Berufungsgericht davon ausgehen dürfen, daß der Arbeiter W… im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung arbeitsunfähig krank war (vgl. dazu BAG 34, 128, 130 = AP Nr. 14 zu § 6 LohnFG, zu II 1 der Gründe). Die Beklagte hatte bei Ausspruch ihrer Kündigung auch Kenntnis von der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Denn Herr W… hatte sich unstreitig mit “Unwohlsein” entschuldigt. § 6 Abs. 1 Satz 1 LohnFG setzt aber weiter voraus, daß sich die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit als eine die Kündigung wesentlich mitbestimmende Bedingung darstellt, daß sie den entscheidenden Anstoß für die Kündigung gegeben hat (vgl. BAG 24, 1, 3 = AP Nr. 1 zu § 6 LohnFG, zu 1 der Gründe; BAG 24, 84, 87 = AP Nr. 2 zu § 6 LohnFG, zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 26. April 1978 – 5 AZR 5/77 – AP Nr. 5 zu § 6 LohnFG, zu 2a der Gründe).
Die Beklagte hatte in den Vorinstanzen geltend gemacht, sie habe allein deswegen gekündigt, weil der Arbeiter W… trotz dreier Verwarnungen zum wiederholten Mal seine Arbeitsverhinderung nicht sofort mitgeteilt habe, obwohl sie auf eine sofortige Mitteilung Wert gelegt habe. Diesem Vorbringen wird das Berufungsgericht noch nachgehen müssen. Zwar kann nur in Ausnahmefällen der Einwand des Arbeitgebers, er habe die Verletzung der Mitteilungs- und Anzeigepflicht zum Anlaß für die Kündigung genommen, berechtigt sein (vgl. BAG Urteil vom 20. August 1980 – 5 AZR 1192/79 – AP Nr. 17 zu § 6 LohnFG, zu II 2 der Gründe). Von vornherein auszuschließen ist diese Möglichkeit im vorliegenden Fall jedoch nicht.
3. Es ist auch nicht auszuschließen, daß der erste Verhinderungsfall, der Anlaß zur Kündigung vom 7. August 1980 war, schon beendet war, als der zweite Verhinderungsfall eintrat, nämlich die Verletzungen infolge des Motorradunfalls vom 10. August 1980. Auch dies ist eine tatsächliche Frage, die noch weiter aufgeklärt werden muß. Denn entsprechend den zuvor dargestellten Grundsätzen hat der Arbeiter Anspruch auf Lohnfortzahlung bis zum Ende des Verhinderungsfalles, der bei Ausspruch der Kündigung vorlag. Dieser Verhinderungsfall, der im vorliegenden Fall mit dem 5. August 1980 begann, endete mit dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit. Das Berufungsgericht wird also prüfen müssen, ob der Arbeiter W…, bevor er den Motorradunfall erlitt, wieder arbeitsfähig war, oder ob sich die ursprüngliche Krankheit und die Folgen des Motorradunfalls überschnitten, ohne daß zwischenzeitlich eine Arbeitsfähigkeit bestand.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Heither, Michels-Holl, Döring, Krebs
Fundstellen