Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialkassenverfahren im Baugewerbe bis 1998. Beitragspflicht für gezahlte Abfindungen
Leitsatz (redaktionell)
§ 74 Abs. 2 des TV über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) i.d.F.v. 10.12.1997 ist dahin auszulegen, dass auf gezahlte Sozialplanabfindungen keine Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes anfallen.
Auch die Berücksichtigung steuerrechtlicher Vorschriften führt zu keinem anderen Auslegungsergebnis. Hätten die Tarifvertragsparteien mit dem “in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnbescheinigung einzutragenden Bruttoarbeitslohn” auch den steuerpflichtigen Teil von Abfindungen erfassen wollen, hätten sie dies im VTV zum Ausdruck bringen müssen, wie sie es in § 24 Abs. 2b VTV in der seit 01.01.1990 geltenden Fassung und in § 74 Abs. 2b VTV 1998 für die bei der Bescheinigung des Bruttoarbeitslohns gem. Abschn. 135 Abs. 2 Nr. 2d der Lohnsteuer-Richtlinien 1996 ebenfalls nicht anzugebenden Bezüge i.S.v. §§ 40a, 40b EStG getan haben.
Normenkette
BGB § 133; TVG § 1; EStG § 3 Nr. 9, § 19 Abs. 1, § 41b Abs. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 51 Abs. 4 Nr. 1, § 39 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 12. September 2002 – 14 Sa 1232/02 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über restliche Sozialkassenbeiträge für gewerbliche Arbeitnehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten für die Monate Juni und Juli 1998 auf den steuerpflichtigen Teil der an diese Arbeitnehmer aus einem am 21. Oktober 1997 abgeschlossenen Sozialplan gezahlten Abfindungen.
Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
Im Kalenderjahr 1998 definierte der die Beitragsverpflichtung in Berlin regelnde § 74 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) den als Bemessungsgrundlage vorgesehenen Bruttolohn wie folgt:
„(2) Bruttolohn ist
- der für die Berechnung der Lohnsteuer zugrunde zu legende und in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragende Bruttoarbeitslohn einschließlich der Sachbezüge, die nicht pauschal nach § 40 EStG versteuert werden,
- der nach §§ 40a und 40b EStG pauschal zu versteuernde Bruttoarbeitslohn mit Ausnahme des Beitrages für die tarifliche Zusatzversorgung der Arbeitnehmer sowie des Beitrags zu einer Gruppen-Unfallversicherung.
Zum Bruttolohn gehören nicht die Urlaubsabgeltungen gem. § 3 Nr. 7.1a, c und d des Ergänzungstarifvertrages Berlin zum Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe.”
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Begriff „Bruttoarbeitslohn” habe bewußt durch die steuerrechtlichen Tatbestände eindeutig definiert werden sollen, ohne die Definition dieses Begriffes den Gerichten in einer Vielzahl von Prozessen zu überlassen. Damit hätten die Tarifvertragsparteien auf § 41b Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG verwiesen, wonach unter Bruttoarbeitslohn die Summe aus dem laufenden Arbeitslohn und den sonstigen Bezügen, die dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr zugeflossen sind, zu verstehen sei. Abfindungen, soweit sie die in § 3 Nr. 9 EStG festgesetzten Höchstbeträge überstiegen, seien steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sie stellten Entschädigungen gem. § 24 Nr. 1 EStG dar, die gem. § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG als außerordentliche Einkünfte mit dem hälftigen durchschnittlichen Steuersatz besteuert würden. Diese würden zwar als sonstige Bezüge bezeichnet, seien aber definiert als Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt werde. Ihre Beitragspflichtigkeit werde auch durch die Regelung in § 74 Abs. 2 letzter Satz des VTV 1998 gestützt. Wenn die Tarifvertragsparteien einkommenssteuerrechtliche Bestandteile des Arbeitslohns nicht als sozialkassenbeitragspflichtigen Bruttolohn hätten behandelt wissen wollen, hätten sie diese Bestandteile ausdrücklich ausgenommen, wie es in den Fällen des § 8 Nr. 7.1 a, c, d und i BRTV-Bau geschehen sei. Erst durch den Änderungstarifvertrag zum VTV vom 18. Dezember 1998 seien mit Wirkung ab 1. Januar 1999 Abfindungen iSv. § 3 Nr. 9 EStG aus dem beitragspflichtigen Bruttolohn herausgenommen worden. Die Beitragspflichtigkeit von Abfindungen bis 1998 komme auch in dem Schreiben der IG Bauen-Agrar-Umwelt an die Klägerin vom 11. September 1998 zum Ausdruck.
Nach Klageerhebung hat die Klägerin die ursprüngliche Klageforderung von 14.899,50 Euro wegen Verrechnung mit zuviel eingenommenen Beiträgen für Angestellte auf zuletzt 10.964,67 Euro ermäßigt und die Hauptsache hinsichtlich des Mehrbetrages für erledigt erklärt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.964,67 Euro zu zahlen und im Übrigen die Erledigung der Hauptsache festzustellen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, es sei darauf abzustellen, wie der Begriff des Arbeitslohns nach dem allgemeinen Sprachgebrauch zu verstehen sei. Unter Arbeitslohn würden regelmäßig nur solche Leistungen des Arbeitgebers verstanden, die im Gegenseitigkeitsverhältnis zur fortlaufend erbrachten Arbeit erfolgten. Aber auch wenn auf die Eintragung auf der Lohnsteuerbescheinigung abgestellt werde, fielen nur die unter der Zeile „Bruttoarbeitslohn” einzutragenden Beträge unter die Beitragspflicht, nicht aber die gemäß Abschn. 135 der Lohnsteuer-Richtlinien zu § 41b EStG gesondert zu bescheinigenden ermäßigt besteuerten Abfindungen. Die von der Klägerin geforderte Auslegung widerspreche auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der allgemeinen Auffassung in der Literatur, nach der Abfindungen nicht als Arbeitslohn anzusehen seien, weil diese nicht als Gegenleistung für geleistete Dienste, sondern ausschließlich als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes erfolgten. Ein entsprechendes Rechtsverständnis zeige auch die von der Klägerin an die Beklagte versandte Informationsbroschüre, in der Abfindungen nicht als beitragspflichtig aufgeführt seien. § 74 VTV diene nicht dem Nachweis einer ordnungsgemäßen Versteuerung, sondern der Finanzierung unter anderem der Urlaubsvergütung für bestehende Arbeitsverhältnisse in tarifunterworfenen Unternehmen. Die Einbeziehung von Abfindungen in den Bruttoarbeitslohnbegriff des VTV würde dem Zweck der Finanzierung von Sozialkassenleistungen für bestehende Arbeitsverhältnisse widersprechen, da hierdurch das Gleichgewicht zwischen Beitragszahlungen des Unternehmens und hierfür an das Unternehmen bzw. seine Arbeitnehmer zurückfließenden Leistungen der Sozialkassen nicht mehr gegeben wäre.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß Abfindungen in der Lohnsteuerkarte nicht als „Bruttoarbeitslohn”, sondern in einer gesonderten Spalte aufzuführen seien, dürfte zwar nur der vereinfachten Bearbeitung durch die Finanzämter dienen; die Auslegung von § 74 Abs. 2 VTV 1998 ergebe aber, daß beitragspflichtig nur der Bruttoarbeitslohn sei, der im bestehenden Arbeitsverhältnis als Gegenleistung für erbrachte Arbeit gezahlt werde. Insoweit ergebe sich aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9. November 1988 – 4 AZR 433/88 – (BAGE 60, 127), daß Abfindungen weder Arbeitsentgelt iSv. § 14 SGB IV noch Bruttoarbeitslohn iSv. § 74 Abs. 2 VTV seien, sondern vielmehr Entschädigungen für den Verlust des Arbeitsplatzes, also für Zeiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dem persönlichen Geltungsbereich des VTV unterfielen Arbeitnehmer aber nur solange, wie ein Arbeitsverhältnis bestehe. Auch würde die Einbeziehung steuerpflichtiger Abfindungen nach den entsprechenden Regelungen des § 3 Abs. 5 Ziff. 5.1 des Ergänzungstarifvertrages Berlin zum BRTV-Bau und des § 8 Abs. 4 BRTV-Bau zum Urlaubsentgelt und der Urlaubsabgeltung zu einer mit Art. 3 GG nicht zu vereinbarenden Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern führen, denen keine Abfindung gezahlt worden sei. Aus der Tarifgeschichte sei zudem zu entnehmen, daß sich die Beiträge ursprünglich an lohnzahlungspflichtigen Stunden ausrichteten. Als dann auf die Bruttolohnsumme abgestellt worden sei, seien im Rahmen von §§ 7, 8 KSchG aF gezahlte Abfindungen noch steuerfrei gewesen. Wenn die Tarifvertragsparteien nach der Einführung von Höchstgrenzen durch das EStG 1975 Abfindungen hätten beitragspflichtig machen wollen, hätte dies einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung bedurft. Das Schreiben der IG Bauen-Agrar-Umwelt vom 11. September 1998 an die Klägerin und die Mainzer Erklärung zur Reform der Sozialkassen der Bauwirtschaft vom 5. Mai 1998 belegten, daß sich die Tarifvertragsparteien der Problematik bis 1998 gar nicht bewußt gewesen seien. Eine verbindliche rückwirkende Interpretation des VTV habe damit nicht erfolgen können. Da der ursprüngliche Klageanspruch somit nicht bestanden habe, sei auch keine teilweise Erledigung eingetreten.
II. Dem folgt der Senat zwar im Ergebnis, allerdings nur teilweise auch in der Begründung.
1. Die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 31. Juli 2002 – 10 AZR 578/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167 mwN).
2. Hiervon ausgehend ist § 74 VTV in der 1998 geltenden Fassung nicht dahin auszulegen, daß auch auf gezahlte Sozialplanabfindungen Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes anfielen.
a) Zutreffend ist allerdings die Rüge der Klägerin, aus dem Umstand, daß Abfindungen für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt würden, könne nicht unbedingt darauf geschlossen werden, daß diese hinsichtlich ihres zu versteuernden Anteils nicht beitragspflichtig seien. Dies belegt das von der Klägerin angeführte Beispiel der zum Teil ohne Zweifel beitragspflichtigen Urlaubsabgeltungen.
b) Nicht weiter führt auch die Argumentation des Landesarbeitsgerichts, für Abfindungen seien in § 3 Nr. 9 EStG erst 1975 Höchstgrenzen für die Steuerfreiheit eingeführt worden. Für nach §§ 7, 8 KSchG aF bzw. §§ 9, 10 KSchG nF und § 74 BetrVG aF gezahlte Abfindungen sahen § 8 KSchG aF bzw. § 10 KSchG nF ohnehin Höchstgrenzen vor. Für sonstige Entlassungsentschädigungen waren in § 3 Nr. 9 EStG entsprechende Höchstgrenzen normiert, bei deren Überschreitung schon damals steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit vorlagen.
c) Der Begriff des „Bruttoarbeitslohns” in § 74 Abs. 2 VTV darf andererseits nicht allein nach der arbeitsrechtlichen Wortbedeutung ausgelegt werden, ohne die steuerrechtlichen Regelungen zu berücksichtigen. Dies verbietet die in diesem Zusammenhang erfolgte Verweisung des VTV auf die lohnsteuerrechtlichen Vorgaben. Entgegen der Ansicht der Klägerin führt jedoch die Berücksichtigung der steuerrechtlichen Vorschriften zu keinem anderen Auslegungsergebnis.
aa) Zwar zählen den Freibetrag gem. § 3 Nr. 9 EStG übersteigende Abfindungen zu den steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1 EStG. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 LStDV gehören sie als Entschädigungen für entgehenden Arbeitslohn bzw. die Aufgabe der Tätigkeit zum Arbeitslohn. Den Begriff des „Bruttoarbeitslohns” verwenden jedoch weder das EStG noch die LStDV.
bb) Dem in § 74 Abs. 2 VTV zur Definition des beitragspflichtigen Bruttolohns herangezogenen Begriff des „Bruttoarbeitslohns” kommt durchaus eigenständige Bedeutung zu. Die Tarifvorschrift verweist gerade nicht auf die einschlägigen Vorschriften im EStG und der LStDV zur Besteuerung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bzw. von Arbeitslohn, sondern stellt speziell auf den „in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragenden Bruttoarbeitslohn” ab. In diesem Zusammenhang wird jedoch in Abschnitt 135 Abs. 2 und 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 1996 (BStBl. Teil I Sondernr. 3/1995 S. 126) und in dem vom Bundesministerium der Finanzen gem. § 51 Abs. 4 Nr. 1 EStG bestimmten, gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 EStG verbindlichen Muster der Lohnsteuerkarte (BStBl. 1997 Teil I S. 733) ausdrücklich zwischen dem einzutragenden „Bruttoarbeitslohn” einerseits und ermäßigt besteuerten Entschädigungen andererseits unterschieden. Dem Landesarbeitsgericht ist nicht darin beizupflichten, daß dieser Umstand für die Auslegung von § 74 Abs. 2 VTV bedeutungslos sei und nur der vereinfachten Bearbeitung durch die Finanzämter diene. Wenn sich die Tarifvertragsparteien einer allein in den Lohnsteuer-Richtlinien und in der Lohnsteuerkarte/Lohnsteuerbescheinigung verwendeten Terminologie bedienen, dann hat die Auslegung des Tarifvertrages auch die dortigen Vorgaben zu berücksichtigen. „Bruttoarbeitslohn” ist gemäß Abschnitt 135 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 1996 die Summe aus dem laufenden Arbeitslohn, der für Lohnzahlungszeiträume im abgelaufenen Kalenderjahr gezahlt wurde, und den sonstigen dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr zugeflossenen Bezügen. Bei der Bescheinigung des Bruttoarbeitslohns sind aber nicht anzugeben „ermäßigt besteuerte Entschädigungen im Sinne des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG” (Abschn. 135 Abs. 2 Nr. 2a der Lohnsteuer-Richtlinien 1996). Diese Unterscheidung wird so bereits seit dem Besteuerungsjahr 1990 getroffen (vgl. BStBl. 1989 Teil I S. 263 und Sondernr. 3/1989 S. 168). Hätten die Tarifvertragsparteien mit dem „in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragenden Bruttoarbeitslohn” auch den steuerpflichtigen Teil von Abfindungen erfassen wollen, hätten sie dies im VTV zum Ausdruck bringen müssen, wie sie es in § 24 Abs. 2b VTV in der seit 1. Januar 1990 geltenden Fassung und in § 74 Abs. 2b VTV 1998 für die bei der Bescheinigung des Bruttoarbeitslohns gem. Abschn. 135 Abs. 2 Nr. 2d der Lohnsteuer-Richtlinien 1996 ebenfalls nicht anzugebenden Bezüge iSv. §§ 40a, 40b EStG getan haben. Dies ist nicht geschehen.
Der Hinweis der Klägerin auf Abschn. 135 Abs. 2 Nr. 2b der Lohnsteuer-Richtlinien rechtfertigt ebenfalls keine Auslegung im Sinne der Klägerin. Im Gegenteil: Auch die dort genannten Bezüge sind eindeutig „sonstige Bezüge, die dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr zugeflossen sind” (vgl. Abschn. 135 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien). Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb für diese Bezüge etwas anderes gelten soll als für „ermäßigt besteuerte Entschädigungen im Sinne des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG”. Entscheidend ist nicht, ob derartige Entschädigungen zu den steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören, sondern ob sie „in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragender Bruttoarbeitslohn” sind. Für beide Arten von Arbeitgeberleistungen ordnet Abschn. 135 Abs. 2 Nr. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien jedoch an, daß sie bei der Bescheinigung des Bruttoarbeitslohns nicht anzugeben sind. Hinsichtlich der ermäßigt besteuerten Entschädigungen stellt dies Zeile 3 der Lohnsteuerkarte nochmals klar, daß derartige Entschädigungen in Wirklichkeit doch „einzutragender Bruttoarbeitslohn” sind, lässt sich daraus nicht entnehmen.
Damit ergibt die vom Wortlaut ausgehende Auslegung von § 74 Abs. 2 VTV auch unter Berücksichtigung der einschlägigen lohnsteuerrechtlichen Vorgaben die Beitragsfreiheit von Abfindungen.
d) Entgegen der Ansicht der Klägerin wird durch eine solche Auslegung der vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 20. Oktober 1982 – 4 AZR 1211/79 – (BAGE 40, 262, 266) hervorgehobene Zweck, eine rechnerisch leicht nachvollziehbare und im Streitfall leicht zu beweisende Grundlage für die Beitragsberechnung zu liefern, nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil kann aus der Lohnsteuerkarte bzw. Lohnsteuerbescheinigung sofort entnommen werden, welcher Betrag dort als Bruttoarbeitslohn” vermerkt ist, ohne daß noch Überlegungen anzustellen wären, ob in anderen Spalten unter gänzlich anderer Bezeichnung eingetragene Arbeitgeberleistungen hinzugerechnet werden müssen. Ob eine Hinzurechnung einer immerhin als „Arbeitslohn” bezeichneten Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit iSv. § 34 Abs. 3 EStG geboten ist, bedarf keiner Entscheidung.
e) Aus der Änderung von § 74 Abs. 2 VTV durch den Änderungstarifvertrag vom 18. Dezember 1998 und aus dem Schreiben der IG Bauen-Agrar-Umwelt an die Klägerin vom 11. September 1998 lässt sich kein gegenteiliges Auslegungsergebnis ableiten. Die Tarifvertragsänderung als solche kann auch als die bisherige Rechtslage bestätigende und klarstellende Regelung verstanden werden. Ein gegenteiliger Wille der Tarifvertragsparteien hat, wenn er denn bei den vor dem 18. Dezember 1998 abgeschlossenen Tarifverträgen vorgelegen haben sollte, im Wortlaut der einschlägigen Tarifnormen keinen Niederschlag gefunden. Dies gilt auch für den letzten Satz von § 74 Abs. 2 VTV, denn im Gegensatz zu Abfindungen gehören Urlaubsabgeltungen sehr wohl zu dem nach den Lohnsteuer-Richtlinien in der Lohnsteuerkarte als „Bruttoarbeitslohn” zu bescheinigenden Betrag; der Wille der Tarifvertragsparteien zur teilweisen Ausklammerung der Urlaubsabgeltungen aus dem der Beitragszahlung zugrundezulegenden Bruttolohn erforderte somit eine gesonderte Regelung, während Abfindungen auf Grund der Verweisung auf die lohnsteuerrechtlichen Vorgaben von vornherein nicht erfasst waren.
f) Ob das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9. November 1988 – 4 AZR 433/88 – (BAGE 60, 127), wonach Abfindungen weder Arbeitsentgelt iSd. § 14 SGB IV noch Bruttoarbeitslohn iSv. § 74 Abs. 2 VTV sind, unmittelbar einschlägig ist, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls steht es mit der vom Senat vertretenen Auslegung im Einklang.
g) Eine gegenteilige Tarifübung im Sinne einer Heranziehung von Abfindungen für die Bemessungsgrundlage der Beitragspflicht ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß nach dem Vorbringen der Klägerin die Handhabung uneinheitlich war und lediglich die Urlaubskassen der Länder Berlin und Bayern für den steuerpflichtigen Teil von Abfindungen eine Beitragspflicht postulierten.
h) Zur Einbeziehung von steuerpflichtigen Abfindungsbeträgen in die Berechnung der Ansprüche auf Urlaubsentgelt bzw. Urlaubsabgeltung gem. der wortgleichen Regelung in § 8 Ziff. 4.2a BRTV-Bau hat bereits das Arbeitsgericht deutlich gemacht, welch fragwürdige Ergebnisse diese nach sich ziehen könnte. Es bedarf keiner Stellungnahme zu der vom Landesarbeitsgericht aufgeworfenen Frage, ob Art. 3 GG verletzt sein könnte. Bei einer Einbeziehung von Abfindungen würden Urlaubsentgelt bzw. Urlaubsabgeltung in einem nicht vorhersehbaren Umfang von dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst losgelöst, der nach der gesetzlichen, wenn auch gem. § 13 BUrlG tarifdispositiven, Regelung in § 11 Abs. 1 BUrlG die Bemessungsgrundlage bilden soll. Eine solche mangels Sachzusammenhangs höchst ungewöhnliche Abweichung von der gesetzlichen Grundregel hätten die Tarifvertragsparteien unmissverständlich oder jedenfalls hinreichend deutlich regeln müssen, wenn sie denn gewollt gewesen wäre. Dies ist nicht geschehen. Wenn aber in die Berechnung von Urlaubsentgelt bzw. Urlaubsabgeltung gezahlte Abfindungen nicht einfließen, kann im Hinblick auf die wortgleiche Regelung der Bemessungsgrundlage in § 74 Abs. 2 VTV für die Berechnung der zu zahlenden Beiträge nichts anderes gelten.
3. In Bezug auf die Erledigungserklärung der Klägerin hinsichtlich eines Teils des Rechtsstreits, ist dem Landesarbeitsgericht zu folgen. Die Klägerin hat insoweit auch keine Rügen erhoben.
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Bacher, Böhlo
Fundstellen