Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen

 

Normenkette

AWbG NW § 1 Nr. 1, § 7; ZPO § 561

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 16.05.1991; Aktenzeichen 4 Sa 773/90)

ArbG Bochum (Urteil vom 04.05.1990; Aktenzeichen 1 Ca 2565/89)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. Mai 1991 – 4 Sa 773/90 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch zur Entscheidung über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG).

Der Kläger ist seit 1983 bei der Beklagten als Bandarbeiter beschäftigt. Er nahm in der Zeit vom 9. September 1989 bis 16. September 1989 an einer Bildungsveranstaltung des Verbandes für Touristik und Kultur, Landesverband Hessen e. V. „Die Naturfreunde” mit dem Titel „Ökologie des Wattenmeeres” teil. Davon hatte er die Beklagte bereits im April 1989 unterrichtet. Die Beklagte verweigerte die Lohnfortzahlung für diese Zeit.

Nach dem Besuch der Veranstaltung hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 760,88 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich errechnenden Nettobetrag seit dem 9. Januar 1990 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verlangt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur anspruchsbegründenden Voraussetzung der Freistellung des Arbeitnehmers nach § 1 Abs. 1 AWbG widersprüchliche Feststellungen getroffen. Der Senat kann daher nicht beurteilen, ob dem Kläger der geltend gemachte Lohnanspruch zusteht oder nicht. Er ist an widersprüchliche Feststellungen nicht gebunden, § 561 ZPO.

1. Der Kläger hat einen Anspruch nach § 7 AWbG i. V. mit § 1 Abs. 1 AWbG, wenn die Beklagte ihn für die Zeit vom 9. – 16. September 1989 zum Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung von der Arbeit freigestellt hat. In diesem Fall kann die Beklagte den Lohn nicht mit der Begründung verweigern, die Veranstaltung diene nicht der politischen oder der beruflichen Weiterbildung und die Veranstaltung sei nicht jedermann zugänglich gewesen. Diese Einwände können nur gegenüber dem Freistellungsanspruch geltend gemacht werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 –, vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 – und vom 19. Oktober 1993 – 9 AZR 499/91 –).

2. Andererseits hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz, wenn der Arbeitgeber keine Freistellung nach diesem Gesetz erklärt hat. Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen gewährt den Arbeitnehmern einen gesetzlich bedingten Freistellungsanspruch, kein Selbstbeurlaubungsrecht. Der Lohnfortzahlungsanspruch kann nur entstehen, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Erfüllung des Anspruchs auf Freistellung nachgekommen ist. Weigert sich der Arbeitgeber, die Erfüllungshandlung vorzunehmen, d.h. die Freistellungserklärung abzugeben, kann der Arbeitnehmer allenfalls versuchen, diesen Anspruch gerichtlich durchzusetzen (Senatsurteile vom 21. September 1993 – 9 AZR 429/91 – und vom 19. Oktober 1993 – 9 AZR 441/90 –).

3. Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist ungeklärt, ob die Beklagte den Kläger nach dem AWbG freigestellt hat oder ob der Beklagte ohne Freistellung der Arbeit ferngeblieben ist. Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil vom

4. Mai 1990 festgestellt, daß die Beklagte den Kläger für die Zeit der Veranstaltung von seiner Arbeitspflicht freigestellt, jedoch die Lohnzahlung für die Zeit der Seminarteilnahme verweigert hatte. Diese Feststellung ist durch Bezugnahme Inhalt des Berufungsurteils geworden (S. 10 des angefochtenen Urteils). Demgegenüber hat das Landesarbeitsgericht im Tatbestand auf S. 3 seines Urteils ausdrücklich festgehalten, die Beklagte habe unter Hinweis auf den Programmverlauf eine Freistellung des Klägers am 25. April 1989 abgelehnt.

Beide Feststellungen sind nicht miteinander vereinbar. Sie binden den Senat daher nicht. Damit ist ungeklärt, welcher Sachverhalt der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegen soll. Allein deswegen kann das Urteil keinen Bestand haben. Es muß aufgehoben werden, und der Rechtsstreit muß zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

II. In der erneuten Berufungsverhandlung wird das Landesarbeitsgericht aufzuklären haben, ob der Kläger von der Beklagten freigestellt worden ist oder ob er ohne Freistellung der Arbeit ferngeblieben ist. Im ersten Fall ist der Klage zu entsprechen. Im anderen Fall ist sie abzuweisen. Auf die Fragen der politischen oder beruflichen Weiterbildung kommt es nur an, wenn der Kläger auf der Grundlage einer besonderen Vereinbarung der Parteien freigestellt worden sein sollte (Senatsurteile vom 9. Februar 1993 – 9 AZR 648/90 – und vom 24. August 1993 – 9 AZR 252/89 –).

 

Unterschriften

Dr. Leinemann, Düwell, Dörner, Schodde, Brückmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1079640

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