Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifgeltung im Beitrittsgebiet – Firmentarifvertrag
Leitsatz (amtlich)
1. Ein mit der Gewerkschaft ÖTV im Jahr 1982 abgeschlossener Firmentarifvertrag, dessen Geltungsbereich sich auf „die Arbeitnehmer” des Unternehmens erstreckt, gilt seit dem 3. Oktober 1990 mangels anderweitiger tariflicher Bestimmung auch für Arbeitnehmer, die in Betriebsstätten des Arbeitgebers im Beitrittsgebiet beschäftigt werden.
2. Bestimmt ein solcher Firmentarifvertrag die Anwendung des Bundes-Angestelltentarifvertrags vom 23. Februar 1961 (BAT) und der diesen ergänzenden Tarifverträge, richten sich auch die Arbeitsverhältnisse dieser Arbeitnehmer nach dem BAT und nicht nach dem BAT-O. Dieser ist kein den BAT ergänzender Tarifvertrag im Sinne der Verweisungsnorm des Firmentarifvertrags.
3. Soll auf die Arbeitsverhältnisse dieser Arbeitnehmer künftig statt des BAT der BAT-O Anwendung finden, müssen die Tarifvertragsparteien dies vereinbaren. Eine dahingehende ergänzende Auslegung des Firmentarifvertrags von 1982 ist nicht möglich.
Normenkette
Tarifvertrag und Vergütungsordnung für das Annedore-Leber-Berufsbildungswerk Berlin vom 1. Dezember 1982 §§ 1-2; Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 § 1; TVG §§ 1, 4 Abs. 3; BGB § 134
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 1. Juli 1997 – 5 Sa 31/97 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. September 1996 – 54 Ca 28159/96 – abgeändert.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, die Kläger seit dem 1. Januar 1994 zu 100 % nach Maßgabe der Anlage 1 zum Tarifvertrag für die Beschäftigten im Annedore-Leber-Berufsbildungswerk vom 17. Dezember 1982 zu vergüten.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob den Klägerinnen zu 1) und 2) sowie dem Kläger zu 3) (im folgenden: Kläger) ab dem 1. Januar 1994 ungekürzte Vergütung nach Maßgabe des Vergütungstarifvertrags zum BAT zusteht oder ob sie nur die geringere Vergütung entsprechend dem Vergütungstarifvertrag zum BAT-O verlangen können.
Der Beklagte ist ein Berufsbildungswerk in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins mit Sitz in Berlin. Die Kläger sind seit 1991 in dem in Brandenburg gelegenen Ausbildungshotel Zeuthen des Beklagten beschäftigt. Nach § 2 der Arbeitsverträge gilt für die Arbeitsverhältnisse der „Tarifvertrag des BBW-ÖTV/DAG vom 13. Dezember 1982 und die ergänzenden oder ändernden Tarifverträge”. § 1 der Arbeitsverträge bestimmt, daß sich die Vergütung nach Maßgabe des jeweils geltenden BAT-O, „derzeit 60 % der Vergütungsgruppe” richtet und die Kläger „in VergGr. V b Fallgr. 5 der Vergütungsordnung zum Tarifvertrag des BBW beim Berufsbildungswerk Berlin e.V.” eingruppiert sind. Nach einer „Ergänzung zum Arbeitsvertrag” vom 27. April 1992 wurden die Kläger im Hinblick auf den Abschluß einer neuen „Vergütungsordnung für das Annedore-Leber-Berufsbildungswerk mit Wirkung vom 30. März 1992 in die VergGr. V b Fallgr. 5 eingereiht. Seit Mai 1993 sind die Kläger Mitglieder der Gewerkschaft ÖTV.
Der Beklagte und die Gewerkschaft ÖTV – Bezirksverwaltung Berlin – haben in dem am 13. Dezember 1982 in Kraft getretenen Tarifvertrag für das Annedore-Leber-Berufsbildungswerk Berlin vom 17. Dezember 1982 (künftig: TV Berufsbildungswerk) folgendes vereinbart:
„§ 1
Geltungsbereich
Für die Arbeitnehmer des Annedore-Leber-Berufsbildungswerkes Berlin, die in einer Rentenversicherung der Angestellten oder der Rentenversicherung der Arbeiter unterliegenden Tätigkeit beschäftigt sind, gilt dieser Tarifvertrag.
§ 2
Geltung des BAT
Es gelten der Bundes-Angestelltentarifvertrag vom 23. Februar 1961 sowie die diesen BAT ergänzenden Tarifverträge, die zwischen dem Arbeitgeber Bund und der Gewerkschaft ÖTV abgeschlossen wurden in der jeweils geltenden Fassung. Die in den Tarifvertragsverhandlungen zwischen dem Bund und der Gewerkschaft ÖTV über die Vergütungshöhe erzielten Vereinbarungen finden automatisch auch beim Annedore-Leber-Berufsbildungswerk Berlin Anwendung, so daß es besonderer Vereinbarungen nicht mehr bedarf.
§ 3
Abweichungen vom BAT
Die Eingruppierung der Mitarbeiter erfolgt nach einer eigenen Vergütungsordnung für das Annedore-Leber-Berufsbildungswerk Berlin, die als Anlage 1 Bestand dieser tarifvertraglichen Vereinbarung ist.
Der Angestellte erhält die Vergütung nach der Vergütungsgruppe, in der er eingruppiert ist.
Anzurechnen bei der Berechnung der Beschäftigungszeit (§ 19 BAT) und der Dienstzeit (§ 20 BAT) sind vergleichbare Tätigkeiten in Rehabilitationseinrichtungen und sozialpädagogischen Einrichtungen.
Im übrigen findet § 22 BAT keine Anwendung.
…”
Mit Schreiben vom 18. Februar 1991 bat die Gewerkschaft ÖTV-Bezirksverwaltung Berlin den Beklagten um Mitteilung eines Verhandlungstermins über einen „Tarifvertrag ÖTV/BBW für den Bereich Berlin (Ost)”. Dazu teilte der Beklagte der Gewerkschaft ÖTV mit Schreiben vom 16. April 1991 folgendes mit:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
in vorstehender Angelegenheit hat der Vorstand in seiner Sitzung vom 8.4.1991 über ihren Wunsch auf Abschluß eines Tarifvertrages für die in Z arbeitenden Mitarbeiter beraten. Nach Auffassung des Vorstandes lassen sich alle Mitarbeiter, die für Z eingestellt werden sollen, auf der Grundlage der für das AlBBW bestehenden Vergütungsordnung eingruppieren, wobei nach Maßgabe des für die neuen Bundesländer geltenden BAT die Höhe der Vergütung für die aus dem Beitrittsgebiet kommenden Mitarbeiter derzeit 60 % betragen würde.
…
Sofern wir von Ihnen keine anderweitige Nachricht erhalten, gehen wir davon aus, daß Sie mit der beabsichtigten Verfahrensweise einverstanden sind und werden dann entsprechend verfahren.”
Die Gewerkschaft ÖTV gab dazu keine weitere Erklärung ab.
Im Jahr 1993 machten die Kläger bei dem Beklagten vergeblich Vergütung nach Maßgabe des BAT geltend.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, auf ihre Arbeitsverhältnisse finde kraft Organisationszugehörigkeit der TV Berufsbildungswerk Anwendung. Dieser verweise auf den BAT und die diesen ergänzenden Tarifverträge. Der BAT-O sei kein den BAT ergänzender Tarifvertrag. Solange kein Haustarifvertrag für die im Beitrittsgebiet beschäftigten Arbeitnehmer des Beklagten abgeschlossen werde, erfasse der TV Berufsbildungswerk auch deren Arbeitsverhältnisse, so daß auch für sie der BAT gelte. Zwar sei arbeitsvertraglich die Anwendung des BAT-O vereinbart. Diese gegenüber der tariflichen Regelung ungünstigere Vereinbarung sei jedoch gemäß § 4 Abs. 3 TVG unwirksam.
Die Kläger haben beantragt
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, die Kläger seit dem 1. Januar 1994 zu 100 % nach Maßgabe der Anlage 1 zum Tarifvertrag für die Beschäftigten im Annedore-Leber-Berufsbildungswerk vom 17. Dezember 1982 zu vergüten.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, den Klägern stehe nur Vergütung nach Maßgabe des BAT-O zu. Ihre Arbeitsverhältnisse seien im Sinne des § 1 Abs. 1 BAT-O im Beitrittsgebiet begründet. Die Kläger seien für eine Tätigkeit in dem in Brandenburg gelegenen Ausbildungshotel Z eingestellt worden und würden auch dort beschäftigt. Der BAT-O sei ein den BAT ergänzender Tarifvertrag im Sinne des § 2 TV Berufsbildungswerk. Durch den Abschluß des TV Berufsbildungswerk hätten die Tarifvertragsparteien die Arbeitnehmer des Beklagten denjenigen des öffentlichen Dienstes gleichstellen wollen. Nach Vereinbarung des BAT-O und der damit verbundenen geringeren Vergütung für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes im Beitrittsgebiet gelte das niedrigere Vergütungsniveau auch für die Kläger. Dies entspreche der durch den Schriftwechsel vom 18. Februar/16. April 1991 getroffenen Übereinkunft des Beklagten mit der Gewerkschaft ÖTV.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Klage war unter Aufhebung des Berufungsurteils und Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils stattzugeben. Den Klägern steht seit dem 1. Januar 1994 die ungekürzte Vergütung nach Maßgabe der Anlage 1 zum TV Berufsbildungswerk vom 17. Dezember 1982 und damit in Höhe der Vergütung nach dem Vergütungstarifvertrag zum BAT zu. Für eine Absenkung der Vergütung auf das Vergütungsniveau des BAT-O besteht keine Rechtsgrundlage.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kläger könnten nach § 2 TV Berufsbildungswerk nur Vergütung nach Maßgabe des BAT-O verlangen. Dies ergebe die Auslegung des TV Berufsbildungswerk. Die Tarifvertragsparteien hätten mit dem Abschluß dieses Tarifvertrags den Zweck verfolgt, die Arbeitnehmer des Beklagten den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gleichzustellen. Da es bei Abschluß des TV Berufsbildungswerk im Jahr 1982 keine unterschiedlichen Tarifverträge für den öffentlichen Dienst gegeben habe, habe nur der BAT in Bezug genommen werden können. Dies habe sich durch die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluß des BAT-O für das Beitrittsgebiet geändert. Dieser gegenüber 1982 veränderten Lage sei in Anbetracht des Tarifzwecks dadurch Rechnung zu tragen, daß sich die im Beitrittsgebiet begründeten Arbeitsverhältnisse der beim Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer, zu denen auch die Kläger zählten, nach dem BAT-O richten.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der TV Berufsbildungswerk erfaßt auch die im Betrieb Z beschäftigten Arbeitnehmer des Beklagten. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gilt auch für diese nach § 2 TV Berufsbildungswerk der BAT. Die für die Kläger ungünstigere arbeitsvertragliche Vereinbarung, daß sich ihre Vergütung nach Maßgabe des jeweils geltenden BAT-O richtet, ist gemäß § 4 Abs. 3 TVG iVm. § 134 BGB unwirksam.
1. Nach § 1 TV Berufsbildungswerk gilt dieser Tarifvertrag für die Arbeitnehmer des Annedore-Leber-Berufsbildungswerks Berlin, die in einer der Rentenversicherung der Angestellten oder der Rentenversicherung der Arbeiter unterliegenden Tätigkeit beschäftigt sind. Dies trifft auf die Kläger als Angestellte des Beklagten zu. Daß sie für eine Tätigkeit in dem im Beitrittsgebiet gelegenen Ausbildungshotel Z eingestellt wurden und ausschließlich dort beschäftigt sind, ist unerheblich.
Der TV Berufsbildungswerk erfaßt seit dem 3. Oktober 1990 auch die im Beitrittsgebiet beschäftigten Arbeitnehmer des Beklagten. Die Tarifvertragsparteien, denen die Bestimmung des Geltungsbereichs des Tarifvertrags auf Grund der ihnen nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Tarifautonomie vorbehalten ist, haben für den TV Berufsbildungswerk keinen räumlichen Geltungsbereich bestimmt, sondern seine Geltung ausdrücklich „für die Arbeitnehmer des Annedore-Leber-Berufsbildungswerks Berlin” und damit für alle Arbeitnehmer des Beklagten, unabhängig davon, an welchem Ort sie beschäftigt sind, vereinbart. Daraus ergibt sich, daß sich der Geltungsbereich des TV Berufsbildungswerk nach dem Willen der Tarifvertragsparteien auch auf die Arbeitnehmer später hinzu erworbener Betriebe des Beklagten erstreckt, wie dies für Firmentarifverträge allgemein üblich ist(vgl. dazu Wiedemann/Wank TVG 6. Aufl. § 4 Rn. 123; Däubler Tarifvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 254; Koberski/Clasen/Menzel TVG § 1 Rn. 4). Bei Abschluß des TV Berufsbildungswerk im Jahr 1982 konnten dies keine Betriebe in der damaligen DDR sein. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 hat sich dies geändert. Seit diesem Zeitpunkt erfaßt der TV Berufsbildungswerk auch die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die in den im Beitrittsgebiet gelegenen Betriebsstätten des Beklagten beschäftigt sind(so im Ergebnis auch BAG 28. April 1992 – 1 ABR 68/91 – AP Nr. 11 zu § 50 BetrVG 1972 zur Erstreckung einer Gesamtbetriebsvereinbarung auf die im Beitrittsgebiet gelegenen Betriebe des Arbeitgebers; einschränkend wohl: Däubler Tarifvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 1774; Gaul BB 1990 Beilage 37 S 29). Wegen des ausschließlich persönlich gefaßten Geltungsbereichs des TV Berufsbildungswerk, der alle Arbeitnehmer des Beklagten erfaßt, kommt eine einschränkende Auslegung des Tarifvertrags dahingehend, daß er nur für Arbeitnehmer gilt, die in Betriebsstätten in den alten Bundesländern beschäftigt sind, nicht in Betracht. Davon sind ausweislich des im Jahr 1991 geführten Schriftwechsels auch die Tarifvertragsparteien ausgegangen. Die Beklagte hatte im Schreiben vom 16. April 1991 an die Gewerkschaft ÖTV unwidersprochen die Auffassung vertreten, daß sich die in Z beschäftigten Arbeitnehmer „auf der Grundlage der für das AlBBW bestehenden Vergütungsordnung eingruppieren” ließen. Dies setzte voraus, daß der TV Berufsbildungswerk auf die Arbeitsverhältnisse dieser Arbeitnehmer Anwendung fand, denn die Vergütungsordnung ist nach § 3 Abs. 1 TV Berufsbildungswerk Bestandteil der tarifvertraglichen Vereinbarung.
2. Nach § 2 TV Berufsbildungswerk gilt für die Kläger der BAT und der diesen ergänzende Vergütungstarifvertrag und nicht der BAT-O. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist dem TV Berufsbildungswerk nicht zu entnehmen, daß den im Beitrittsgebiet beschäftigten Arbeitnehmern des Beklagten nur die entsprechend dem Vergütungstarifvertrag zum BAT-O abgesenkte Vergütung zusteht.
a) Nach dem eindeutigen Wortlaut des Tarifvertrags, von dem bei der Tarifauslegung in erster Linie auszugehen ist(st. Rspr. vgl. BAG 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung mwN), gilt der BAT für alle rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer des Beklagten und damit auch für die Kläger. Dies ergibt sich aus § 2 TV Berufsbildungswerk, der den „Bundes-Angestelltentarifvertrag vom 23. Februar 1961 sowie die diesen BAT ergänzenden Tarifverträge, die zwischen dem Arbeitgeber Bund und der Gewerkschaft ÖTV abgeschlossen wurden, in der jeweiligen Fassung” in Bezug nimmt. Dazu gehört der BAT-O nicht. Dieser ist entgegen der Auffassung des Beklagten kein den BAT ergänzender Tarifvertrag im Sinne der Tarifbestimmung. Dies würde voraussetzen, daß beide Tarifverträge gleichzeitig auf dasselbe Arbeitsverhältnis Anwendung finden können. Der BAT und der BAT-O schließen sich jedoch wegen ihrer unterschiedlichen Geltungsbereiche gegenseitig aus.
b) Etwas anderes folgt nicht daraus, daß im Bereich des öffentlichen Dienstes vom Geltungsbereich des in Bezug genommenen BAT Arbeitsverhältnisse nicht erfaßt werden, die im Beitrittsgebiet begründet sind und daher dem BAT-O unterfallen. Zwar hat das Landesarbeitsgericht der Bezugnahme auf den BAT und die diesen ergänzenden Tarifverträge zu Recht entnommen, daß die Tarifvertragsparteien durch den Abschluß des TV Berufsbildungswerk im Jahr 1982 die Arbeitnehmer des Beklagten den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes – von den im TV Berufsbildungswerk genannten Abweichungen abgesehen – gleichstellen wollten. Damit haben sie jedoch nicht geregelt, daß für im Beitrittsgebiet begründete Arbeitsverhältnisse der BAT-O gilt. Daß dies vom Regelungswillen der Tarifvertragsparteien nicht umfaßt war, folgt schon daraus, daß beim Abschluß des TV Berufsbildungswerk im Jahr 1982 weder die Herstellung der Einheit Deutschlands noch die Existenz unterschiedlicher Tarifgebiete im öffentlichen Dienst absehbar waren. Die Gleichstellung mit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes haben die Tarifvertragsparteien im Jahr 1982 vielmehr dadurch vollzogen, daß sie für alle Arbeitnehmer des Beklagten die Geltung des BAT vereinbart haben, weil dies der damaligen tariflichen Rechtslage im öffentlichen Dienst – jedenfalls für die Angestellten – entsprach. Die Änderung, die die tarifliche Rechtslage im öffentlichen Dienst gegenüber 1982 durch die Wiedervereinigung Deutschlands und die Vereinbarung des BAT-O erfahren hat, hat allein jedoch keine Änderung des TV Berufsbildungswerk bewirkt. Dieser besteht vielmehr mangels einer Änderungsvereinbarung der Tarifvertragsparteien mit dem im Jahr 1982 vereinbarten Inhalt fort, der die Geltung des BAT für alle rentenversicherungspflichtigen Beschäftigten des Beklagten bestimmt. Zu diesen gehören auch die Arbeitnehmer, die in Betrieben des Beklagten beschäftigt sind, die im Beitrittsgebiet liegen. Deshalb ist keine nachträgliche Tariflücke entstanden, die zu einer ergänzenden Auslegung des Tarifvertrags, wie sie das Landesarbeitsgericht vorgenommen hat, Anlaß geben könnte. Durch die Wiedervereinigung Deutschlands und die Schaffung unterschiedlicher Tarifgebiete im öffentlichen Dienst mag sich zwar die Geschäftsgrundlage, die im Jahr 1982 maßgeblich für die Vereinbarung der Geltung des BAT für alle Arbeitnehmer des Beklagten war, geändert haben. Dadurch ist jedoch weder der Tarifvertrag unwirksam geworden, noch ist er seitens des Gerichts an die geänderten Verhältnisse anzupassen.
Ob die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage auf tarifliche Inhaltsnormen anwendbar ist oder ob sich dies wegen des normativen Charakters dieser Bestimmungen verbietet und es in einem solchen Fall den Tarifvertragsparteien obliegt, den Tarifvertrag, ggf. außerordentlich, zu kündigen(vgl. dazu BAG 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 49; Däubler Tarifvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 1443; Löwisch/Rieble TVG § 1 Rn. 365; Otto in FS Kissel S 787, 797), mag dahinstehen. Die Unwirksamkeit einer vertraglichen Regelung kann der Wegfall der Geschäftsgrundlage nur dann zur Folge haben, wenn ein Festhalten am Vertrag zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnissen führen würde(st. Rspr., vgl. BGH 29. April 1982 – III ZR 154/80 – BGHZ 84, 1, 9; Palandt BGB 59. Aufl. § 242 Rn. 132 mwN). Daß dies bei Anwendung des BAT auch auf die Arbeitsverhältnisse der in Betrieben im Beitrittsgebiet beschäftigten Arbeitnehmer der Fall wäre, hat der Beklagte nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. In Betracht käme daher nur eine Anpassung der tariflichen Regelung an die geänderten Verhältnisse. Diese Anpassung haben jedoch ausschließlich die Tarifvertragsparteien auf Grund der ihnen nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden autonomen Regelungsmacht vorzunehmen(BAG 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – aaO; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 49; Däubler aaO Rn 1443; Löwisch/Rieble aaO Rn. 365).
c) Die Tarifvertragsparteien haben den TV Berufsbildungswerk bislang nicht geändert. Der im Jahr 1991 geführte Schriftwechsel reicht dazu nicht aus. Nach § 1 Abs. 2 TVG bedürfen Tarifverträge der Schriftform. Diese richtet sich nach § 126 BGB. Auch Änderungen des Tarifvertrags sind formbedürftig(vgl. BAG 21. März 1973 – 4 AZR 225/72 – BAGE 25, 114; Wiedemann TVG 6. Aufl. § 1 Rn. 234; Löwisch/Rieble TVG § 1 Rn. 376, jeweils mwN). Zur Wahrung des Schriftformerfordernisses muß die Vertragsurkunde von den Tarifvertragsparteien oder ihren Vertretern eigenhändig unterzeichnet sein. Dazu reicht es aus, daß mehrere gleichlautende Urkunden erstellt werden und eine Tarifvertragspartei die für die andere Tarifvertragspartei vorgesehene Urkunde unterzeichnet. Ein bloßer Schriftwechsel, wie hier, genügt hingegen nicht(Wiedemann aaO Rn. 229 mwN).
3. Die Ansprüche der Kläger sind nicht gemäß § 70 BAT verfallen. Die Kläger verlangen die Feststellung ihres Vergütungsanspruchs für die Zeit ab dem 1. Januar 1994. Gegenüber dem Beklagten haben sie ihre Ansprüche bereits im Jahr 1993 schriftlich geltend gemacht. Dies genügt nach § 70 Abs. 2 BAT zur Wahrung der Ausschlußfrist auch für die später fällig gewordenen Leistungen, da sie auf demselben Sachverhalt beruhen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, Hinsch, de Hair
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 09.12.1999 durch Schneider, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BAGE, 63 |
BB 2000, 1351 |
BB 2000, 312 |
DB 2000, 1718 |
DB 2000, 51 |
NWB 1999, 4828 |
NWB 2000, 2699 |
FA 2000, 102 |
FA 2000, 233 |
NZA 2000, 1167 |
ZAP-Ost 2000, 34 |
ZAP-Ost 2000, 38 |
ZTR 2000, 361 |
AP, 0 |
AuA 2000, 83 |
NJ 2000, 555 |
NJ 2000, 79 |
PersR 2000, 1 |
PersV 2001, 87 |
ZfPR 2000, 114 |
AUR 2000, 279 |