Leitsatz (amtlich)
1. Die Entziehung eines betrieblichen Witwengeldes kann gerechtfertigt sein, wenn der verstorbene Ehemann in so grober Weise die ihm gegenüber dem Arbeitgeber obliegenden Pflichten verletzt hat, daß dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, die Witwenbezüge weiterzuzahlen.
2. Nicht jeder Anlaß, der einen wichtigen Grund für die fristlose Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis bilden kann, rechtfertigt auch den Entzug des Ruhegeldes.
3. Für die Zumutbarkeitserwägungen sind die im persönlichen Bereich liegenden Umstände entscheidend. Es kommt darauf an, ob der Pensionär – möglicherweise schon in der Zeit des Arbeitsverhältnisses – das in ihn gesetzte Vertrauen in solchem Maße gebrochen hat, daß er von dem so enttäuschten Arbeitgeber eine Versorgung nicht mehr erwarten kann.
4. Nach Beginn des Ruhestandsverhältnisses scheidet eine auf § 119 Abs. 2 BGB (Irrtum über wesentliche Eigenschaften des Ruhegeldempfängers im Zeitpunkt der Ruhegeldzusage) gestützte Anfechtung eines Pensionsvertrages aus. Dem Arbeitgeber bleiben die aus § 242 BGB herzuleitenden Rechte der Lösung von der Ruhegeldverpflichtung.
Normenkette
BGB §§ 119, 123, 242
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 03.11.1966; Aktenzeichen 3 Sa 582/66) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bayern vom 3. November 1966 – 3 Sa 582/66 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin ist die Witwe des am 30. Januar 1962 verstorbenen Güterdirektors W. M. Dieser leitete seit 1932, damals für die Eltern des Beklagten, deren landwirtschaftliche Güter. Nach dem Tod der Eltern und einer bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Beklagten am 15. März 1952 dauernden Zeit der Testamentsvollstreckung bzw. Pflegschaft war Herr M. in gleicher Weise zunächst für den Testamentsvollstrecker bzw. Pfleger und dann für den Beklagten tätig. Zum 30. Juni 1960 trat er in den Ruhestand. Mit ihm schied auch die Klägerin, die sät 1942 als Gutssekretärin gearbeitet hatte, aus dem Dienst des Beklagten aus. Herr M. bezog seit 1. Juli 1960 ein Ruhegehalt von 1.500,– DM monatlich aufgrund des Pensionsvertrages vom Dezember 1960, der an die Stelle eines Pensionsvertrages vom 20. Juni 1952 getreten war. In dem neuen Pensionsvertrag war – ebenso wie schon in dem alten Vertrag – für die überlebende Ehefrau eine Witwenpension von 750,– DM monatlich zugesagt, die sich bei Wiederverheiratung ermäßigen sollte.
Nach dem Tod des Herrn M. zahlte der Beklagte zunächst die vereinbarte Witwenpension an die Klägerin aus. Er stellte aber vom 1. November 1962 an die Pensionszahlungen ein. Er hatte um diese Zeit den Pensionsvertrag vom Dezember 1960 wegen Irrtums über die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Herrn M. sowie wegen arglistiger Täuschung angefochten, weil dieser im Jahre 1949 das zu dem Pachtgut S. gehörende, als Dienstwohnung für den Güterdirektor bestimmte Haus Nr. 2 S. hinter den Rücken des Pächters von dem Verpächter gekauft habe. Im Dezember 1963 bezichtigte der Beklagte auf Grund eines von ihm eingeholten Prüfungsberichts einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 13. Dezember 1963 Herrn M. weiterhin der Untreue in zahlreichen Fällen. Dabei habe die Klägerin entweder selbst mitgewirkt oder von den Handlungen ihres Mannes gewußt, ohne dies dem Beklagten anzuzeigen. Die Klägerin ist den Behauptungen des Beklagten im einzelnen entgegengetreten.
Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung ihrer Pension von monatlich 750,– DM seit 1. November 1962 nebst Zinsen gefordert, und zwar bis einschließlich Dezember 1964 in einem Betrag und seit 1. Januar 1965 laufend zum 1, eines jeden Monats auf Lebenszeit. Der Beklagte hat um Abweisung der Klage gebeten, weil der Pensionsvertrag wirksam angefochten, jedenfalls aber der Anspruch verwirkt sei. Vorsorglich hat er mit einem Betrag von 22.231,10 DM nebst Zinsen wegen angeblich zuviel entnommener Tantiemen gegen die Klageforderung aufgerechnet.
Das Arbeitsgericht hat der Klage durch Teilurteil in Höhe der unpfändbaren Beträge stattgegeben, um bei der Entscheidung über die überschießenden Beträge die möglicherweise dem Beklagten zustehenden Schadenersatzansprüche berücksichtigen zu können. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, auch wenn man in den Schreiben des Anwalts des Beklagten vom 31. Oktober und vom 22. November 1962 einen Hinweis auf ein Leistungsverweigerungsrecht oder auf eine Verwirkung des Ruhegeldanspruchs oder eine außerordentliche Kündigung der Pensionszusage aus wichtigem Grund erblicken wollte, sei die darauf gestützte Einstellung der Pensionszahlungen mit Wirkung vom 1. November 1962 zumindest in der vom Arbeitsgericht angenommenen Höhe ungerechtfertigte Dabei hat sich das Landesarbeitsgericht der Auffassung von A. Hueck (vgl. Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I, 7. Aufl., § 52 VIII 1 S. 490 f.) angeschlossen, das Ruhestandsverhältnis unterliege wie jedes Dauerschuldverhältnis der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grunde. Diese Auffassung gibt jedenfalls dann Anlaß zu Bedenken, wenn damit gesagt sein soll, das außerordentliche Kündigungsrecht sei die einzige denkbare Folge einer Treupflichtverletzung des Pensionärs.
1. Welcher Rechtsgrund für die Lossagung des Arbeitgebers von einem Ruhegeldversprechen bei einer als Treupflichtverletzung zu kennzeichnenden Verfehlung des Pensionärs angenommen wird, ist in Rechtsprechung und Lehre noch immer umstritten (vgl. die Darstellung bei Hueck-Nipperdey, aaO, S. 490, mit Fußnote 58). Alle geltend gemachten Rechtsgründe beruhen aber auf dem aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsatz, daß es dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, den früheren Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen zu versorgen, wenn dieser die ihm gegenüber dem Arbeitgeber obliegende Treupflicht gröblich verletzt, gleichviel, ob man ein Recht zur außerordentlichen Kündigung oder zum Widerruf der Ruhegeldzusage oder ein Leistungsverweigerungsrecht annimmt oder ob man meint, der grob treuwidrig handelnde Arbeitnehmer verwirke seinen Versorgungsanspruch. Es ist derselbe Grundgedanke, der auch den Vorschriften der §§ 626 und 723 BGB über die außerordentliche Kündigung zugrunde liegt, nämlich der Grundsatz, daß die Vertragsparteien eines Dauerschuldverhältnisses berechtigt sein müssen, sich von dem Vertrag zu lösen, wenn ihnen aus einem wichtigen Grunde die Einhaltung nicht zugemutet werden kann (vgl. auch A. Hueck, ARS 22, 16 und 45, 14; Siebert, JW 1936, 753). Es ist deshalb hinsichtlich des Rechtsgrundes ohne Belang, ob man von einem Kündigungsrecht, einem Widerrufsrecht oder einem Leistungsverweigerungsrecht spricht. Ein Unterschied besteht lediglich hinsichtlich der Rechtsfolgen. Die außerordentliche Kündigung führt zu einer endgültigen Einstellung der Ruhegeldzahlungen; bei einem auf § 242 BGB gestützten Leistungsverweigerungsrecht oder Widerrufsrecht ist dies nicht unbedingt der Fall.
Solchen Tatbeständen, bei denen einerseits dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, die Versorgungszahlung ohne Einschränkung fortzusetzen, bei denen aber andererseits eine endgültige Einstellung der Versorgungsleistungen nicht angemessen erscheint, läßt sich deshalb nur gerecht werden, wenn man von einem Leistungsverweigerungsrecht ausgeht. Insbesondere kann der Fall so liegen, daß eine Einstellung der Zahlungen nur für die Bauer des pflichtwidrigen Verhaltens oder für die Dauer der daraus entstandenen Folgen, nicht aber für alle Zeiten unzumutbar erscheint. Dies erkennen auch diejenigen an, die im übrigen lehren, bei grober Treupflichtverletzung des Pensionärs komme nur ein Recht zur außerordentlichen Kündigung in Betracht (vgl. besonders Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, aaO, S. 492; E, Molitor, Die Kündigung, 2. Aufl., S. 212 mit Fußnote 20).
Ob auch Fälle denkbar sind, in denen ein Ruhegeld wegen grober Treupflichtverletzung gekürzt werden kann, ist höchst zweifelhaft (dagegen BAG AP Nr. 8 zu § 242 BGB Ruhegehalt; vgl. auch die gewichtigen Bedenken von A. Hueck, aaO, S. 492 und Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. I, 3. Aufl., § 41 VII 1 S. 592, beide mit weiteren Nachweisen). Sicherlich darf eine Kürzung zugesagter Versorgungsbezüge nicht als Strafmaßnahme vom Arbeitgeber gehandhabt werden, ebensowenig wie der Arbeitgeber Pflichtverletzungen des aktiven Arbeitnehmers mit Lohnkürzungen ahnden darf. Der hier zu entscheidende Fall gibt dem Senat keinen Anlaß, der Frage nachzugehen, ob aus anderen Erwägungen eine Ruhegeldkürzung anstelle einer endgültigen oder auf die Dauer des pflichtwidrigen Verhaltens oder dessen Folgen begrenzten Zahlungseinstellung gerechtfertigt sein kann.
2. Es kommt also für diesen Rechtsstreit nur darauf an, ob der Ehemann der Klägerin in so grober Weise die ihm gegenüber dem Beklagten obliegenden Pflichten verletzt hat, daß diesem nicht zugemutet werden kann, die Witwenbezüge weiterzuzahlen.
a) An die Gründe für eine Entziehung des Ruhegeldes sind strenge Anforderungen zu stellen. Dies rechtfertigt sich einmal daraus, daß wegen der Beendigung der persönlichen Zusammenarbeit auch kein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mehr erforderlich ist, so daß eine bloße Erschütterung des Vertrauens das Ruhestandsverhältnis regelmäßig nicht berührt. Dazu muß die große Bedeutung berücksichtigt werden, die das Ruhegeld als Altersversorgung für den Arbeitnehmer hat, zumal dem Ruhegeld mindestens teilweise Entgeltcharakter beizumessen ist, bei dessen Wegfall der Arbeitnehmer sich fast niemals einen gleichwertigen Ersatz beschaffen kann.
b) Die Maßstäbe für die Zumutbarkeit dürfen deshalb nicht dem früheren Arbeitsverhältnis entnommen werden (BAG AP Nr. 8 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Nicht jeder Anlaß, der einen wichtigen Grund für die fristlose Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis bilden kann, rechtfertigt auch den Entzug des Ruhegeldes. So hat schon das Reichsarbeitsgericht entschieden (RAG ARS 22, 5 [14] 37, 137 [141]). Daran haben Rechtsprechung und Lehre festgehalten (vgl. Hueck-Nipperdey, aaO, S. 491 mit Fußnote 59). Auch der Senat tritt dieser Auffassung bei. Deshalb kann es auf die von der Revision angeführten Entscheidungen in Fällen fristloser Kündigung des Arbeitsverhältnisses (BAG 9, 263 = AP Nr. 42 zu § 626 BGB und BAG AP Nr. 49 zu § 626 BGB) nicht ankommen.
c) Daneben ist in Betracht zu ziehen, daß dem Arbeitgeber je nach Lage des Falles sonstige Möglichkeiten zur Wahrung seiner Rechte zu Gebote stehen. So wiegt bei einer Schädigung des Arbeitgebers, für die der Arbeitnehmer im Wege des Schadenersatzes haftet, nicht so sehr der materielle Schaden. Dieser ist durch Schadenersatzleistung in den vom Gesetz gezogenen Grenzen (Pfändungsschutz, beschränkte Arbeitnehmerhaftung, Berücksichtigung des Mitverschuldens) auszugleichen. Die Entziehung des Ruhegeldes darf dann regelmäßig nicht als das einfachere Mittel genommen werden, um den Standpunkt des Arbeitgebers durchzusetzen. Dies könnte überdies zur Umgehung der zu Gunsten des Arbeitnehmers geltenden Haftungsbeschränkungen führen.
d) Pur die Zumutbarkeitserwägungen sind vielmehr die im persönlichen Bereich liegenden Umstände entscheidende. Es kommt darauf an, ob der Pensionär – möglicherweise schon in der Zeit des Arbeitsverhältnisses – das in ihn gesetzte Vertrauen in solchem Maße gebrochen hat, daß er von dem so enttäuschten Arbeitgeber eine Versorgung nicht mehr erwarten kann. Ein ähnlicher Gedanke liegt dem § 7 Abs. 4 Satz 2 BUrlG für den Verlust des Urlaubsabgeltungsanspruchs zugrunde (vgl. dazu Schelp, AuR 1963, 74; Diekhoff, BB 1963, 438). Auch den Anspruch auf Urlaubsabgeltung verliert der Arbeitnehmer im Fall einer fristlosen Kündigung oder einer unberechtigten vorzeitigen Lösung des Arbeitsverhältnisses nur dann, wenn sein Verhalten gleichzeitig eine grobe Verletzung der Treupflicht aus dem Arbeitsverhältnis bedeutet. Da die Feststellung der groben Treupflichtverletzung eine umfassende Würdigung aller vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände erfordert, kann es neben diesen im Persönlichen liegenden Gründen auch auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses, den Wert der Leistungen des Arbeitnehmers für den Betrieb, auf die wirtschaftliche Lage der Parteien und vieles andere ankommen.
II. Neben dem Leistungsverweigerungsrecht, für das sich in der Praxis der Ausdruck „Widerrufsrecht” eingebürgert hat, kommt eine Anfechtung der Pensionszusage im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Insoweit ist der Senat dem Landesarbeitsgericht im Ergebnis gefolgt.
1. Eine Anfechtung wegen Erklärungsirrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB scheidet schon mangels dahingehenden Tatsachenvortrags des Beklagten aus 2. Entgegen der Ansicht der Revision ist auch die Anfechtung wegen eines Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften des Herrn M. im Sinn des § 119 Abs. 2 BGB im vorliegenden Fall nicht anzuerkennen. Der Beklagte hat dazu vorgetragen, er habe sich bei Abschluß des Pensionsvertrages im Dezember 1960 über die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Herrn M. geirrt, weil ihm die zahlreichen Verfehlungen des Ehepaares M. damals nicht bekannt gewesen seien.
Der Senat kann die Frage offen lassen, ob der Beklagte sich bei Abschluß des Pensionsvertrages über bestimmte Eigenschaften des Herrn M. geirrt, ob es sich dabei um verkehrswesentliche Eigenschaften im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB gehandelt hat und ob der Beklagte bei Kenntnis der Eigenschaften den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Selbst wenn alle diese Voraussetzungen gegeben wären, könnte sich die vom Beklagten erklärte Anfechtung mit der Folge der Nichtigkeit des Vertrages niemals in der Weise auswirken, daß die Pensionszusage – wie es in § 142 Abs. 1 BGB bestimmt ist – von Anbeginn an (ex tunc) beseitigt wäre.
Das Bundesarbeitsgericht hat unter weitgehender Billigung der Rechtslehre in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz vertreten, daß jedenfalls beim Arbeitsvertrag nach Antritt der Arbeit eine Rückwirkung der Nichtigkeit, die sich nicht nur aufgrund einer begründeten Anfechtung, sondern beispielsweise auch in den Fällen der §§ 125, 134 und 138 BGB ergeben kann, nicht anzuerkennen, sondern der Arbeitsvertrag bis zur Geltendmachung der Nichtigkeit als gültig zu behandeln ist (vgl. z.B. BAG 5, 58 [65 ff.] = AP Nr. 2 zu § 125 BGB; BAG 5, 159 [161 f.] = AP Nr. 2 zu § 123 BGB; BAG 8, 47 [50] = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Doppelarbeitsverhältnis; BAG 8, 245 [251] = AP Nr. 2 zu § 2 TOA; BAG AP Nr. 2 zu § 138 BGB [zu III 2 der Gründe]; BAG 11, 51 [56 f.] = AP Nr. 6 zu § 15 SchwBeschG; BAG AP Nr. 3 zu § 12 MuSchG [zu 2 der Gründe], auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).
Dieser Grundsatz ist in etwas anderer Weise auch auf den Pensionsvertrag anzuwenden, wenn der Sachverhalt so wie hier gestaltet ist, daß der Arbeitgeber nach Beginn des Ruhestandsverhältnisses und nach Einsetzen der Ruhegeldzahlungen eine Anfechtung des Pensionsvertrages aufgrund des § 119 Abs. 2 BGB auf solche Eigenschaften des Pensionärs stützt, die im früheren Arbeitsverhältnis vorgelegen haben sollen und damals möglicherweise zur Anfechtung des Arbeitsvertrages berechtigt hätten. Solche Eigenschaften des Pensionärs und früheren Arbeitnehmers, wie insbesondere seine Redlichkeit und Zuverlässigkeit, mögen zwar die Entscheidung des Arbeitgebers maßgeblich beeinflußt haben, eine Altersversorgung zu versprechen; der Arbeitgeber hätte möglicherweise kein Ruhegehalt zugesagt, wenn er die Unredlichkeit seines Arbeitnehmers gekannt hätte. In erster Linie sind aber Redlichkeit und Treue für die Dauer des aktiven Arbeitsverhältnisses wesentlich, für die Zeit also, in der der Arbeitnehmer noch seine Dienste zu erbringen hat.
Auf der anderen Seite ist das vom Arbeitgeber gezahlte Ruhegehalt anerkanntermaßen keine Schenkung (vgl. zuletzt das zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmte Urteil des Senats vom 29. Juli 1967 – 3 AZR 55/66 – [demnächst] AP Nr. 1 zu § 29 KO [IV 2 b der Gründe mit weiteren Hinweisen]). Vielmehr ist das Ruhegeld eine aufgrund des Arbeitsverhältnisses gegebene entgeltliche Leistung des Arbeitgebers. Es hat also nicht nur Fürsorge-, sondern auch Vergütungscharakter. Berücksichtigt man, daß der Arbeitnehmer seinerseits in dem Augenblick, in dem er in den Ruhestand tritt, alle Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag im Vertrauen auf die Pensionszusage erfüllt hat, so erscheint es in hohem Maße unbillig, dem Arbeitgeber die Anfechtung der Pensionszusage nach § 119 Abs. 2 BGB zu gestatten: War der Irrtum vornehmlich für die geschuldete Dienstleistung bedeutsam, sind aber die Dienste vollständig erbracht worden, ohne daß der Irrtum entdeckt wurde, so ist es mit Treu und Glauben nicht vereinbar, dem Arbeitnehmer allein wegen dieses Irrtums die versprochene Altersversorgung zu entziehen ohne Rücksicht darauf, wie sich dieser Irrtum ausgewirkt hat. (Vgl. zur Anwendbarkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben im Bereich der Irrtumsanfechtung: Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Halbband, 15. Aufl., § 169 III 2 S. 1053 f.)
Die Frage kann vielmehr nur lauten, ob die Eigenschaften des Pensionärs, über die sich der Arbeitgeber geirrt hat, derart sind und ob sie sich in einer solchen Weise zum Nachteil des Arbeitgebers ausgewirkt haben, daß es diesem nicht zugemutet werden kann, an der gegebenen Pensionszusage festzuhalten. Mit anderen Worten: das Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 2 BGB wegen eines Irrtums über eine Eigenschaft des früheren Arbeitnehmers mündet in ein Leistungsverweigerungs- oder Widerrufsrecht, für das die unter I dargelegten Grundsätze gelten, sobald das Arbeitsverhältnis beendet und der Arbeitnehmer versorgungsberechtigt geworden ist.
Hiergegen sollte nicht eingewendet werden, auch beim aktiven Arbeitsverhältnis führe die Anfechtung nach § 119 BGB nur zu einer Lösung ex nunc, und trotzdem halte man an dem Unterschied zwischen Anfechtung und Kündigung fest. Das ist zwar richtig. Das Bundesarbeitsgericht hat im Anschluß an Herschel (BB 1953, 1069) den Unterschied aufgezeigt (BAG 5, 159 [161 f.] = AP Nr. 2 zu § 123 BGB): „Die Anfechtung dient dazu, den Anfechtenden von den Folgen einer Willenserklärung zu befreien, die auf einem Willensmangel beruht; hingegen hat die Kündigung die Aufgabe, ein nachträglich krank oder sinnlos gewordenes Rechtsverhältnis für die Zukunft zu beseitigen.” Aber gerade der so gekennzeichnete Zweck der Anfechtung verdient nach Treu und Glauben – anders als im Fall des aktiven Arbeitsverhältnisses – nicht mehr den Schutz der Rechtsordnung, wenn der Willensmangel erst in einem Augenblick erkannt wird, in dem er aufgehört hat, sich auszuwirken. Gegenüber dem Versorgungsberechtigten kann es deshalb nur noch um den Widerruf für die Zukunft gehen. Außerdem ist die Unterscheidung zwischen Anfechtung und Kündigung für das aktive Arbeitsverhältnis praktisch immer dann folgenreich, wenn der Arbeitnehmer Kündigungsschutz genießt, insbesondere auch in den Fällen der werdenden Mutter und des Schwerbeschädigten. Es ist nicht zu erkennen, daß sich eine Unterscheidung zwischen Anfechtung und Widerruf einer Pensionszusage nach Beginn des Ruhestandes praktisch auswirken könnte.
3. Ob aus den soeben dargelegten Gründen die Anfechtung einer Pensionszusage auch in den Fällen der Anfechtung gemäß § 123 BGB (Täuschung, Drohung) zugunsten eines Widerrufsrechts auszuschließen ist, kann dahingestellt bleiben. Bedenken können sich daraus ergeben, daß jedenfalls beim Arbeitsvertrag die Rückwirkung der Anfechtung aus einem der in § 123 BGB genannten Gründe nicht unter allen Umständen abgelehnt wird; diese Frage ist hier umstritten (vgl. Wlotzke-Volze, Dienstverhältnis und Arbeitsverhältnis, Sonderdruck aus Soergel-Siebert, BGB, 9. Aufl., § 611 Anm. 32 mit Hinweisen). Es kommt darauf deshalb nicht an, weil die vom Beklagten auf eine arglistige Täuschung durch Herrn M. gestützte Anfechtung des Pensionsvertrages aus anderen Gründen nicht durchgreift.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts richtet sich die Anfechtung nur nach § 123 Abs. 1 BGB. § 123 Abs. 2 Sätze 1 und 2 betreffen den Fall, daß ein Dritter die Täuschung verübt hat (Soergel-Hefermehl, BGB, 10. Aufl., § 123 Anm. 32), und scheiden deshalb hier aus. Bei der Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB ist die Klägerin als Alleinerbin nach ihrem Ehemann die richtige Anfechtungsgegnerin (§ 143 Abs. 1 BGB).
Die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB setzt voraus, daß der Erklärende, hier der Beklagte, durch arglistige Täuschung zur Abgabe der Ruhegeldzusage bestimmt worden ist. Der Beklagte macht hierzu dem Herrn M. und der Klägerin den Vorwurf, sie hätten ihre angeblichen Verfehlungen arglistig verschwiegen. Herr M. sei aufgrund seiner einmaligen Vertrauensstellung verpflichtet gewesen, ihm, dem Beklagten, bei Abschluß des Pensionsvertrages seine Verfehlungen einzugestehen; bei deren Kenntnis würde er die Zusage nicht erteilt haben.
Damit hat sich der Beklagte auf den Fall arglistiger Täuschung durch Verschweigen von Tatsachen gestützt. Das ist bei § 123 Abs. 1 BGB nur erheblich, wenn den Erklärungsempfänger eine Rechtspflicht zur Aufklärung der Offenbarung traf, weil nur dann die unterlassene Aufklärung einer Täuschung gleichzusetzen ist. Eine Rechtspflicht zur Aufklärung besteht ohne ausdrückliche Frage des anderen Teils nur dann, wenn dieser nach Treu und Glauben und nach der im Verkehr herrschenden Anschauung eine Mitteilung erwarten durfte (Soergel-Hefermehl, aaO, § 123 Anm. 5 ff.). Hiernach wird im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und seinem Arbeitnehmer eine Offenbarungspflicht im allgemeinen dann entfallen, wenn sich der Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger durch die zu offenbarenden Tatsachen und Umstände einer strafbaren Handlung bezichtigen müßte oder wenn die Offenbarung der Vorbereitung eines Schadenersatzanspruchs gegen ihn dienen kann (LAG Frankfurt/Main, DB 1958, 199 a.E.), es sei denn, daß das erkennbare Interesse des Arbeitgebers, die verschwiegene Tatsache zu erfahren, schwerer wiegt als das berechtigte Bemühen des Arbeitnehmers, die eigenen Interessen zu wahren. Dies wird in aller Regel nicht der Fall sein. Dann ist ober eine Selbstanschuldigung unzumutbar, vor allem, wenn in Betracht gezogen wird, daß der Arbeitnehmer noch nicht einmal bei Einstellungsverhandlungen auf ausdrückliches Befragen über alle persönlichen Umstände (Vorstrafen) Aufklärung geben muß (BAG 5, 159 [163] = AP Nr. 2 zu § 123 BGB).
Im vorliegenden Fall kann eine Offenbarungspflicht nicht angenommen werden. Der auf Einzelumstände gestützte Vortrag der Klägerin, mit dem sie das Verhalten ihres verstorbenen Mannes rechtfertigt, läßt erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob Herr M. sich überhaupt einer der jetzt vorgeworfenen Verfehlungen schuldig gemacht hat oder wenigstens sich ihrer bewußt gewesen ist. Sollten aber echte Unredlichkeiten vorgekommen sein, dann wäre die Offenbarungspflicht deshalb zu verneinen, weil Herr M. ebenso wie die Klägerin sich einer strafbaren Handlung hätten bezichtigen müssen. Das ist unzumutbar, wenn man berücksichtigt, daß der gerechte Ausgleich für etwaige Vertragsverletzungen durch Schadenersatzleistung und bei besonders erschwerenden Umständen auch durch einen Widerruf des Ruhegeldversprechens gefunden werden kann.
III. Nach alledem hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ausschließlich davon ab, ob der Beklagte nach den zu I erörterten Grundsätzen die Zahlung der Witwenrente verweigern kann. Das Landesarbeitsgericht hat offenbar im wesentlichen diesen rechtlichen Ausgangspunkt seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es hat auch in gewissem Umfang die ihm vorgetragenen Tatsachen gewürdigt. Es hat aber, wie die Revision mit Recht rügt, sich nicht erkennbar und damit für den Senat nachprüfbar mit den Einzelheiten der vom Beklagten für die Entziehung des Ruhegeldes angeführten Umstände auseinandergesetzt.
a) Das Landesarbeitsgericht hat ausdrücklich nur den Fall der Währungsumstellung eines den Eltern des Beklagten von Herrn M. gewährten Darlehns behandelt. Von den übrigen angeblichen Verfehlungen sind im angefochtenen Urteil die „Deputate, Reisekosten und Bewirtungen” erwähnt, ohne daß auf Einzelheiten eingegangen ist. Überhaupt nicht behandelt ist die große Zahl weiterer Vorwürfe, von denen der Komplex Tantieme für sich allein genommen schon so schwerwiegend sein kann, daß ihn das Landesarbeitsgericht ohne Klärung des wahren Sachverhalts nicht damit abtun durfte, bei der besonderen Stellung des Herrn M. könnten etwaige Pflichtverstöße nicht zum Wegfall des Ruhegeldanspruchs führen.
b) Hiernach ist nicht auszuschließen, das das Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff der groben Treupflichtverletzung und im Zusammenhang damit die Besonderheiten, die in rechtlicher Hinsicht an die Lossagung des Arbeitgebers von einer Ruhegeldverpflichtung zu stellen sind, verkannt hat. Das nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und, da noch Tatsachenfeststellungen erforderlich sind, die der Senat nicht treffen kann, zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Erst nach näherer Klärung des Sachverhalts wird das Landesarbeitsgericht anhand der zu I dieser Grunde aufgestellten Regeln den Fall entscheiden können.
Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, daß die noch festzustellenden Pflichtwidrigkeiten des Herrn M. zum Wegfall seines Ruhegeldanspruchs geführt haben würden, wenn er noch lebte, dann gilt das ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden der Klägerin auch für deren Anspruch, weil die Witwenrente davon abhängig ist, daß der Versorgungsanspruch des Mannes besteht. Die von Beklagten auch gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe können allerdings, falls sie begründet sind, bei den Zumutbarkeitserwägungen eine Rolle spielen.
Unterschriften
gez. Hilger, Dr. Gröninger, Wendel, Helmuth Harries, Handrack
Fundstellen
Haufe-Index 1161327 |
BAGE, 298 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1968, 701 |