Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Arbeiterkündigungsfrist (Grundfrist)
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats:
Parallelsache zu – 2 AZR 605/93 – Urteil vom 10. März 1994 – Verfassungsmäßigkeit einer tariflichen Grundkündigungsfrist
Normenkette
BGB § 622 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 08.07.1993; Aktenzeichen 4 Sa 483/93) |
ArbG Bochum (Urteil vom 22.01.1991; Aktenzeichen 2 Ca 1556/90) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 8. Juli 1993 – 4 Sa 483/93 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war seit 2. Juli 1990 bei der Beklagten als Schweißer beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie und dort der Branche der Gießereien zuzuordnen. Als Feingußunternehmen stellt sie vornehmlich Turbinenschaufeln für den Gasturbinen- und Flugzeugturbinenbau her und ist insoweit als Zulieferer für größere Unternehmen, wie z. B. Rolls Royce und MTU tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 29. Februar 1988 (MTV-Metall) Anwendung. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 8. August 1990, zugegangen am 9. August 1990, das Arbeitsverhältnis mit der in § 20 Nr. 1 MTV-Metall geregelten Kündigungsfrist von 14 Tagen zum 23. August 1990.
Der Kläger hat Klage auf Feststellung erhoben, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 8. August 1990 nicht zum 23. August 1990, sondern (erst) zum 30. September 1990 aufgelöst worden sei und bis zu diesem Zeitpunkt fortbestehe. Er hat die Auffassung vertreten, die im MTV-Metall 1988 vorgesehene Grundfrist für die ordentliche Kündigung gewerblicher Arbeitnehmer sei wegen fehlender sachlicher Differenzierungsgründe für die Verschlechterung der Rechtsstellung gegenüber den Angestellten verfassungwidrig und durch eine allgemein für Arbeitnehmer geltende Frist von 6 Wochen zum Quartalsschluß zu ersetzen. Er beruft sich darauf, im Gegensatz zu anderen Bereichen, z. B. der Bauindustrie, lägen in der Metallindustrie keine besonderen Arbeitsstrukturen vor, die eine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten rechtfertigen könnten. Im Produktionsbereich würden zwar überwiegend Arbeiter beschäftigt, allerdings seien dort auch Angestellte, insbesondere in der Arbeitsvorbereitung, tätig. Produkt- oder konjunkturbedingte Auftragsschwankungen schlügen sich nicht zuerst in der Produktion, sondern im Konstruktionsbereich nieder. Deshalb bestehe ein Bedürfnis nach erhöhter personalwirtschaftlicher Flexibilität als Sachgrund für eine Ungleichbehandlung der Grundkündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten nicht. Der Kläger beruft sich insoweit auf eine vom Landesarbeitsgericht eingeholte Stellungnahme der Industriegewerkschaft Metall vom 2. Juni 1993.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, das Arbeitsverhältnis sei wegen Nichteignung des Klägers unter Einhaltung der tarifvertraglichen und verfassungskonformen Kündigungsfrist beendet worden. Bei der Regelung in § 20 Nr. 1 a MTV- Metall handle es sich um eine selbständige, zwischen den Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer Koalitionsfreiheit ausgehandelte Norm, die auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. In der Metallindustrie bestehe ein Bedürfnis an personalwirtschaftlicher Flexibilität, weil die Arbeiter bei einem Anteil von 67,9 % der Beschäftigten nahezu ausnahmslos in der Produktiontätig seien. Konjunkturbedingte Auftragsschwankungen schlügen sich zuerst in der Produktion nieder, so daß es dort schneller zu Entlassungen oder Änderungskündigungen komme als im Verwaltungs- und Konstruktionsbereich. Nach den Rahmenlieferverträgen mit ihren Kunden sei jederzeit ein Abbruch der Aufträge möglich, was einfach durch Nichtabbruf geschehe. Wie in der ganzen Branche sei ihre Produktionsweise durch das „just in time – System” gekennzeichnet. Eine Lagerhaltung sei nicht möglich, da alle Produkte drei bis viermal geröntgt werden müßten; bei einer Lagerproduktion müsse dieser Röntgenvorgang nur unnötig wiederholt werden.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 22. Januar 1991 nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten durch ein erstes Urteil vom 15. August 1991 das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Auf die Revision des Klägers ist diese Entscheidung durch Urteil des Senats vom 15. Oktober 1992 (– 2 AZR 296/92 –) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden. Durch das am 8. Juli 1993 verkündete Urteil hat das Landesarbeitsgericht erneut die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Die von der Beklagten gewählte Kündigungsfrist ist nicht zu beanstanden.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die eigenständige, branchenspezifische Regelung in § 20 Nr. 1 MTV-Metall sei verfassungsgemäß; sie sei im Wirtschafszweig Metall- und Elektroindustrie sachlich begründet, weil in der Produktion ein Bedürfnis nach erhöhter personal-wirtschaftlicher Flexibilität bestehe und sich technische und wirtschaftliche Veränderungen in diesem Bereich der Betriebe unmittelbar auswirkten, so daß personelle Folgemaßnahmen zuerst bei den hier beschäftigten Arbeitern erforderlich würden. Demgegenüber träten solche Anpassungserfordernisse in den Verwaltungs- und Konstruktionsbereichen im allgemeinen erst später auf, so daß dort längere Kündigungsfristen vertretbar seien. Da in der Metall- und Elektroindustrie die Arbeiter in aller Regel in der Produktion tätig seien, sei es hier nicht notwendig, für die wenigen Arbeiter, die in Verwaltungs- oder Konstruktionsbereichen eingesetzt würden, längere tarifliche Kündigungsfristen als für die sonstigen Arbeiter zu vereinbaren. Die Tarifvertragsparteien seien vielmehr zu einer typisierenden Regelung berechtigt. Dies wird vom Landesarbeitsgericht unter Auswertung statistischer Berichte des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik NRW ebenso wie unter Auswertung der eingeholten Auskünfte der Tarifpartner näher begründet.
II. Gegen diese Würdigung wendet sich die Revision ohne Erfolg.
1. Dem Landesarbeitsgericht ist zunächst darin zu folgen, es gehe vorliegend um die Auslegung und Anwendung einer eigenständigen (konstitutiven) Kündigungsregelung. Wie es der Protokollnotiz, die nicht nur auf die Regelung des § 20 Nr. 3 MTV-Metall 1988 über die verlängerten Kündigungsfristen, sondern auch auf die Grundkündigungsfrist zu beziehen ist, zutreffend entnommen hat, haben die Tarifvertragsparteien die gesetzliche Kündigungsregelung für Arbeiter weder ganz noch teilweise automatisch übernommen, sondern im vollen Umfang in ihre eigene Regelungskompetenz einbezogen. Dies zeigt sich, was die in Streit stehende Grundkündigungsfrist des § 20 Nr. 1 a MTV-Metall 1988 angeht, auch daran, daß die Tarifpartner in § 20 Nr. 2 MTV-Metall für die Montagezeitarbeiter eine von der Grundkündigungsfrist abweichende Regelung innerhalb der ersten sechs Monate der Beschäftigung, nämlich eine Kündigungsfrist von zwei Tagen, vereinbart haben. Die Eigenständigkeit der Grundfristregelung hat der Senat auch bereits im Urteil vom 23. September 1992 (– 2 AZR 231/92 – nicht veröffentlicht, zu III 1 der Gründe) zu derselben Tarifbestimmung ausführlich begründet (ebenso im ersten Aufhebungsurteil des Senats in der vorliegenden Sache vom 15. Oktober 1992 – 2 AZR 296/92 – nicht veröffentlicht), worauf Bezug genommen wird.
2. Bei dieser Rechtslage hat das Landesarbeitsgericht zutreffend in eigener Kompetenz geprüft, ob die in Rede stehende Kündigungsregelung im Vergleich zu der in § 20 Nr. 3 b MTV-Metall 1988 für Angestellte geltenden Regelung, die die früheren gesetzlichen Bestimmungen im Angestelltenkündigungsschutzgesetz von 1926 übernommen hat, mit dem Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG vereinbar sei, an den auch die Tarifpartner gebunden sind.
a) Das Berufungsgericht hat, wie eingangs schon erwähnt, funktions- und branchenspezifische Interessen für eine unterschiedliche Gestaltung der Grundkündigungsfristen von gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten in der Metallindustrie mit der Begründung anerkannt, in der gesamten Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen seien nach dem Stand per November 1992 von insgesamt 990.379 Arbeitnehmern in 6.212 Betrieben 67,9 % Arbeiter und 32,1 % Angestellte, wobei die Arbeiter fast ausschließlich in der Produktion tätig seien, während die Zahl der Angestellten hier um 5 % liege. Diese Feststellungen werden von der Revision nicht angegriffen. Die Revisionsbegründung erschöpft sich vielmehr darin, mit diesen Feststellungen sei noch keine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung der Grundkündigungsfrist in der Metallindustrie gegeben. Entgegen produkt- und konjunkturbedingten Auftragsschwankungen in den Tarifbereichen der Textilindustrie, Bauindustrie und der Gartenbaubetriebe könne von derartigen feststehenden Konjunkturschwankungen im Metallbereich nicht die Rede sein, insbesondere lasse sich dies aus der „just in time” – Fertigung nicht herleiten.
Das Landesarbeitsgericht hat demgegenüber ausgeführt, produkt- und konjunkturbedingte Auftragsschwankungen schlügen sich auch in der Metallindustrie zuerst in der Produktion nieder, was schneller zu Entlassungen oder Änderungskündigungen im Arbeiter-als im Verwaltungs- und Konstruktionsbereich führe; dieser Sachverhalt lasse sich nachweisen anhand der Daten des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen: Die Verschlechterung von Auftragseingang und Produktion in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens habe nämlich zu einem deutlichen Rückgang der Beschäftigung geführt, wobei der Rückgang bei Arbeitern wesentlich stärker als bei Angestellten sei; nach dem vom Verband der Metall- und Elektroindustrie NW übersandten statistischen Material sei in der Zeit von November 1991 bis November 1992 die Zahl der Arbeiter um 5,4 % zurückgegangen, während im gleichen Zeitraum sich die Zahl der Angestellten um lediglich 0,6 % verringert habe. Dies lasse sich – entgegen der von der Industriegewerkschaft Metall im Schreiben vom 2. Juni 1991 vertretenen Ansicht – nicht damit erklären, nach den alten Kündigungsfristen würden eben Arbeiter früher aus dem Arbeitsverhältnis entlassen als Angestellte. Denn bei einem Vergleichszeitraum von einem Jahr spiele die Dauer der Kündigungsfrist dafür, welche Beschäftigungsgruppe – Arbeiter oder Angestellte – in welchem Maße entlassen worden sei, keine Rolle; hier zeige sich eben, daß sich produktbedingte Auftragsschwankungen im Produktionsbereich langanhaltender niederschlügen als im Verwaltungs- und Konstruktionsbereich, wo zunächst aquiriert und dann konstruiert werden müsse, damit die Produktion wieder aufgenommen oder verstärkt werden könne.
Diese Schlußfolgerungen sind mit der Revision nicht angegriffen worden; sie sind auch revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist es zutreffend, wenn das Landesarbeitsgericht allein aus der erheblich höheren Entlassungsquote bei Arbeitern im Vergleich zu Angestellten entnimmt, daß es in der Metallindustrie auch aufgrund eines konjunkturbedingten Auftragsrückgangs im Arbeiterbereich zu einer erheblichen Personalreduzierung gekommen ist. Es leuchtet auch ein, daß im Verwaltungsbereich zunächst weiter aquiriert werden und eventuell auch konstruiert werden muß, wenn man den Konjunkturrückgang abfangen will. Das steht nicht der auch vom Senat in anderem Zusammenhang bereits aufgegriffenen Feststellung entgegen, daß auf Dauer sich ein Auftragsrückgang später auch im Verwaltungsbereich niederschlagen werde.
Der Senat hat sich auch mit dem mehrfach geäußerten Argument auseinandergesetzt, das Flexibilitätsbedürfnis gelte nur für betriebsbedingte Kündigungen; er hat dieses Argument nicht gelten lassen, weil die Tarifpartner im Hinblick auf ein Bedürfnis nach flexibler Personalwirtschaft den Anteil an betriebsbedingten im Vergleich zu den verhaltens- und personenbedingten Kündigungen besonders hoch veranschlagt oder jedenfalls für so ausschlaggebend angesehen haben könnten, daß sie eine einheitliche Regelung für sachgemäß erachtet hätten; den Tarifpartnern sei insoweit im Rahmen der ihnen gewährten Tarifautonomie (Artikel 9 Abs. 3 GG) eine sachverständige Beurteilungskompetenz einzuräumen (u. a. Senatsurteil vom 4. März 1993 – 2 AZR 355/92 – EzA § 622 BGB n. F. Nr. 44, zu II 2 c der Gründe; ferner Urteil vom 16. September 1993 – 2 AZR 120/93 –, nicht veröffentlicht, zu II 4 d der Gründe). Daran hält der Senat fest, zumal die Revision insoweit keine neuen Argumente vorträgt.
Auch die weitere Begründung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, es sei entgegen dem Schreiben der Industriegewerkschaft Metall vom 2. Juni 1993 eben nicht festzustellen, die Unternehmen würden vermehrt gezwungen, ihre Liefermöglichkeiten durch eine umfassende Vorratshaltung und entsprechende Lagerkapazität sicherzustellen. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr für den Senat bindend festgestellt (§ 561 ZPO), genau das Gegenteil sei der Fall, nämlich die sogenannte „just in time” – Fertigung sei in der Branche inzwischen so weit fortgeschritten, daß eine kostenträchtige Lagerhaltung so gut wie nicht mehr stattfinde; alle Zulieferteile würden produktionsweise geordert, es finde weder eine Vorratshaltung noch eine Vormontage statt; vielmehr würden die unterschiedlich nach den individuellen Kundenwünschen ausgestatteten Autos am Band zusammengebaut. Diese „just in time” – Fertigung gebe es aber nicht nur in der Automobilindustrie, sondern in fast allen Branchenbereichen der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie, insbesondere auch bei Gießereien – wie der Beklagten –, die in aller Regel rein auftragsbezogen produzierten.
Wenn dem aber so ist, ist wiederum revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht hieraus einen in der Produktion sich unmittelbar niederschlagenden Konjunktureinbruch, Auftragsmangel oder eine Produktanpassung als anerkennenswerten Grund für ein Flexibilitätsbedürfnis der metallindustriellen Arbeitgeber bei einer kurzfristigen Kündigungsmöglichkeit im Rahmen der Grundfristen anerkannt hat. Das Landesarbeitsgericht hat auch in bezug auf die Beklagte ausgeführt, Produktionseinbrüche bei den Gasturbinen- und Flugzeugturbinenherstellern, wie sie derzeit zu verzeichnen seien, führten sofort zu Produktionseinschränkungen bei allen Zulieferern und damit auch bei der Beklagten; diese habe von Beginn der Mitte des Jahres 1993 an die Zahl ihrer Beschäftigten von 500 auf 400 reduzieren müssen, so daß also bei derartigen Produktionseinbußen ein Bedürfnis nach erhöhter personalwirtschaftlicher Flexibilität mit der Folge bestehe, daß Entlassungen und Änderungskündigungen von Arbeitern im Produktionsbereich kurzfristiger möglich sein müßten. Dies gelte für die Entlassung der im Produktionsbereich tätigen Angestellten (Meister, technische Angestellte) nicht im gleichen Maße, weil jedes Unternehmen seine Führungsmannschaft so lange wie irgendmöglich behalte. Das Landesarbeitsgericht hat dann weiter ausgeführt, diese Gründe, insbesondere wegen der „just in time” – Fertigung, gälten auch für den Bereich der Metallindustrie, wobei sich etwas anderes auch nicht aus der Auskunft der Industriegewerkschaft Metall vom 2. Juni 1993 ergebe.
b) Der Senat hat bisher in mehreren Entscheidungen, die sich mit Kündigungsfristen für Arbeiter in anderen Tarifverträgen befassen (vgl. zusammenfassend im Urteil vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 470/91 – AP Nr. 37 zu § 622 BGB), im Anschluß und unter Auswertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28, aaO) entschieden, derartige Produktabhängigkeiten seien als sachlicher Differenzierungsgrund für unterschiedliche Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten anzuerkennen (so für die Textilindustrie: Urteile vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 470/91 – AP Nr. 37, aaO und vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 460/91 – AP Nr. 36, aaO, für die Bauindustrie: Urteil vom 2. April 1992 – 2 AZR 516/91 – AP Nr. 38, aaO und für die chemische Industrie: Urteil vom 4. März 1993 – 2 AZR 355/92 – EzA § 622 BGB n.F. Nr. 44).
Was für diese Branchen, insbesondere eine so weit gefächerte Branche wie die chemische Industrie gilt, ist für die Metallindustrie ebenfalls anzuerkennen. Diese besteht nach der vom Landesarbeitsgericht ausgefertigten Statistik – sowohl was die Betriebe als auch die Beschäftigtenzahlen angeht – aus den Einzelbranchen Maschinenbau, Elektroindustrie, Eisen-, Blech- und Metallwarenindustrie, Fahrzeugbau, Stahl und Leichtmetallbau, Stahlverformung, Gießereien und anderen größenmäßig hier – was die Betriebe und die Beschäftigtenzahlen angeht – zu vernachlässigenden Untergliederungen, d.h. einer jedenfalls im wesentlichen einheitlichen Branche (vgl. dazu noch unten zu bb). Ausweislich der genannten Statistik ist auch in den genannten Unterbranchen der weitaus überwiegende Hauptteil der Betriebe und Beschäftigten erfaßt, wobei hier der Arbeiteranteil konstant bei ca. 72 % der Beschäftigten liegt (zwischen 60,3 % und 79,5 %).
Das Landesarbeitsgericht hat auch festgestellt, das Bedürfnis nach erhöhter personalwirtschaftlicher Flexibilität erstrecke sich auf die verschiedenen (Unter-)Branchen der Metallindustrie. Selbst wenn ein derartiges Bedürfnis auch nicht ausdrücklich für die Zentralheizungsindustrie festgestellt worden ist, so hat das Landesarbeitsgericht dies doch für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie bejaht. Der Senat hat bereits zu dieser Problematik früher angedeutet (Urteil vom 16. September 1993 – 2 AZR 120/93 – n.V., zu II 4 c der Gründe), insofern könne einiges dafür sprechen, daß selbst bei unterschiedlichen Verhältnissen in den (Unter-)Branchen historisch gewachsenen Strukturen in den Koalitionen nach dem Industrieverbandsprinzip aufgrund der Tarifautonomie (Artikel 9 Abs. 3 GG) Rechnung zu tragen sei. Auch hieran hält der Senat fest.
aa) Wie der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG und die geschichtliche Entwicklung zeigen, ist die Koalitionsfreiheit in erster Linie ein Freiheitsrecht. Sie gewährleistet die Freiheit des Zusammenschlusses zu Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und die Freiheit der gemeinsamen Verfolgung dieses Zwecks (BVerfGE 4, 96, 106 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG, zu C 2 b der Gründe; 38, 386, 393 = AP Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu B II 1 der Gründe); über beides sollen die Beteiligten selbst und eigenverantwortlich, grundsätzlich frei von staatlicher Einflußnahme, bestimmen. Elemente der Gewährleistung sind die Gründungs- und Beitrittsfreiheit, die Freiheit des Austritts und des Fernbleibens sowie der Schutz der Koalition als solcher (BVerfGE 4, 96, 101 f., 106 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG; 19, 303, 312, 319 = AP Nr. 7 zu Art. 9 GG, zu I 2 der Gründe; 28, 295, 304 = AP Nr. 16 zu Art. 9 GG, zu B II 1 der Gründe) und ihr Recht, durch spezifische koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen (BVerfGE 19, 303, 312 = AP Nr. 7 zu Art. 9 GG, zu I 2 der Gründe, m.w.N.; 28, 295, 304 = AP Nr. 16 zu Art. 9 GG, zu B II 1 der Gründe). Hierzu gehört der Abschluß von Tarifverträgen, durch die die Koalitionen insbesondere Lohn- und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in einem Bereich, in dem der Staat seine Regelungszuständigkeit weit zurückgenommen hat, in eigener Verantwortung und im wesentlichen ohne staatliche Einflußnahme regeln (BVerfGE 44, 322, 340 f. = AP Nr. 15 zu § 5 TVG, zu B II 1 b der Gründe, m.w.N.); damit dient die Koalitionsfreiheit einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens (BVerfGE 4, 96, 107 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG, zu C 2 b bb der Gründe; vgl. auch BVerfGE 18, 18, 27 = AP Nr. 15 zu § 2 TVG, zu B I 2 der Gründe).
bb) Insofern gehört es auch zur koalitionsmäßigen Betätigung in diesem Sinne, daß die Tarifpartner ihren Betätigungsbereich eigenständig abstecken und die von ihnen zu „bedienenden” Branchen selbst festlegen (BAG Beschlüsse vom 17. Februar 1970 – 1 ABR 14/69 – und vom 24. Juli 1990 – 1 ABR 46/89 – AP Nr. 3, 7 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 2 Rz 25 und § 4 Rz 52, 72; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl., § 2 Rz 97; Löwisch/Rieble, TVG, § 2 Rz 87 und § 4 Rz 22, 30). Falls die Arbeitsgerichte hier eingriffen, um für die eine oder andere Unterbranche Zweifel an dem Flexibilitätsbedürfnis für kürzere Kündigungsfristen zu äußern und dementsprechend die Tarifklausel innerhalb des tariflichen Geltungsbereichs differenzierend als verfassungswidrig ansähen, bestünde die Gefahr, die Tarifautonomie zu verletzen. Die Schaffung einer einheitlichen Struktur innerhalb zumindest verwandter Branchen wird durch die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) gedeckt. Letztlich könnte diese Problematik nur nach dem sogenannten Überwiegensprinzip (vgl. z.B. BAGE 4, 37 sowie Urteile vom 19. Dezember 1958 – 1 AZR 55/58 – und vom 2. November 1960 – 1 AZR 251/58 – AP Nr. 4, 6, 8 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG Urteile vom 17. Februar 1971 – 4 AZR 62/70 – und vom 29. Mai 1991 – 4 AZR 524/90 – AP Nr. 8 und 142 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau) entschieden werden: Überwiegt das Flexibilitätsbedürfnis für die meisten Betriebe der Unterbranchen oder jedenfalls für mehr als die Hälfte der von einem Tarifvertrag erfaßten Arbeitnehmer, so gilt dies für die gesamte Branche. Dies aber decken die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts für den vorliegenden Bereich der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie in Nordrhein-Westfalen bei weitem ab, wie oben zu II 2 a bereits ausgeführt worden ist. Außerdem ist auf die statistische Auswertung der Branchenverhältnisse der Metallindustrie in Nordrhein-Westfalen (oben zu II 2 b) zu verweisen.
c) Damit steht fest, daß ein Flexibilitätsbedürfnis im gesamten produktiven Bereich anzuerkennen ist. Das rechtfertigt es, die ganz überwiegend in diesem Bereich eingesetzten Arbeiter im Vergleich zu den Angestellten, was die Grundkündigungsfrist angeht, anders zu behandeln. Hinsichtlich der verlängerten Kündigungsfristen des § 20 Nr. 3 MTV-Metall hat der Senat ohnehin bereits entschieden (Urteil vom 21. März 1991 – 2 AZR 323/84 (A) – BAGE 67, 342 = AP Nr. 29 zu § 622 BGB), diese seien wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG nichtig.
Dabei kann der von der Rechtsprechung des Senats und vom Landesarbeitsgericht verwendete Produktionsbegriff nicht weiter aufgefächert werden, um mit der Herausnahme z. B. der Arbeitsvorbereitung, der Arbeitsstudien, der Qualitätskontrolle usw. eine deutliche Zuordnung dort beschäftigter Arbeitnehmer zum Arbeiter- oder Angestelltenbereich in Zweifel zu ziehen. Selbst wenn inso- fern eine gewisse „Grauzone” bestehen sollte, in der es fließende Übergänge der Zuordnung gibt, hindert dies – jedenfalls in der Metallbranche – nicht die bisher noch „klassische” Zuordnung zum Arbeiter- und Angestelltenbereich. Das Landesarbeitsgericht hat jedenfalls nicht festgestellt, daß etwa die „just in time” – Fertigung oder der sich ausbreitende Einsatz elektronischer Technologien einen durchschlagenden Wandel in der Zuordnung bereits zur Zeit der Kündigung des Klägers aufgrund der Frist gemäß § 20 Nr. 1 MTV Metallindustrie 1988 herbeigeführt haben. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr nach mehreren Ortsbesichtigungen gerade für die Automobilindustrie festgestellt, daß mit der „just in time”-Fertigung und bei Verwendung von Computertechnik eine starke Abhängigkeit in der Produktion von der Auftragslage besteht. Es hat diese Erkenntnis auch (S. 19 der Entscheidungsgründe unter 1.8) ausdrücklich auf „fast alle” Branchenbereiche der Metall- und Elektroindustrie sowie Klein-, Mittel- und Großbetriebe bezogen: Auch hier werde rein auftragsbezogen produziert; bei Konjunkturschwankungen sei ein Ausweichen auf Lagerproduktion heutzutage nicht mehr gegeben. Damit ist das Flexibilitätsbedürfnis im produktiven Bereich hinreichend belegt.
d) Der Senat hat zumindest in diesem Fall (Kündigung im ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit) noch keine Veranlassung, näher auf die Problematik einzugehen, ob angesichts der durch das KündFG neu gezogenen Grenze von 2 Jahren zur Unterscheidung zwischen Grund- und verlängerten Kündigungsfristen daran festgehalten werden kann, daß § 20 MTV-Metall von der historisch begründeten früheren Grenze von 5 Jahren Betriebszugehörigkeit ausgeht. Da diese Grenze auch in dem inzwischen aufgehobenen AngKSchG 1926 für die Angestellten enthalten war, kann sich für Kündigungen vor dem 15. Oktober 1993 eine diskriminierende Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) hieraus nicht ergeben. Der Senat gibt jedoch zu bedenken, ob für Kündigungsfälle bzw. Tarifklauseln, die nach dem 15. Oktober 1993 anfallen, etwas anderes gilt. Zwar kann nach § 622 Abs. 4 BGB n. F. durch Tarifvertrag auch von den neuen gesetzlichen Wartefristen abgewichen werden. Es erscheint jedoch angesichts des Art. 3 Abs. 1 GG problematisch, ohne einleuchtenden, sachlichen Grund für Arbeiter und Angestellte unterschiedliche Wartefristen, die jeweils an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpfen, zu regeln (vgl. dazu bereits Senatsurteil vom 21. März 1991 – 2 AZR 323/84 (A) – BAGE 67, 342, 348, 353 = AP Nr. 29 zu § 622 BGB, zu II 4 und IV der Gründe und vom 21. März 1991 – 2 AZR 616/90 – BAGE 67, 367 = AP Nr. 31, aa0).
Damit zusammen hängt die weitere Frage, ob angesichts der Gleichsetzung von Arbeiter- und Angestelltenkündigungsfristen im neuen § 622 BGB für ältere Tarifverträge – wie den vorliegenden –, bei denen ein branchenspezifisches Bedürfnis nach unterschiedlichen Kündigungsfristen grundsätzlich anzuerkennen ist (vgl. auch die Beispiele unter II 2 b), überhaupt noch an der bisherigen großen Differenz der Kündigungsfristen von 2 Wochen ohne Termin im Vergleich zu 6 Wochen zum Quartalsende, als sachlich begründbar festgehalten werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) muß nicht nur ein die Ungleichbehandlung rechtfertigender Grund vorliegen, sondern die Ungleichbehandlung und der rechtfertigende Grund müssen auch in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Die Bestimmung des § 622 BGB n. F. stellt gemäß dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts eine Konkretisierung des Art. 3 Abs. 1 GG dar, d. h. wenn die Tarifpartner von der Öffnungsklausel des § 622 Abs. 3 BGB a. F. bzw. § 622 Abs. 4 n. F. Gebrauch machen, so dürften sachlich begründete, unterschiedliche Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten hinsichtlich ihrer Diskrepanz an den neuen Vorgaben des KündFG zu messen sein (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 5. August 1971 – 2 AZR 276/70 – BAGE 23, 396 = AP Nr. 10 zu § 622 BGB, am Ende der Gründe; siehe auch Wiedemann/Stumpf, aaO, § 1 Rz 236; Löwisch/Rieble, aaO, Grundl. Rz 31; KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 622 BGB Rz 123). Die Tarifautonomie gilt insofern nicht schrankenlos. Der Senat versteht daher die vorliegende Entscheidung zu einer Tarifregelung des Jahres 1988 und einer Kündigung aus dem Jahre 1990 nur vergangenheitsbezogen.
Unterschriften
Bitter, Bröhl, Böck, Thelen, Mauer
Fundstellen