Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnanspruch während einer Kurzarbeitsperiode
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. – 5 AZR 557/89 –
Normenkette
BGB §§ 615, 812, 242; AFG § 65 Abs. 1 Nr. 2, § 72 Abs. 3 Sätze 1-2; BetrVG 1972 § 87 Abs. 1 Nr. 3 Arbeitszeit
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 14.09.1989; Aktenzeichen 5 Sa 540/89) |
ArbG Ludwigshafen (Urteil vom 05.05.1989; Aktenzeichen 5 Ca 418/88) |
Tenor
1. Die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. September 1989 – 5 Sa 540/89 – werden zurückgewiesen.
2. Die Parteien haben die Kosten ihrer jeweiligen Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin beansprucht für drei Tage (6. April bis 8. April 1988) während einer Kurzarbeitsperiode Lohnzahlung in voller Höhe für 24 Arbeitsstunden. Die Beklagte verlangt im Wege der Widerklage Kurzarbeitergeld zurück, das von der Beklagten an die Klägerin ausbezahlt, aber vom Arbeitsamt nicht erstattet worden ist.
Die Klägerin war bei der Beklagten in deren Zweigwerk B. als Näherin zu einem Stundenlohn von zuletzt 15,– DM brutto beschäftigt. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten beantragte die Beklagte am 26. November 1987 für die Mitarbeiter des Zweigwerkes B. Kurzarbeit beim Arbeitsamt R. Mit Bescheid vom 22. Dezember 1987 wurde die Kurzarbeit vom Arbeitsamt L. für die Zeit vom 3. Dezember 1987 bis 31. Mai 1988 bewilligt.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterliegt dem Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der rheinland-pfälzischen Textilindustrie vom 17. März 1970. Dieser bestimmt in § 2 Ziff. D 10 folgendes:
„Zur Vermeidung von Entlassungen kann Kurzarbeit für den ganzen Betrieb oder für einzelne Betriebsabteilungen, jedoch nicht für einzelne Arbeitnehmer, ohne Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von sieben Tagen nach Vereinbarung mit dem Betriebsrat eingeführt werden. Ist Kurzarbeit durch Umstände veranlaßt, die der Arbeitgeber nicht zu vertreten hat (z.B. höhere Gewalt), beträgt die Ankündigungsfrist drei Tage.”
Am 24. November 1987 war zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat des Werkes B. eine Betriebsvereinbarung zustande gekommen, wonach Kurzarbeit ab 1. Dezember 1987 eingeführt werden sollte. Die einzelnen Kurzarbeitstage wurden durch Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat des Werkes B. im einzelnen später festgelegt. Danach sollte in der Zeit zwischen dem 6. und 8. April 1988 nicht gearbeitet werden. Am 11. März 1988 beschloß die Beklagte, das Werk in B. stillzulegen und informierte davon den Betriebsrat am selben Tag. Am 21. März 1988 vereinbarte sie mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan.
Nachdem die Beklagte dem Arbeitsamt mitgeteilt hatte, daß die Filiale in B. mit Wirkung vom 31. Mai 1988 geschlossen werde, hob das Arbeitsamt L. mit Bescheid vom 30. März 1988 die Bewilligung zur Leistung von Kurzarbeit rückwirkend bis zum 11. März 1988 wieder auf. Dieser Bescheid wurde der Beklagten bzw. dem Betrieb in B. am 5. April 1988 zugeleitet, ohne daß die Beklagte den Betriebsrat des Werkes in B. oder die dort beschäftigten Mitarbeiter hiervon informierte. In der Zeit vom 6. bis zum 8. April 1988 arbeitete die Klägerin entsprechend der zuvor mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarung nicht. Erst mit Wirkung vom 11. April 1988 ließ die Beklagte wieder durchgehend arbeiten.
Die Klägerin verlangt für die Zeit vom 6. bis zum 8. April 1988 trotz Nichtarbeit den vollen Lohn für 24 Arbeitsstunden mit der Begründung, durch den Widerrufsbescheid des Arbeitsamtes sei die Rechtsgrundlage für die Kurzarbeit entfallen und die Beklagte schulde ihr den vollen Lohn aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 315,– DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung und widerklagend beantragt,
die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 552,09 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sie habe sich in der Zeit vom 6. bis zum 8. April 1988 nicht in Annahmeverzug befunden. Mach Erhalt des Widerrufsbescheides am 5. April 1988 habe sie die Arbeitnehmer davon nicht mehr unterrichten können, vor allem auch deswegen, weil sie zu einem erheblichen Teil Grenzgänger mit Wohnsitz in Frankreich beschäftigt habe.
Mit der Widerklage beanspruche sie die Rückzahlung des im Monat März an die Klägerin gezahlten Kurzarbeitergeldes aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung, soweit sie selbst ab 11. März 1988 vom Arbeitsamt keine Erstattung erhalten habe. Insoweit sei der Rechtsgrund für die Zahlung an die Klägerin entfallen.
Die Klägerin wendet sich gegen die Widerklage im wesentlichen mit der Begründung, daß die Rechtsgrundlage für die Zahlung des Kurzarbeitergeldes nicht rückwirkend entfallen sei und der Rückforderung tarifliche Verfallfristen entgegenstünden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in voller Höhe stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte zur Zahlung des Lohnes nur in Höhe des Kurzarbeitergeldes verurteilt und im übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen beide Parteien das mit der Klage und Widerklage verfolgte Ziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten sind nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin in der Zeit vom 6. bis 8. April 1988 Lohn in Höhe des Kurzarbeitergeldes zu zahlen. Ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls in voller Höhe, wie von der Klägerin verlangt, besteht nicht.
1. Zwar hat der Arbeitgeber grundsätzlich das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko zu tragen. Das bedeutet, daß er den Lohn auch dann zahlen muß, wenn die Belegschaft ohne sein Verschulden aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigt werden kann (Betriebsrisiko) oder wenn die Fortsetzung des Betriebes – wie hier – wegen Auftrags- oder Absatzmangels sinnlos wird (Wirtschaftsrisiko). Diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Beklagten entbinden sie folglich nicht von der Erfüllung vertraglicher Pflichten (BAGE 34, 331, 337 = AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu C I 1 a der Gründe).
2. Daraus ergibt sich jedoch im Streitfall kein Anspruch der Klägerin in voller Höhe, wie wenn sie gearbeitet hätte. Das von der Beklagten zu tragende Wirtschaftsrisiko wird durch das Betriebsverfassungsrecht und Arbeitsförderungsrecht gemildert (BAGE 34, 331, 338 = AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu C I 1 b der Gründe). Davon hat die Beklagte in zulässiger Weise Gebrauch gemacht und die betriebliche Arbeitszeit vorübergehend durch Betriebsvereinbarung vom 24. November 1987 verkürzt. Die Rechtsgrundlage hierfür ergibt sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in Verb. mit § 2 Ziff. D 10 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der rheinland-pfälzischen Textilindustrie vom 17. März 1970.
Dadurch war die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum vom 6. bis zum 8. April 1988 von der Arbeitsleistung befreit. Die Beklagte war insoweit von der Verpflichtung entbunden, die Klägerin in diesem Zeitraum zu beschäftigen. Das bedeutet andererseits aber nicht, daß sie gleichzeitig auch vom Wirtschaftsrisiko befreit wäre. Das wird ihr nur insoweit abgenommen, wie der Anspruch der Klägerin sich auf Kurzarbeitergeld beschränkt.
Der Anspruch der Klägerin auf Kurzarbeitergeld, setzt aber voraus, daß sie infolge des Arbeitsausfalls kein Arbeitsentgelt bezieht (§ 65 Abs. 1 Nr. 2 AFG).
3. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitsamt die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld nachzuweisen. Er hat die Leistungen kostenlos zu errechnen und auszuzahlen (§ 72 Abs. 3 Satz 1 und 2 AFG). Das bedeutet aber andererseits nicht, daß die Beklagte auch dann vom Wirtschaftsrisiko während einer Kurzarbeitsperiode befreit bleibt, wenn das Arbeitsamt – wie hier – den Bescheid über die Bewilligung des Kurzarbeitergeldes rückwirkend widerruft. Damit verliert der Arbeitgeber nur eine staatliche Hilfe zur Verringerung seines Wirtschaftsrisikos und dieses lebt zwangsläufig wieder auf. Es ist nicht so, wie die Revision geltend machen will, daß infolge des nachträglichen Verlustes des Anspruchs auf Kurzarbeitergeld der Arbeitnehmer überhaupt keinen Anspruch auf Ersatz seines Verdienstausfalls hätte. Dieser Anspruch ergibt sich aus dem fortbestehenden bzw. wiederaufgelebten Wirtschaftsrisiko der Beklagten.
4. Allerdings kann die Klägerin, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht entschieden hat, ihren Verdienstausfall nur in Höhe des Kurzarbeitergeldes beanspruchen. Sie kann nicht bessergestellt werden, als wenn das Arbeitsamt den Bewilligungsbescheid nicht widerrufen hätte. Der Widerrufsbescheid des Arbeitsamtes hat der Beklagten nur den Anspruch auf Erstattung des Kurzarbeitergeldes genommen, jedoch führt er nicht zum nachträglichen Wegfall der mit dem Betriebsrat vereinbarten Kurzarbeit. Die Betriebsvereinbarung hierüber blieb bestehen. Zwar konnte die Beklagte die früher als vorgesehen beendete Kurzarbeit auch ohne förmliche Aufkündigung der Betriebsvereinbarung einseitig aufheben mit der Folge, daß die betriebliche Arbeitszeit wiederhergestellt wird (BAG Beschluß vom 21. November 1978 – 1 ABR 67/76 – AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu III 4 der Gründe). Da die Beklagte erst am 11. April 1988 zur betriebsüblichen Arbeitszeit und Vollarbeit zurückgekehrt ist, blieb die Betriebsvereinbarung für den davorliegenden streitbefangenen Zeitraum vom 6. bis 8. April 1988 wirksam mit der Folge, daß die Klägerin in Höhe des weggefallenen Anspruchs auf Kurzarbeitergeld Verdienstausfall von der mit dem allgemeinen Wirtschaftsrisiko belasteten Beklagten beanspruchen konnte.
II. Aus diesem Grunde ist die Widerklage der Beklagten auf Rückzahlung des ihr vom Arbeitsamt nicht erstatteten Kurzarbeitergeldes nicht begründet.
Der Beklagten steht ein Anspruch aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung gemäß § 812 BGB wegen nachträglichen Wegfalls der Leistungsvoraussetzungen durch den Widerrufsbescheid nicht zu. Zwar fehlt es damit der Klägerin an einer Rechtsgrundlage für den Bezug des Kurzarbeitergeldes. Mit dem Wegfall dieser Leistung lebt jedoch – wie vorstehend unter I der Entscheidungsgründe dargelegt – der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Verdienstausfalls in Höhe der Kurzarbeiterunterstützung wieder auf. Da dieser Anspruch in der Höhe dem Kurzarbeitergeld entspricht, hat die Beklagte keinen Rückforderungsanspruch. Sie kann von der Klägerin nichts zurückverlangen, was sie in gleicher Höhe aus einem anderen Rechtsgrund schuldet (§ 242 BGB).
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Werner, Fischer
Fundstellen