Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigung Arbeitswilliger im Arbeitskampf (Stadt Dortmund)
Leitsatz (amtlich)
1. Entscheidet sich der Arbeitgeber dafür, einen bestreikten Betrieb (Betriebsteil) nicht stillzulegen, sondern soweit wie möglich aufrechtzuerhalten, so verlieren Arbeitswillige, die dennoch nicht beschäftigt werden, ihren Entgeltanspruch nur, wenn ihre Beschäftigung dem Arbeitgeber infolge des Streiks unmöglich oder unzumutbar wird.
2. Die Alternative einer Stillegung des Betriebs im Umfang des Streikaufrufs bedarf einer Erklärung des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern. Sie hat die Suspendierung der betreffenden Arbeitsverhältnisse zur Folge.
3. An einer Stillegungserklärung fehlt es, solange sich der Arbeitgeber nicht festlegt, sondern die rechtliche Möglichkeit offenhält, die Arbeitsleistung jederzeit in Anspruch zu nehmen.
Normenkette
GG Art. 9 Arbeitskampf; BGB §§ 615, 812, 818 Abs. 3; FeiertagslohnzahlungsG § 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 12.08.1994; Aktenzeichen 18 Sa 1195/93) |
ArbG Dortmund (Urteil vom 26.05.1993; Aktenzeichen 5 Ca 4145/92) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 12. August 1994 – 18 Sa 1195/93 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin auf Arbeitsentgelt für die Zeit eines Arbeitskampfs.
Die gewerkschaftlich nicht organisierte Klägerin ist seit 1991 bei der beklagten Stadt beschäftigt. Bis zum 31. März 1992 war sie im Personalamt tätig. Seit dem 1. April 1992 ist sie Sachbearbeiterin im Straßenverkehrsamt.
Als sich in der Tarifrunde 1992 im öffentlichen Dienst ein Arbeitskampf abzeichnete, richtete die Beklagte am 21. April 1992 an alle Beschäftigten ein Rundschreiben, in dem es hieß:
„… die Verwaltung möchte Sie durch dieses Rundschreiben aus aktuellem Anlaß über Ihre Rechte und Pflichten im Falle eines Arbeitskampfes sowie über die Auswirkungen einer Beteiligung am Arbeitskampf auf Ihr Beschäftigungsverhältnis informieren.
…
A. Recht der Beschäftigten auf Beteiligung an Arbeitskampfmaßnahmen
1.c) Arbeitnehmer/innen, die sich an Arbeitskampfmaßnahmen nicht beteiligen, werden solange wie möglich beschäftigt.
…
B.I. Auswirkungen des Arbeitskampfes auf das einzelne Arbeitsverhältnis
…
2. Arbeitsentgelt, Zuwendung, Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen, Feiertagsvergütung
Für die Dauer der Beteiligung an einer Arbeitskampfmaßnahme einschließlich des Warnstreiks hat der/die Arbeitnehmer/in keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt. Das gilt auch für gewerkschaftlich organisierte oder nicht organisierte Arbeitswillige, die infolge der Arbeitskampfmaßnahme in ihrer Verwaltung nicht beschäftigt werden können (auch z.B. wegen Beeinflussung oder Behinderung durch Streikposten oder Ausfall der Verkehrsmittel).
…
Soweit Arbeitsentgelt bereits für Zeiten gezahlt worden ist, für die kein Entgeltanspruch besteht, sind die Arbeitnehmer/innen zur Rückzahlung verpflichtet.
…”
Am 24. April 1992 wurde bei einer Besprechung der Amtsleiter ein Informationsvermerk über deren Verhalten im Streikfall verteilt. Dort war folgendes bestimmt:
„…
Täglich sind alle Arbeitswilligen zu erfassen (namentlich). Jedes Amt muß in eigener Zuständigkeit festlegen, wo sich die MA/innen bei ihren Vorgesetzten melden können. Es muß davon ausgegangen werden, daß … der Zutritt zu den jeweiligen Dienstgebäuden nicht möglich ist. Deshalb müssen Anlaufstellen außerhalb der Dienstgebäude vereinbart werden. … Die Erfassung dient dazu, … die Arbeitswilligkeit festzustellen. Nach den VKA-Richtlinien ist trotzdem der Lohnabzug vorzunehmen, wenn die Arbeitsaufnahme nicht möglich war.
…
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht am Streik teilnehmen …, müssen sich täglich zum Dienstbeginn bei ihrem Vorgesetzten melden, wenn sie an dem Betreten der Diensträume durch Streikmaßnahmen gehindert werden. Die Ämter haben in eigener Verantwortung zu organisieren und sicherzustellen, daß dies auch möglich ist. Es empfiehlt sich dazu, für jede Abteilung einen Treffpunkt außerhalb der Diensträume zu vereinbaren, wo der zuständige Vorgesetzte diese Meldung von jedem entgegennehmen kann. Dies sollte bis spätestens 9.00 Uhr erfolgen …”
Zwischen der Beklagten und der örtlichen Streikleitung der Gewerkschaft ÖTV war am 16. April 1992 für den Streikfall eine Notdienstvereinbarung abgeschlossen worden. Danach waren im Straßenverkehrsamt zwei Mitarbeiter für den Notdienst vorgesehen.
Vom 27. April bis zum 7. Mai 1992 wurde das Straßenverkehrsamt bestreikt. Die Klägerin nahm am Streik nicht teil. Zur Arbeitsleistung wurde sie aber nicht herangezogen. Zum Notdienst war sie nicht eingeteilt. Durch den Streik wurde der reguläre Geschäftsverkehr im Straßenverkehrsamt vollständig lahmgelegt. Nur die beamteten Mitarbeiter erhielten Zugang zum Dienstgebäude. Die Klägerin hatte zwar einen Sonderausweis der Beklagten, der sie als nicht streikbeteiligte Mitarbeiterin auswies. Sie wurde aber dennoch wie die übrigen arbeitswilligen Angestellten von Streikposten am Betreten des Gebäudes gehindert. An jedem Streiktag trug sich die Klägerin als arbeitswillig in eine Liste ein, die außerhalb des Dienstgebäudes bereitgehalten wurde.
Nachdem die Beklagte die Gehälter für April und Mai 1992 jeweils ungeschmälert ausgezahlt hatte, behielt sie vom Gehalt der Klägerin 239,49 DM brutto im September und weitere 427,27 DM im Oktober 1992 ein. In den Gehaltsabrechnungen war hierzu jeweils „Streikkürzung” vermerkt. Der Gesamtbetrag entspricht dem anteiligen Gehalt für die Zeit vom 27. April bis zum 7. Mai 1992.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, zu diesen Gehaltsabzügen sei die Beklagte nicht befugt gewesen. Die Beklagte habe nicht etwa mit einer völligen Einstellung des Dienstbetriebs auf den Streik im Straßenverkehrsamt reagiert, denn die Beamten hätten weiter ihren Dienst verrichtet. Die Beklagte habe sich während des Streiks im Annahmeverzug befunden. Sie, die Klägerin, habe durch die Eintragung in die Liste der Arbeitswilligen ihre Arbeitskraft ordnungsgemäß angeboten. Ihre Beschäftigung sei auch möglich gewesen, obwohl wegen des Streiks im Straßenverkehrsamt kein Publikumsverkehr stattfand. So hätte sie Nach- und Aufräumarbeiten erledigen können. Auch hätte sie als „Politesse” eingesetzt werden können. Schließlich hätte sie auch zur Arbeit im Personalamt herangezogen werden können; dort sei sie früher beschäftigt worden und deshalb mit den entsprechenden Tätigkeiten noch gut vertraut gewesen. Daß sie das Dienstgebäude nicht habe betreten können, sei ihr nicht zuzurechnen. Die Beklagte hätte den arbeitswilligen Angestellten ohne Schwierigkeiten durch einen Kellereingang oder einen im Erdgeschoß des Gebäudes befindlichen Laden Zugang verschaffen können.
Im übrigen seien die Gehaltsabzüge selbst dann ungerechtfertigt gewesen, wenn für die Zeit des streikbedingten Arbeitsausfalls ein Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht bestanden haben sollte. Sie, die Klägerin, habe die möglicherweise zu Unrecht erhaltenen Beträge im April und Mai 1992 wie üblich für ihren täglichen Bedarf (Miete, Nahrungsmittel) verbraucht.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 666,76 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 15. Oktober 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Meinung ist sie nicht in Annahmeverzug geraten. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, dem Streik entgegenzutreten und den Dienstbetrieb mit Hilfe arbeitswilliger Arbeitnehmer teilweise aufrechtzuerhalten. Eine sinnvolle Beschäftigung der Klägerin im Straßenverkehrsamt sei auch nicht möglich gewesen, da der Publikumsverkehr geruht habe und auch die notwendige Kommunikation mit anderen Stellen unterbrochen gewesen sei. Zu einer tariflich niedriger bewerteten Beschäftigung der Klägerin als Politesse sei sie nicht verpflichtet gewesen. Eine Beschäftigung im Personalamt sei schon deshalb nicht in Betracht gekommen, weil auch dieses bestreikt worden sei. Personalengpässe in anderen Fachverwaltungen hätten nicht bestanden.
Im übrigen habe die Klägerin ihre Arbeitsleistung nur außerhalb des Dienstgebäudes und damit nicht ordnungsgemäß angeboten. Ihr, der Beklagten, sei nicht zumutbar gewesen, der Klägerin gegen den Widerstand von Streikposten Zugang zum Arbeitsplatz zu verschaffen. Hätte sie dies über Seiteneingänge versucht, so wären diese alsbald ebenso von Streikposten blockiert worden. Die Erfassung der arbeitswilligen Arbeitnehmer in Listen, die vor dem Dienstgebäude ausgelegt waren, habe nichts an der Suspendierung der Arbeitspflicht geändert. Sie sei nur vorsorglich erfolgt, weil die Beklagte nicht habe ausschließen können, daß sie Vergütungsansprüche schuldete, soweit die Beschäftigung zumutbar gewesen sein sollte.
Auf den Verbrauch des zuviel gezahlten Gehalts könne sich die Klägerin nicht berufen, da sie bereits durch das Rundschreiben an die Mitarbeiter darüber informiert worden sei, daß sie mit dessen Rückforderung zu rechnen habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung trägt die Abweisung der Klage nicht. An einer abschließenden Entscheidung ist der Senat jedoch gehindert, weil es hierfür noch weiterer Sachaufklärung bedarf.
I. Das Landesarbeitsgericht hat den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit des Arbeitskampfs mit der Begründung verneint, die Beklagte sei mit der Annahme der Arbeitsleistung der Klägerin nicht in Verzug geraten. Die gegenseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis hätten in dieser Zeit geruht. Dem stehe nicht entgegen, daß sich die Klägerin nicht am Arbeitskampf beteiligt habe. Die Suspendierung ergebe sich im Fall der Klägerin daraus, daß sich die Beklagte den Streikmaßnahmen gebeugt und die Stillegung des Straßenverkehrsamts hingenommen habe.
Zusätzlich hat sich das Landesarbeitsgericht darauf gestützt, daß die Klägerin ihre Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß angeboten habe. Ein Arbeitsangebot hätte in den Räumen des Straßenverkehrsamts erfolgen müssen. Die Eintragung in die Liste der Arbeitswilligen, die vor dem Dienstgebäude auslag, reiche nicht aus. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß der Haupteingang des Dienstgebäudes von streikenden blockiert gewesen sei. Die Beklagte sei nämlich nicht verpflichtet gewesen, diesen Widerstand zu brechen und der Klägerin Zugang zum Dienstgebäude zu verschaffen. Es bestehe keine Pflicht des Arbeitgebers, einem Streik eigene Maßnahmen entgegenzusetzen.
Diesen Erwägungen kann der Senat nur teilweise folgen.
II. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß die Beklagte nicht verpflichtet war, dem Streik durch den Versuch entgegenzutreten, den Dienstbetrieb im Straßenverkehrsamt mit Hilfe arbeitswilliger Arbeitnehmer eingeschränkt aufrechtzuerhalten.
1. Wie der Senat erst kürzlich entschieden hat (Urteil vom 22. März 1994 – 1 AZR 622/93 – AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf), ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, einen bestreikten Betrieb oder Betriebsteil so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Er kann ihn vielmehr während des Streiks stillegen mit der Folge, daß die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert werden und auch arbeitswillige Arbeitnehmer ihren Lohnanspruch verlieren. Darauf, ob dem Arbeitgeber die Heranziehung der Arbeitswilligen zur Arbeit möglich und zumutbar ist oder nicht, kommt es in diesem Fall nicht an.
Der Senat ist hierbei von folgenden Erwägungen ausgegangen: Durch den Streik üben die Arbeitnehmer gemeinschaftlich Druck auf den Arbeitgeber aus in der Absicht, diesen vorübergehend an der Weiterführung des Betriebs zu hindern. Am Streik können sich alle, auch die gewerkschaftlich nicht organisierten Arbeitnehmer beteiligen; auch letzteren kommt zumindest faktisch das Ergebnis des Arbeitskampfs zugute. Vor diesem Hintergrund bestimmen sich die Möglichkeiten des Arbeitgebers, auf die gegen ihn gerichteten Streikmaßnahmen zu reagieren. Er kann sich dem Streik beugen und den Betrieb stillegen. Das Arbeitskampfrecht kennt keine Pflicht zur aktiven Abwehr von Kampfmaßnahmen. Angesichts des kollektiven Charakters von Arbeitskämpfen ergibt sich aus dem Arbeitsverhältnis keine Verpflichtung, die arbeitswilligen Arbeitnehmer immer so lange zu beschäftigen, wie dies in den jeweiligen, oft rasch wechselnden Stadien des Streikgeschehens möglich ist und zumutbar erscheint. Der Arbeitgeber braucht seine Einschätzung der Lage nicht nachträglich zu begründen und zu rechtfertigen. Können sich alle Arbeitnehmer am Arbeitskampf beteiligen und profitieren sie auch von seinen Ergebnissen, so müssen sie auch die mit der möglichen Suspendierung ihrer Arbeitsverhältnisse verbundenen Nachteile tragen.
2. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ferner angenommen, daß die Beklagte durch die Ankündigung im Rundschreiben vom 21. April 1992, Arbeitswillige sollten solange wie möglich beschäftigt werden, nicht daran gehindert war, sich dennoch dem Streik zu beugen. Das Rundschreiben diente nach seiner Einleitung nur der Information der Mitarbeiter über die Rechtslage, so wie sie sich der Beklagten damals darstellte. Eine Selbstbindung bezüglich ihres Arbeitskampfverhaltens hat die Beklagte damit erkennbar nicht zum Ausdruck bringen wollen. Hält es der Arbeitgeber aufgrund seiner Bewertung der Streiklage für angebracht, den Kampfmaßnahmen der Belegschaft nachzugeben, dann ist aus seiner Sicht die weitere Beschäftigung Arbeitswilliger nicht mehr möglich. Aus seiner Erklärung, Arbeitswillige würden „solange wie möglich” beschäftigt, können sich daher gegen seinen Willen keine Beschäftigungsansprüche einzelner Arbeitnehmer ergeben. Anders könnte eine Ankündigung dann zu beurteilen sein, wenn sie die Voraussetzungen festlegt, unter denen unabhängig von dem Verlauf eines Arbeitskampfes die Weiterbeschäftigung zugesichert wird. An einer solchen Festlegung fehlt es hier aber.
3. Aus diesen Grundsätzen folgt indessen noch nicht, daß auch im vorliegenden Fall die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zum Ruhen gebracht wurden. Im Fall eines Streiks führt die Nichtbeschäftigung arbeitswilliger Arbeitnehmer nicht immer zu einer Suspendierung ihrer Arbeitsverhältnisse. Der Senat hat in dem angeführten Urteil vom 22. März 1994 (AP, aaO, zu II 3 der Gründe) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Stillegung des Betriebs, die zur Suspendierung der Arbeitsverhältnisse führt, nur eine der möglichen Reaktionen des Arbeitgebers auf die Arbeitsniederlegung ist. Der Arbeitgeber ist frei in seiner Entscheidung darüber, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will. Er kann sich ebensogut dazu entschließen, nicht nachzugeben und den Betrieb wenigstens teilweise mit Hilfe der Arbeitswilligen aufrechtzuerhalten, um damit die Wirkung des Streiks abzuschwächen. In diesem Fall sind nur die Arbeitsverhältnisse derjenigen Arbeitnehmer suspendiert, die sich am Streik beteiligen. Die nicht streikenden Arbeitnehmer bleiben zur Arbeitsleistung verpflichtet und behalten dementsprechend auch ihren Anspruch auf Arbeitsentgelt.
Der Fall, daß sich der Arbeitgeber dem Streik nicht beugt, war mit dem Urteil vom 22. März 1994 nicht zu entscheiden. Insoweit enthält es auch keine Abkehr von den Grundsätzen des Arbeitskampfrisikos, auf die der Senat in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 1993 (– 1 AZR 550/93 – AP Nr. 129 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) zurückgegriffen hat. Danach wird der Arbeitgeber, wenn er sich dem Streik nicht beugt, sondern den Betrieb aufrechtzuerhalten versucht, gegenüber arbeitswilligen Arbeitnehmern von der Verpflichtung zur Zahlung des Arbeitsentgelts nicht nach seinem Belieben frei. Er muß in diesem Fall die Arbeitswilligen zur Arbeitsleistung heranziehen, soweit ihm die Beschäftigung trotz des Arbeitskampfs möglich und zumutbar geblieben ist.
III. Die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts reichen nicht aus für seine Annahme, die Beklagte habe sich dem Streik gebeugt. Das Landesarbeitsgericht hat sich darauf gestützt, daß die Beklagte die Blockade des Haupteingangs des Straßenverkehrsamts hingenommen und sich nicht dagegen gewehrt habe, daß dadurch der Dienstbetrieb lahmgelegt worden sei. Diese Umstände sind aber für sich allein noch nicht ausreichend, die Annahme auszuschließen, die Beklagte habe mit den Arbeitswilligen den Betrieb dennoch möglichst weitgehend aufrechterhalten wollen. Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang nicht gewürdigt, daß die Beklagte ihre Amtsleiter angewiesen hatte, die tägliche Eintragung der Arbeitswilligen in die vor der Dienststelle ausgelegten Listen anzuordnen.
1. Will sich der Arbeitgeber dem Streik beugen und den Betrieb im Umfang des Streikaufrufs einstellen, so muß er dies erklären (Senatsurteil vom 22. März 1994, AP, aaO, zu II 3 c der Gründe). Die Erklärung muß sich an die betroffenen Arbeitnehmer richten, deren Arbeitsverhältnisse dadurch suspendiert werden, während eine Erklärung gegenüber der kämpfführenden Gewerkschaft weder erforderlich noch ausreichend ist. Das ergibt sich daraus, daß es sich nicht um eine Arbeitskampfmaßnahme handelt. Adressaten sind vielmehr die Arbeitnehmer, die Klarheit darüber haben müssen, ob ihre Arbeitspflicht suspendiert ist oder nicht.
Die Erklärung des Arbeitgebers kann auch stillschweigend erfolgen. Macht er freilich nicht hinreichend deutlich, ob er sich dem Streik beugen oder den Betrieb weiterführen will, so ist letzteres anzunehmen. Das gilt auch, wenn der Betrieb zwar zum Erliegen kommt, der Arbeitgeber aber den Eindruck erweckt, er wolle die Arbeitnehmer so bald und so weit wie möglich zur Arbeit heranziehen. In diesem Fall müssen die Arbeitnehmer sich nämlich zur Verfügung halten, solange sie sich nicht dem Streik anschließen, was einer Erklärung von ihrer Seite bedürfte. Deshalb darf der Arbeitgeber keine Unklarheit über seine Reaktion auf den Streik und damit über den aktuellen Stand der beiderseitigen Rechte und Pflichten entstehen lassen.
2. Auf dieser Grundlage wird das Landesarbeitsgericht den Sachverhalt erneut zu würdigen und weitere Feststellungen zu treffen haben.
a) Für eine bewußte Stillegung des Dienstbetriebs im Straßenverkehrsamt spricht zunächst, daß die Beklagte die dort beschäftigten Mitarbeiter mit Ausnahme der Beamten während der Streikdauer tatsächlich nicht zur Arbeit herangezogen hat. Ein weiteres Indiz hierfür könnte vorliegen, falls den Arbeitswilligen von ihren Vorgesetzten bedeutet worden sein sollte, sie könnten mit einer Beschäftigung während des Streiks nicht rechnen und bräuchten daher auch nicht an der Dienststelle zu erscheinen.
Hingegen spräche für die Absicht der Beklagten, den Dienstbetrieb soweit wie möglich aufrechtzuerhalten, wenn die Arbeitswilligen zum täglichen Erscheinen bei Dienstbeginn aufgefordert worden sein sollten. Die Klägerin hat unter Beweisantritt vorgetragen, sie habe eine derartige Anweisung erhalten. Ob die Beklagte gegenüber den arbeitswilligen Mitarbeitern des Straßenverkehrsamts eine solche Anweisung ausgesprochen hat, ist jedoch nicht festgestellt. Das Rundschreiben vom 21. April 1992 enthält keine derartige Verpflichtung, obwohl es doch ausdrücklich der Information über die Rechte und Pflichten der Mitarbeiter im Arbeitskampf dient. Eine Verpflichtung zum Erscheinen könnte jedoch entsprechend dem Informationsvermerk, der in der Besprechung vom 24. April 1992 an die anwesenden Amtsleiter verteilt wurde, durch einen Vorgesetzten ausgesprochen worden sein. Es ist allerdings auch ein Hinweis des Inhalts denkbar, daß die Beklagte ihre arbeitswilligen Mitarbeiter nicht zum Erscheinen verpflichten wollte, sondern die tägliche Eintragung in die Liste lediglich als deren Obliegenheit zur Beweissicherung ansah für den Fall, daß sie Entgeltansprüche geltend machen sollten. Nach der damaligen rechtlichen Einschätzung der Beklagten erschien das nicht ausgeschlossen.
b) Der Annahme, die Beklagte habe sich dem Streik gebeugt, steht nicht entgegen, daß sie die arbeitswilligen Arbeitnehmer möglicherweise nur deshalb nicht zur Arbeit herangezogen hat, weil der Eingang zum Straßenverkehrsamt in rechtswidriger Weise durch Streikposten blockiert war. Es macht hier nämlich keinen Unterschied, ob die Arbeitskampfmaßnahme, der sich der Arbeitgeber beugt, rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Arbeitgeber nicht verpflichtet war, sich gegen eine rechtswidrige Blockade des Betriebs zur Wehr zu setzen, diese etwa gewaltsam brechen zu lassen. Auch bei einer rechtswidrigen Kampfmaßnahme muß der Arbeitgeber frei in der Entscheidung darüber sein, wie er unter Berücksichtigung der gesamten Streiksituation reagieren will. Er kann nicht zu einem Vorgehen verpflichtet sein, das den Arbeitskampf noch verschärft und u.U. die spätere Einigung mit der Gewerkschaft erschwert. Eine derartige Pflicht wäre nicht vereinbar mit dem Ziel des Arbeitskampfs, das im Abschluß eines Tarifvertrags liegt. So hat es der Senat auch in seinem mehrfach angeführten Urteil vom 22. März 1994 nicht als erheblich angesehen, daß die Ein- und Ausfahrten zu dem dort bestreikten Verkehrsbetrieb am ersten Streiktag durch Busse blockiert waren, die die Streikenden dort abgestellt hatten.
c) Ohne Bedeutung für die arbeitskampfrechtliche Würdigung des Verhaltens der Beklagten ist ferner der Umstand, daß die im Straßenverkehrsamt beschäftigten Beamten Zutritt zum Dienstgebäude erhielten. Auch wenn man unterstellt, daß sie dort trotz Abwesenheit der nichtbeamteten Mitarbeiter und trotz fehlenden Publikumsverkehrs während des Streiks ihren Dienst verrichten, kann von einer streikbedingten Teilstillegung des Betriebs auszugehen sein. Beamte haben insoweit außer Betracht zu bleiben, weil der gewerkschaftliche Streikbeschluß sie nicht betrifft. Beamte dürfen sich an einem Streik nicht beteiligen. Will sich der Arbeitgeber einem Streik beugen, indem er den Betrieb einstellt, so kann er dies unter Ausschluß des Arbeitskampfrisikos, also ohne gerichtliche Nachprüfung nur innerhalb des Rahmens tun, den der gewerkschaftliche Streikbeschluß vorgibt (vgl. Senatsurteil vom 22. März 1994, AP, aaO, zu II 3 b der Gründe).
d) Zu klären bleibt danach zunächst, inwieweit die Beklagte von den Arbeitnehmern des Straßenverkehrsamtes verlangt hat, sich während des Arbeitskampfs für Streikarbeit bereitzuhalten. Die entsprechenden Belehrungen und Anweisungen wird das Landesarbeitsgericht feststellen und in ihrer Bedeutung aus der Sicht der Arbeitnehmer würdigen müssen. Sollte es zu dem Ergebnis kommen, daß eine Stillegung des Betriebs nicht beabsichtigt war, sondern die Beklagte sich die Möglichkeit der jederzeitigen Arbeitsaufnahme offenhalten wollte, so würde sich die weitere Frage stellen, inwieweit das tatsächlich möglich und zumutbar war. Nur insoweit konnte die bestreikte Arbeitgeberin in Annahmeverzug geraten (vgl. Senatsurteil vom selben Tage – 1 AZR 161/95 –).
IV. Das Berufungsurteil hält die Klage auf Gehaltszahlung schon deshalb für unbegründet, weil die Klägerin ihre Arbeitskraft nicht ordnungsgemäß angeboten habe. Das Angebot müsse am Arbeitsplatz geschehen, weshalb eine Meldung außerhalb der Dienststelle nicht genüge. Dieser Begründung kann der Senat nicht folgen.
Hat sich die Beklagte dem Streik nicht gebeugt, sondern zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs die Arbeitswilligen angewiesen, sich täglich vor dem Dienstgebäude zu melden und in die Liste einzutragen, so hat die Klägerin ihre Arbeitskraft ordnungsgemäß angeboten. Mit der täglichen Eintragung in die Liste hat sie nämlich genau das getan, was die Beklagte von ihr verlangte. Mehr war nicht erforderlich, um die Arbeitsleistung anzubieten. Unstreitig wurde von den arbeitswilligen Arbeitnehmern nicht erwartet, sich gegen den Widerstand der Streikposten oder auf Schleichwegen Zugang zu ihren Arbeitsplätzen zu verschaffen.
V. War das Arbeitsverhältnis der Klägerin suspendiert, so hat das Landesarbeitsgericht zu Recht auch einen Anspruch der Klägerin auf Arbeitsentgelt für den 1. Mai 1992 nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FeiertagslohnzahlungsG verneint. Ein Anspruch auf Feiertagslohnzahlung besteht nur dann, wenn der Feiertag die alleinige Ursache des Arbeitsausfalls gewesen ist. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn wegen eines Arbeitskampfs nicht gearbeitet wird. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dann der Fall, wenn ein Feiertag in die Zeit eines Arbeitskampfs fällt (z.B. Urteil vom 11. Mai 1993 – 1 AZR 649/92 – AP Nr. 63 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG, zu I 1 der Gründe). So verhält es sich hier, wenn sich die Beklagte dem Streik gebeugt hat. Das Straßenverkehrsamt wurde vom 27. April bis zum 7. Mai 1992 ohne Unterbrechung bestreikt.
VI. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht schließlich erkannt, daß im Fall der Suspendierung des Arbeitsverhältnisses dem Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung des zuviel geleisteten Arbeitsentgelts bereicherungsrechtliche Einwendungen nicht entgegenstehen.
1. Soweit sich die Klägerin in den Vorinstanzen darauf berufen hatte, einem Erstattungsanspruch habe nach § 814 BGB schon der Umstand entgegengestanden, daß die Beklagte das Gehalt für die Zeit des Arbeitskampfs in Kenntnis der Nichtschuld geleistet habe, hat sie diese Behauptung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat fallengelassen.
2. Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg einwenden, sie habe das zuviel erhaltene Arbeitsentgelt sofort ausgegeben und sei deshalb nicht mehr bereichert.
Das Landesarbeitsgericht hat darauf abgestellt, daß § 818 Abs. 3 BGB nur den gutgläubigen Empfänger schütze, die Klägerin aber durch das Rundschreiben vom 21. April 1992 bereits darüber informiert gewesen sei, daß sie das zuviel erhaltene Arbeitsentgelt zurückzuzahlen habe. Jedoch erscheint zweifelhaft, ob dieser Hinweis tatsächlich ausreichte, um eine Berufung der Klägerin auf § 818 Abs. 3 BGB auszuschließen. Hierfür wird die positive Kenntnis eines Mangels des rechtlichen Grundes gefordert, bloße Zweifel können die verschärfte Haftung des Bereicherten nicht auslösen (BAGE 69, 324, 331). Die Voraussetzungen, unter denen Arbeitswillige im Arbeitskampf Anspruch auf Arbeitsentgelt haben, waren aber keineswegs eindeutig geklärt.
Die Frage kann hier indessen dahinstehen. Eine mögliche Bereicherung der Klägerin durch rechtsgrundlosen Empfang des Gehalts ist nicht weggefallen. Sie besteht fort, wenn der Bereicherungsschuldner mit der Ausgabe des Erlangten anderweitige Aufwendungen erspart (BAG Urteil vom 12. Januar 1994 – 5 AZR 597/92 – AP Nr. 3 zu § 818 BGB, zu B III 2 der Gründe). Hier hat die Klägerin nach ihrem Vortrag die Gehaltsüberzahlungen wie üblich für ihren täglichen Bedarf (Miete, Nahrungsmittel) verbraucht und damit die entsprechenden Aufwendungen erspart. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Prüfung, ob die Beklagte als öffentliche Arbeitgeberin möglicherweise einer Selbstbindung unterliegt, wonach eine Entreicherung von Arbeitnehmern der unteren und mittleren Einkommensgruppen immer dann zu unterstellen ist, wenn die zuviel gezahlten Bezüge 10 % der für den Zeitraum zustehenden Gesamtbezüge nicht übersteigen (vgl. BAGE 53, 77 = AP Nr. 5 zu § 812 BGB). Im hier maßgeblichen Zeitraum vom 27. April bis zum 7. Mai 1992 hätte die Klägerin im Fall der Suspendierung des Arbeitsverhältnisses 100 % ihres Gehalts rechtsgrundlos erhalten.
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, Peter Berg, Rösch
Fundstellen
BAGE, 265 |
BB 1995, 1544 |
NJW 1996, 1229 |
JR 1996, 264 |
NZA 1996, 214 |