Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragliche vorgesetzliche Unverfallbarkeit. Vorgesetzliche Unverfallbarkeit Auslegung von Versorgungsvereinbarungen Unklarheitenregel Wartezeit Aufhebung einer Versorgungsanwartschaft Änderung von Versorgungsregelungen Abfindungsverbot Rechtsstaatsprinzip, echte Rückwirkung rechtliches Gehör Betriebliche Altersversorgung
Leitsatz (amtlich)
Erklärte eine Versorgungsordnung die Betriebsrentenanwartschaften nur dann für unverfallbar, wenn der Arbeitnehmer 15 Dienstjahre zurückgelegt und das 45. Lebensjahr vollendet hatte, und erreichte der Arbeitnehmer bei seinem Ausscheiden vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes zwar die vorgesehene Betriebszugehörigkeit von 15 Jahren, aber weder das vorgeschriebene Mindestalter noch eine Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren, so ist seine Versorgungsanwartschaft auch unter Berücksichtigung der vorgesetzlichen Rechtsfortbildung des Senats verfallen.
Orientierungssatz
- Auch nach Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes kann die Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften nicht im Wege weiterer Rechtsfortbildung bei einer Betriebszugehörigkeit von weniger als 20 Jahren bejaht werden.
- Der Arbeitnehmer kann nicht verlangen, daß er sowohl gegenüber den Regelungen der Versorgungsordnung als auch gegenüber der vorgesetzlichen Rechtsfortbildung des Senats besser gestellt wird. Hatte der Arbeitnehmer bei seinem Ausscheiden vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes weder das in der Versorgungsordnung vorgesehene Mindestalter noch eine Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren erreicht, so ist seine Versorgungsanwartschaft verfallen.
- Die Wartezeit ist von der Unverfallbarkeit zu unterscheiden und eine zusätzliche Voraussetzung für den Anspruch auf Betriebsrente.
- Die Arbeitsvertragsparteien können, solange eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ansteht, Versorgungsanwartschaften einschränken und aufheben. Das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG steht nicht entgegen.
- Verweist eine Versorgungszusage auf die “jeweils gültige” Versorgungsordnung, so kommt es für die Unverfallbarkeit auf die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltende Versorgungsordnung an, es sei denn spätere Unverfallbarkeitsregelungen werden mit echter Rückwirkung in Kraft gesetzt.
- Der Arbeitgeber ist bei Abschluß eines Arbeitsvertrages oder einer Betriebsvereinbarung nicht gehindert, zu seinen Lasten Vereinbarungen mit echter Rückwirkung zu treffen.
Normenkette
BetrAVG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung § 1 Abs. 1; BetrAVG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung § 3; BetrAVG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung § 26; BetrAVG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung § 32; BGB §§ 133, 139, 157, 162, 628 Abs. 2; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1; ArbGG § 73; ZPO § 550
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes vorzeitig ausgeschiedene Kläger von der Beklagten eine Betriebsrente verlangen kann.
Der Kläger ist am 3. März 1932 geboren. Er war vom 1. Januar 1958 bis 31. Dezember 1973 bei Rechtsvorgängerinnen der Beklagten beschäftigt. Die ihm erteilte Versorgungszusage vom 29. Dezember 1960 lautete wie folgt:
“ wir bestätigen hiermit, daß Ihre Pension jährlich 50 % von 13 Monatsgehältern beträgt. Der Anspruch auf diese Höchstpension entsteht nach Vollendung des fünften Dienstjahres in unserer Firma. Berechnungsgrundlage wird ihr letztes Gehalt vor der Pensionierung sein.
Die Auszahlung der Pension wird monatlich mit je 1/12 des Gesamtbetrages erfolgen.
Für alle sonstigen Regelungen gelten die Bestimmungen des Pensionsvertrages.”
Mit Schreiben vom 15. Januar 1962 bestätigte die Arbeitgeberin, daß die am 29. Dezember 1960 gegebene “Sonderzusage innerhalb unseres Pensionsvertrages rechtsverbindlichen Charakter” habe. Am 9. September 1968 schlossen die Parteien einen “das bisherige Vertragsverhältnis neu regelnden Anstellungsvertrag”. Dessen § 8 enthält folgende Vereinbarung zur Altersversorgung:
“ Der 'Pensionsvertrag des Hauses B' in der jeweils gültigen Fassung gilt als Bestandteil dieses Anstellungsvertrages mit der Sonderzusage, daß die Wartezeit gemäß § 3 der derzeit gültigen Fassung nicht zehn, sondern nur fünf anrechnungsfähige Dienstjahre beträgt. Die Rentenhöhe errechnet sich nicht aus der dem Pensionsvertrage beigefügten Aufstellung, sondern beträgt im Sinne des Herrn S am 29.12. 1960 übermittelten Schreibens 50 % von 13 Monatsgehältern in der zuletzt bezogenen Höhe.
Die Pension kommt monatlich mit einem Zwölftel des jährlichen Gesamtbetrages zur Auszahlung.”
Der Kläger kündigte sein Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Dezember 1973. Bei seinem Ausscheiden galt der im Dezember 1969 unterzeichnete Pensionsvertrag in der Fassung von Oktober 1971 (PV 71), bei dem es sich um eine Gesamtbetriebsvereinbarung handelte. Darin heißt es:
“ § 1 Anspruchsberechtigung
Ein Anspruch auf Leistungen aufgrund dieses Vertrages besteht für Firmenangehörige, die bei Beginn ihres Arbeitsverhältnisses das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und bei Eintritt des Versorgungsfalles in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis zur Firma gestanden oder eine unverfallbare Anwartschaft gemäß § 8 erworben haben…
§ 8 Ausscheiden vor Fälligkeit einer Versorgungsleistung
- Firmenangehörige, die 15 anrechnungsfähige Dienstjahre abgeleistet und das 45. Lebensjahr vollendet haben, behalten im Falle des Ausscheidens durch eigene Kündigung oder bei Kündigung durch die Firma eine unverfallbare Anwartschaft auf Alters- und/oder Hinterbliebenenrente, nicht aber eine solche auf Invalidenrente. Die aufgrund einer solchen Anwartschaft zu gewährende Rente berechnet sich aus dem Verhältnis der tatsächlichen Dienstzeit bis zum Ausscheiden zur möglichen Dienstzeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres eines männlichen bzw. des 60. Lebensjahres eines weiblichen Firmenangehörigen.”
Nach dem Ausscheiden des Klägers wurden im September 1984 und am 28. Februar 1986 neue Pensionsverträge (PV 84 und PV 86) mit dem Konzernbetriebsrat geschlossen. § 17 Nr. I PV 84 und § 16 PV 86 regeln die Unverfallbarkeitsvoraussetzungen in Anlehnung an § 1 Abs. 1 BetrAVG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (BetrAVG aF). § 23 PV 84 enthält folgende Inkrafttretensvorschrift:
“Diese geänderte Fassung des Pensionsvertrages tritt mit Wirkung vom 1. Oktober 1984 in Kraft. Versorgungsfälle, die vor diesem Zeitpunkt eingetreten sind, werden nach den bisher gültigen Bestimmungen abgewickelt.”
Die Inkrafttretensvorschrift des § 22 PV 86 lautet:
“Diese Fassung des Pensionsvertrages tritt ab 1. Juli 1986 in Kraft und gilt für Firmenangehörige, deren festes Anstellungsverhältnis von diesem Zeitpunkt an beginnt bzw. wieder beginnt.”
Der Kläger, der am 3. März 1997 sein 65. Lebensjahr vollendete, hat von der Beklagten für April 1997 eine betriebliche Altersrente verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, nach der Sonderzusage vom 29. Dezember 1960 sei seine Versorgungsanwartschaft bereits nach Vollendung von fünf Dienstjahren unverfallbar geworden. Im Anstellungsvertrag vom 9. September 1968 habe er nicht auf die bereits erworbene unverfallbare Versorgungsanwartschaft verzichtet. Ebensowenig sei die Versorgungszusage vom 29. Dezember 1960 aufgehoben worden. Würde die in § 8 des Anstellungsvertrages vom 9. September 1968 enthaltene Jeweiligkeitsklausel auch für die Unverfallbarkeit gelten, so wäre § 17 PV 84 anzuwenden. Die Unverfallbarkeitsvoraussetzungen dieser Vorschrift erfülle er. Selbst wenn es auf die Regelungen des PV 71 ankomme, würde sich nichts ändern. § 1 iVm. § 8 PV 71 regele nicht, wann eine Versorgungsanwartschaft verfalle, sondern nur, welcher Arbeitnehmer eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft behalte. Diese Unvollständigkeit und Unklarheit gehe zu Lasten der Beklagten. Im übrigen habe der PV 71 die Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft nicht davon abhängig machen können, daß der Arbeitnehmer 15 Dienstjahre zurückgelegt und außerdem das 45. Lebensjahr erreicht habe. Die Altersgrenze halte einer Billigkeitskontrolle nicht stand. Da der Kläger das Arbeitsverhältnis wegen vertragswidrigen Verhaltens der Beklagten gekündigt habe, müsse ihn die Beklagte zumindest auf Grund ihrer Schadensersatzpflicht so stellen, als sei seine Anwartschaft unverfallbar geworden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Betriebsrente für April 1997 in Höhe von 993,63 DM brutto nebst 4 % Jahreszinsen aus diesem Bruttobetrag seit dem 1. Mai 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, für die Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft des Klägers komme es auf die Regelungen des PV 71 an. Das darin vorgeschriebene Mindestalter habe der Kläger nicht erreicht. Das Erlöschen seiner Versorgungsanwartschaft sei rechtens. Das Mindestalter habe nicht durch Billigkeitskontrolle und Rechtsfortbildung von 45 Jahren auf 40 Jahre herabgesetzt werden können. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes sei die Versorgungsanwartschaft des Klägers erloschen, denn er habe keine Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren erreicht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger eine Betriebsrente zu zahlen.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Kaiser
Die Amtszeit des Ehrenamtlichen Richters Arntzen ist abgelaufen. Reinecke
Fundstellen
BB 2002, 2288 |
DB 2002, 2335 |
NWB 2002, 3114 |
ARST 2003, 66 |
FA 2002, 324 |
SAE 2002, 299 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 22 |
EzA |
AUR 2002, 397 |
BAGReport 2002, 347 |