Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsanwartschaft bei vorzeitiger Höchstrente
Leitsatz (amtlich)
1. Scheidet ein Arbeitnehmer vor Eintritt eines Versorgungsfalles mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis aus, so ist seine Anwartschaft auch dann ratierlich nach § 2 BetrAVG zu kürzen, wenn er nach den Steigerungssätzen der maßgebenden Versorgungsregelung im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Eintritt eines Versorgungsfalles nach der Versorgungsordnung bereits die Höchstrente hätte beanspruchen können.
2. Der Arbeitnehmer ist für eine hiervon abweichende, ihm günstigere Zusage darlegungs- und beweispflichtig.
Normenkette
BetrAVG §§ 1-2; BGB § 242; ZPO § 256
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 30.08.1982; Aktenzeichen 4 Sa 59/82) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 10.03.1982; Aktenzeichen 9 Ca 330/81) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 30. August 1982 – 4 Sa 59/82 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin ist die Witwe und Alleinerbin ihres im Laufe des Revisionsverfahrens verstorbenen Ehemannes. Dieser war von Beruf Funkoffizier. Er trat am 2. April 1954 in die Dienste der D. GmbH & Co., gesetzlich vertreten durch die D. GmbH. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund eines Aufhebungsvertrages vom 24. Juli 1980, weil die Reederei „bedingt durch Schiffsverkäufe und Umstrukturierung der Flotte” den Personalbestand verringern wollte. Aufgrund eines Sozialplanes erhielt er eine Abfindung in Höhe von 45.000,– DM. Bei seinem Ausscheiden war er 58 Jahre alt. Er bezog eine Rente aus der Seekasse.
Die Reederei gewährt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch eine Unterstützungskasse, den Beklagten. Altersrenten werden gewährt, wenn Betriebsangehörige nach einer Wartezeit von zehn Jahren mit Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand treten oder mit dem 63. Lebensjahr von der flexiblen Altersgrenze Gebrauch machen. Ferner erhalten sie Invalidenrente bei Eintritt der Berufsunfähigkeit. Funkoffiziere gehören zur Leistungsgruppe III; sie erhalten die Höchstrente von 170,– DM nach einer 20-jährigen Dienstzeit. Die Witwenrente beträgt 60 v.H. der Altersrente.
Unter dem Datum vom 24. Juli 1980 erteilte der Beklagte dem Ehemann der Klägerin eine Bescheinigung über seine aufrechterhaltene Versorgungsanwartschaft. Diese berechnete er auf 316/364 der Vollrente, also 148,– DM. Dabei ging der Beklagte davon aus, daß die Altersgrenze das 63. Lebensjahr sei.
Der Ehemann der Klägerin hat die Rechtsauffassung vertreten, der Beklagte habe ihm bei Eintritt des 63. Lebensjahres eine Rente in Höhe von 170,– DM zahlen müssen, da er bereits die Wartezeit für die Höchstrente zurückgelegt habe. Er hat behauptet, daß ihm der Prokurist W. zugesagt habe, ihm würden durch sein Ausscheiden keine Nachteile irgendwelcher Art. entstehen. Das habe er auch auf seine Altersversorgung bezogen.
Der Ehemann der Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß ihm nach Vollendung des 63. Lebensjahres eine Betriebsrente von 170,– DM monatlich zu zahlen sei, soweit der Leistungsplan der Unterstützungseinrichtung der D. e.V. in der zur Zeit geltenden Fassung wirksam bleibe.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, daß die Versorgungsanwartschaft nach der ratierlichen Berechnungsmethode des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) zutreffend berechnet sei. Weitergehende Zusagen habe der Prokurist W. nicht erteilt und auch mangels Vertretungsmacht nicht erteilen dürfen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Feststellung begehrt, daß ihrem Ehemann eine Versorgungsanwartschaft in Höhe von 170,– DM zugestanden hat.
Entscheidungsgründe
I. Die Klägerin ist entgegen der Auffassung des Beklagten aus prozessualen Gründen nicht gehindert, die von ihrem verstorbenen Ehemann eingeleitete Klage als Rechtsnachfolgerin weiter zu verfolgen.
1. Die Klägerin hat in der Revisionsinstanz ihren Klageantrag klargestellt. Sie begehrt nunmehr Feststellung, daß die ihrem Ehegatten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustehende Versorgungsanwartschaft nicht ratierlich gekürzt werden dürfe. Daher hat sich am Streitgegenstand nichts geändert.
2. An der begehrten Feststellung hat die Klägerin auch ein rechtliches Interesse (§ 256 ZPO). Allerdings hat sie aus der Versorgungsordnung des Beklagten einen eigenen, schon jetzt verfolgbaren Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung. Insoweit enthält die Versorgungsordnung einen Vertrag (§ 328 BGB) zu ihren Gunsten (BAG 19, 100, 103 = AP Nr. 116 zu § 242 BGB, zu I der Gründe). Der Beklagte übersieht jedoch, daß die Berechnung des Versorgungsanspruches der Klägerin davon abhängt, in welcher Höhe die Versorgungsanwartschaft ihres Ehemanns bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufrechterhalten wurde. Es führte zu einer unnützen Prozeßhäufung, wenn das Gericht die Klägerin darauf verweisen wollte, ihre Ansprüche erst wieder in der ersten Instanz anhängig zu machen und den Instanzenzug erneut zu durchlaufen.
II. In der Sache ist die Revision nicht begründet. Der Beklagte brauchte dem Ehemann der Klägerin bei seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit der D. GmbH & Co. nur eine Versorgungsanwartschaft in Höhe von 148,– DM aufrecht zu erhalten.
1. Der Verstorbene hatte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch keine Ruhegeldansprüche gegen den Beklagten. Nach dessen Leistungsordnung werden Versorgungsrenten an die Arbeitnehmer des Trägerunternehmens gezahlt, wenn sie nach einer Wartezeit von zehn Jahren die Altersgrenze erreicht haben oder berufsunfähig geworden sind. Beide Versorgungsfälle lagen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch nicht vor. Der Ehemann der Klägerin war zu diesem Zeitpunkt erst 58 Jahre und nicht berufsunfähig. Hieran ändert auch nichts die Tatsache, daß er eine Rente von der Seekasse erhielt. Denkbar ist, daß diese auch dann Renten zahlt, wenn ein Fall der Berufsunfähigkeit noch nicht vorliegt.
2. Der Ehemann der Klägerin besaß bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft, aufgrund deren er bei Eintritt eines Versorgungsfalles eine Versorgungsrente von dem Beklagten hätte beanspruchen können und aus der sich heute die Witwenrentenansprüche berechnen.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG behält ein Arbeitnehmer seine Versorgungsanwartschaft, wenn ihm Leistungen der betrieblichen Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlaß seines Arbeitsverhältnisses zugesagt worden sind und sein Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles endet, sofern er in diesem Zeitpunkt mindestens das 35. Lebensjahr vollendet hat und die Versorgungszusage für ihn mindestens zehn Jahre bestanden hat oder der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens zwölf Jahre zurückliegt und die Versorgungszusage für ihn mindestens drei Jahre bestanden hat. Diese Voraussetzungen erfüllte der Ehemann der Klägerin. Das Landesarbeitsgericht hat allerdings nicht festgestellt, wann der Beklagte zur Versorgung der Arbeitnehmer des Trägerunternehmens errichtet worden ist. Indes konnte der bei seinem Ausscheiden 58 Jahre alte Verstorbene auf eine 26-jährige Betriebszugehörigkeit zurückblicken. Die Versorgungsordnung ist ersichtlich älter als drei Jahre.
3. Die Berechnung des Wertes der aufgrund des Gesetzes unverfallbaren Versorgungsanwartschaft richtet sich nach § 2 BetrAVG, sofern keine für den Arbeitnehmer günstigeren Regelungen getroffen worden sind.
a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG richtet sich der Wert der für den Arbeitnehmer aufrecht erhaltenen Versorgungsanwartschaft nach dem Verhältnis der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu der Zeit vom Beginn der Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres. Nur dann tritt anstelle des 65. Lebensjahres ein früherer Zeitpunkt, wenn dieser in der Versorgungsregelung als feste Altersgrenze vorgesehen worden ist. Der Zweck dieser Regelung besteht darin, dem Arbeitnehmer eine Rente zu sichern, die dem Verhältnis der erbrachten Betriebstreue zu der rechtlich möglichen Betriebstreue entspricht. Diese Berechnung ist auch dann maßgebend, wenn der Arbeitnehmer nach dem Leistungsplan der Versorgungseinrichtung im Zeitpunkt seines Ausscheidens die zahlbare Höchstrente bereits verdient hat (BAG Urteil vom 21. Juni 1979 – 3 AZR 806/78 – AP Nr. 1 zu § 2 BetrAVG m. zust. Anm. von Höfer/Kemper; Blomeyer/Otto, BetrAVG, § 2 Rz 19; Höhne bei Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, BetrAVG, Bd. 1, 2. Aufl., § 2 Rz 107 ff.; Höfer/Abt, BetrAVG, Bd. 1, 2. Aufl., § 2 Rz 9). Dies ergibt sich daraus, daß die Betriebsrente für die rechtlich mögliche Gesamtdauer der Beschäftigung bezahlt wird. Diese ist aber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt eines Versorgungsfalles kürzer.
Unter Berücksichtigung der Berechnungsgrundsätze des § 2 Abs. 1 BetrAVG läßt der von dem Beklagten ermittelte Wert der aufrecht zu erhaltenden Versorgungsanwartschaft keine Fehler zum Nachteil der Klägerin erkennen. Der Beklagte hat den Verhältniswert zwischen erreichter und erreichbarer Betriebszugehörigkeit ermittelt. Dabei ist er allerdings bereits vom 63. Lebensjahr ausgegangen. Hierdurch wurde der Ehemann der Klägerin aber nur begünstigt.
b) Das Landesarbeitsgericht hat keine im Vergleich zu § 2 Abs. 1 BetrAVG für die Klägerin günstigere Vereinbarung über die Berechnung der Versorgungsanwartschaft festgestellt. Hieran ist der Senat gebunden (§ 561 Abs. 2 ZPO). Verfahrensrügen (§ 554 Abs. 3 ZPO) sind von der Klägerin nicht erhoben. Die Behauptung, der Prokurist W. habe bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklärt, ihrem Ehemann solle durch die vorzeitige Auflösung kein Nachteil erwachsen, reicht für die Annahme einer weitergehenden Zusage nicht aus. Eine solche Erklärung konnte nicht ein Vertrauen darauf begründen, daß auch bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine ungekürzte Betriebsrente gezahlt werde. Das Trägerunternehmen des Beklagten hat durch einen Sozialplan auftretende Härten zu mildern versucht. Wenn eine vom Gesetz abweichende Berechnung der Betriebsrenten zugesagt werden sollte, hätte dies deutlicher geschehen müssen.
c) Ebensowenig vermag sich die Klägerin darauf zu berufen, der Beklagte oder sein Arbeitgeber hätten ihrem verstorbenen Ehemann durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses die weitere Arbeitsleistung unmöglich gemacht, so daß dieser so gestellt werden müsse, als ob er bis zum Eintritt eines Versorgungsfalles bei dem Trägerunternehmen des Beklagten beschäftigt gewesen wäre. Durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlittene Nachteile sollten ersichtlich durch die dem Ehemann der Klägerin gewährte Sozialplanabfindung ausgeglichen werden.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Griebeling, Kunze, Dr. Hromadka
Fundstellen