Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitnehmers
Normenkette
BGB §§ 611, 254, 280, 286, 823; AKB § 15 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Februar 1988 – 10 Sa 503/87 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger betrieb bis zum Jahre 1985 ein Taxi- und Mietwagenunternehmen. Der Beklagte war vom 25. Juli bis 4. August 1985 bei dem Kläger als Aushilfsfahrer beschäftigt. Schon vorher war er seit Jahren als Taxifahrer tätig gewesen.
In der Nacht vom 3. auf den 4. August 1985 war der Beklagte mit einem Taxi des Klägers unterwegs. Gegen 2.45 Uhr stieß er auf der Kreuzung zweier Landstraßen unter Nichtbeachtung der Vorfahrt (Zeichen 206 „Stop”) mit einem anderen PKW zusammen. An dem Fahrzeug des Klägers entstand Totalschaden.
Der Kläger hat von dem Beklagten Schadenersatz verlangt. Er hat vorgetragen, der Beklagte habe grob fahrlässig gehandelt, da er in die Kreuzung eingefahren sei, ohne an dem Stop-Schild anzuhalten. Aus seiner Tätigkeit als Taxifahrer sei ihm die Kreuzung bekannt gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 9.425,– DM nebst 8 % Zinsen seit dem 25. Juni 1986 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat behauptet, an dem Stop-Schild angehalten zu haben. Erst beim Anfahren sei es zur Kollision gekommen. Er habe das vorfahrtsberechtigte Fahrzeug übersehen, weil er zum Unfallzeitpunkt wegen der langen Dienstzeit übermüdet gewesen sei. Außerdem müsse der Kläger sich entgegenhalten lassen, daß der Unfallwagen nicht vollkaskoversichert gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 8.603,– DM stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Der Beklagte muß den am Fahrzeug des Klägers entstandenen Schaden in Höhe von 8.603,– DM ersetzen.
I. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, ist der Beklage aus positiver Forderungsverletzung (§§ 280, 286 BGB analog) und unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 1 BGB) zum Schadenersatz verpflichtet.
II. Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß der Beklagte für den Schaden voll einstehen muß. Trotz gefahrgeneigter Arbeit kommt eine Haftungserleichterung zugunsten des Beklagten nicht in Betracht.
1. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß der Beklagte beim Führen des Taxis eine gefahrgeneigte Arbeit ausübte. Das Berufungsgericht ist damit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt, nach der die Arbeit eines Kraftfahrers in der Regel gefahrgeneigt ist, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen können (vgl. BAGE 42, 130 = AP Nr. 82 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers und BAGE 44, 170 = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Solche Umstände sind nicht ersichtlich.
2. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe den Unfall grob fahrlässig verursacht.
a) Der Begriff des Verschuldens und der der einzelnen Arten des Verschuldens, wie einfache oder grobe Fahrlässigkeit, sind Rechtsbegriffe (vgl. BGHZ 10, 14, 16 und 10, 69, 74). Die Feststellung ihrer Voraussetzungen liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, wobei dem Tatrichter ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zusteht. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteile vom 13. März 1968 – 1 AZR 362/67 – und vom 7. Juli 1970 – 1 AZR 505/69 – AP Nr. 42 und 58 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers und BAGE 23, 151 = AP Nr. 63 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).
Dieser eingeschränkten Nachprüfung hält die Entscheidung des Berufungsgerichts stand.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß grobe Fahrlässigkeit eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Maßes voraussetzt; es muß eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung gegeben sein. Diese Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteile vom 13. März 1968 – 1 AZR 362/67 –; vom 22. Februar 1972 – 1 AZR 223/71 – und vom 20. März 1973 – 1 AZR 337/72 – AP Nr. 42, 70 und 72 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).
bb) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht darauf abgestellt, daß der Beklagte das Stop-Schild mißachtete und die Vorfahrt des mit Abblendlicht fahrenden, zum Abbiegen mit Blinklicht eingeordneten PKW übersah. Es hat weiter zu Recht zu Lasten des Beklagten berücksichtigt, daß die Straßenbeleuchtung eingeschaltet war, keine Sichtbehinderung bestand und der Beklagte ortskundig und ein erfahrener Taxifahrer ist.
b) Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Sie rügt, daß das Landesarbeitsgericht aus der Drehung des gegnerischen Fahrzeugs um 180 Grad den Schluß gezogen habe, der Beklagte habe nicht an dem Stop-Schild angehalten, sondern sei ohne anzuhalten in die Kreuzung eingefahren. Die Rüge greift schon deshalb nicht durch, weil es nicht ausreichen würde, daß der Beklagte vor dem Zusammenstoß angehalten hatte. Entscheidend ist, daß durch sein Fehlverhalten der Unfall verursacht wurde, obwohl er durch das Zeichen 206, das ein unbedingtes Haltgebot beinhaltet, auf die Gefährlichkeit der Kreuzung hingewiesen worden war und deshalb nur hätte weiterfahren dürfen, nachdem er übersehen konnte, daß er den vorfahrtsberechtigten Verkehr nicht gefährdete (§ 8 Abs. 2 Satz 2 StVO). Diese schwere Vorfahrtsverletzung rechtfertigt unter Berücksichtigung der übrigen Umstände den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit.
Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß das Verschulden nicht deshalb milder beurteilt werden kann, weil der Beklagte im Unfallzeitpunkt betriebsbedingt ermüdet war. Nach den nicht angefochtenen tatsächlichen Feststellungen hatte der Beklagte die vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten. Tatsachen dafür, daß das Verhalten des Beklagten aus anderen Gründen im Verhältnis zum Kläger nicht als grob fahrlässig zu beurteilen ist (etwa vom Kläger zu vertretender Leistungsdruck), sind nicht festgestellt.
3. Wegen seines grob fahrlässigen Verschuldens haftet der Beklagte aus unerlaubter Handlung und schuldhafter Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten trotz gefahrgeneigter Arbeit für den ganzen Schaden (vgl. Urteil des Senats vom 24. November 1987, BAGE 57, 55 = AP Nr. 93 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, zu B II 3 der Gründe, m.w.N.). Umstände, die eine Haftungserleichterung trotz grober Fahrlässigkeit rechtfertigen könnten (vgl. Urteil des Senats vom 12. Oktober 1989 – 8 AZR 276/88 – zu II 2 b der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen), sind weder festgestellt noch ersichtlich.
4. Entgegen der Ansicht der Revision ist die Haftung des Beklagten auch nicht auf den Betrag einer Kaskoselbstbeteiligung beschränkt, weil der Kläger es unterlassen hatte, eine Fahrzeugversicherung abzuschließen (vgl. dazu Urteil des Senats vom 24. November 1987, BAGE 57, 47 = AP Nr. 92 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Bei grober Fahrlässigkeit ist der Rückgriff der Kaskoversicherung gegen den Fahrer nicht ausgeschlossen (vgl. § 15 Abs. 2 AKB). Eine von dem Kläger abgeschlossene Kaskoversicherung hätte somit den Beklagten im vorliegenden Fall nicht geschützt.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Peifer, Dr. Wittek, Dr. Haible, Brückmann
Fundstellen