Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlußfrist und Betriebsübergang
Orientierungssatz
1. Annahmeverzugslohnansprüche werden auch im Falle des Betriebsübergangs so fällig, wie wenn die Arbeit tatsächlich erbracht worden wäre.
2. Kann gegenüber der Berufung auf die Ausschlußfrist der Einwand von Treu und Glauben erhoben werden, müssen nach Wegfall der den Arglisteinwand begründenden Umstände die Ansprüche innerhalb einer kurzen, nach den Umständen des Falles sowie Treu und Glauben zu bestimmenden Frist in der nach dem Tarifvertrag gebotenen Form geltend gemacht werden. Es läuft keine neue Ausschlußfrist.
Normenkette
BRTV-Bau § 16; BGB §§ 613a, 615; TVG § 4
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Oktober 2001 – 6 Sa 704/01 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 13. Februar 2001 – 3 Ca 1673/00 – abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Anschlußberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über die Zahlung von Annahmeverzugslohn sowie einen Teilbetrag eines 13. Monatseinkommens.
Der Kläger war bei der W-GmbH als Brandschutzfachmonteur beschäftigt. Alleinige Gesellschafterin der W-GmbH war die Beklagte, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer – B N – zugleich auch Geschäftsführer der W-GmbH war. Am 2. Dezember 1998 wurde auf Grund eines Gesamtvollstreckungsantrages durch Beschluß des Amtsgerichts Leipzig die Sequestration über das Vermögen der W-GmbH eingeleitet.
Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft Vereinbarung die Tarifverträge für das Baugewerbe Anwendung. Am 15. Dezember 1998 kündigte die W-GmbH das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Durch Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 18. Februar 1999 – 7 Ca 2286/98 – wurde rechtskräftig festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der W-GmbH durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
Am 18. Dezember 1998 fand eine Betriebsversammlung statt, auf der den Beschäftigten vom Geschäftsführer der W-GmbH mitgeteilt wurde, daß die Arbeitsverhältnisse zum 31. Dezember 1998 beendet würden.
Anfang Januar 1999 wurden die Arbeitnehmer der W-GmbH von den Montageleitern angerufen und aufgefordert, ab dem 11. Januar 1999 die Arbeit auf den ehemaligen Baustellen der W-GmbH wieder aufzunehmen. Die Parteien streiten darüber, ob dies im Namen der Beklagten geschah und es insoweit zu einem Betriebsübergang gekommen ist. Im Februar 1999 wurden die auf den ehemaligen Baustellen der W-GmbH beschäftigten Arbeitnehmer jedenfalls von der mit notariellen Vertrag vom 11. Februar 1999 gegründeten und am 11. März 1999 in das Handelsregister eingetragenen F-T-M (FTM) GmbH, deren alleiniger Gesellschafter wiederum der Geschäftsführer der Beklagten war, übernommen.
Mit Schreiben vom 29. April 1999 wurde dem Kläger von der FTM-GmbH angeboten, ab dem 1. Mai 1999 bei ihr zu arbeiten, was der Kläger durch anwaltliches Schreiben vom gleichen Tag ablehnen ließ.
Die Vergütungsansprüche für Januar und Februar 1999 waren bereits Gegenstand des Verfahrens – 6 Sa 915/99 – und die Vergütungen für März bis Juni 1999 wurden im Verfahren – 6 Sa 1399/99 – geltend gemacht. In diesen Verfahren versuchte der Kläger die vorgenannten Forderungen gegen Herrn N persönlich durchzusetzen. Die Klagen wurden abgewiesen. Mit Schreiben vom 23. Juni 2000 machte der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche erstmals bei der Beklagten geltend. Das Schreiben ging der Beklagten am 1. Juli 2000 zu.
Mit der Klage vom 8. September 2000 verfolgt der Kläger die Ansprüche gegen die Beklagte weiter.
Der Kläger hat die Rechtsansicht vertreten, die Beklagte habe den Betrieb der W-GmbH übernommen und fortgeführt. Einem weiteren Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die zwischenzeitlich neu gegründete FTM-GmbH habe er widersprochen. Die Ausschlußfrist des § 16 BRTV-Bau greife nicht ein, weil er bis zur Einleitung des vorliegenden Verfahrens seitens der Beklagten über die Identität des Betriebsübernehmers und damit seines Arbeitgebers im Unklaren gehalten worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beginne der Lauf einer Ausschlußfrist nämlich erst dann, wenn der Arbeitgeber seine Arbeitgeberstellung gegenüber dem Arbeitnehmer klarstelle. Diese Pflicht habe ab Januar 1999 den Geschäftsführer der Beklagten getroffen.
Der Kläger hat beantragt,
- an den Kläger 10.941,92 DM brutto abzüglich 4.295,00 DM netto nebst 16,25 % Zinsen vom 16. März 1999 bis zum 23. Mai 2000, 8,42 % Zinsen vom 24. Mai 2000 bis zum 31. August 2000 und 9,26 % Zinsen ab dem 1. September 2000 aus 2.304,36 DM sowie 4 % Zinsen aus 4.342,56 DM seit dem 16. März 1999 zu zahlen,
- an den Kläger 4.499,82 DM brutto abzüglich 2.256,80 DM netto nebst 16,25 % Zinsen vom 16. April 1999 bis zum 23. Mai 2000, 8,42 % vom 24. Mai 2000 bis zum 31. August 2000 und 9,26 % ab dem 1. September 2000 aus 947,29 DM sowie 4 % Zinsen aus 1.295,63 DM ab dem 16. April 1999 zu zahlen,
- an den Kläger 4.474,18 DM brutto abzüglich 2.184,00 DM netto nebst 16,25 % Zinsen vom 16. Mai 1999 bis zum 23. Mai 2000, 8,42 % Zinsen vom 24. Mai 2000 bis zum 31. August 2000 und 9,26 % ab dem 1. September 2000 aus 1.023,22 DM sowie 4 % Zinsen aus 1.266,96 DM ab dem 16. Mai 1999 zu zahlen,
- an den Kläger 4.467,50 DM brutto abzüglich 2.256,80 DM netto nebst 16,25 % Zinsen vom 16. Juni 1999 bis zum 23. Mai 2000, 8,42 % Zinsen vom 24. Mai 2000 bis zum 31. August 2000 und 9,26 % Zinsen ab dem 1. September 2000 aus 947,81 DM sowie 4 % Zinsen aus 1.262,89 DM seit dem 16. Juni 1999 zu zahlen,
- an den Kläger 4.671,03 DM brutto abzüglich 2.184,00 DM netto nebst 16,25 % Zinsen vom 16. Juni 1999 bis zum 23. Mai 2000, 8,42 % Zinsen vom 24. Mai 2000 bis zum 31. August 2000 und 9,26 % Zinsen vom 1. September 2000 bis zum 3. Juli 2001 aus 1.123,21 DM sowie 4 % Zinsen aus 1.363,82 DM vom 16. Juli 1999 bis zum 3. Juli 2001 und 4 % Zinsen aus 2.487,03 DM seit dem 4. Juli 2001 zu zahlen,
- an den Kläger 4.789,79 DM brutto abzüglich 2.256,80 DM netto nebst 16,25 % Zinsen vom 16. Juli 1999 bis zum 23. Mai 2000, 8,24 % Zinsen vom 24. Mai 2000 bis zum 31. August 2000 und 9,26 % vom 1. September 2000 bis zum 7. Februar 2001 aus 1.109,57 DM sowie 4 % Zinsen aus 1.423,42 DM vom 16. Juli 1999 bis zum 7. Februar 2001 und 4 % aus 2.532,99 DM seit dem 8. Februar 2001 zu zahlen,
- an den Kläger 4.644,64 DM brutto abzüglich 2.256,80 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 16. September 1999 zu zahlen,
- an den Kläger 4.578,67 DM brutto abzüglich 2.184,00 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Oktober 1999 zu zahlen,
- 385,00 DM auf das Bausparkonto des Klägers bei der Badenia Versicherung, Vertragsnummer 3288211/001 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Rechtsansicht vertreten, daß ein Betriebsübergang nicht stattgefunden habe. Der Kläger habe außerdem die maßgebliche tarifliche Ausschlußfrist versäumt. Sie hat behauptet, daß dem Kläger spätestens am 20. Januar 2000 auf Grund der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht deutlich gewesen sei, daß nicht Herr N, sondern nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts die Beklagte als Betriebsübernehmerin anzusehen sei, weswegen ab diesem Zeitpunkt die Ausschlußfrist zu laufen begonnen habe. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, daß er die streitgegenständlichen Ansprüche fristgerecht gegenüber der W-GmbH bzw. gegenüber ihrem Geschäftsführer persönlich angemeldet habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben und sie nur hinsichtlich der Zinshöhe teilweise abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen sowie der Anschlußberufung teilweise stattgegeben und dem Kläger höhere Zinsforderungen als das Arbeitsgericht zugesprochen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren hinsichtlich der monatlichen Vergütungsansprüche und des 13. Monatseinkommens weiter. Hinsichtlich der vermögenswirksamen Leistungen hat die Beklagte die Revision zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche sind nach § 16 BRTV-Bau verfallen, weil sie gegenüber der Beklagten nicht rechtzeitig geltend gemacht worden sind.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß der Kläger die begehrten und der Höhe nach unstreitigen Zahlungen von der Beklagten beanspruchen könne.
Das Landesarbeitsgericht hat sich die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu eigen gemacht, wonach der Betrieb der W-GmbH von der Beklagten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung fortgeführt worden sei. Bezüglich der Verfallfrist nach § 16 BRTV-Bau gelte, daß derartige Fristen erst zu laufen begännen, wenn sich der entsprechende Arbeitgeber zu seiner Arbeitgeberrolle bekenne. Daran sei trotz der Entscheidung in den früheren Verfahren, wo die Frage zu klären gewesen sei, wer Arbeitgeber des Klägers sei, festzuhalten, weil die Beklagte noch im vorliegenden Verfahren ihre Schuldnerstellung als Arbeitgeberin in Abrede stellte. Die Beklagte könne sich auch deshalb nicht auf die Ausschlußfristenregelung berufen, weil B N von Anfang an mit allen Forderungen und Feststellungsklagen des Klägers persönlich konfrontiert gewesen sei und damit gewußt habe, daß der Kläger vom wirklichen Arbeitgeber, die Forderungen habe erfüllt sehen wollen. Dies gelte um so mehr, als Teile der Forderung bereits Gegenstand der früheren Verfahren gewesen seien, wo die Klage an der fehlenden Arbeitgebereigenschaft der beklagten Partei gescheitert sei.
II. Die Revision ist begründet. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß das Arbeitsverhältnis Anfang Januar 1999 auf die Beklagte übergegangen ist. Denn auch wenn dies zutrifft, ist die Klage unbegründet, da der Kläger die tarifliche Ausschlußfrist nicht gewahrt hat.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Anwendung. In § 16 BRTV-Bau ist eine zweistufige Ausschlußfrist mit folgendem Inhalt geregelt:
- „Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
- Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.”
Damit hängt der Verfall der Forderungen im wesentlichen vom Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit ab. Grundsätzlich werden Verzugslohnansprüche ebenso fällig, wie wenn die Dienste tatsächlich geleistet worden wären (zB BAG 3. Dezember 1998 – 2 AZR 761/97 – nv., zu II 1 a der Gründe). Nach § 5 Ziffer 8.2. BRTV-Bau tritt die Fälligkeit bei Ansprüchen auf Lohn bei monatlicher Lohnabrechnung spätestens zur Mitte desjenigen Monats ein, der auf den Monat folgt, für den er zu zahlen ist.
1. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger die erste Stufe der Ausschlußfrist durch Erhebung der Kündigungsschutzklage gegen die W-GmbH gewahrt hat.
Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß eine Kündigungsschutzklage regelmäßig geeignet ist, den Verfall der Entgeltansprüche zu verhindern, die von dem Ausgang des Kündigungsrechtsstreits abhängen (BAG 8. Februar 1972 – 1 AZR 221/71 – BAGE 24, 116 = AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 49). Der Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, daß über den prozessualen Inhalt des Kündigungsschutzverfahrens hinaus das vom Arbeitnehmer verfolgte Gesamtziel der Klage zu beachten ist. Dies beschränkt sich in der Regel nicht nur auf die bloße Erhaltung des Arbeitsplatzes, sondern ist zugleich auf die Sicherung der Ansprüche gerichtet, die vom Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses abhängen und die dann nicht bestehen, wenn die angegriffene Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat. Dieses Ziel ist dem Arbeitgeber regelmäßig auch erkennbar. Die Klageerhebung hat in diesen Fällen eine doppelte Funktion. Sie ist zum einen Prozeßhandlung mit der Wirkung des § 4 Satz 1 KSchG; zum anderen ist sie eine zulässige Modalität der schriftlichen Geltendmachung der vom Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängigen Lohnansprüche (BAG 11. Dezember 2001 – 9 AZR 510/00 – EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 145; 7. November 1991 – 2 AZR 34/91 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 114 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 93). Dabei können die Ansprüche auch schon vor Fälligkeit geltend gemacht werden, denn der Warnfunktion der Ausschlußklausel ist auch dann genügt, wenn der Gläubiger seinen Anspruch vorzeitig geltend macht (BAG 26. September 2001 – 5 AZR 699/00 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 160 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 144; 27. März 1996 – 10 AZR 668/95 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 134 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 123). Die Wahrung der Frist konnte auch gegenüber der W-GmbH erfolgen, da der – unterstellte – Betriebsübergang erst im Januar 1999 stattfand. Eine Fristwahrung gegenüber dem Betriebsveräußerer muß der Erwerber gegen sich gelten lassen (BAG 21. März 1991 – 2 AZR 577/90 – AP BGB § 615 Nr. 49 = EzA BGB § 615 Nr. 68).
2. Der Kläger hat jedenfalls die Einhaltung der zweiten Stufe der Ausschlußfrist versäumt. Der Kläger hat sich durch seine Prozeßbevollmächtigten erstmalig mit dem am 1. Juli 2000 zugegangen Schreiben vom 23. Juni 2000 an die Beklagte selbst gewandt und am 8. September 2000 die Zahlungsklage erhoben. Damit hat er die Ansprüche nicht rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht.
a) Hinsichtlich der Ansprüche für Januar 1999 begann die zweite Stufe mit der Ablehnung, die im Rahmen der Kündigungsschutzklage an sich im Abweisungsantrag gesehen wird. § 16 Abs. 2 Satz 3 BRTV-Bau modifiziert diese Rechtslage zugunsten des Arbeitnehmers. Danach beginnt die Frist für die Zahlungsklage erst nach rechtskräftiger Beendigung der Kündigungsschutzklage (BAG 21. März 1991 – 2 AZR 577/90 – aaO). Dies gilt aber nicht für die Ansprüche von Februar 1999 bis September 1999, da diese Ansprüche erst nach dem rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses fällig geworden sind. Macht ein Arbeitnehmer einen Anspruch vor Fälligkeit schriftlich geltend, so beginnt bei einer zweistufigen Ausschlußfrist die Frist für die gerichtliche Geltendmachung nicht vor der Fälligkeit des Anspruchs. Der Zweck der zweistufigen Ausschlußfrist besteht darin, den Arbeitnehmer dazu zu veranlassen, durch rechtzeitige Klageerhebung Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs zu schaffen. Ein solcher Zwang ist allerdings nur sinnvoll, wenn der Arbeitnehmer die in der zweiten Stufe geforderte Klage auch durchsetzen kann, was bei nicht fälligen Ansprüchen in der Regel nicht möglich ist. Eine an Sinn und Zweck ausgerichtete Auslegung des Tarifvertrags führt damit zu dem Ergebnis, daß bei schriftlicher Geltendmachung, dh. Wahrung der ersten Stufe vor Fälligkeit, die Zweimonatsfrist des § 16 Abs. 2 BRTV-Bau für die gerichtliche Geltendmachung nicht vor der Fälligkeit des Anspruchs in Lauf gesetzt wird (BAG 26. September 2001 – 5 AZR 699/00 – aaO). Die so ermittelte Frist gilt auch im Falle des (hier zugunsten des Klägers unterstellten) Betriebsübergangs. Ein Betriebsübergang ändert am Fälligkeitszeitpunkt nichts (BAG 21. März 1991 – 2 AZR 577/90 – aaO; 12. Dezember 2000 – 9 AZR 1/00 – BAGE 96, 352 = AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 154).
Das Landesarbeitsgericht meint ohne nähere Begründung, daß die tarifvertragliche Ausschlußfrist erst zu laufen beginne, wenn sich – was nicht geschehen sei – der Arbeitgeber zu seiner Arbeitgeberrolle bekenne. Die Rechtsansicht des Landesarbeitsgerichts ist in dieser Allgemeinheit unzutreffend.
Der Fünfte Senat ist in seiner Entscheidung vom 27. Juli 1983 (– 5 AZR 194/81 – BAGE 43, 198, 204 = AP AÜG § 10 Nr. 6, zu II 3 b cc der Gründe) für den Fall der Arbeitnehmerüberlassung zu dem Ergebnis gelangt, daß die tarifliche Fälligkeit erst mit der Einräumung der Schuldnerstellung durch den Entleiher gegenüber dem unerlaubt verliehenen Leiharbeitnehmer eintrete.
Der Neunte Senat hat eine Vergleichbarkeit der geschilderten Fälle der Arbeitnehmerüberlassung mit denen des Betriebsübergangs erwogen, wenn eine Vorspiegelung falscher Tatsachen vorliege und der Arbeitnehmer gehindert werde, seine auf einen Betriebsübergang gestützten Ansprüche geltend zu machen. Der Neunte Senat ist aber für den Regelfall davon ausgegangen, daß ein Betriebsübergang an der Fälligkeit von Ansprüchen nichts ändert (BAG 12. Dezember 2000 – 9 AZR 1/00 – aaO, zu I 2 c bb der Gründe mwN). Der Neunte Senat hat sich auch nicht endgültig dazu festgelegt, ob Täuschungshandlungen die Fälligkeit eines Anspruchs beeinflussen können.
Der erkennende Senat geht für den Fall des Betriebsübergangs davon aus, daß der Fälligkeitszeitpunkt von Annahmeverzugslohnansprüchen nach § 271 BGB grds. objektiv zu bestimmen ist, ohne daß es auf Zumutbarkeitskriterien oder Täuschungshandlungen des Schuldners ankommt. Diese können allenfalls im Rahmen des § 242 BGB eine Rolle spielen, wenn die Berufung auf die Einhaltung einer Ausschlußfrist treuwidrig erscheint. Eine andere Betrachtungsweise würde hinsichtlich des Fälligkeitszeitpunkts, an den im Rechtsleben zahlreiche Rechtsfolgen geknüpft werden, zu großer Rechtsunsicherheit führen. Ob unter der Geltung des § 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB nF eine andere Betrachtung gilt, kann im Streitfall offenbleiben. Zum einen ist diese Norm auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbar, zum anderen geht es nicht um Verjährung, sondern um die Einhaltung einer tariflichen Ausschlußfrist. Außerdem stellt auch diese Norm auf den objektiv zu bestimmenden Zeitpunkt der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände ab.
b) Der Kläger hat durch die seinerzeitige Erhebung der Zahlungsklage gegen den nunmehrigen Geschäftsführer der Beklagten persönlich die zweite Stufe der Ausschlußfrist nicht gewahrt. Das Eingreifen der Ausschlußfrist kann nicht mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung abgelehnt werden, der Geschäftsführer der Beklagten sei von Anfang an mit allen Forderungen und Feststellungsklagen des Klägers persönlich konfrontiert worden und er habe damit gewußt, daß der Kläger vom wirklichen Arbeitgeber die vorliegende Forderung erfüllt sehen wolle. Bei der zweistufigen tariflichen Ausschlußklausel dient die gerichtliche Geltendmachung zum einen dazu, dem Schuldner Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Angelegenheit mit der Ablehnung der zunächst schriftlich geltend gemachten Forderung erledigt ist, und zum anderen, dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, die Begründetheit und die Erfolgsaussichten des vom Gläubiger erhobenen Anspruchs dem Grunde und der Höhe nach prüfen zu können. Dieser Zweck wird mit einer Klage gegen den Geschäftsführer einer GmbH persönlich regelmäßig verfehlt. Sie wird nämlich schon mangels Passivlegitimation des Geschäftsführers abgewiesen werden, ohne daß es zu einer gerichtlichen Überprüfung des Anspruchs dem Grunde und der Höhe nach gekommen ist.
c) Mit der gegen die Beklagte selbst erst am 8. September 2000 erhobenen Klage hat der Kläger die zweite Stufe der Ausschlußfrist ebenfalls nicht rechtzeitig gewahrt.
Nimmt man zugunsten des Klägers an, er habe die Schuldnerschaft der Beklagten zunächst nicht erkennen können, weil die Beklagte ihn bewußt über einen Betriebsübergang im Unklaren gelassen habe, so kommt in Betracht, daß sich die Beklagte nach Treu und Glauben zunächst nicht auf die Versäumung der Klagefrist berufen konnte. Dies gilt jedoch allenfalls solange, als der Kläger keine Kenntnis über den Betriebsübergang hatte. Eine Kenntnis der Umstände eines (unterstellten) Betriebsübergangs auf die Beklagte muß jedoch ab Zustellung des Urteils des Landesarbeitsgerichts in dem Rechtsstreit – 6 Sa 1399/99 – angenommen werden, in dem das Landesarbeitsgericht eine persönliche Haftung des Geschäftsführers der Beklagten abgelehnt und eine Haftung der Beklagten angenommen hat. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß der Kläger (erfolglos) Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil eingelegt hat. Bereits ab Zustellung des zweitinstanzlichen Urteils hätte der Kläger Klage gegen die Beklagte erheben können. Die Möglichkeit der Klageerhebung bestand jedoch allerspätestens, als der Kläger sein Geltendmachungsschreiben vom 23. Juni 2000 verfaßte. Hiermit hat der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche erstmals gegen die Beklagte schriftlich geltend gemacht und damit gezeigt, daß ihm nunmehr die Schuldnerschaft der Beklagten erkennbar war. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte der Kläger auch Klage erheben können. Die Beklagte konnte sich auf die Versäumung der Ausschlußfrist berufen.
Der Verstoß gegen Treu und Glauben steht einer Berufung auf die Ausschlußfrist nur so lange entgegen, wie der Gläubiger von der Einhaltung der Ausschlußfrist abgehalten wird. Nach Wegfall der den Arglisteinwand begründenden Umstände müssen innerhalb einer kurzen, nach den Umständen des Falles sowie Treu und Glauben zu bestimmenden Frist die Ansprüche in der nach dem Tarifvertrag gebotenen Form geltend gemacht werden (BAG 10. Oktober 2002 – 8 AZR 8/02 – zVv.; 5. Februar 1987 – 2 AZR 46/86 – nv.; 3. Dezember 1970 – 5 AZR 208/70 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 46 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 3; vgl. auch Wiedemann/Wank TVG 6. Aufl. § 4 Rn. 787; vgl. auch zur entsprechenden Rechtslage bei der Verjährung: Palandt/Heinrichs BGB 60. Aufl. Überbl. § 194 Rn. 15 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Es läuft insoweit nicht eine neue Ausschlußfrist. Es muß vielmehr binnen kurzer Zeit Klage erhoben werden. Selbst wenn man also zugunsten des Klägers unterstellt, daß er den Arglisteinwand noch bis zum 23. Juni 2000 erheben konnte, so hat er doch erst am 8. September 2000 Klage erhoben und erst dann die Ansprüche ordnungsgemäß gerichtlich geltend gemacht. Das war aber nicht mehr unverzüglich nach Wegfall der die Arglisteinrede begründenden Umstände, so daß der Anspruch verfallen ist.
III. Der Kläger hat die Kosten als Unterlegener zu tragen (§ 91 ZPO). Soweit die Beklagte die Revision hinsichtlich der vermögenswirksamen Leistungen zurückgenommen hat, ist dies für die Kostenentscheidung gemäß § 92 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen.
Unterschriften
Hauck, Dr. Wittek, Laux, Morsch, R. Iskra
Fundstellen
NZA 2003, 1295 |
ZTR 2003, 462 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 8 |
EzA |
ArbRB 2003, 174 |
NJOZ 2003, 3174 |