Entscheidungsstichwort (Thema)

Günstiger Weg zur Montagestelle

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der günstigste Weg von der Wohnung (bzw dem Betriebssitz) zur Montagestelle ist bei Benutzung der Bundesbahn nicht nach Tarifkilometern, sondern nach der tatsächlichen Entfernung zu bemessen.

2. Für den Anspruch auf Heimfahrt kommt es auf die Entfernung zwischen Montageort und Wohnort an, wobei von dem jeweiligen Ortsmittelpunkt auszugehen ist.

 

Orientierungssatz

Auslegung des § 6 des Bundestarifvertrages für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues vom 30.4.1980.

 

Normenkette

TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 09.09.1986; Aktenzeichen 11 Sa 661/86)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 05.03.1986; Aktenzeichen 6 Ca 260/86)

 

Tatbestand

Die Kläger sind bei der Beklagten als Monteure beschäftigt. Auf die Arbeitsverhältnisse finden kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues vom 30. April 1980 (BMTV) und der Tarifvertrag für Auslösungssätze und Erschwerniszulagen zum Bundesmontagetarifvertrag in der jeweiligen Fassung (TV-Auslösungssätze) Anwendung. Die Kläger, die in Gladbeck wohnen, wurden im Jahre 1985 auf einer Baustelle in Lingen/Ems eingesetzt. Nach einem Fußweg von ihrer jeweiligen Wohnung zum Bahnhof Gladbeck/West, der beim Kläger zu 1) 3,5 km und beim Kläger zu 2), wie er behauptet, 5 km betrug, benutzten sie für die Fahrt zur Arbeitsstelle eine Bundesbahnverbindung über Münster. Die Tarifentfernung zum Bahnhof in Lingen beträgt 145 km. Bis zur Arbeitsstelle legte der Kläger zu 1) einen Fußweg von 8 km und der Kläger zu 2), wie er behauptet, einen Fußweg von 9 km zurück. Die kürzeste Verbindung mit der Bundesbahn zwischen dem Bahnhof Gladbeck/West und dem Bahnhof Lingen, die über Coesfeld und Rheine führt, beträgt 124 km. Sie nimmt allerdings längere Zeit in Anspruch als die von den Klägern gewählte Strecke, da zwischen Coesfeld und Rheine ein Bahnbus benutzt werden muß. Nach den Angaben im Kursbuch der Deutschen Bundesbahn beträgt die Entfernung zwischen dem Bahnhof Gladbeck/West und dem Bahnhof Lingen über Münster 137 km. Die Beklagte zahlte den Klägern während ihres Einsatzes in Lingen Fernauslösung nach § 6.4.2 BMTV in Verbindung mit § 1 Ziff. 1.1 TV-Auslösungssätze für Montagen in Entfernungen bis 150 km.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, daß ihnen Fernauslösung für Montagen in Entfernungen über 150 km und ein Anspruch auf bezahlte Heimfahrten nach § 6.11.1 BMTV zustehe. Nach der Anmerkung 13 zu § 6.4.2 BMTV sei für die Berechnung der Entfernung vom Ausgangspunkt zur Montagestelle der günstigste Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zuzüglich des Fußwegs zugrunde zu legen. Dies sei die von ihnen benutzte Strecke über Münster. Für die Berechnung sei die Tarifentfernung der Deutschen Bundesbahn, nach der sich auch allein der Fahrpreis richte, maßgebend. Die Entfernungsangaben im Kursbuch hätten demgegenüber nur informatorische Bedeutung und wiesen nicht exakt die tatsächlichen Entfernungen aus.

Der Kläger zu 1) hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 803,29 DM netto und 906,84 DM brutto zu zahlen.

Der Kläger zu 2) hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 779,66 DM netto und 857,14 DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, daß den Klägern die höheren Auslösungssätze und Ansprüche auf Heimfahrten nicht zuständen, weil die maßgebliche Entfernung zwischen ihrer Wohnung und der Baustelle in Lingen 150 km nicht überschreite. Zwar sei der günstigste Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln im tariflichen Sinne die Bundesbahnverbindung von Gladbeck/West über Münster nach Lingen. Dabei dürfe aber nicht die Tarifentfernung zugrunde gelegt werden, da diese nur Bedeutung für den Fahrpreis habe. Maßgebend sei vielmehr die tatsächliche Entfernung, wie sie sich aus den Angaben im Kursbuch ergebe. Diese betrage 137 km. Bei einem Fußweg des Klägers zu 1) zum Bahnhof Gladbeck/West von 3,5 km und einem Fußweg vom Bahnhof in Lingen zur Montagestelle von 8 km ergebe sich für ihn eine Gesamtstrecke von 148,5 km. Für den Kläger zu 2) ergebe sich bei einem Fußweg von seiner Wohnung zum Bahnhof Gladbeck/West von 4 km und einem Fußweg vom Bahnhof in Lingen zur Baustelle von 8 km eine Entfernung von 149 km.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht. Mit der von ihm gegebenen Begründung konnte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der BMTV und der TV-Auslösungssätze unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Für die Beurteilung des von den Klägern geltend gemachten Anspruchs auf Auslösung sind demnach folgende tarifliche Vorschriften heranzuziehen:

Bundesmontagetarifvertrag:

§ 6

Fernmontage

6.1 B e g r i f f

Fernmontage ist eine Montage, die ein auswärtiges

Übernachten des Montagestammarbeiters

erfordert, weil ihm die tägliche Rückkehr entweder

an den Sitz des entsendenden Betriebes

oder zu seiner Wohnung (1) nicht zumutbar ist.

6.1.1 Die tägliche Rückkehr ist zumutbar, wenn der Zeitaufwand

außerhalb der regelmäßigen täglichen

Arbeitszeit bei Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel

für Hin- und Rückweg 3 1/2 Stunden nicht

übersteigt. Übersteigt der Zeitaufwand 3 1/2 Stunden,

sind die Bestimmungen über die Fernmontage anzuwenden.

6.1.3 Die Entscheidung, ob bei der Feststellung des

Zeitaufwandes von der Entfernung im Betrieb

einheitlich (3) von dem entsendenden Betrieb

oder der Wohnung ausgegangen wird, trifft der

Arbeitgeber mit Zustimmung des Betriebsrates

(4).

6.4 F e r n a u s l ö s u n g

6.4.1 Die Auslösung ist eine Pauschalerstattung der

Mehraufwendungen am Montageort (12).

6.4.2 Die Auslösungen werden in dem Tarifvertrag für

Auslösungssätze und Erschwerniszulagen je Kalendertag

während der ersten 60 Kalendertage

und nach 60 Kalendertagen, gestaffelt für

Entfernungen bis 150 km und über 150 km (13),

festgelegt.

A n m e r k u n g 3:

Diese Vorschrift soll sicherstellen, daß keine

Entscheidung für den e i n z e l n e n Montagestammarbeiter

getroffen werden kann. Mit ihr steht

durchaus in Einklang, wenn in einem Betrieb für

verschiedene Montagestellen voneinander abweichende,

für die einzelne Montagestelle aber einheitliche

Regelungen für alle Arbeitnehmer dieser Montagestelle

getroffen werden.

A n m e r k u n g 4:

Die Entscheidungen im Rahmen dieser Vorschrift

setzen die Zustimmung des Betriebsrats voraus.

Liegt sie vor, so ist die getroffene Regelung

für die Arbeitnehmer verbindlich. Solange keine

Einigung zustande gekommen ist, bleibt es

bei der bisherigen betrieblichen Handhabung. Gegebenenfalls

ist eine entsprechend § 76 Absatz 5

Betriebsverfassungsgesetz zu bildende Einigungsstelle

anzurufen, deren Spruch verbindlich ist.

A n m e r k u n g 13:

Für die Berechnung der Entfernung vom Ausgangspunkt

zur Montagestelle ist der günstigste Weg mit öffentlichen

Verkehrsmitteln (Bahn, Bus u.ä.), bei PKW-Benutzung

(werksseitig gestelltes Fahrzeug oder privater PKW aufgrund

schriftlicher Vereinbarung mit dem Arbeitgeber) die

kürzeste Entfernung in Straßenkilometern zwischen Ausgangspunkt

und Montagestelle, jeweils zuzüglich eventueller

Fußwege, zugrunde zu legen.

§ 1 TV-Auslösungssätze enthält unter der Ziffer 1.1 die als Fernauslösung zu zahlenden Beträge bei Montagen in Entfernungen bis 150 km und über 150 km.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß den Klägern Fernauslösungen nach der Entfernungszone über 150 km und Ansprüche auf Heimfahrten nach § 6.11.1 BMTV zustehen, weil ihre Wohnungen in Gladbeck jeweils über 150 km von der Montagestelle in Lingen entfernt seien. Der Berechnung der Entfernung vom Ausgangspunkt, der jeweiligen Wohnung der Kläger, zur Montagestelle sei nach der Anmerkung 13 zu § 6.4.2 BMTV der günstigste Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zugrunde zu legen, da die Kläger die Bundesbahn benutzt hätten. Der günstigste Weg sei die Bahnverbindung von Gladbeck/West über Münster nach Lingen, weil sie die schnellste Verbindung darstelle und nicht, wie die kürzeste Verbindung über Coesfeld und Rheine, ein Umsteigen auf den Bahnbus erfordere. Für die Berechnung der Entfernung sei die für den Fahrpreis verbindliche Tarifentfernung der Deutschen Bundesbahn maßgebend, die für die Strecke Gladbeck/West über Münster nach Lingen 145 km betrage. Auf die Kilometerangaben für die Teilstrecken Gladbeck/West-Haltern-Münster-Lingen im Kursbuch, die insgesamt 137 km auswiesen, komme es nicht an, da diese nur informatorischen Wert hätten und auch nicht exakt die Entfernungen wiedergäben. Bei Zugrundelegung der Tarifentfernung von 145 km und Berücksichtigung des Fußweges ergebe sich für beide Kläger eine Entfernung von mehr als 150 km zwischen ihrer Wohnung und der Montagestelle.

Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann nicht zugestimmt werden. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß sich die Berechnung der für den Fernauslösungssatz über 150 km maßgeblichen Entfernung nach der Anmerkung 13 zum BMTV, die nach § 11.2 BMTV Bestandteil des Tarifvertrages ist, richtet. Nach Satz 1 dieser Anmerkung kommt es auf die Entfernung vom Ausgangspunkt zur Montagestelle an. Das Landesarbeitsgericht nimmt an, daß der Ausgangspunkt die jeweilige Wohnung der Kläger sei. Dazu bedarf es jedoch nach § 6.1.3 BMTV einer im Betrieb einheitlichen Entscheidung des Arbeitgebers im Sinne der Anmerkung 3, die nur mit Zustimmung des Betriebsrates getroffen werden kann oder einer entsprechenden betrieblichen Handhabung im Sinne der Anmerkung 4. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen.

Selbst wenn zwischen den Parteien aber unstreitig sein sollte, daß als Ausgangspunkt für die Bemessung der Entfernung zur Montagestelle in Lingen die jeweilige Wohnung der Kläger tarifgemäß festgelegt worden ist, entspricht die Berechnung dieser Entfernung durch das Landesarbeitsgericht nicht den tariflichen Bestimmungen. Der Berechnung der Entfernung ist, da die Kläger die Bundesbahn benutzt haben, nach der Anmerkung 13 zum BMTV der günstigste Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Bahn, Bus u.ä.), jeweils zuzüglich der eventuellen Fußwege zugrunde zu legen. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß der günstigste Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Sinne der Anmerkung 13 zu § 6.4.2 BMTV nicht stets der kürzeste Weg zwischen dem Ausgangspunkt und der Montagestelle sein muß, sondern diejenige Verkehrsverbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist, mit der der Montagearbeiter die Montagestelle ohne besondere Erschwernisse, wie z.B. häufiges Umsteigen oder längere Wartezeiten in der kürzesten Zeit erreichen könne. Dies ergibt sich nach dem bei der Tarifauslegung maßgeblich zu berücksichtigenden Tarifwortlaut und dem tariflichen Gesamtzusammenhang (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Die Tarifvertragsparteien haben nämlich hinsichtlich der Berechnung der Entfernung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Gegensatz zur Benutzung eines Pkw's gerade nicht auf die kürzeste Entfernung abgestellt, sondern den Begriff des günstigsten Weges verwendet. Damit haben sie dem Umstand Rechnung getragen, daß die kürzeste Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln je nach den Umständen des Einzelfalles durch häufiges Umsteigen oder notwendige Wartezeiten eine längere Fahrzeit beanspruchen kann als eine Verbindung, bei der eine längere Wegstrecke zurückzulegen ist. Diese längere Wegstrecke ist dann als der günstigste Weg der Entfernungsberechnung zugrunde zulegen, wenn er einen geringeren Zeitaufwand als der kürzeste Weg erfordert. Dies wird durch den tariflichen Gesamtzusammenhang deutlich. Die Tarifvertragsparteien stellen zur Unterscheidung zwischen Fernmontage und Nahmontage auf den Zeitaufwand bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ab (§ 6.1.1 BMTV). Übersteigt dieser für den Hin- und Rückweg 3 1/2 Stunden, so sind die Bestimmungen über die Fernmontage anzuwenden. Die Tarifvertragsparteien haben damit die vom jeweiligen Fahrplan abhängige Laufzeit der öffentlichen Verkehrsmittel zum rechtlichen Entscheidungskriterium für die Anwendung der Bestimmungen über die Fernmontage gemacht (BAG Urteil vom 15. August 1982 - 4 AZR 1072/79 - AP Nr. 9 zu § 1 TVG Auslösung). Wenn sie dann innerhalb der Bestimmungen über die Fernmontage an den günstigsten Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln anknüpfen, muß davon ausgegangen werden, daß als Maßstab für die Wahl der Verbindung ebenfalls der Zeitaufwand zugrunde zu legen ist. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob bei in etwa gleichem Zeitaufwand der Begriff des günstigsten Weges auch die Berücksichtigung der Kosten des Verkehrsmittels mit umfaßt. Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz auch nicht mehr darüber, daß der günstigste Weg zwischen Gladbeck/West und Lingen die Bahnverbindung über Münster ist. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist diese schneller als die Verbindung über Coesfeld und Rheine und erfordert kein Umsteigen auf den Bahnbus verbunden mit entsprechenden Wartezeiten und sonstigen Erschwernissen.

Der Senat vermag dem Landesarbeitsgericht, das aus Gründen der Praktikabilität der Berechnung der Entfernung des günstigsten Weges mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Tarifentfernung zugrunde gelegt hat, nicht zu folgen. Die Tarifentfernung, die auf dem Fahrtausweis angegeben wird, ist nur für die Berechnung des Fahrpreises maßgebend. Dieser wird nicht nach den in den Fahrplänen angegebenen Streckenkilometern berechnet. Die Tarifentfernung entspricht nicht in allen Fällen der wirklichen Entfernung. Sie ermöglicht dem Reisenden nur wahlweise mehrere zwischen zwei Bahnhöfen bestehende Verbindungen, auch wenn diese unterschiedliche Entfernungen haben, zu benutzen. Die Festlegung einer Tarifentfernung zwischen zwei Bahnhöfen durch die Deutsche Bundesbahn dient damit in erster Linie der Vereinfachung der Fahrpreisgestaltung, sie kann jedoch der Berechnung der Entfernung im Sinne der Anmerkung 13 zum BMTV nicht zugrunde gelegt werden. Dafür spricht schon der Wortlaut der tariflichen Bestimmung, in der nicht wie in Abschnitt 25 Abs. 2 der Lohnsteuerrichtlinien für die Entfernungsberechnung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf die dort ausdrücklich genannte "Tarifentfernung" Bezug genommen wird. Vor allem aber ergibt sich dies aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Die Tarifvertragsparteien haben in der Anmerkung 13 zum BMTV für die Berechnung der Entfernung bei Benutzung eines Kraftwagens bestimmt, daß die kürzeste Entfernung in Straßenkilometern zugrunde zu legen ist. Sie haben damit eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß es auf die tatsächliche Entfernung zwischen dem Ausgangspunkt und der Montagestelle ankommt. Gilt dies nach der ausdrücklichen tariflichen Regelung aber für die Benutzung eines Kraftwagens, so ist davon auszugehen, daß auch bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels die tatsächliche Entfernung in Kilometern maßgeblich ist und nicht die nach Kriterien der Fahrpreisgestaltung bemessene Tarifentfernung.

Auch Gesichtspunkte der Praktikabilität rechtfertigen nicht die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Tarifauslegung. Das Landesarbeitsgericht berücksichtigt nämlich insoweit nicht, daß bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels die Berechnung der Entfernung nicht allein aufgrund der Tarifentfernung vorgenommen werden kann. Vielmehr muß sowohl bei der Berechnung des Fußweges als auch bei der Berechnung der mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wie z.B. der Straßenbahn, zurückgelegten Wegstrecken, für die keine Tarifentfernungen festgelegt sind, die tatsächliche Entfernung in Kilometern ermittelt werden. Dann aber spricht der vom Landesarbeitsgericht herangezogene Gesichtspunkt, daß die Tarifvertragsparteien grundsätzlich zweckorientierte und praktisch brauchbare Regelungen treffen wollen (vgl. BAG Beschluß vom 18. Februar 1987 - 4 ABR 35/86 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) nicht dagegen, die Ermittlung der tatsächlichen Entfernung auch für Wegstrecken zu fordern, die mit der Deutschen Bundesbahn zurückgelegt werden.

Der Senat kann jedoch über die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche auf Fernauslösung nicht abschließend entscheiden. Die Sache war daher zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Zwar sind die übrigen Voraussetzungen hinsichtlich des Anspruchs auf Fernauslösung zwischen den Parteien unstreitig und hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß die Entfernung zwischen dem Bahnhof Gladbeck/West über Münster nach Lingen nach den Angaben im Kursbuch der Deutschen Bundesbahn nur 137 km beträgt, so daß sich für beide Kläger unter Berücksichtigung des beiderseitigen Prozeßvortrages zur Länge des jeweiligen Fußweges nur eine Entfernung unter 150 km ergäbe. Die Kläger wenden jedoch zu Recht ein, daß die Entfernungsangaben im Kursbuch jedenfalls dann nicht der Entscheidung zugrunde gelegt werden können, wenn diese, wie vorliegend, von einer ganz geringen Entfernungsdifferenz abhängt. Zutreffend weist nämlich insoweit auch das Landesarbeitsgericht darauf hin, daß die Angaben über die Streckenkilometer im Kursbuch auf- oder abgerundet sind. Allein daraus könnte sich bei Zugrundelegung der tatsächlichen Entfernungen der drei Teilstrecken zwischen dem Bahnhof Gladbeck/West und dem Bahnhof Lingen eine Gesamtstrecke von über 150 km ergeben. Dies bedeutet jedoch andererseits nicht, daß, wie die Kläger vortragen, eine Ermittlung der Entfernung auf den Meter genau, vielleicht sogar durch Nachmessen, erforderlich wäre. Ausreichend ist vielmehr, daß die Kennzeichnung der Streckenkilometer durch die Deutsche Bundesbahn auf den jeweiligen Streckenabschnitten der Entfernungsberechnung zugrunde gelegt wird. Alle Bahnstrecken sind vermessen und mit Entfernungsangaben gekennzeichnet. Insoweit wird das Landesarbeitsgericht, gegebenenfalls nach weiterem Vorbringen der Kläger und geeigneten Beweisangeboten, entsprechende Feststellungen treffen müssen.

Das angefochtene Urteil war auch insoweit aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, als es der Klage hinsichtlich der von den Klägern geltend gemachten Ansprüche auf Heimfahrten stattgegeben hat.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß die Ansprüche auf Heimfahrten von den gleichen tariflichen Voraussetzungen abhängen wie die Ansprüche auf Fernauslösungen für Entfernungen über 150 km. Dies trifft nach den tariflichen Bestimmungen jedoch nicht zu.

In § 6.11.1 BMTV ist für Heimfahrten bestimmt:

Verheiratete Montagestammarbeiter haben jeweils

nach einer vierwöchigen, ledige Montagestammarbeiter

nach einer neunwöchigen ununterbrochenen

Beschäftigung am Montageort oder an Montageorten

Anspruch auf eine Heimfahrt, sofern der

Montageort mindestens 150 km von dem inländischen

Wohnort (21) des Montagestammarbeiters entfernt

liegt. .........

Nach dem Wortlaut dieser tariflichen Bestimmung hängt der Anspruch des Montagearbeiters auf eine Heimfahrt nicht, wie der Anspruch auf Fernauslösung nach § 6.4.2 BMTV, von der Entfernung des Ausgangspunktes im Sinne von § 6.1.3 BMTV von der Montagestelle ab, sondern von der Entfernung zwischen dem Wohnort des Montagearbeiters und dem Montageort. Bei der Auslegung des von den Tarifvertragsparteien verwendeten Begriffs des Wohnortes und des Montageortes ist von deren in der Rechtsterminologie vorgegebenen Bedeutung auszugehen (BAG Urteil vom 25. Juni 1986 - 4 AZR 235/85 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Danach ist unter dem Begriff des Wohnortes diejenige politische Gemeinde zu verstehen, in der der Montagearbeiter tatsächlich wohnt, während in Anlehnung an den Begriff des Dienstortes im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 2 Bundesreisekostengesetz unter dem Begriff des Montageortes diejenige politische Gemeinde zu verstehen ist, in der die Montagestelle liegt (vgl. Meyer/Fricke, Reisekosten, Band 1, § 2 Rz 42 und 106). Demgemäß kommt es für die Ansprüche der Kläger auf Heimfahrten nach § 6.11.1 BMTV auf die Entfernung zwischen Gladbeck und Lingen an, sofern die Montagestelle, worauf aus den Entfernungsangaben der Kläger geschlossen werden könnte, nicht außerhalb von Lingen liegt und deshalb gegebenenfalls einer anderen politischen Gemeinde zuzuordnen ist.

Für die damit tariflich notwendige Berechnung der Entfernung zwischen der politischen Gemeinde des Wohnortes und der politischen Gemeinde des Montageortes ist jeweils auf den Ortsmittelpunkt abzustellen. Insoweit kann die Bestimmung der Ortsmittelpunkte nach § 2 Abs. 2 Güterkraftverkehrsgesetz durch die nach dem jeweiligen Landesrecht zuständige Behörde herangezogen werden. Entsprechend der Regelung der Anmerkung 13 zum BMTV ist demgemäß für die Berechnung der Entfernung zwischen dem Wohnort und dem Montageort nach § 6.11.1 BMTV bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf den günstigsten Weg und bei Benutzung eines Kraftwagens auf die kürzeste Entfernung in Straßenkilometern zwischen den jeweiligen Ortsmittelpunkten abzustellen. Das Landesarbeitsgericht wird zur Beurteilung der Ansprüche der Kläger auf Heimfahrten nach § 6.11.1 BMTV somit, gegebenenfalls nach weiterem Sachvortrag der Parteien, die entsprechenden Feststellungen zu treffen haben. Anders als beim Anspruch auf die erhöhte Fernauslösung nach § 6.4.2 BMTV, die eine Entfernung über 150 km voraussetzt, reicht es für den Anspruch auf Heimfahrten nach § 6.11.1 BMTV allerdings schon aus, wenn der Wohnort der Kläger vom Montageort mindestens 150 km entfernt ist.

Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mit zu entscheiden haben.

Dr. Neumann Dörner Dr. Freitag

Dr. Börner Koerner

 

Fundstellen

Haufe-Index 439559

DB 1987, 1795.1795 (LT1-2)

RdA 1987, 317

AP § 1 TVG Auslösung (LT1-2), Nr 17

AR-Blattei, Auswärtszulage (Auslösung) Entsch 9 (LT1-2)

AR-Blattei, ES 360 Nr 9 (LT1-2)

EzA § 4 TVG Metallindustrie, Nr 30 (LT1-2)

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