Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Darlegungslast. Kündigungsschutz
Orientierungssatz
- Stellt eine Partei zu einer Frage mehrere einander widersprechende Behauptungen auf, ohne die Widersprüche zu erläutern, so kann von keiner dieser Behauptungen angenommen werden, sie sei richtig. Ein solcher Vortrag ist der Beweisaufnahme nicht zugänglich.
- Das gilt auch dann, wenn die verschiedenen Behauptungen nicht im Sinne einander ausschließender Einzeltatsachen, sondern im Sinne der Behauptung einer Bandbreite von Möglichkeiten zu verstehen sind.
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 29. August 2001 – 4 Sa 518/00 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.
Der Kläger trat im Jahre 1970 in die Dienste der Beklagten, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Zäunen befaßt und im August 1999 noch etwa 60 Arbeitnehmer beschäftigte. Der Kläger war als kaufmännischer Angestellter in der Abteilung Finanzen und Betriebswirtschaft bei einer monatlichen Bruttovergütung von 4.798,00 DM tätig.
Im August 1999 kündigte die Beklagte insgesamt sechs Angestellten, darunter dem Kläger. Während die übrigen Kündigungen nach dem 24. August 1999 ausgesprochen wurden, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Schreiben vom 19. August 1999, das dem Kläger am gleichen Tage zuging, zum 31. März 2000.
Mit der am 25. August 1999 beim Arbeitsgericht Würzburg erhobenen Klage hat der Kläger die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend gemacht und beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 19. August 1999 nicht aufgelöst wird.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages zunächst vorgetragen, es hätten seit März 1999 verschiedene Gespräche stattgefunden, so am 2. März innerhalb der Geschäftsführung, am 10. März mit der Steuerberaterin, am 19. März mit der Hausbank, am 26. und 27. April mit dem Wirtschaftsprüfer, am 21. und 22. Juni mit der Bayerischen Landesbank und am 19. Juli zwischen der Geschäftsführung und leitenden Mitarbeitern. In diesen Gesprächen sei wiederholt die schlechte wirtschaftliche Lage analysiert worden. Sowohl der Wirtschaftsprüfer als auch die Banken seien zu dem Ergebnis gekommen, die Personalkosten in der Verwaltung seien deutlich zu hoch. Nach weiteren Erörterungen mit der finanzierenden Bank und dem Arbeitsamt Ende Juli/August sei am 24. August die Entscheidung getroffen worden, sechs Arbeitnehmern – darunter dem Kläger – zu kündigen und zwei Auszubildende nicht zu übernehmen. In diesem Gespräch sei auch beschlossen worden, welche Arbeiten durch Umstrukturierungsmaßnahmen, insbesondere durch Einführung von EDV-Programmen, eingespart werden könnten bzw. durch sonstige Maßnahmen wegfielen. Ferner sei beschlossen worden, wie die durch den Wegfall eines Arbeitnehmers anfallenden Arbeiten anderweitig unter Berücksichtigung von Ausbildung und zulässiger Arbeitszeit bewältigt werden könnten. Durch Einführung entsprechender EDV (Warenwirtschaftssystem) werde sowohl die Tätigkeit des Klägers im Einkauf als auch das bisher vom Kläger ausgeführte “händische Aufarbeiten” von Zahlen der betriebswirtschaftlichen Auswertung entfallen. Daneben entfalle die Betreuung der kaufmännischen Auszubildenden, da die Beklagte keine Auszubildenden mehr einstelle. Die Einweisung in die EDV, für die der Kläger früher zuständig gewesen sei, sei schon vorher anderen Arbeitnehmern übertragen worden.
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat das Arbeitsgericht die Beklagte darauf hingewiesen, daß die Kündigung gegenüber dem Kläger vor der behaupteten unternehmerischen Entscheidung ausgesprochen worden sei. Daraufhin hat die Beklagte nach Schluß der mündlichen Verhandlung ihren Vortrag wie folgt geändert: Die Entscheidung über die Kündigung des Klägers sei nicht erst am 24. August 1999 – also nach der Kündigung – gefallen. Zwar sei an diesem Tag über den Wegfall von fünf Arbeitsplätzen und die betreffende Reorganisation entschieden worden, die den Kläger betreffende Entscheidung sei dagegen aber schon in Gesprächen am 18. und 19. August gefallen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Beklagte nicht dargelegt habe, vor Ausspruch der Kündigung eine unternehmerische Entscheidung getroffen zu haben.
Im Berufungsverfahren hat die Beklagte zunächst vorgetragen: Besprechungen über den Personalabbau hätten bereits Ende Juni/Anfang August 1999 bzw. Ende Juli/Anfang August 1999 sowie am 19. Juli 1999 stattgefunden. Nach dem 19. Juli 1999 habe es Gespräche mit der finanzierenden Bank und dem Arbeitsamt gegeben. Danach sei die Entscheidung getroffen worden, daß der Arbeitsplatz des Klägers wegfalle. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei der Kreis der von den Personalreduzierungsmaßnahmen betroffenen Arbeitsplätze festgelegt gewesen. Die endgültige Entscheidung bezüglich der weiteren fünf Arbeitnehmer sei am 24. August gefallen, die den Kläger betreffende dagegen kurzfristig im Rahmen eines vom Geschäftsführer anberaumten Termins am 18. August 1999. Diese Entscheidung sei bis zum Zugang der Kündigung am 19. August 1999 umgesetzt worden. Die Einführung des Warenwirtschaftssystems sei bereits bei Zugang der Kündigung bzw. im Frühjahr 1999 erfolgt. Die dem Kläger obliegende “händische” Aufbereitung von Zahlen sei durch Einführung des Warenwirtschaftssystems hinfällig geworden bzw. sei in der Planung und Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung berücksichtigt worden, daß derartige Arbeiten zukünftig hinfällig würden.
Mit weiterem Schriftsatz hat die Beklagte ihr Vorbringen dahin erläutert, bereits Anfang August seien die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer und die organisatorischen Maßnahmen zur Umverteilung der Arbeit festgelegt worden.
Auf Hinweis des Berufungsgerichts hat die Beklagte sodann vorgetragen: Nach verschiedenen Vorgesprächen habe der Geschäftsführer der Beklagten am 19. Juli 1999 eine unternehmerische Entscheidung getroffen, die ein umfassendes Konzept zur Reorganisation, zum Wegfall und zur Umverteilung einzelner Tätigkeiten sowie den Ausspruch von Kündigungen umfaßt habe. Der Zeitpunkt für den Ausspruch der Kündigungen sei für Ende August 1999 festgesetzt worden. Nachdem der Geschäftsführer am 19. August 1999 von dem für den 23. August 1999 vorgesehenen Urlaubsantritt des Klägers erfahren habe, sei noch für denselben Tag, nämlich den 19. August, eine Besprechung angesetzt worden. Im Rahmen dieser Besprechung sei zwischen dem Geschäftsführer und dem Prokuristen erörtert worden, daß der am 19. Juli getroffenen Entscheidung keine neuen Erkenntnisse entgegenstünden. Daraufhin sei die Kündigung ausgesprochen worden.
Etwaige Mißverständlichkeiten oder Ungenauigkeiten in ihrem Vorbringen seien, so hat die Beklagte vorgetragen, darauf zurückzuführen, daß sie noch ein weiteres Kündigungsschutzverfahren habe führen müssen, in dem es um eine Kündigung vom 31. August 1999 gegangen sei. Dabei habe der Geschäftsführer übersehen, daß die Entscheidung bezüglich des Klägers vorgezogen worden sei.
Der Kläger hat die Behauptungen der Beklagten bestritten und geltend gemacht, eine unternehmerische Entscheidung sei jedenfalls vor der Kündigung nicht getroffen worden. Bis zum 8. März 2000, seinem letzten Arbeitstag, habe sich, abgesehen von der tatsächlich weggefallenen Betreuung der Auszubildenden, an seiner Tätigkeit im wesentlichen nichts geändert. Ferner hat der Kläger die Sozialauswahl gerügt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung vom 19. August 1999 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.
- Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Vortrag der Beklagten sei nicht geeignet, die Kündigung zu rechtfertigen. Die Beklagte könne sich nicht darauf stützen, das vom Kläger zu erbringende Arbeitsvolumen sei entfallen. Sie habe nicht hinreichend dargelegt, welche Tätigkeiten des Klägers wann entfallen oder anderen Arbeitnehmern zugewiesen worden seien. Die Beklagte habe es auch an Angaben zum zeitlichen Umfang der einzelnen Tätigkeitsbereiche des Klägers fehlen lassen. Auch soweit sich die Beklagte auf eine unternehmerische Entscheidung zur Reduzierung von Personalkosten berufe, könne sie keinen Erfolg haben, da eine solche Entscheidung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht substantiiert vorgetragen worden sei.
Dem folgt der Senat im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung. Die Kündigung ist unwirksam, weil sie sozialwidrig iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist. Die Beklagte hat nicht dargelegt, daß bei Ausspruch der Kündigung dringende betriebliche Erfordernisse vorgelegen hätten.
- Die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels muß die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO tragen.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Schmitz-Scholemann, Röder, Bartel
Fundstellen
DB 2002, 2604 |
ARST 2003, 141 |
NZA 2003, 608 |
AP, 0 |
EzA |
SPA 2003, 7 |