Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrarbeitsvergütung bei Chorprobe nach 23.00 Uhr
Normenkette
Normalvertrag Chor vom 11. Mai 1979 §§ 5, 11; BGB § 612; AZO §§ 3, 15; ArbGG § 110
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 23.11.1990; Aktenzeichen 12 Sa 867/90) |
ArbG Köln (Urteil vom 27.06.1990; Aktenzeichen 7 Ca 2524/90) |
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 23. November 1990 – 12 Sa 867/90 – teilweise aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 27. Juni 1990 – 7 Ca 2524/90 – teilweise abgeändert:
Der Schiedsspruch des Bühnenschiedsgerichts für Opernchöre in Köln vom 9. Januar 1990 – BSchG C 11/89 – wird aufgehoben und die Schiedsklage abgewiesen, soweit die Klägerin verurteilt wurde, an den Beklagten mehr als 6,25 DM zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die weitergehende Berufung und die weitergehende Revision werden zurückgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Beklagte 4/5 und die Klägerin 1/5 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zusätzliche Vergütung für
eine Opernchorprobe, die erst nach 23.00 Uhr beendet wurde.
Der Beklagte ist bei der Oper der Klägerin als Opernchorsänger beschäftigt. Das durchschnittliche Monatseinkommen des Beklagten beträgt 3.600,– DM brutto. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelten die Vorschriften des Normalvertrages Chor vom 11. Mai 1979 für Opernchormitglieder an stehenden Bühnen in der Bundesrepublik Deutschland und im Land Berlin (NV-Chor) in der ab
2. Januar 1989 geltenden Fassung. Dort heißt es u.a.:
„§ 5 Proben, Pausen
(5) Die Dauer der ersten Probe in Kostüm und Maske und der zweiten Probe in Kostüm und Maske (Hauptprobe) sowie die Dauer der Generalprobe sind zeitlich nicht begrenzt.
…
(9) Das Opernchormitglied ist nicht verpflichtet, an einem Sonntag oder gesetzlich anerkannten Feiertag, während einer Aufführung, nach einer Abendaufführung sowie nach 23 Uhr bei einer Probe mitzuwirken, wenn nicht besondere Umstände, insbesondere eine Störung des Spielplanes oder des Betriebes oder ein Gastspiel am Theater, es erfordern, eine Probe zu dieser Zeit abzuhalten.
§ 11 Besondere Vergütungen
(1) Mit dem festen Gehalt sind die von dem
Opernchormitglied nach diesem Tarifvertrag zu erbringenden Arbeitsleistungen abgegolten, soweit sich aus Absatz 2 nichts anderes ergibt.
(2) …”
„Protokollnotizen zu § 11
1. Tagesgage ist ein Dreißigstel der Grundgage einschließlich der Zulagen nach § 8 des Chorgagentarifvertrages und des Orts Zuschlages der Stufe 2 der Tarifklasse II.
…
9. Ob und unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe im übrigen eine Vergütung zu zahlen ist, richtet sich nach dem örtlichen Bühnenbrauch bzw. den örtlichen Regelungen.”
Am Samstag, den 26. August 1989, hat die Theaterleitung der Klägerin eine Klavierhauptprobe zur Inszenierung der Oper „Aida” bis 23.20 Uhr durchgeführt, an der der Beklagte teilnehmen mußte. Er begehrt für die seiner Ansicht nach tarifwidrige Probedauer über 23.00 Uhr hinaus eine Vergütung von 30,– DM brutto.
Der Beklagte hat nach Ablehnung seiner Forderung durch die Klägerin Klage vor dem Bühnenschiedsgericht für Opernchöre erhoben. Durch Schiedsspruch vom 9. Januar 1990 hat das Bühnenschiedsgericht die Klägerin verurteilt, an den Beklagten 30,– DM zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 5 Abs. 9 NV-Chor verbiete grundsätzlich Chorproben nach 23.00 Uhr. Da sich die Klägerin über diese Tarifbestimmung bewußt hinweggesetzt habe, stehe dem Beklagten eine Sondervergütung zu. Die Höhe dieser Vergütung könne sich dabei nicht auf einen Bruchteil der üblichen Mehrarbeitsvergütung beschränken. Bei der Bemessung der Höhe Müsse vielmehr wegen des tarifwidrigen Verhaltens der Klägerin ein gewisser „Strafzuschlag” berücksichtigt werden. Ein Betrag von 30,– DM, der dem Viertel einer Tagesgage entspreche, sei daher angemessen.
Gegen diesen Schiedsspruch hat die Klägerin Aufhebungsklage erhoben.
Die Klägerin hat gemeint, das Arbeitsverbot des § 5 Abs. 9 NV-Chor nach 23.00 Uhr bestehe nur an Sonn- und Feiertagen. Außerdem könnten Hauptproben, die nach § 5 Abs. 5 NV-Chor zeitlich unbegrenzt seien, nicht nach § 5 Abs. 9 NV-Chor auf die Zeit bis 23.00 Uhr begrenzt werden. Im übrigen betrage die Mehrarbeitsvergütung nur 4,20 DM brutto.
Die Klägerin hat beantragt,
den Schiedsspruch des Bühnenschiedsgerichts für Opernchöre in Köln vom 9. Januar 1990 – BSchG C 11/89 – aufzuheben und die Schiedsklage abzuweisen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Aufhebungsklage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, während der Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist insoweit begründet als das Bühnenschiedsgericht und ihm folgend das Landesarbeitsgericht dem Beklagten eine höhere Vergütung als 6,25 DM zugesprochen haben.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Aufhebungsklage sei unbegründet. Der Schiedsspruch des Bühnenschiedsgerichts sei rechts fehler frei. Der Anspruch sei dem Grunde nach berechtigt, weil die über 23.00 Uhr hinausgehende Probe tarifwidrig gewesen sei. Gemäß § 5 Abs. 9 NV-Chor sei das Opernchormitglied nicht verpflichtet, nach 23.00 Uhr bei einer Probe mitzuwirken. Zweck dieser Vorschrift sei, das Opernchormitglied vor übermäßiger Inanspruchnahme zu schützen. Geschehe dies gleichwohl, sei eine angemessene Vergütung zu zahlen. Der vom Bühnenschiedsgericht zugesprochene Betrag in Höhe eines Viertels einer Tagesgage sei angemessen, da ein gewisser Strafzuschlag zu berücksichtigen sei, um den Anreiz zu mindern, Tarifnormen nicht einzuhalten.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgericht halten nur zum Teil einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
II. Der Vergütungsanspruch des Beklagten ist gemäß § 612 BGB begründet. Danach gilt eine Vergütung als vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Dies ist der Fall, wenn tariflich nicht zulässige Mehrarbeit geleistet wird. Tariflich nicht zulässige Probezeiten sind nach den Grundsätzen gesetzlich unzulässiger Mehrarbeit zu vergüten (vgl. BAGE 38, 383, 392 = AP Nr. 20 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag; BAG Urteil vom 17. September 1987 – 6 AZR 560/84 – AP Nr. 32 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag, zu II 1 der Gründe).
Das Landesarbeitsgericht hat rechtlich zutreffend angenommen, daß eine tariflich unzulässige Probezeit vorliegt, wenn die Klägerin die Probe über 23.00 Uhr hinaus durchführt. Dies ergibt die Auslegung von § 5 Abs. 9 NV-Chor.
a) Danach ist das Opernchormitglied nicht verpflichtet, an einem Sonntag oder gesetzlich anerkannten Feiertag, während einer Aufführung, nach einer Abendaufführung sowie nach 23.00 Uhr bei einer Probe mitzuwirken. Damit werden fünf Fälle genannt, in denen. Opernchormitglieder nicht verpflichtet sind, bei Proben mitzuwirken. Dem Wortlaut kann entgegen der Ansicht der Klägerin nichts dafür entnommen werden, daß sich die zeitliche Beschränkung der Probe auf 23.00 Uhr nur auf Proben an Sonn- und Feiertagen bezieht. Satzaufbau. Satzzeichen und die Stellung der Konjunktion „sowie” ergeben für eine derartige Auslegung keine Anhaltspunkte. Weder Sinn und Zweck des § 5 Abs. 9 NV-Chor, die Lage der Probezeit auf die Zeit bis 23.00 Uhr zu beschränken, noch andere Umstände geben einen Hinweis darauf, daß diese zeitliche Grenze nur an Sonn- und Feiertagen gelten soll.
b) Dem steht auch nicht entgegen, daß es sich um eine zeitlich nicht begrenzte Hauptprobe nach § 5 Abs. 5 NV-Chor gehandelt hat. § 5 Abs. 9 NV-Chor regelt die zeitliche Lage von Proben, während § 5 Abs. 5 NV-Chor auf deren Dauer abstellt. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß eine zeitlich unbegrenzte Hauptprobe über die tariflich begrenzte Probezeit hinaus ausgedehnt werden darf. Bei unterschiedlichen tariflichen Norminhalten wie diesen ist im Zweifel davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien die Beachtung beider Vorschriften im Einzelfall gewollt und damit geregelt haben. Beide Bestimmungen ergänzen sich, so daß keine den Vorrang vor der anderen genießt.
c) Entgegen der Ansicht der Revision steht der Annahme einer tariflich unzulässigen Probezeit nicht § 5 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 NV-Chor entgegen. Danach besteht die Pflicht, an einer Probe mitzuwirken, wenn besondere Umstände, insbesondere eine Störung des Spielplans oder des Betriebes oder ein Gastspiel am Theater, es erfordern, eine Probe zu dieser Zeit abzuhalten. Diese beispielhafte Aufzählung zeigt, daß besondere Umstände nur vorliegen bei nicht vorhersehbaren und nicht turnusgemäßen Ereignissen. Eine vorhersehbare Hauptprobe ist daher aus Rechtsgründen schon kein besonderer Umstand im Sinne dieser Vorschrift.
Soweit das Bühnenschiedsgericht und die Vorinstanzen eine Vergütung in Höhe von mehr als 6,25 DM für angemessen gehalten haben, vermag der Senat dem nicht zu folgen.
a) Bei der Bemessung der Höhe einer Vergütung für die 20-minütige tarifwidrige Beschäftigung ist mangels einer ausdrücklichen Regelung in NV-Chor für die Vergütung von Mehrarbeit und mangels einer von den Parteien dargelegten Tarifübung, eines örtlichen Bühnenbrauchs bzw. örtlicher Regelungen die Tagesgage zu ermitteln. Der einzige Anhaltspunkt für deren Höhe ergibt sich aus der Protokollnotiz zu § 11 NV-Chor. Danach ist die Tagesgage ein Dreißigstel der Grundgage einschließlich der Zulagen nach § 8 des Chorgagentarifvertrages und des Ortszuschlags. Damit haben die Tarifvertragsparteien ihre Absicht erkennen lassen, daß zur Bestimmung der Tagesgage die monatliche Gage durch dreißig zu dividieren ist. Dafür, mit welchem Teil einer Tagesgage eine 20-minütige Mehrarbeitsleistung zu vergüten ist, ergeben sich aus dem NW-Chor keine Anhaltspunkte. Es fehlt insbesondere an der Festlegung einer Tages-, Wochen- oder Monatsarbeitszeit. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann sich der Senat nur auf die allgemeinen Grundsätze des in der Arbeitszeitordnung (AZO) geregelten staatlichen Arbeitszeitrechts stützen (vgl. BAGE 45, 238, 247 = AP Nr. 22 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag; zuletzt Urteil des Senats vom 19. Dezember 1991 – 6 AZR 72/90 – nicht veröffentlicht). In entsprechender Anwendung von § 3 AZO ist damit von einem Achtstundentag auszugehen (vgl. BAGE 45, 238, 248 = AP, a.a.O.). Somit ergibt sich eine Stundengage von 15,– DM brutto (3.600,– DM brutto: 30 Tage: 8 Stunden). Die 20-minütige tarifwidrige Mehrarbeit ist daher mit 5,– DM zu vergüten. Hinzuzurechnen ist in entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 2 AZO ein Zuschlag von 25 %, so daß dem Beklagten 6,25 DM brutto zustehen.
b) Soweit das Bühnenschiedsgericht dem Beklagten eine Vergütung vom 30,– DM zugesprochen hat, entsprach dies zwei Stundensätzen und war damit nach den obigen Darlegungen für die 20-minütige Mehrarbeit nicht die übliche Vergütung gemäß § 612 BGB. Wegen der Verletzung dieser Rechtsnorm war der Schiedsspruch gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG aufzuheben und die Schiedsklage insoweit abzuweisen als sie den Betrag von 6,25 DM übersteigt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Ramdohr, Wax
Fundstellen