Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung. Entfernung aus Personalakte. Widerruf
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 09.11.1988; Aktenzeichen 3 Sa 41/88) |
ArbG Reutlingen (Urteil vom 24.06.1988; Aktenzeichen 1 Ca 223/88) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 9. November 1988 – 3 Sa 41/88 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte eine dem Kläger mit Schreiben vom 14. Februar 1986 erteilte Abmahnung zurücknehmen und aus den Personalakten entfernen muß.
Der Kläger trat 1966 als Angestellter in die Dienste des Kreises H.. Seit 1972 ist er beim beklagten Landkreis als Bearbeiter für die Sachgebiete Wirtschaftsförderung, Fremdenverkehrsförderung und Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt und erhält Vergütung nach Gruppe IV b BAT. Er ist Mitglied des Personalrats und gehört der Gewerkschaft ÖTV an.
Der Kläger erhob Anfang 1985 Klage auf Höhergruppierung in die Vergütungsgruppe IV a BAT und wurde damit durch Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 14. Mai 1986 rechtskräftig abgewiesen.
Während des Rechtsstreits um die Höhergruppierung erhob der Kläger mit Schreiben vom 9. Dezember 1985 an den Landrat „Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberregierungsrat … K.”, der erstinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter des beklagten Landkreises in dem Rechtsstreit um die Höhergruppierung war. In diesem Schreiben hat der Kläger u. a. behauptet, er werde bewußt kalt gestellt, in unzulässiger Weise kontrolliert und es würden ihm Arbeitsvorgänge vorenthalten. Im Anschluß daran hat er folgendes ausgeführt:
„Die obigen Vorgänge reihen sich zu einer Systematik zusammen. Die Geschehnisse fallen alle in den Zeitpunkt nach meiner Klageeinreichung beim Arbeitsgericht Reutlingen und verfolgen ganz offensichtlich nur ein Ziel: Durch neuerliche Beweispunkte und Offensichtlichkeiten der durch Urteil des Arbeitsgerichts festgestellten Tätigkeitsmerkmale der besonderen Bedeutung und Schwierigkeit meiner Arbeit in Abrede zu stellen, das Urteil zu kippen und die gekränkte Amts- und Juristenehre einzelner wiederherzustellen. Sollten Sie, Herr Landrat, diese Kapriolen des Herrn ORR K., der ganz 453 Tage im Landratsamt T. tätig ist, gutheißen und dulden, dann bitte ich Sie, mir meine Urkunde zum 25-jährigen Dienstjubiläum am Freitag, den 13. Dezember 1985 ohne jeglichen feierlichen Vorgang mit üblicher Botenpost zuzusenden.
Einen Durchschlag dieses Schreibens werde ich der ÖTV zuleiten, damit der Inhalt im anstehenden Widerspruchsverfahren Verwendung findet. Einen weiteren Durchschlag werde ich nach einer kurzen Karenzzeit dem DGB Kreis T. zuleiten, da die Angelegenheit mit zunehmender Dauer arbeitspolitische Dimensionen annimmt,”
Der Landrat des beklagten Kreises hat mit Schreiben vom 14. Februar 1986 im einzelnen zu den Vorwürfen des Klägers Stellung genommen und hat dazu abschließend folgendes bemerkt:
„Eine Pflichtverletzung von Herrn Oberregierungsrat K. ist in allen vorgetragenen Punkten – soweit überhaupt seine Zuständigkeit gegeben ist – nicht erkennbar. Insbesondere ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für eine Verquickung der Ihr Arbeitsverhältnis betreffenden Eingruppierungsstreitigkeit mit anderen Dienstaufgaben. Ihre Ausdeutung der beschriebenen Vorgänge ist rational nicht nachvollziehbar.
Ich empfehle Ihnen, den Ausgang Ihrer Arbeitsgerichtsklage mit der gebotenen Sachlichkeit abzuwarten, und ersuche Sie, herabsetzende und beleidigende Äußerungen, wie sie auf Seite 4 Ihres Schreibens enthalten sind, künftig zu unterlassen. Im Wiederholungsfall müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen. …”
Der Kläger sieht hierin eine Abmahnung, die den Charakter einer Verwarnung habe. Dazu sei er vorher nicht gehört worden. Schon deswegen müsse die Abmahnung aus der Personalakte entfernt und vom beklagten Landkreis zurückgenommen werden. Mit seiner Beschwerde habe er sich zu Recht über Herrn K. beklagt. Der Anlaß für diese Beschwerde sei „verständlich”, und er habe sie in Wahrnehmung berechtigter Interessen erhoben. Selbst wenn man den beklagten Landkreis für berechtigt halten sollte, eine Abmahnung auszusprechen, müsse sie schon wegen Zeitablaufes aus der Personalakte wieder entfernt werden.
Der Kläger hat in der Vorinstanz beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, die Abmahnung vom 14. Februar 1986 zurückzunehmen und aus den Personalakten des Klägers zu entfernen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Abmahnung sei gerechtfertigt. Er habe den Kläger dazu nicht vorher zu hören brauchen, denn die Anhörung diene der Aufklärung des Sachverhalts. Den Sachverhalt, der für den Beklagten Anlaß zur Abmahnung gewesen sei, habe der Kläger aber selbst vorgetragen. Das Recht des Beklagten zur Abmahnung sei nicht verwirkt, und ihre Entfernung könne der Kläger nicht allein schon wegen Zeitablaufs verlangen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger verfolgt mit der Revision sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
I. Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die Abmahnung zurückzunehmen und den Vermerk selbst aus der Personalakte zu entfernen. Er strebt mit seinem Antrag auf Zurücknahme der Abmahnung einen formellen Widerruf an. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klage auf Rücknahme der Äußerung sei unzulässig, weil der Klageantrag nicht hinreichend bestimmt sei (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Es sei unklar, was der Kläger von dem beklagten Landkreis verlange. Die Klage auf Entfernung der Abmahnung hat das Berufungsgericht für unbegründet angesehen, weil der Kläger seine Pflichten im Arbeitsverhältnis verletzt habe.
II. Dagegen wendet sich die Revision mit der Begründung, der Kläger verlange mit seiner Klage auf „Rücknahme” der Abmahnung erkennbar den Widerruf der in der Abmahnung des Beklagten ausgesprochenen Verwarnung. Wenn die Vorinstanz den Klageantrag für zu unbestimmt gehalten habe, so hätte sie gemäß § 139 ZPO den Kläger darauf hinweisen müssen. Dann hätte er den Antrag auf „Rücknahme” der Abmahnung dahingehend erläutert, daß er damit den Widerruf der unberechtigten Verwarnung und hilfsweise die Feststellung begehre, daß sein abgemahntes Verhalten nicht vertragswidrig sei. Der Kläger könne auch die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangen, weil seine Kritik bei richtiger Bewertung nicht beanstandet werden könne. Außerdem habe der Kläger in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt.
III. Zwar beanstandet der Kläger zu Recht, daß die Vorinstanz den Klageantrag auf Rücknahme der Abmahnung als zu unbestimmt angesehen hat. Am Ergebnis der Klageabweisung ändert das jedoch nichts. Das Landesarbeitsgericht sieht die Abmahnung zutreffend als berechtigt an. Damit entfällt bereits der weitergehende Antrag auf formellen Widerruf der Äußerung des Beklagten.
1. Ein Arbeitnehmer kann verlangen, daß der Arbeitgeber eine mißbilligende Äußerung aus den Personalakten entfernt, wenn diese unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung und seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können. Dies folgt aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die auf dem Gedanken von Treu und Glauben beruht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. u. a. BAG Urteil vom 27. November 1985 – 5 AZR 101/84 – AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu I 3 a der Gründe). Für die Frage, ob eine Abmahnung zu Recht erfolgt ist, kommt es allein darauf an, ob der erhobene Vorwurf objektiv gerechtfertigt ist, nicht aber, ob das beanstandete Verhalten dem Arbeitnehmer auch subjektiv vorgeworfen werden kann (BAGE 38, 207, 211 = AP Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu I 1 der Gründe; BAG Urteil vom 27. November 1985 – 5 AZR 101/84 – AP Nr. 93, aaO, zu I 3 b der Gründe; BAG Urteil vom 12. Januar 1988 – 1 AZR 219/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73, zu IV 1 der Gründe).
2. Die vom Kläger angegriffene Äußerung des Landrats im Schreiben vom 14. Februar 1986, in dem er den Kläger auffordert, herabsetzende und beleidigende Äußerungen über den Oberregierungsrat K. zu unterlassen, ist als Abmahnung anzusehen, weil dem Kläger im Wiederholungsfall „arbeitsrechtliche Konsequenzen” angedroht worden sind. Allerdings enthält diese Abmahnung keine Tatsachenbehauptungen, sondern der Beklagte bewertet die Ausführungen des Klägers als Beleidigung seines Mitarbeiters K.. Die Vorinstanz hat das zu Recht ebenso beurteilt. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts dazu lassen keinen Rechtsfehler erkennen.
Der Kläger wurde abgemahnt, weil er die Behauptung aufgestellt hat, die in seinem Schreiben genannten Vorgänge seien Teil einer systematischen Kampagne von Herrn K. gegen ihn als Vergeltung dafür, daß er in erster Instanz seinen Eingruppierungsprozeß gewonnen habe. Der Kläger schreibt ausdrücklich, daß es Herrn K. darum gegangen sei, „die gekränkte Amts- und Juristenehre einzelner wiederherzustellen”. Das konnte der Beklagte nicht hinnehmen, ebensowenig wie die Ausführungen des Klägers, mit denen er das Verhalten des Herrn K. gegenüber dem Land rat als „Kapriolen” bezeichnete. Das alles konnte der Beklagte schon deswegen nicht auf sich beruhen lassen, weil der Kläger ausdrücklich die Verbreitung seiner Dienstaufsichtsbeschwerde bei der ÖTV angekündigt hat.
Der Kläger kann sich demgegenüber nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen. Soweit er diese Interessen in seinem Höhergruppierungsrechtsstreit wahrnimmt, muß er sich auf jenen Rechtsstreit beschränken. Es geht über die Wahrnehmung berechtigter Interessen hinaus, wenn er den vom beklagten Landkreis mit der Prozeßführung beauftragten Oberregierungsrat K. mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde persönlich angreift, denn die Dienstaufsichtsbeschwerde ist kein Verteidigungsmittel im Rechtsstreit selbst.
Der beklagte Landkreis hat mit der Abmahnung auch nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Zwar ist auch bei Abmahnungen im Arbeitsverhältnis dieser Grundsatz zu berücksichtigen (vgl. BAG Urteil vom 7. November 1979 – 5 AZR 962/77 – AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II 2 c der Gründe, sowie unveröffentlichtes Senatsurteil vom 23. April 1986 – 5 AZR 340/85 –, zu VII 2 a der Gründe). Dieser Grundsatz wird als Übermaßverbot zur Vermeidung von schwerwiegenden Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen verstanden (BAG, aaO). Danach hat der Arbeitgeber im Rahmen der ihm zustehenden Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) zunächst selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers billigen oder ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will (BAG, aaO). Die schriftliche Abmahnung des Beklagten ist aber nicht unverhältnismäßig im Vergleich zu dem beanstandeten Verhalten. Daß der Beklagte die Abmahnung in die Personalakte des Klägers aufgenommen hat, ist sachgerecht.
3. Der Kläger kann die Entfernung der Abmahnung auch nicht mit der Begründung verlangen, er sei dazu vorher nicht angehört worden. Das Anhörungsrecht des § 13 Abs. 2 BAT beschränkt sich darauf, daß der Angestellte „über Beschwerden und Behauptungen tatsächlicher Art, die für ihn ungünstig sind oder ihm nachteilig werden können, vor Aufnahme in die Personalakten” angehört werden muß. Der Beklagte hat aber nur das eigene tatsächliche Vorbringen des Klägers rechtlich bewertet. Eine solche Bewertung unterliegt schon nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 2 BAT nicht der Anhörungspflicht.
4. Dem Beklagten kann nicht vorgeworfen werden, daß er die Abmahnung erst nach etwa acht Wochen ausgesprochen hat. Es gibt keine „Regelausschlußfrist”, innerhalb derer das Rügerecht ausgeübt werden muß (BAG Urteil vom 15. Januar 1986 – 5 AZR 70/84 – AP Nr. 96 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu III 2 der Gründe; BAG Urteil vom 12. Januar 1988 – 1 AZR 219/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73). Der beklagte Landkreis hat sein Rügerecht auch nicht verwirkt.
5. Ebensowenig ist die Abmahnung seit der Dienstaufsichtsbeschwerde allein durch Zeitablauf wirkungslos geworden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen in Verbindung mit dem Zeitablauf alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden (BAG Urteil vom 18. November 1986 – 7 AZR 674/84 – AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 5 der Gründe; BAG Urteil vom 21. Mai 1987 – 2 AZR 313/86 – DB 1987, 2367). Dafür kommt es insbesondere auf die Art. der Verfehlung des Arbeitnehmers und des Verhaltens des Arbeitgebers im Anschluß an die Abmahnung an. Insoweit fehlt es jedoch an entsprechenden Sachverhaltsfeststellungen in der Vorinstanz. Der Kläger hat solche Umstände auch nicht behauptet.
Unterschriften
Dr. Gehring, Dr. Oldeorg, Bitter, Arntzen, Kessel
Fundstellen